L 10 U 706/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 1687/99
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 706/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16.10.2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung von Rente wegen der Folgen einer von der Beklagten als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anerkannten Lärmschwerhörigkeit.

Der am 1937 geborene Kläger beendete nach seinen Angaben im Juli 1954 seine Schreinerlehre, legte im Mai 1962 die Meisterprüfung ab und war von 1963 bis 1994 als alleinarbeitender selbständiger Parkettleger tätig und bis zum 31.12.1996 bei der Beklagten als Unternehmer versichert. Er war während dieser Zeit nach Ermittlungen des Technischen Aufsichtsbeamten der Beklagten Dipl.-Ing. S. vom 11.11.1997 einem Lärmbeurteilungspegel von ca. 87 dB (A) ausgesetzt. Seit 1975 verwendete der Kläger unregelmäßig Gehörschutz, seit 1987 regelmäßig.

Im August 1994 und September 1995 erlitt der Kläger jeweils bei einem Autounfall eine HWS-Distorsion mit nachfolgender dauerhafter Arbeitsunfähigkeit und Aufgabe des Gewerbes zum 31.12.1996. Wegen der Folgen des zweiten Unfalls (chronisches HWS-Syndrom) bezieht der Kläger von der Beklagten seit 09.03.1996 eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 v. H (Bescheid vom 15.09.1998).

Im Zusammenhang mit von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen bezüglich des Vorliegens verschiedener Berufskrankheiten teilte der den Kläger behandelnde HNO-Arzt Dr. Z. der Beklagten mit Schreiben vom 02.05.1996 mit, er habe bei der Untersuchung tonaudiometrisch eine Hochtonschwerhörigkeit gefunden, wie sie häufig bei Patienten vorliege, die z. T. im Lärm gearbeitet hätten. Da nach den Angaben des Klägers schon nach dem ersten Autounfall eine Hörminderung links aufgetreten sei, sei mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die deutliche asymmetrische zusätzliche Hörminderung links unfallbedingt sei.

Die Beklagte hörte den beratenden Arzt für Arbeitsmedizin Dr. F. unter dem 01.04.1997, der das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV für wahrscheinlich hielt, das Vorliegen eines Hörschadens in entschädigungsrelevantem Ausmaß jedoch verneinte. Nachdem auch der beratende HNO-Arzt Dr. S. der Beklagten empfohlen hatte, den Hochtonschaden als lärmbedingt anzuerkennen mit einer MdE von unter 10 v. H., anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 14.07.1998 das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV, lehnte jedoch die Gewährung einer Rente ab, da die MdE nicht wenigstens 10 v. H. betrage.

Auf den Widerspruch des Klägers veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den HNO-Arzt Dr. B. Er führte im Gutachten vom 20.01.1999 zusammenfassend aus, er habe beim Kläger eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit festgestellt, die sich gegenüber den Vergleichsaudiogrammen von 1996 und 1997 in den tiefen und mittleren Frequenzen verschlechtert habe (prozentualer Hörverlust nach Boenninghaus und Röser rechts 50 %, links 70 %). Die charakteristischen Merkmale einer akustischen Innenohrschwerhörigkeit seien nicht nachweisbar. Auffallend sei die Schwerhörigkeit im Tieftonbereich und im mittleren Frequenzbereich. Diese pancochleäre Schwerhörigkeit sei für eine Lärmschwerhörigkeit untypisch. Es müsse sich um eine langsam progrediente zusätzliche Schädigung des Innenohrs wie zum Beispiel einer degenerativen Innenohrdurchblutungsstörung handeln. Die berufsbedingte MdE betrage 0 v. H. Der nicht berufsbedingte Hörverlust bedinge eine MdE von 40 v. H. Die geplanten weiterführenden Untersuchungen OAE, BERA und die Gleichgewichtsdiagnostik hätten nicht mehr durchgeführt werden können, da der Kläger angegeben habe, plötzlich unter einem starken Drehschwindel zu leiden, der sich allerdings unter der Frenzelbrille nicht habe objektivieren lassen. Daraufhin wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.1999 zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger am 02.07.1999 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben und zur Begründung vorgebracht, er sei einem höheren als dem von der Beklagten angenommenen Beurteilungspegel von 87 dB (A) während seiner langjährigen Berufstätigkeit ausgesetzt gewesen. Außerberufliche Lärmbelastungen hätten bei ihm nicht vorgelegen. Im Übrigen sei seine Schwerhörigkeit auch in seinem Schwerbehindertenbescheid berücksichtigt.

