L 5 KR 1974/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 2478/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1974/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf ein elektrisches Zuggerät mit Hilfskurbel für ein vorhandenes Rollstuhl-Bike hat.

Der 1956 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er ist seit einem Autounfall im Jahr 1977 querschnittsgelähmt. Seit 1997 ist er mit einem Rollstuhl-Bike versorgt, außerdem ist er im Besitz eines Aktivrollstuhls. Im Mai 2003 beantragte der Kläger unter Vorlage einer Verschreibung des Internisten Dr. B. (vgl. Bl. 14 SG-Akte) die Übernahme der Kosten für ein "Elektro-Drive Smart", eine elektrische Zughilfe mit Hilfskurbeln für seinen Rollstuhl. Ein "Elektro-Drive Smart" ist eine abnehmbare Zughilfe für einen Rollstuhl, welche die Fortbewegung des Rollstuhls über Greifreifen ersetzt. Mit Hilfe dieses mit einem Elektromotor angetriebenen Fahrzeugs können größere Strecken zurückgelegt und Steigungen über 12 Prozent überwunden werden. Der Vorteil gegenüber einem Elektrorollstuhl besteht darin, dass das niedrigere Eigengewicht und die Wendigkeit in geschlossenen Räumen des mechanischen Rollstuhls erhalten bliebt und der Aktionsradius im Freien erweitert wird (Bild und Beschreibung vgl. Bl. 15 f. der SG-Akte). Der Kostenvoranschlag belief sich auf 4.804,30 EUR inkl. Mehrwertsteuer/netto ohne Extras 4.350 EUR.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 02.06.2003 ab, weil das beantragte Hilfsmittel das Maß des Notwendigen überschreite. Bei Verlust der Gehfähigkeit müsse nur für einen Basisausgleich gesorgt werden, die Krankenversicherung sei nicht verpflichtet, durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln Wegstrecken jeder Art und Länge zu ermöglichen. Der Kläger erhob Widerspruch und brachte vor, das Handy-Bike habe er bis vor einem Jahr für seine Alltagsgeschäfte und, was im Rollstuhl nicht möglich sei, zu therapeutischen Zwecken benutzt. Er könne jedoch seit einem Jahr das Handy-Bike aus medizinischen Gründen nur noch sehr eingeschränkt nutzen. Die Beklagte brachte nach eigenen Angaben beim Hausarzt Dr. B. in Erfahrung, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers nicht verschlechtert habe. Er sei weiterhin kräftig genug, um das vorhandene Handy-Bike zu bedienen. Die Verordnung habe er auf Wunsch des Versicherten ausgestellt, weil der Kläger bei Radausflügen mit Freunden an Steigungen mit dem vorhandenen Gerät manchmal Probleme bekommen habe. Mit Schreiben vom 15.07.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie werde Reparaturen am 1997 ausgelieferten Handy-Bike weiterhin übernehmen, solange sich diese wirtschaftlich vertreten ließen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe jedoch 1999 entschieden, dass es sich bei einem Handy-Bike für Erwachsene nicht um ein Hilfsmittel im Sinne des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) handele. Die beantragte Kostenübernahme scheide daher aus. Dieselbe Auskunft gab sie dem Kläger mit Schreiben vom 23.07.2003. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2003 wies sie den Widerspruch des Klägers zurück und wiederholte, das vorhandene Handy-Bike sei 1997 nach der damaligen Rechtsprechung genehmigt worden. Mittlerweile habe das BSG aber mit Urteilen vom 16.09.1999 klargestellt, dass ein Handy-Bike für Erwachsene kein Hilfsmittel im Sinne des SGB V sei. Rollstuhl-Zuggeräte, die durch den Rollstuhlinhaber selbst bedient würden, seien dann angezeigt, wenn normalerweise ein handgetriebener Rollstuhl ausreiche, die Restkräfte des Rollstuhlbesitzers aber zu gering seien, sich selbstständig in seinem näheren Wohnumfeld mittels Greifreifenantriebs fortzubewegen. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger nicht vor.

