L 15 V 17/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 V 64/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 V 17/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers ggen das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

I.

Die Beteiligten streiten um die Zahlung einer Witwenrente, eines Pflegeausgleichs und eines Schadensausgleichs nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1949 geborene Kläger ist Rechtsnachfolger seiner Mutter I. S. (geb. 1920, verst. 15.03.2005), die mit dem Beschädigten (B.) A. S. (geb. 1920, verst. 28.06.1998) bis zur rechtskräftigen Scheidung (10.10.1995) verheiratet war. Bei B. war mit Bescheid vom 18.09.1961 als Schädigungsfolge (SF.) eine "organische Hirnschädigung nach Dystrophie" mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab 01.11.1960 in Höhe von 60 v.H. anerkannt worden. Mit Bescheid vom 19.07.1989 erkannte der Beklagte das Vorliegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne des § 30 Abs.2 BVG an und erhöhte rückwirkend die MdE von 60 v.H. auf 70 v.H. bzw. ab 01.04.1967 von 70 v.H. auf 80 v.H. Zusätzlich zu diesen Versorgungsbezügen erhielt B. eine Ausgleichsrente; mit Bescheid vom 21.08.1989 bezog er Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung eines Vergleichseinkommens der Leistungsgruppe 2 für Arbeiter in der gesamten Industrie.

Ausweislich der Todesbescheinigung des Standesamtes N. vom 28.06.1998 verstarb B. an einem Pancreaskarzinom bei Vorliegen eines weiteren Bronchialkarzinoms.

1.

Mit Bescheid vom 29.10.1998 lehnte der Beklagte die Zahlung einer Witwenrente ab, da der Tod des B. nicht Folge einer Schädigung im Sinne des BVG gewesen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.1999 wies er den Widerspruch hiergegen zurück. In der Begründung führte er aus, selbst für Laien sei es offensichtlich, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Krebserkrankung und der festgestellten SF nicht bestehe.

Mit ihrer Klage vom 12.08.1999 verfolgte die Witwe ihr Begehren auf Zahlung der Witwenrente weiter (Az.: S 29 V 45/00).

2.

Mit Schreiben vom 21.12.1999 beantragte die Witwe u.a. Pflegeausgleich und gab an, B. 44 Jahre lang gepflegt und betreut zu haben.

Mit Bescheid vom 07.02.2000 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab, weil B. nicht hilflos gewesen sei, zu keiner Zeit Pflegezulage bezogen habe und es auch keinen Anhalt dafür gebe, dass er einen Anspruch darauf gehabt hätte. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2000 zurück.

3.

Mit dem von Amts wegen erlassenen Bescheid vom 24.02.2000 lehnte der Beklagte die Zahlung eines Schadensausgleichs ab und verwies auf eine beigefügte Berechnung für die Zeit ab 7/1998 und 7/1999, gewährte jedoch ab diesem Zeitpunkt Ausgleichsrente und Witwenbeihilfe in Höhe von zwei Dritteln der entsprechenden Witwenrente. Den hiergegen eingelegten Widerspruch, der trotz Aufforderung nicht begründet wurde, wies er mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2000 zurück.

II.

1.

Gegen diese Bescheide wurde am 03.07.2000 Klage zum Sozialgericht München erhoben, die mit Schriftsatz vom 02.08.2000, dem verschiedene Atteste beigefügt waren, im Wesentlichen damit begründet wurde, die Witwe sei durch die Betreuung selbst krank geworden, weder bei ihr noch bei B. sei eine entsprechende Psychotherapie erfolgt (Az.: S 29 V 45/00).