Das Sozialgericht hat Dr. Z. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat von einer asymmetrischen Schwerhörigkeit in höheren Frequenzbereichen berichtet, bei der sich ab April 1997 eine leichte Progredienz im Tieftonbereich ergeben habe mit weiterem Fortschreiten (Kontrolluntersuchung am 11.10.1999) im Bereich des Mittel- und Tieftonbereiches. Dem Gutachten von Dr. B. stimme er zu. Insbesondere zeigten die überschwelligen Hörtestungen, dass der Nachweis eines sensorischen Schadens wie er bei der Lärmschwerhörigkeit zu fordern sei, nicht gelinge. Die Ursache der Progredienz der Hörverminderung sei unklar, spekulativ könne eine degenerative Innenohrschwerhörigkeit angenommen werden.

Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht ein Gutachten des HNO-Arztes Dr. M.-K. mit ergänzenden Stellungnahmen eingeholt. Er hat zusammenfassend ausgeführt, die audiometrischen Untersuchungen vom 24.01.2001 hätten eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits ergeben, seine Untersuchungen vom 10.09.2001 eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit mit einem deutlichen asymmetrischen Hochtonabfall. Auffällig sei bei der Zweituntersuchung gewesen, dass eine fast normale Innenohrmotorik für die tiefen Frequenzen vorgelegen habe. Die Asymmetrie der Hörkurven sei erklärbar durch das posttraumatische Geschehen in den Jahren 1994 und 1995 nach Halswirbelsäulentrauma. Es sei ihm aufgefallen, dass das Tonschwellenaudiogramm des rechten Ohres nicht mit dem rechtsseitigen Sprachaudiogramm übereinstimme. Das Sprachaudiogramm entspreche den subjektiven Angaben des Probanden. Eine Erklärung für diese Abweichung habe er nicht gefunden. Entgegen der Behauptung von Dr. B. gebe es nach der Meinung von Prof. F. durchaus durch Lärm entstandene Hörstörungen im Tieftonbereich. Die Innenohrschwerhörigkeit des Klägers sei mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit bedingt. Unter Einbeziehung des Tinnitus aurium beidseits schätze er die MdE auf 20 v. H. Beim Kläger hätten sowohl die Lärmschädigung als auch die Unfallereignisse zu den jetzt vorliegenden Hörstörungen geführt.

Die Beklagte hat hierzu beratungsärztliche Stellungnahmen des HNO-Arztes Dr. B. vorgelegt. Er ist der Ansicht, dass sich insbesondere aus den von Dr. M.-K. erstellten Tonaudiogrammen eine MdE von kleiner als 10 v. H. ergebe, auch unter Einbeziehung des Tinnitus.

Mit Urteil vom 16.10.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, beim Kläger seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen der bestehenden Lärmschwerhörigkeit nicht erfüllt, denn die dadurch bedingte Beeinträchtigung des Gehörs mindere die Erwerbsfähigkeit des Klägers um weniger als 10 v. H., sodass auch die Voraussetzungen für eine sogenannte Stützrente nicht gegeben seien. Dies ergebe sich aus den Ausführungen des Dr. Z. und des Dr. B. aber auch aufgrund der Feststellungen von Dr. M.-K ...