Dagegen hat der Kläger am 23.09.2003 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Sein Bevollmächtigter trug vor, der behandelnde Arzt habe das "Elektro-Bike" verschrieben, um die Selbständigkeit des Klägers für seine Alltagsgeschäfte wiederherzustellen, weil der Kläger das vorhandene Handy-Bike aus medizinischen Gründen nur noch sehr eingeschränkt nutzen könne. Er wohne in einer hügeligen Gegend und sei alters- und krankheitsbedingt schwächer geworden. Deswegen reiche das Handy-Bike für Einkäufe oder Arztbesuche ohne Begleitperson nicht mehr aus. Er bestreite, das Gerät nur zur Freizeitgestaltung nutzen zu wollen. Die Verordnung eines Elektrorollstuhls sei teurer als das beantragte Gerät. Auch könne er diesen nicht unterstellen; das Handy-Bike dagegen könne er abkoppeln und abstellen. Hilfsweise sei der Kläger einverstanden, das vorhandene Handy-Bike zu einem Elektro-Bike umrüsten zu lassen.

Das SG hat den behandelnden Internisten Dr. B. befragt. Dr. B. hat in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 26.02.2004 bestätigt, dass der Kläger unterhalb C6/7 querschnittsgelähmt und seine Bizepsmuskulatur ausgefallen ist. Strecken von ein bis zwei Kilometer könne der Kläger mit seinem Rollstuhl nicht mehr zurücklegen. Seit etwa einem Jahr träten zunehmende Ermüdbarkeit und Schwäche der für die Fortbewegung erforderlichen Muskeln beim Kläger auf. Durch den ständigen Druck auf die Kurbel beim Handy-Bike respektive das Rad beim Rollstuhl schliefen dem Kläger Finger, Hände und Arme nach kurzer Wegstrecke ein.

Das SG hat sodann den ärztlichen Direktor der Orthopädischen Klinik Markgröningen, den Facharzt für Neurochirurgie und Orthopädie Dr. Sch. mit der Erstellung eines Gutachtens über den Kläger beauftragt. Dr. Sch. kam in seinem Gutachten vom 06.04.2004 zu dem Ergebnis, der Kläger leide zusätzlich zur erlittenen inkompletten Tetraplegie unterhalb C 6 beidseits unter einem Impingement-Syndrom beider Schultern als typischer Komplikation nach langjähriger Rollstuhlbenutzung im Sinne eines Überlastungssyndroms der Schultern beim Abstoßen am Greifreifen des Rollstuhls. Typisch sei auch der angegebene Druckschmerz über dem Nerven am Ellenbogen mit Sensibilitätsstörungen, die bei den durchgeführten elektrophysiologischen Messungen hätten bestätigt werden können. Aufgrund der genannten Diagnosen sei die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers für Dauerbelastungen beim Rollstuhlfahren, insbesondere bei Steigungen, gemindert. Die Angabe des Klägers, er sei seit Anfang 2003 wegen der belastungsabhängigen Schmerzen in seiner Alltagsmobilität deutlich eingeschränkt, sei aufgrund der Diagnosen nachvollziehbar. Der Kläger sei noch in der Lage, mit seinem Rollstuhl Strecken von ein bis zwei Kilometern in verlangsamtem Tempo zurückzulegen. Eine schmerzbedingte besondere Ermüdbarkeit der Muskelgruppen im Schulter- und Armbereich, die für das Rollstuhlfahren wichtig seien, könne wegen der Überlastungsschäden als gesichert angesehen werden. Vor dem Hintergrund wahrscheinlich zunehmender Beschwerden sei es sinnvoll, den Kläger mit einem elektrischen Hilfsmotor zu seinem Rollstuhl, einem "E-Fix" - zuschaltbar bei Steigungen und zur Entlastung - zu versorgen. Genauso sinnvoll sei die vom Kläger beantragte Versorgung mit einem Elektroantrieb für das vorhandene Handy-Bike. Im Gegensatz zu den Sachverhalten, welche den Entscheidungen des BSG vom 16.09.1999 zugrunde gelegen hätten, stelle das Handy-Bike im Fall des Klägers aber keine zusätzliche Versorgung dar, sondern einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Denn der Kläger benutze das Handy-Bike als Ersatz für den normalen Rollstuhl mit Handantrieb, um Einkäufe, Besorgungen und Behördengänge zu erledigen. Insoweit sei er der Auffassung, dass eine wahlweise Versorgung des Klägers mit einem Elektromotor für den Rollstuhl oder ein (elektrisches) Handy-Bike anzustreben sei.

