Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 784/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 552/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 488/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung von Haftzeiten als Beitragszeiten.
Der 1957 geborene Kläger war nach einer nicht abgeschlossenen Lehre als Metzger bis 1984 als Lohnschlächter tätig. Anschließend war er zunächst selbständig tätig, dann zeitweise arbeitslos. Von September 1993 bis Mai 2000 wurden mit Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit 24 Pflichtbeiträge entrichtet, 10 Pflichtbeiträge aufgrund einer Beschäftigung. Vom 29.06.2000 bis 11.06.2002 und vom 13.08.2002 bis 10.03.2003 befand er sich in der Justizvollzugsanstalt B ... Dazwischen wurden für zwei Monate Pflichtbeiträge entrichtet. Nach der Haftentlassung war er arbeitslos und nach einem Unfall am 14.03.2003 erhielt er bis Ende 2004 Sozialleistungen. Seither wurden für zwei Monate Pflichtbeiträge aufgrund einer Beschäftigung entrichtet. Seit 16.08.2006 verbüßt er eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten.
Am 14.03.2003 ist er aus ca. 7 m Höhe aus dem Fenster gestürzt und wegen des Polytraumas über den 22.10.2003 hinaus vom MDK für arbeitsunfähig erachtet worden. Auf seinen Antrag hin ist der Grad der Behinderung mit Bescheid vom 01.03.2004 auf 80 festgestellt worden. Als Behinderungen wurden berücksichtigt: Chronische Leberentzündung, Leberzirrhose, Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom nach Polytrauma, Hemianopsie nach links und Zuckerkrankheit. Der GdB ist ab 03.05.2004 wegen Hinzutretens einer Alkoholkrankheit (Suchtkrankheit) sowie Verlust des Sehvermögens links und wiederkehrender Beingeschwüre auf 100 angehoben worden.
Einen Antrag des Klägers vom 13.11.2003 auf Rehabilitationsleistungen wertete die Beklagte als Rentenantrag. Der Ärztliche Dienst der Beklagten bejahte aufgrund des Unfalls vom 14.03.2003 unter Auswertung des MDK-Gutachtens vom 22.10.2003 Erwerbsminderung auf Zeit bis Dezember 2005. Mit Bescheid vom 29.12.2003 lehnte die Beklagte eine Rentengewährung ab. Zwar läge seit 14.03.2003 volle Erwerbsminderung vor, hingegen seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.
Dagegen legte der Kläger am 05.02.2004 Widerspruch ein und machte geltend, für seine Haftzeiten hätte der Freistaat Bayern Beiträge entrichten müssen. Die Beklagte wies den Widerspruch am 15.04.2004 zurück. Im maßgeblichen 5-Jahreszeitraum vom 14.03.1998 bis 13.03.2003 seien lediglich 23 Beitragsmonate für eine versicherungspflichtige Beschäftigung enthalten. Der Freistaat Bayern sei nicht verpflichtet, für Haftzeiten des Klägers Beiträge zu entrichten. Auch sei nicht jeder Kalendermonat ab 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit sog. Anwartschaftserhaltungszeiten belegt und es fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erwerbsminderung bereits vor dem 01.01.1984 eingetreten sei.