Gegen das am 22.01.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.02.2004 Berufung eingelegt und zur Begründung ergänzend vorgebracht, bei dem von Dr. B. gefertigten Gutachten handle es sich nicht um ein ordnungsgemäß erstelltes Gutachten, weil die Untersuchung wegen seiner starken Schwindelbeschwerden habe abgebrochen werden müssen. Auf dieses könne somit eine Entscheidung nicht gestützt werden. Dr. B. habe zwar eine MdE von 40 v. H. angenommen, diese jedoch nicht als lärmbedingt angesehen. Bei dieser Sachlage müsse schon nach dem Beweis des ersten Anscheins bzw. infolge einer Umkehrung der Beweislast von einer lärmbedingten MdE von 40 v. H. ausgegangen werden. Weiter sei eine unzutreffende Einengung seiner Hörstörung ausschließlich auf Lärm vorgenommen worden, obwohl die Einwirkung von Lösemitteln hierbei ebenfalls berücksichtigt werden müsse. Im Übrigen habe das Sozialgericht das "Königsteiner Merkblatt" unbeachtet gelassen. Dort heiße es nämlich unmissverständlich, dass Hörverluste im tiefen und mittleren Frequenzbereich ebenfalls lärmbedingt sein könnten. Weiter sei es bei den von ihm erlittenen Wegeunfällen in den Jahren 1994 und 1995 jeweils zu einem "Knalltrauma" gekommen. Außerdem habe er einen Anspruch darauf, dass bei ihm das damals geltende "Königsteiner Merkblatt" angewendet werde und nicht dasjenige von 2001. Im Übrigen habe die Beklagte bei Hinzuziehung ihrer beratenden HNO-Ärzte Dr. S. und Dr. B. § 200 Abs. 2 SGB VII nicht beachtet.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16.10.2003 aufzuheben, den Bescheid vom 14.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren, hilfsweise, ein weiteres Gutachten gem. § 109 SGG bei Dr. M.-K. einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gegenstand des Rechtsstreits ist ausschließlich der Bescheid vom 14.07.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.1999 und damit lediglich die Frage, ob die anerkannte Berufskrankheit zu entschädigen ist. Nur hierüber hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid entschieden.

Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger eine Verletztenrente aufgrund der bei ihm anerkannten Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur BKV zu gewähren, da die Folgen der anerkannten Berufskrankheit keine MdE von 10 v. H. bedingen.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente richtet sich nach dem am 01.01.1997 in Kraft getretenen Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), obwohl der Versicherungsfall bereits vor dem 1.1.1997 eintrat. Gem. § 214 Abs. 3 SGB VII gelten die Vorschriften über Renten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind, wenn diese Leistung nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals festzusetzen ist. Letzteres ist hier der Fall.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehört nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKVO die Lärmschwerhörigkeit.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so jetzt ausdrücklich § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, mit dessen Inkrafttreten die früheren Kriterien zur Bemessung der MdE nach der RVO übernommen worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 31/02 R). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente aufgrund der bei ihm mit Bescheid vom 14.07.1998 anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV hat bzw. dass der berufsbedingte Hörschaden eine MdE von weniger als 10 v. H. bedingt. Der Senat sieht deshalb gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Im Ergebnis vermag sich der Senat ebenfalls dem Gutachten von Dr. M.-K. nicht anzuschließen. So hat dieser in seinem Gutachten - worauf die Beklagte im Berufungsverfahren hingewiesen hat - nicht berücksichtigt, dass der Kläger seit 1994 nicht mehr berufstätig war, die Schwerhörigkeit in der Folgezeit aber zunahm, was auf eine lärmunabhängige Ursache hindeutet. (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 419 f. m. w. N. auch zur Rechtsprechung). Weiter hat er zwar gesehen, dass das Tonschwellenaudiogramm des rechten Ohres nicht mit dem rechtsseitigen Sprachaudiogramm übereinstimmt, dies jedoch zunächst nicht dargelegt und sich einer Interpretation - insbesondere zur Frage der Verwertbarkeit der erhobenen Befunde - enthalten. Der Senat vermag daher die Bewertungen des Sachverständigen zum ursächlichen Zusammenhang und Höhe der MdE seiner Beurteilung nicht zu Grunde zu legen.