Die Beklagte hat dagegen eingewandt, das "E-Fix" sei erfahrungsgemäß wartungs- und reparaturanfällig. Für den Außenbereich könne der Kläger mit einem Elektrorollstuhl ausgestattet werden. Für den Innenbereich könne an einen Leichtgewichtsrollstuhl bzw. den bisherigen Aktivrollstuhl gedacht werden. Dagegen hat der Kläger eingewandt, er habe nur eine kleine Wohnung, so dass es erhebliche Platzprobleme für einen Elektrorollstuhl gebe. Die größte Hürde bestehe jedoch darin, dass es ihm nicht möglich sei, sich ohne fremde Hilfe von einem Aktivrollstuhl in einen Elektrorollstuhl umzusetzen, auch seien die Eingangsbereiche von Läden für Elektrorollstühle oft zu eng. Ein Elektrorollstuhl lasse für ihn auch die Trainingsmöglichkeit am Handy-Bike entfallen, was eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes befürchten ließe. Diverse Krankenkassen (Liste vgl. Bl. 68 der SG-Akte) übernähmen die Kosten.

Auf Anfrage des SG hat die Beklagte mitgeteilt, dass ein Elektrorollstuhl bei Neukauf 4.800 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer, ein Elektromotor für den vorhandenen Rollstuhl (E-Fix) bei Neukauf 4.534,35 EUR plus Mehrwertsteuer und ein Elektromotor für das Handy-Bike mit 4.680 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer zu Buche schlage. Aufgrund des Zeitwerts sei eine Nachrüstung des vorhandenen Handy-Bikes von 1997 unwirtschaftlich. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26.10.2005 vor dem SG hat der Kläger erklärt, er könne auf ebener Strecke eine Entfernung von einem Kilometer in langsamen Tempo mit Pausen zurücklegen und er könne noch Auto fahren.

Mit Urteil vom 23.02.2006 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 02.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger mit dem verordneten Hilfsmittel "Elektro Drive Smart" zu versorgen. Es hat entschieden, die Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums sei beim Kläger durch den vorhandenen Aktivrollstuhl nicht mehr gesichert. Der Kläger könne die Entfernungen, welche ein Gesunder zu Fuß zurücklege, ausweislich der Aussagen der Dres. B. und Sch. nicht mehr in angemessener Zeit mit dem Rollstuhl bewältigen. Andere denkbare Versorgungen seien unpraktikabel oder unwirtschaftlich.

Gegen die ihr am 20.03.2006 zugestellte Entscheidung des SG hat die Beklagte am 18.04.2006 Berufung eingelegt. Sie meint, das BSG habe in ständiger Rechtsprechung geurteilt, dass mit einem Rollstuhlzuggerät eine fahrradähnliche Funktion hergestellt werde, die über das elementare Grundbedürfnis, die behinderungsbedingte Gehfähigkeit auszugleichen, hinausgehe. Ein Rollstuhl-Bike sei für Erwachsene daher kein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V. Der Kläger habe einen faltbaren Aktivrollstuhl und ein Auto. Er habe bei Antragstellung zum Ausdruck gebracht, er wolle Fahrradausflüge unternehmen, das falle jedoch nicht in den Aufgabenbereich der Krankenversicherung. Die Versorgung mit dem "Elektro Drive Smart" sei außerdem unwirtschaftlich, weil dem Kläger ein Elektrorollstuhl oder ein Elektromobil zur Verfügung gestellt werden könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. Februar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es gehe ihm nicht um Freizeitaktivitäten. Der Aktivrollstuhl sei nicht mehr ausreichend, um die üblichen Geschäfte des täglichen Lebens zu bewältigen. Ein Elektrorollstuhl sei unzweckmäßig, weil er mit diesem nicht in seine Wohnung gelangen könne und keine Unterstellmöglichkeit habe. Auch bereite das Umsetzen Schwierigkeiten.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 SGG).

Die Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat, wie das SG zutreffend entschieden hat, einen Anspruch auf Versorgung mit einem elektrischen Zuggerät für seinen Rollstuhl. Die ablehnenden Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Versicherte haben nach § 33 Abs. 1 SGB V einen Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit es sich hierbei nicht um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt oder § 34 SGB V einen Ausschluss vorsieht. Für den Hilfsmittelbegriff ist es nicht erforderlich, dass das körperliche Funktionsdefizit unmittelbar überwunden wird. Es ist ausreichend, dass ein sächliches Mittel gewährt wird, das die ausgefallene Funktion ersetzt, erleichtert oder ergänzt, auch wenn dies in anderer Wirkungsweise geschieht. Rollstühle sind Hilfsmittel in diesem Sinne.