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben und nach Beitreibung der fehlenden Rentenbeiträge von Seiten des Freistaats Bayern eine Neuverbescheidung seines Rentenantrags beantragt.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.06.2005 hat das Sozialgericht München die Klage abgewiesen. Ein Bundesgesetz, das eine Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen für Haftzeiten durch die Bundesrepublik oder durch die Bundesländer vorsehe, sei bisher nicht vollzogen. Es gehöre nicht zur Kompetenz der Sozialgerichtsbarkeit, an die Stelle des Gesetzgebers zu treten oder die Organe der Gesetzgebung zu verurteilen, bestimmte Gesetze zu beschließen. Insoweit sei die Klage unzulässig. Hinsichtlich der beitragsrechtlichen Voraussetzungen werde auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen. Der Versicherungsverlauf des Klägers weise ab 1984 große Lücken auf, es lägen keine Anhaltspunkte für einen früheren Eintritt der Erwerbsminderung vor, die Haftzeiten stellten weder Verlängerungstatbestände noch Anwartschaftserhaltungszeiten dar und der Kläger sei auch nicht berechtigt, für diese Zeiten freiwillige Beiträge nachzuzahlen.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Seines Erachtens gibt es BGH-Urteile, die den vorliegenden Sachverhalt detailiert regeln. Darüber hinaus leide er an einer Leberzirrhose mit einer Lebenserwartung von ca. zehn Jahren. Seine geleisteten Versicherungsbeiträge dienten nicht der Bereicherung Anderer sondern ihm, der zu 100 % behindert sei. Das Gericht hat einen aktuellen Versicherungsverlauf (vom 21.12.2005) und einen Befundbericht von der behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin Dr.S. eingeholt. Diese hat Krankenhausentlassungsberichte vom 17.07.2003, 05.05.2003, 28.06.2005 und 23.01.2006, beigefügt. Des Weiteren ist die Gesundheitsakte der Justizvollzugsanstalt B. beigezogen worden. Zum medizinischen Sachverhalt hat die Abteilung für Sozialmedizin der Beklagten eine Stellungnahme abgegeben. Danach ergibt sich keinerlei Veranlassung, von einem früheren Zeitpunkt der Erwerbsminderung als 14.03.2003 auszugehen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 07.05.2006 ergänzt, bis März 2003 habe er weder körperliche noch geistige Einschränkungen gehabt.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16.06.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2004 zu verurteilen, ihm ab 01.11.2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Akten des Sozialgerichts München, der Behindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung, der Gesundheitsakten der JVA B. , der Akten der Agentur für Arbeit M. sowie der Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16.06.2005 ist ebenso wenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 29.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2004. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Gemäß § 43 Abs.2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Unstreitig ist der Kläger seit seinem Unfall am 14.03.2003 voll erwerbsgemindert. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten, die angesichts des sozialmedizinischen MDK-Gutachtens vom 22.10.2003 zumindest von einer zeitlich begrenzten Erwerbsminderung bis Ende 2005 ausgegangen ist. Die zwischenzeitlich erfolgte Feststellung des Grades der Behinderung von 100 mit Bescheid vom 21.03.2005 gibt Grund zu der Annahme, dass sich der Zustand des Klägers trotz stationärer Behandlungen vom 06.06.2003 bis 17.07.2003 und Entwöhnungsbehandlungen vom 23.06.2004 bis 19.07.2004, 20.07.2004 bis 14.12.2004, 13.06.2005 bis 19.06.2005 und 23.11.2005 bis 02.01.2006 nicht stabilisiert hat. Bestätigt wird dies auch durch den Entlassungsbrief der Bezirksklinik H. vom 23.01.2006, aus der er disziplinarisch enlassen wurde.
Die jetzt im Vordergrund stehende Suchterkrankung mit ihren Folgen hat sich nicht bereits vor dem am 14.03.2003 erlittenen Polytrauma erwerbsmindernd ausgewirkt. Zwar hat der Kläger bereits ab 1994 täglich intravenösen Missbrauch von Kokain und Heroin betrieben, tatsächlich war er jedoch ausweislich der Gesundheitsakten der JVA B. , in der er bis wenige Tage vor dem Fenstersturz inhaftiert war, als Schweißer tätig. Einen Antrag auf Feststellung des Grades der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz hat der Kläger auch erstmals am 18. Dezember 2003 gestellt und ein Rentenantrag ist ebenso vor dem Jahr 2003 nicht gestellt worden. Der Kläger hat selbst mitgeteilt, bis zu dem Unfall im März 2003 körperlich und geistig nicht wesentlich eingeschränkt gewesen zu sein. Die Lücken im Versicherungsverlauf sind nicht durch Arbeitsunfähigkeitszeiten begründet, sondern dadurch, dass der Kläger laut eigenen Angaben ca. 20 Jahre seines Lebens in Haft verbracht hat. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Berufsunfähigkeit oder teilweiser Erwerbsminderung vor dem 14.03.2003 ergeben sich daher nicht und werden auch nicht geltend gemacht.
Auch wenn der Kläger die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt, scheitert sein Rentenanspruch an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Von den letzten fünf Jahren vor dem Unfallereignis am 14.03.2003 sind nicht mindestens drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt. Im maßgebenden 5-Jahreszeitraum vom 14.03.1998 bis 13.03.2003 sind lediglich 23 Pflichtbeiträge entrichtet worden. In diesen Zeitraum fallen die Haftzeiten vom 29.06.2000 bis 12. Juni 2002 und vom 20.08.2002 bis 10. März 2003. Es handelt sich dabei um mehr als 24 Monate, so dass die im 5-Jahreszeitraum notwendige Belegung mit 36 Pflichtbeiträgen auch mittels Verlängerung um Tatbestände des § 43 Abs.4 SGB VI von vornherein nicht möglich ist. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Anrechnungszeiten oder gleichgestellten Zeiten im Sinn des § 43 Abs.4 Ziffer 3 SGB VI liegen nicht vor, zumal die überwiegende Zahl der Pflichtbeitragszeiten im maßgebenden 5-Jahreszeitraum durch AFG-Leistungsbezug begründet wurde. Verlängerungstatbestände werden auch nicht geltend gemacht.