Im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren sind ergänzende Ausführungen angezeigt. Das Gutachten von Dr. B., das im Gerichtsverfahren im Wege des Urkundenbeweises zu berücksichtigen ist, ist nicht etwa deshalb nicht verwertbar, weil die Untersuchung wegen der angeblichen Schwindelbeschwerden des Klägers (in der Frenzelbrille nicht objektivierbar) abgebrochen werden musste, denn die geplanten weiterführenden Untersuchungen OAE (otoakustische Emissionen), BERA (Hirnstammaudiometrie) und die Gleichgewichtsdiagnostik sind für die Beurteilung der Höhe der MdE eines berufsbedingten Hörschadens nicht unbedingt erforderlich. Dr. B. hat die nach dem "Königsteiner Merkblatt" erforderlichen Untersuchungen, nämlich eine HNO-ärztliche Spiegeluntersuchung, die Stimmgabelprüfung nach Rinne und Weber, das Erstellen eines Tonaudiogramms und eines Sprachaudiogramms, sowie ein SISI-Test durchgeführt. Lediglich wenn eine abschließende gutachterliche Beurteilung nicht möglich ist, sind weitere Untersuchungen (otoakustische Emissionen) erforderlich. Derartige Untersuchungen wurden von Dr. M.-K. mit dem Ergebnis eines normalen Befundes durchgeführt (FAEP und ALEP). Zudem hat Dr. B. sich nicht dahingehend geäußert, dass ihm aufgrund der von ihm durchgeführten Untersuchungen eine abschließende gutachterliche Beurteilung nicht möglich sei.

Soweit der Kläger meint, der von Dr. B. mit einer MdE von 40 v. H. bewertete nicht lärmbedingte Hörschaden müsse nach dem Beweis des ersten Anscheins zu einer lärmbedingten MdE von 40 v. H. führen, kann dem nicht gefolgt werden. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung kann nicht im Sinne eines Anscheinsbeweises aus dem Vorliegen einer bestimmten Einwirkung auf die berufliche Verursachung der Erkrankung geschlossen werden (BSG, Urteil vom 7.09.2004, B 2 U 34/03 R). Beim Beweis des ersten Anscheins handelt es sich um eine Tatsachenvermutung, die es bei typischen Geschehensabläufen ermöglicht, von einer festgestellten Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder von einem festgestellten Erfolg auf eine bestimmte Ursache zu schließen. Erforderlich ist ein Hergang, der nach der Lebenserfahrung unabhängig von den Umständen des Einzelfalls und dem Willen der handelnden Personen in einer bestimmten Weise abzulaufen pflegt und deshalb auch im zu entscheidenden Fall als gegeben unterstellt werden kann (BSG, Urteil vom 7.09.2004, B 2 U 25/03 R). Es gibt indessen ersichtlich keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass ein Hörschaden bei Parkettlegern grundsätzlich insgesamt unfallbedingt ist.

Soweit der Kläger weiter vorträgt, nach dem "Königsteiner Merkblatt" könnten Hörverluste im tiefen und mittleren Frequenzbereich ebenfalls lärmbedingt sein, ist dies so nicht richtig. Im "Königsteiner Merkblatt" findet sich unter 4.1 hierzu lediglich der Hinweis, dass für die Annahme einer Lärmschädigung spreche, wenn es sich um eine reine Innenohrschwerhörigkeit mit Betonung des Hörverlustes in den hohen Frequenzen handle. Beim Kläger liegt dagegen - unbestritten - eine Schwerhörigkeit im Tieftonbereich und im mittleren Frequenzbereich vor. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass derartige Störungen lärmbedingt sein können, führt dies noch nicht zur Annahme eines wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhangs. Selbst Dr. M.-K. sieht die Ursache der Hörschäden im Tieftonbereich nicht in der Lärmexposition sondern in den Unfallereignissen.