Der Kläger macht hier einen Anspruch auf eine Kombination aus einem (vorhandenen) Rollstuhl und einem elektrischen Zuggerät für den Rollstuhl geltend. Ausweislich der von ihm vorgelegten Produktbeschreibung handelt es sich um einen Vorsatz vor einem Rollstuhl, der über einen Elektroantrieb und eine gesondert vorgehängte Vorderachse angetrieben wird. Der geltend gemachte Anspruch scheitert nicht schon daran, dass das Rollstuhl-Bike, das durch das elektrische Zuggerät verbessert werden soll, (auch) die Funktion eines Fahrrads ausfüllt und Fahrräder zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens gehören. Das Rollstuhl-Bike ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Darunter fallen nur Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet werden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 5; SozR 2200 § 182b Nr 6). Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind und von diesem Personenkreis ausschließlich oder ganz überwiegend benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Das Elektro-Rollstuhl-Bike kann bauartbedingt nur in der Kombination mit einem Rollstuhl genutzt werden. Es kommt damit für Gesunde nicht in Betracht (so bereits BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 27).

In vielen Fällen wird, wie die Beklagte in ihrer Berufung zu Recht ausführt, ein Elektro-Rollstuhl-Bike für Erwachsene kein solches Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V sein können. Das Gesetz definiert sächliche Mittel nur dann als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie "im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen" (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V). Ein Hilfsmittel ist nach der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 16.09.1999, B 3 KR 8/98 R; BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn 3 und 5) im vorgenannten Sinne nur dann "erforderlich", wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. Dazu gehört auch die erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens umfasst. Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke oder behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation und mit Hilfe des von der Krankenkasse gelieferten Hilfsmittels wieder aufschließen soll (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1999, B 3 KR 8/98 R m.w.N.). Das BSG hat in dieser Entscheidung betont, als "erforderlich" könne ein Hilfsmittel nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten des Gesunden verstanden werden. Das BSG hat daher in ständiger Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 08.06.1994, 3/1 RK 13/93, SozR 3-2500 § 33 Nr 7 (Rollstuhlboy)) zwar die "Bewegungsfreiheit" als Grundbedürfnis bejaht, dabei aber lediglich auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklegt. Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind zusätzliche qualitative Momente verlangt worden. Zum Grundbedürfnis gehbehinderter Menschen auf Erschließung bzw. Sicherung "eines gewissen körperlichen Freiraums" zählten nicht das Zurücklegen längerer Wegstrecken vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer. Das Radfahren zählt zwar zum üblichen Lebensstandard und den normalen Fortbewegungsformen von Gesunden, damit wird es jedoch nicht zu einem Grundbedürfnis und zur notwendigen Voraussetzung für die Entwicklung eines körperlichen Freiraumes. Denn die Hilfsmittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung dient dazu, die körperlichen Funktionen auszugleichen, nicht jedoch dazu, die Versicherten in die Lage zu versetzen, allgemein übliche Verkehrsmittel wie ein Fahrrad oder ein fahrradähnliches Gerät zu benutzen. Die Ermöglichung allein des Fahrradfahrens für einen behinderten Menschen, der ein handelsübliches Fahrrad nicht benutzen kann, fällt somit nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Würde der Senat nur der im Verwaltungsverfahren aufgekommenen Frage nach der Ermöglichung von Fahrradausflügen mit Freunden nachzugehen haben, müsste er eine Leistungspflicht der Beklagten verneinen. Denn Ausflüge mit einem Elektro-Handy-Bike bei Fahrradtouren gesunder Freunde gehen über die Absicherung eines Grundbedürfnisses hinaus. Dann wäre die Versorgung eines erwachsenen Versicherten mit einem (Elektro)Rollstuhl-Bike, grundsätzlich nicht erforderlich und unterfiele grundsätzlich nicht dem Hilfsmittelanspruch des § 33 Abs. 1 SGB V.