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung sind für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 01.01.1984 eingetreten ist (§ 241 Abs.2 Satz 1 SGB VI). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger schon deshalb nicht, weil er nach 1990 längere Zeit selbständig tätig war und keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hat.
Die Haftzeit vom 29.06.2000 bis 12.06.2002 und vom 13.08.2002 bis 10.03.2003 stellt keinen Verlängerungstatbestand im Sinne des § 43 Abs.4 SGB VI dar. Bei den in Abs.4 aufgeführten Tatbeständen, die den 5-Jahreszeitraum des § 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB VI verlängern, handelt es sich um Anrechnungszeiten im Sinne des § 58 SGB VI wie Arbeitsunfähigkeit oder Schulausbildung sowie um Rentenbezugszeiten. Die Zeiten der Verbüßung einer Strafhaft sind weder im Katalog des § 43 Abs.4 SGB VI noch in der Übergangsvorschrift des § 241 Abs.1 SGB VI aufgeführt und auch keiner der dort aufgeführten Zeiten in Sachgehalt und versicherungsrechtlicher Wirkung gleichzusetzen. Insbesondere kann die Tätigkeit des Klägers als Schweißer in der Justizvollzugsanstalt nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung angerechnet werden. Das Gesetz hat mit dem Katalog des § 43 Abs.4 SGB VI zu Gunsten der Versicherten Zeiten von dem 60-monatigen Berechnungszeitraum ausgenommen, die im System der Rentenversicherung als Rechtsfiguren prinzipiell anerkannt sind und spezifische Wirkungen entfallen. Zu ihnen zählen weder nach Wortlaut noch Begriffsinhalt Zeiten einer Strafthaft (BSG, Urteil vom 26.05.1988 in SozR 2200 § 1246 Nr.157).
Die durch das Haushaltbegleitgesetz 1984 bewirkte Verschärfung der gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist auch verfassungsgemäß, soweit sie Strafgefangene betrifft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG, 8. April 1987, 1 BvR 564/84). In Auseinandersetzung damit ist das Bundessozialgericht davon ausgegangen, dass die spezifische Situation eines Strafgefangenen, dem die Obliegenheit zur Weiterzahlung von Beiträgen während der Dauer seiner Strafhaft trifft, keine abweichende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der bezeichneten Bestimmungen rechtfertige (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.1988, a.a.O.). Ein davon abweichender Vorlagebeschluss eines Sozialgerichts ist vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig verworfen worden (Vorlagebeschluss vom 14. November 2000, SozR 3-2200 § 1246 Nr.64). Danach erscheint der in der Person des Strafgefangenen eintretende Anwartschaftsverlust insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil er aus ihm zurechenbaren Umständen gehindert ist, eine versicherungspflichtige Beschäftigung fortzusetzen oder aufzunehmen.
Auch soweit der Kläger mit seiner Klage die Beitreibung der Rentenversicherungsbeiträge erstrebt, die seines Erachtens vom Freistaat Bayern zu tragen sind, ist die Berufung unbegründet. Richtig ist, dass die §§ 190 bis 193 Strafvollzugsgesetz die Einbeziehung der Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung vorsehen, die Verwirklichung nach Maßgabe des § 198 Strafvollzugsgesetz durch besonderes Bundesgesetz aber nicht vollzogen ist. Der Kläger hat insoweit keinen Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des parlamentarischen Gesetzgebers. Es liegt außerhalb der funktionellen Kompetenz der Sozialgerichtsbarkeit, die Stelle der normsetzenden Instanz einzunehmen oder die Gesetzgebungsorgane zu verurteilen, bestimmte Gesetze zu beschließen (Urteil des BSG vom 12.05.1998 in SozR 3-1500 § 51 Nr.23).
Trotz der unstreitig vorliegenden vollen Erwerbsminderung und der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit kann der Kläger daher keine Rentenleistung beanspruchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung von Haftzeiten als Beitragszeiten.