Der von Amts wegen gehörte Sachverständige M. (Internist) stellte in seinem Gutachten vom 04.03.2002 fest, B. sei nicht an seinen anerkannten SF., sondern an den Folgen eines Bronchial- bzw. Pancreas-Karzinoms verstorben; die SF. seien auch nicht wesentliche Teilursache für den Tod gewesen. Eine zehnjährige Hilflosigkeit verneinte er. Zwar habe eine hochgradige Schädigung des Gehirns vorgelegen, welche jedoch noch nicht den Grad einer zusammenhängenden zehnjährigen Hilflosigkeit verursacht hätte. Es sei vielmehr anzunehmen, das B. im Wesentlichen drei Jahre vor seinem Tod hilflos gewesen sei.

Der ebenfalls von Amts wegen gehörte Sachverständige Dr.K. stellte in seinem nervenärztlichen Gutachten nach Aktenlage vom 13.01.2003 unter Auswertung der gesamten Krankengeschichte des B. sowie des landgerichtsärztlichen Attestes des Dr.H. vom 23.11.1992 und dessen gutachterlichen Stellungnahme vom 04.10.2000 ebenfalls fest, B. sei zwischen dem 02.07.1948 und dem 31.12.1992 nicht mehr als zehn Jahre hilflos im Sinne der Stufe II des § 35 Abs.1 BVG gewesen.

Nachdem das Sozialgericht mit Beschluss vom 02.07.2001 beide Rechtsstreite miteinander verbunden hatte, wies es die Klage mit Urteil vom 02.05.2003 ab. B. sei nicht an den SF. verstorben, nicht länger als zehn Jahre während der Ehezeit hilflos gewesen, Fehler bei der Berechnung der Ausgleichsrente bzw. des Schadensausgleichs seien nicht zu erkennen.

III.

2.

Mit Schreiben vom 27.06.2003 ging am 30.06.2003 die Berufung hiergegen beim Bayer. Landessozialgericht ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klageseite habe kein rechtliches Gehör erhalten, durch Gutachten vom 04.10.2000 sei alles von einem Gerichtsarzt festgestellt worden, ein Gutachten von 1953 sei aus den Behindertenakten entfernt worden, eine Begutachtung nach Aktenlage stelle eine Diskriminierung, eine persönliche Unbilligkeit für die Witwe nach 44 Jahren Pflege, Betreuung und Versorgung des B. dar.

Mit Bescheid vom 13.08.2003 erhöhte der Beklagte die Witwenbeihilfe im Wege des Härteausgleichs auf die volle Höhe der Witwenrente, nachdem im vorausgegangenen Sozialgerichtsverfahren ein entsprechendes Vergleichsangebot von der Klageseite abgelehnt worden war.

Im Erörterungstermin vom 11.11.2003 trug der Kläger als Betreuer und Sohn der damals klagenden Witwe u.a. zur Begründung der Berufung vor: "Ehemalige Richter und Staatsanwälte aus der NS-Zeit konnten sich aufgrund eines Gesetzes vorzeitig pensionieren lassen und haben somit ohne Weiteres ihre Versorgung erhalten; mein Vater hat jedoch im Vergleich zu diesem Personenkreis nur eine wesentlich geringere Versorgung erhalten, obwohl er in zwei verschiedenen Internierungslagern war, die ich als "KZ 1" und "KZ 2" bezeichne. Dort wurde die physische und psychische Existenz meines Vaters vernichtet. An meinem Vater wurden sogar medizinische Versuche vorgenommen."

In der mündlichen Verhandlung vom 28.09.2006 beantragt der Kläger,

das erstinstanzliche Urteil und die streitgegenständlichen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, entsprechend höhere Geldleistungen nach seinen Begründungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen wurden die Schwerbehinderten- und Versorgungsakten sowie die Akten des Sozialgerichts München, Az.: S 29 V 64/99 und S 29 V 45/00.