Der Kläger selbst hat entgegen der Meinung der Beklagten ihr gegenüber allerdings an keiner Stelle geäußert, er benötige das elektrische Zuggerät für Freizeitausflüge. Diese Information findet sich lediglich in einem Aktenvermerk eines Mitarbeiters der Beklagten über ein Telefongespräch mit Dr. B ... Dem bereits zur Begründung seines Widerspruchs erfolgten Vorbringen des Klägers, er sei aus medizinischen Gründen auf das Zuggerät angewiesen, ist die Beklagte nicht weiter nachgegangen, zudem hat sie sich mit den eine andere Beurteilung nahe legenden Ermittlungen des SG inhaltlich nicht auseinandergesetzt. Die inzwischen eingetretene Änderung des medizinischen Sachverhalts ist hier aber entscheidungserheblich.

Wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls stellt sich die Versorgungssituation des Klägers hier abweichend dar: Der von der Rechtsprechung wie oben beschriebene Basisausgleich der - durch Querschnittslähmung im Verlust der Gehfähigkeit bestehenden - Behinderung des Klägers ist durch seine Versorgung mit dem handbetriebenen Rollstuhl mit Handy-Bike mittlerweile nicht mehr in ausreichender Weise gegeben. Der Kläger kann die von einem Gesunden üblicherweise zu Fuß zurückgelegten Strecken von etwa zwei Kilometern (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 05.12.2000, L 15 SB 53/99) mit seinem Aktivrollstuhl nicht mehr in angemessener Zeit bewältigen. Der Senat stützt seine Überzeugung, wie bereits das SG, auf dessen eingehende Beweiswürdigung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils hier zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend verwiesen wird (§ 153 Abs. 2 SGG), insoweit auf die Aussagen des behandelnden Internisten Dr. B. und des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. Sch ...

Bei diesem stark eingeschränkten Fortbewegungsvermögen mit einem handbetriebenen Rollstuhl ist es nicht zutreffend, dass der Kläger ohne das zusätzliche Hilfsmittel eines Elektroantriebs für seinen Rollstuhl den Bewegungsradius eines Gesunden erreicht. Ohne erweiterte Hilfsmittelversorgung ist er nicht in der Lage, die üblichen Einkäufe und Besorgungen in seinem Umfeld in angemessener Zeit und ohne Gefahr der Verschlechterung seiner Schulter-Arm-Beschwerden zu verrichten. Im Falle des Klägers besteht die Besonderheit, worauf das SG zu Recht hingewiesen hat, dass seine Bewegungsmöglichkeiten eng mit dem Zusatzgerät zum Rollstuhl verbunden sind. Das begehrte "Elektro Drive Smart" ist damit mehr als nur ein Fahrradersatz. Für den körperlich mittlerweile stark eingeschränkten Kläger ist das Elektrozuggerät seit etwa der Zeit der Antragstellung die einzige praktikable und wirtschaftliche Möglichkeit, sich im Freien über seine stark eingeschränkte Rollstuhlstrecke hinaus fortbewegen zu können. Die Versorgung des Klägers mit einem Elektroantrieb für seinen Rollstuhl deckt daher sein Grundbedürfnis nach elementarer Bewegung ab, so dass ein Bewegungsradius erreicht werden kann, der dem eines Gesunden entspricht.

Andere Hilfsmittel sind nicht wirtschaftlicher. Das beantragte "Elektro Drive Smart" kostet ohne Zusatzausrüstungen und ohne Mehrwertsteuer ausweislich des vorgelegten Kostenvoranschlags 4.350 EUR und ist damit günstiger als ein Elektrorollstuhl, ein "E-Fix" oder ein Elektromotor für das Handy-Bike. Nicht mehr entscheidungserheblich ist damit, ob diese Hilfsmittel im konkreten Fall des Klägers dessen Behinderungsausgleich ebenso wirksam herzustellen vermöchten. Damit stellt das Elektrozuggerät die einzig sinnvolle Bewegungsmöglichkeit dar, mit deren Hilfe es dem Kläger ermöglicht wird, aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24.05.2006, B 3 KR 12/05 R) und ohne Gefährdung seiner Restgesundheit den geschützten Bereich seines Hauses zu verlassen und im umliegenden Nahbereich Alltagsverrichtungen erledigen zu können.

Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Die Entscheidung des Senats weicht von der Rechtsprechung des BSG wegen der Besonderheiten des hier zu entscheidenden Einzelfalls nicht ab.
Rechtskraft
Aus
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