Der 1957 geborene Kläger war nach einer nicht abgeschlossenen Lehre als Metzger bis 1984 als Lohnschlächter tätig. Anschließend war er zunächst selbständig tätig, dann zeitweise arbeitslos. Von September 1993 bis Mai 2000 wurden mit Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit 24 Pflichtbeiträge entrichtet, 10 Pflichtbeiträge aufgrund einer Beschäftigung. Vom 29.06.2000 bis 11.06.2002 und vom 13.08.2002 bis 10.03.2003 befand er sich in der Justizvollzugsanstalt B ... Dazwischen wurden für zwei Monate Pflichtbeiträge entrichtet. Nach der Haftentlassung war er arbeitslos und nach einem Unfall am 14.03.2003 erhielt er bis Ende 2004 Sozialleistungen. Seither wurden für zwei Monate Pflichtbeiträge aufgrund einer Beschäftigung entrichtet. Seit 16.08.2006 verbüßt er eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten.
Am 14.03.2003 ist er aus ca. 7 m Höhe aus dem Fenster gestürzt und wegen des Polytraumas über den 22.10.2003 hinaus vom MDK für arbeitsunfähig erachtet worden. Auf seinen Antrag hin ist der Grad der Behinderung mit Bescheid vom 01.03.2004 auf 80 festgestellt worden. Als Behinderungen wurden berücksichtigt: Chronische Leberentzündung, Leberzirrhose, Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom nach Polytrauma, Hemianopsie nach links und Zuckerkrankheit. Der GdB ist ab 03.05.2004 wegen Hinzutretens einer Alkoholkrankheit (Suchtkrankheit) sowie Verlust des Sehvermögens links und wiederkehrender Beingeschwüre auf 100 angehoben worden.
Einen Antrag des Klägers vom 13.11.2003 auf Rehabilitationsleistungen wertete die Beklagte als Rentenantrag. Der Ärztliche Dienst der Beklagten bejahte aufgrund des Unfalls vom 14.03.2003 unter Auswertung des MDK-Gutachtens vom 22.10.2003 Erwerbsminderung auf Zeit bis Dezember 2005. Mit Bescheid vom 29.12.2003 lehnte die Beklagte eine Rentengewährung ab. Zwar läge seit 14.03.2003 volle Erwerbsminderung vor, hingegen seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.
Dagegen legte der Kläger am 05.02.2004 Widerspruch ein und machte geltend, für seine Haftzeiten hätte der Freistaat Bayern Beiträge entrichten müssen. Die Beklagte wies den Widerspruch am 15.04.2004 zurück. Im maßgeblichen 5-Jahreszeitraum vom 14.03.1998 bis 13.03.2003 seien lediglich 23 Beitragsmonate für eine versicherungspflichtige Beschäftigung enthalten. Der Freistaat Bayern sei nicht verpflichtet, für Haftzeiten des Klägers Beiträge zu entrichten. Auch sei nicht jeder Kalendermonat ab 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit sog. Anwartschaftserhaltungszeiten belegt und es fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erwerbsminderung bereits vor dem 01.01.1984 eingetreten sei.