Bezüglich des weiteren Sachverhalts in den Verfahren des Beklagten und des Sozialgerichts wird gem. § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die dort angeführten Beweisunterlagen, bezüglich des Sachverhalts im Berufungsverfahren auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Berufungsakten nach § 136 Abs.2 SGG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die ohne Zulassung statthafte (§ 144 Abs.1 Satz 2 SGG), form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 51 Abs.1 Nr.6, 143 ff., 151 SGG), jedoch nicht begründet und deshalb zurückzuweisen.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts München vom 02.05.2003 und die ihm zugrundeliegenden Bescheide/Widerspruchsbescheide des Beklagten vom 29.10.1998/30.06.1999 (Witwenrente), 07.02.2000/26.05.2000 (Pflegeausgleich) und 24.02.2000/26.05.2000 (Schadensausgleich/Ausgleichsrente) sind nicht zu beanstanden. Der Kläger als Rechtsnachfolger seiner Mutter hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Witwenrente, eines Pflegeausgleichs und Schadensausgleichs bzw. einer höheren Ausgleichsrente.

1.

Nach § 38 Abs.1 BVG hat eine Witwe nur dann einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Beschädigte an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. Hierbei gilt der Tod stets dann als Folge einer Schädigung, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war.

Nachdem B. ausweislich der Todesbescheinigung des Standesamtes N. vom 28.06.1998 an einem Pancreaskarzinom bei Vorliegen eines weiteren Bronchialkarzinoms verstarb, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach § 38 Abs.1 Satz 2 BVG nicht vor, denn bei B. waren seit dem Bescheid vom 18.09.1961 als SF. eine "organische Hirnschädigung nach Dystrophie" mit einer MdE ab 01.11.1960 in Höhe von 60 v.H. und seit Erlass des Bescheides vom 19.07.1989 rückwirkend ab 01.04.1967 mit 70 v.H. nach § 30 Abs.1 BVG (80 v.H. unter Einschluss eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs.2 BVG) anerkannt. Daraus ist ersichtlich, worauf der Beklagte im Bescheid vom 29.10.1998 bereits hinwies, dass selbst für einen Laien erkennbar ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Krebserkrankung und der festgestellten SF. nicht besteht. Im Übrigen verneint auch der vom Gericht gehörte Sachverständige M. (Internist) in seinem Gutachten vom 04.03.2002 diesen Ursachenzusammenhang und stellt fest, dass die SF. auch nicht wesentliche Teilursache für den Tod des B. waren.

Dieses Gutachten wird durch keine objektiven Befunde oder anderslautende gutachterliche Äußerungen in Frage gestellt, so dass der Senat von seiner Richtigkeit ausgehen kann. Im Übrigen wollte der Kläger wohl auch keine anderslautenden gutachterlichen Äußerungen vorlegen, sondern versucht, wie auch bei den weiteren Streitgegenständen, eine Versorgung wie "ehemalige Richter und Staatsanwälte aus der NS-Zeit" bzw. wie ehemalige KZ-Insassen zu erhalten. Abgesehen davon, dass er hierbei rechtlich völlig verschieden zu bewertende Lebenssachverhalte pauschal miteinander in Beziehung setzt und letztlich das gesamte Versorgungswesen ohne hinreichende Begründung in Frage stellt, hält es der Senat nicht für angezeigt, näher auf diese abwegigen Begründungen einzugehen.

2.

Dies gilt auch für die Pflegeausgleichsproblematik, die ausschließlich nach § 40b Abs.1 BVG zu beurteilen ist. Danach erhält die Witwe eines Beschädigten, der hilflos im Sinne des § 35 Abs.1 BVG war, einen Pflegeausgleich, wenn sie den Beschädigten während ihrer Ehe länger als zehn Jahre gepflegt hat. Als Pflegezeit zählen Kalendermonate, in denen der Beschädigte während der Ehe in Folge der Schädigung mindestens in einem der Stufe II entsprechenden Umfang hilflos im Sinne des § 35 Abs.1 BVG war oder der Beschädigte infolge der Schädigung blind war. Nachdem B. nicht blind war, beurteilt sich demnach die Hilflosigkeit im Sinne des Gesetzes danach, ob B. für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedurfte. Diese Voraussetzungen sind nach § 35 Abs.1 Satz 3 BVG auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 2 genannten Verrichtungen erforderlich ist/war oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss/musste, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist/war. Ist die Gesundheitsstörung so schwer, dass sie dauerndes Krankenlager oder dauernde außergewöhnliche Pflege erfordert/e, so ist die Pflegezulage je nach Lage des Falles unter Berücksichtigung des Umfangs der notwendigen Pflege ... (Stufen II, III, IV, V und VI) zu erhöhen.

Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind im Falle des B. nicht gegeben. Bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Scheidung des B. (10.10.1995) wurden seitens des Beklagten weder die Voraussetzungen der Hilflosigkeit festgestellt, noch wurde dem B. eine entsprechende Pflegezulage gewährt. Im Übrigen konnten die Sachverständigen M. und Dr.K. in ihren Gutachten vom 04.03.2000 und 13.01.2003 unter Auswertung der gesamten Krankengeschichte des B. sowie des landgerichtsärztlichen Attestes des Dr.H. vom 23.11.1992 und dessen gutachterlichen Stellungnahme vom 04.10.2000 überzeugend darlegen, B. sei zwischen dem 02.07.1948 und dem 31.12.1992 bzw. 10.10.1995 (rechtskräftige Scheidung) - B. lebte zu diesem Zeitpunkt bereits mit seiner späteren Lebensgefährtin zusammen - nicht mehr als zehn Jahre hilflos im Sinne der Stufe II des § 35 Abs.1 BVG gewesen. Sofern der Kläger gegen diese Gutachten nach Aktenlage einwendet, eine derartige Begutachtung nach Aktenlage stelle für die Witwe eine Diskriminierung und eine persönliche Unbilligkeit nach 44 Jahren Pflege, Betreuung und Versorgung des B. dar, kann sich der Senat dieser Ansicht nicht anschließen. Im Rahmen der von Amts wegen möglichen Aufklärung des Sachverhaltes seitens des Gerichtes konnte diese Problematik letztlich nur anhand der verfügbaren objektiven Befunde durch eine Begutachtung nach Aktenlage geschehen. Es mag zwar durchaus sein, dass die Mutter des Klägers während der relativ langen vorausgegangenen Ehezeit entsprechend den Umständen, B. zeitweilig auch pflegte und betreute, jedoch ist diese Fürsorge innerhalb einer Ehe nicht gleichzusetzen mit einer Betreuung im Sinne des § 35 Abs.1 BVG wegen Hilflosigkeit, sondern Ausfluss der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft bzw. der Verantwortung der Ehegatten, die sie füreinander zu tragen haben (§ 1353 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch).

3.

Die Berechnung des Schadensausgleichs (§ 11 Berufsschadensausgleichsverordnung, § 40a BVG) sowie die gewährte Ausgleichsrentenzahlung (§ 41 BVG) unter Berücksichtigung von Einkommen aus Vermietung und Verpachtung und anderen Einkünften ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Konkrete Einwände des Klägers wurden weder zur Begründung des Widerspruchs noch im Klageverfahren und schon gar nicht im Berufungsverfahren vorgetragen. Seine übrigen allgemeinpolitischen und rechtlichen Vergleiche sind nicht geeignet, diese Berechnung in Frage zu stellen. Da sich auch den Akten keine Anhaltspunkte entnehmen lassen, die für den Senat ggf. Anlass für eine Neuberechnung wären, sind die Verwaltungsakte nicht zu beanstanden.

Abschließend sei der Vollständigkeit halber noch darauf hingewiesen, dass es sich bei der Erhöhung der Witwenbeihilfe auf die volle Witwenrente, die der Beklagte mit Bescheid vom 13.08.2003 im Wege des Härteausgleichs vornahm, um eine Ermessensentscheidung des Beklagten handelt, die gerichtlich nur in engen Grenzen überprüft werden kann. Für eine fehlerhafte Ermessensausübung dieser Entscheidung konnte im Übrigen der Kläger ebenfalls nichts vortragen, noch sind aus den Akten hierfür irgendwelche Anhalte ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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