Mögliche Folgen der Unfälle in den Jahren 1994 und 1995 sind bei der Schätzung der MdE für eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV nicht zu berücksichtigen. Das vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im zeitlichen Zusammenhang mit der Neufassung der Berufskrankheit 2301 zum 01.01.1977 veröffentlichte Merkblatt erläutert, dass Lärm Schall ist, der das Gehör schädigen kann. Weiter heißt es: "Bei einem Beurteilungspegel von 90 dB (A) und mehr sowie andauernder Einwirkung, besteht für einen beträchtlichen Teil der Betroffenen die Gefahr einer Gehörschädigung. Gehörschäden können jedoch auch bereits durch einen Lärm verursacht werden, dessen Beurteilungspegel den Wert von 85 dB (A) erreicht oder überschreitet." Ferner heißt es dort: "Am Arbeitsplatz kann Lärm nach mehrjähriger Einwirkung zu Lärmschäden des Gehörs führen. Bei sehr hohen Lautstärken sind bleibende Gehörschäden schon nach wenigen Tagen oder Wochen möglich." Danach zeigt sich, dass das Bundesministerium davon ausgegangen ist, dass der Begriff der Lärmschwerhörigkeit die durch einen gewissen Zeitraum andauernde Lärmbelästigung in bestimmter Höhe hervorgerufene Schwerhörigkeit meint. Auch dem sogenannten Königsteiner Merkblatt, welches von "führenden deutschen Audiologen in Zusammenarbeit mit dem berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstitut für Lärmbekämpfung (später berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitssicherheit) erarbeitet ist" und "Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit" enthält, ist nicht zu entnehmen, dass die nach dem Merkblatt erforderliche Notwendigkeit der dauerhaften Einwirkung von Lärm inzwischen überholt wäre. Schließlich geht auch die einschlägige unfallmedizinische Literatur bis heute davon aus (Mehrtens/Perlebach, BKV, M 2301, S 31 mwN; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, S 417). Eindeutig davon abgrenzbare Lärmereignisse wie etwa Knalltraumen fallen indes nicht unter den Begriff des Lärms im Sinne der Berufskrankheit 2301 (BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 6/04 R).

Weiter ist zwar richtig, dass das "Königsteiner Merkblatt" ab Januar 1996 in einer vollständig überarbeiteten Auflage vorliegt. Unabhängig davon, dass gegenüber dem zuvor geltenden Merkblatt keine für den Kläger relevanten Änderungen vorgenommen worden sind (z. B. Heranziehung des Tonaudiogramms bzw. Sprachaudiogramms, Überschreitung der Tonschwellenwerte in allen drei Frequenzen) wurde das Verfahren bezüglich des Vorliegens einer BK 2301 erst im Jahr 1996 eingeleitet und die vom Kläger in den Jahren 1994 und 1995 geltend gemachten "Knalltraumen" sind im vorliegenden Fall - wie oben ausgeführt - nicht zu berücksichtigen. Vor allem aber gibt das Merkblatt den derzeitigen aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wieder. Dieser ist für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs ausschlaggebend.

Weiter liegt eine Verletzung des § 200 Abs. 2 SGB VII durch die Beklagte nicht vor. Vielmehr hat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 21.10.1998 gebeten, einen Gutachter (gem. § 200 Abs. 2 SGB VII) auszuwählen und der Kläger hat dann mit Schreiben vom 05.11.1998 Dr. B. ausgewählt. Im Übrigen ist fraglich, ob ärztliche Stellungnahmen (auch mit gutachterlichem Inhalt) zur Beratung der Unfallversicherungsträger bei Entscheidungsvorbereitungen durch eigene oder so genannte beratende Ärzte unter die Vorschrift des § 200 Abs. 2 SGB VII fallen (s. hierzu Ricke, Kasseler Kommentar, § 200 SGB VII, Rdnr. 4 m. w. N.). Dies kann hier offen bleiben. Denn das Sozialgericht hat sich nicht wesentlich auf diese Stellungnahmen gestützt.

Bei dieser Sachlage sieht der Senat keine Veranlassung, ein weiteres Gutachten bei Dr. M.-K. nach § 109 SGG einzuholen. Den diesbezüglichen Antrag hat der Kläger ohnehin bereits in erster Instanz verbraucht.

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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