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben und nach Beitreibung der fehlenden Rentenbeiträge von Seiten des Freistaats Bayern eine Neuverbescheidung seines Rentenantrags beantragt.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.06.2005 hat das Sozialgericht München die Klage abgewiesen. Ein Bundesgesetz, das eine Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen für Haftzeiten durch die Bundesrepublik oder durch die Bundesländer vorsehe, sei bisher nicht vollzogen. Es gehöre nicht zur Kompetenz der Sozialgerichtsbarkeit, an die Stelle des Gesetzgebers zu treten oder die Organe der Gesetzgebung zu verurteilen, bestimmte Gesetze zu beschließen. Insoweit sei die Klage unzulässig. Hinsichtlich der beitragsrechtlichen Voraussetzungen werde auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen. Der Versicherungsverlauf des Klägers weise ab 1984 große Lücken auf, es lägen keine Anhaltspunkte für einen früheren Eintritt der Erwerbsminderung vor, die Haftzeiten stellten weder Verlängerungstatbestände noch Anwartschaftserhaltungszeiten dar und der Kläger sei auch nicht berechtigt, für diese Zeiten freiwillige Beiträge nachzuzahlen.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Seines Erachtens gibt es BGH-Urteile, die den vorliegenden Sachverhalt detailiert regeln. Darüber hinaus leide er an einer Leberzirrhose mit einer Lebenserwartung von ca. zehn Jahren. Seine geleisteten Versicherungsbeiträge dienten nicht der Bereicherung Anderer sondern ihm, der zu 100 % behindert sei. Das Gericht hat einen aktuellen Versicherungsverlauf (vom 21.12.2005) und einen Befundbericht von der behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin Dr.S. eingeholt. Diese hat Krankenhausentlassungsberichte vom 17.07.2003, 05.05.2003, 28.06.2005 und 23.01.2006, beigefügt. Des Weiteren ist die Gesundheitsakte der Justizvollzugsanstalt B. beigezogen worden. Zum medizinischen Sachverhalt hat die Abteilung für Sozialmedizin der Beklagten eine Stellungnahme abgegeben. Danach ergibt sich keinerlei Veranlassung, von einem früheren Zeitpunkt der Erwerbsminderung als 14.03.2003 auszugehen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 07.05.2006 ergänzt, bis März 2003 habe er weder körperliche noch geistige Einschränkungen gehabt.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16.06.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2004 zu verurteilen, ihm ab 01.11.2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Akten des Sozialgerichts München, der Behindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung, der Gesundheitsakten der JVA B. , der Akten der Agentur für Arbeit M. sowie der Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16.06.2005 ist ebenso wenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 29.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2004. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Gemäß § 43 Abs.2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Unstreitig ist der Kläger seit seinem Unfall am 14.03.2003 voll erwerbsgemindert. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten, die angesichts des sozialmedizinischen MDK-Gutachtens vom 22.10.2003 zumindest von einer zeitlich begrenzten Erwerbsminderung bis Ende 2005 ausgegangen ist. Die zwischenzeitlich erfolgte Feststellung des Grades der Behinderung von 100 mit Bescheid vom 21.03.2005 gibt Grund zu der Annahme, dass sich der Zustand des Klägers trotz stationärer Behandlungen vom 06.06.2003 bis 17.07.2003 und Entwöhnungsbehandlungen vom 23.06.2004 bis 19.07.2004, 20.07.2004 bis 14.12.2004, 13.06.2005 bis 19.06.2005 und 23.11.2005 bis 02.01.2006 nicht stabilisiert hat. Bestätigt wird dies auch durch den Entlassungsbrief der Bezirksklinik H. vom 23.01.2006, aus der er disziplinarisch enlassen wurde.
Die jetzt im Vordergrund stehende Suchterkrankung mit ihren Folgen hat sich nicht bereits vor dem am 14.03.2003 erlittenen Polytrauma erwerbsmindernd ausgewirkt. Zwar hat der Kläger bereits ab 1994 täglich intravenösen Missbrauch von Kokain und Heroin betrieben, tatsächlich war er jedoch ausweislich der Gesundheitsakten der JVA B. , in der er bis wenige Tage vor dem Fenstersturz inhaftiert war, als Schweißer tätig. Einen Antrag auf Feststellung des Grades der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz hat der Kläger auch erstmals am 18. Dezember 2003 gestellt und ein Rentenantrag ist ebenso vor dem Jahr 2003 nicht gestellt worden. Der Kläger hat selbst mitgeteilt, bis zu dem Unfall im März 2003 körperlich und geistig nicht wesentlich eingeschränkt gewesen zu sein. Die Lücken im Versicherungsverlauf sind nicht durch Arbeitsunfähigkeitszeiten begründet, sondern dadurch, dass der Kläger laut eigenen Angaben ca. 20 Jahre seines Lebens in Haft verbracht hat. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Berufsunfähigkeit oder teilweiser Erwerbsminderung vor dem 14.03.2003 ergeben sich daher nicht und werden auch nicht geltend gemacht.
Auch wenn der Kläger die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt, scheitert sein Rentenanspruch an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Von den letzten fünf Jahren vor dem Unfallereignis am 14.03.2003 sind nicht mindestens drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt. Im maßgebenden 5-Jahreszeitraum vom 14.03.1998 bis 13.03.2003 sind lediglich 23 Pflichtbeiträge entrichtet worden. In diesen Zeitraum fallen die Haftzeiten vom 29.06.2000 bis 12. Juni 2002 und vom 20.08.2002 bis 10. März 2003. Es handelt sich dabei um mehr als 24 Monate, so dass die im 5-Jahreszeitraum notwendige Belegung mit 36 Pflichtbeiträgen auch mittels Verlängerung um Tatbestände des § 43 Abs.4 SGB VI von vornherein nicht möglich ist. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Anrechnungszeiten oder gleichgestellten Zeiten im Sinn des § 43 Abs.4 Ziffer 3 SGB VI liegen nicht vor, zumal die überwiegende Zahl der Pflichtbeitragszeiten im maßgebenden 5-Jahreszeitraum durch AFG-Leistungsbezug begründet wurde. Verlängerungstatbestände werden auch nicht geltend gemacht.
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung sind für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 01.01.1984 eingetreten ist (§ 241 Abs.2 Satz 1 SGB VI). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger schon deshalb nicht, weil er nach 1990 längere Zeit selbständig tätig war und keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hat.
Die Haftzeit vom 29.06.2000 bis 12.06.2002 und vom 13.08.2002 bis 10.03.2003 stellt keinen Verlängerungstatbestand im Sinne des § 43 Abs.4 SGB VI dar. Bei den in Abs.4 aufgeführten Tatbeständen, die den 5-Jahreszeitraum des § 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB VI verlängern, handelt es sich um Anrechnungszeiten im Sinne des § 58 SGB VI wie Arbeitsunfähigkeit oder Schulausbildung sowie um Rentenbezugszeiten. Die Zeiten der Verbüßung einer Strafhaft sind weder im Katalog des § 43 Abs.4 SGB VI noch in der Übergangsvorschrift des § 241 Abs.1 SGB VI aufgeführt und auch keiner der dort aufgeführten Zeiten in Sachgehalt und versicherungsrechtlicher Wirkung gleichzusetzen. Insbesondere kann die Tätigkeit des Klägers als Schweißer in der Justizvollzugsanstalt nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung angerechnet werden. Das Gesetz hat mit dem Katalog des § 43 Abs.4 SGB VI zu Gunsten der Versicherten Zeiten von dem 60-monatigen Berechnungszeitraum ausgenommen, die im System der Rentenversicherung als Rechtsfiguren prinzipiell anerkannt sind und spezifische Wirkungen entfallen. Zu ihnen zählen weder nach Wortlaut noch Begriffsinhalt Zeiten einer Strafthaft (BSG, Urteil vom 26.05.1988 in SozR 2200 § 1246 Nr.157).
Die durch das Haushaltbegleitgesetz 1984 bewirkte Verschärfung der gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist auch verfassungsgemäß, soweit sie Strafgefangene betrifft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG, 8. April 1987, 1 BvR 564/84). In Auseinandersetzung damit ist das Bundessozialgericht davon ausgegangen, dass die spezifische Situation eines Strafgefangenen, dem die Obliegenheit zur Weiterzahlung von Beiträgen während der Dauer seiner Strafhaft trifft, keine abweichende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der bezeichneten Bestimmungen rechtfertige (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.1988, a.a.O.). Ein davon abweichender Vorlagebeschluss eines Sozialgerichts ist vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig verworfen worden (Vorlagebeschluss vom 14. November 2000, SozR 3-2200 § 1246 Nr.64). Danach erscheint der in der Person des Strafgefangenen eintretende Anwartschaftsverlust insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil er aus ihm zurechenbaren Umständen gehindert ist, eine versicherungspflichtige Beschäftigung fortzusetzen oder aufzunehmen.
Auch soweit der Kläger mit seiner Klage die Beitreibung der Rentenversicherungsbeiträge erstrebt, die seines Erachtens vom Freistaat Bayern zu tragen sind, ist die Berufung unbegründet. Richtig ist, dass die §§ 190 bis 193 Strafvollzugsgesetz die Einbeziehung der Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung vorsehen, die Verwirklichung nach Maßgabe des § 198 Strafvollzugsgesetz durch besonderes Bundesgesetz aber nicht vollzogen ist. Der Kläger hat insoweit keinen Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des parlamentarischen Gesetzgebers. Es liegt außerhalb der funktionellen Kompetenz der Sozialgerichtsbarkeit, die Stelle der normsetzenden Instanz einzunehmen oder die Gesetzgebungsorgane zu verurteilen, bestimmte Gesetze zu beschließen (Urteil des BSG vom 12.05.1998 in SozR 3-1500 § 51 Nr.23).
Trotz der unstreitig vorliegenden vollen Erwerbsminderung und der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit kann der Kläger daher keine Rentenleistung beanspruchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved