L 3 R 2662/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 1679/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 2662/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 4.7.1948 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als Putzfrau beschäftigt. Sie hat einen PKW sowie die hierfür erforderliche Fahrerlaubnis und benutzt das Fahrzeug auch. Vom 30.8. bis 27.9.2001 absolvierte sie eine stationäre Heilbehandlung, aus der sie mit den Diagnosen Impingementsyndrom der rechten Schulter, Lumbalgie, Coxarthrose beidseits, Hallux valgus links mit Vorfußarthralgie sowie Adipositas als arbeitsfähig entlassen wurde.

Am 28.7.2003 beantragte sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die von der Beklagten veranlasste chirurgisch-sozialmedizinische Begutachtung (Gutachten Dr. L. vom 17.10.2003) erbrachte ein Schulter-Arm-Syndrom rechts mit end- bis teilweise mittelgradigen Funktionseinbußen bei Zustand nach operativer Behandlung im März 2003, ein Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule ohne wesentliche Funktionseinbußen, Wurzelreizsymptome ohne neurologische Ausfälle, einen Verdacht auf Somatisierungsstörung (Differenzialdiagnose: Fibromyalgiesyndrom) sowie ein Übergewicht mit vollschichtigem Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bei Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 22.10.2003 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Dr. L. vom 12.2.2004 mit Widerspruchsbescheid vom 13.4.2004 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 28.4.2004 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben, mit der sie ihr Rentenbegehren weiterverfolgt hat.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Hauptsächlich wegen Schmerzen mit psychischen Begleiterscheinungen sind vom Hausarzt, Orthopäden und Nervenarzt weitgehende zeitliche Leistungseinschränkungen angenommen worden. Hingegen hat der Internist und Rheumatologe Dr. A. in seiner Stellungnahme vom 25.10.2004 aus rheumatologischer Sicht eine maximal sechsstündige leichte körperliche Arbeit in geschlossenen Räumen für zumutbar erachtet. Keine zeitliche Leistungseinschränkung hat auch der HNO-Facharzt Dr. Fürst in seinem Bericht vom 27.1.2005 angenommen. Der Schwerpunkt der leistungseinschränkenden Befunde ist im Wesentlichen auf orthopädischem und nervenfachärztlichem Gebiet gesehen worden (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 15 ff. und 55 ff. der SG-Akte Bezug genommen).

Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des fachorthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. J. vom 16.2.2005. Erhoben worden ist eine Fehlstatik der Wirbelsäule mit Schmerzen und Verspannungen im Schulterbereich und geringer Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule bei Bandscheibenvorfall C 3/4 mit Einengung der Nervenaustrittkanäle, jedoch ohne neurologische Ausfälle oder Nervenwurzelreizung, eine leichte Impingementsymptomatik mit rechts aktiv deutlich eingeschränkter Schultergelenksbeweglichkeit sowie leichtem Streckdefizit in beiden Ellenbogengelenken, ein diskreter Reizzustand am rechten Kniegelenk mit beidseits endgradig eingeschränkter Beweglichkeit, eine Krampfaderbildung an beiden Beinen sowie ein leichter Spreizfuß beidseits. Eine Fibromyalgie sei sehr unwahrscheinlich. Leichte bis kurzzeitig mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Überkopfarbeiten beidseits, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten in vornüber gebeugter Körperhaltung, solche mit Wirbelsäulenzwangshaltungen, Arbeiten in der Hocke und im Knien, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, mit wiederkehrendem Treppensteigen sowie in Kälte und Nässe könnten vollschichtig verrichtet werden. Betriebsunübliche Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich und die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.

Ferner hat das SG das nervenärztliche Sachverständigengutachten von Dr. H. vom 5.4.2005 eingeholt. Diagnostiziert worden ist eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig leichter bis mittelgradiger Episode und somatischen Symptomen sowie eine Somatisierungsstörung und eine somatisiert-ängstlich-depressive Symptomatik bei zwanghafter Abwehr und dependenter Persönlichkeitsstruktur. Wegen des vom Sachverständigen erhobenen Tagesablaufs wird insbesondere auf Blatt 94/95 und der erhobenen psychischen Befunde auf Blatt 95/97 der SG-Akte Bezug genommen. Über die orthopädischerseits festgestellten Einschränkungen hinaus werde die Leistungsfähigkeit durch die psychischen Befunde nicht weiter tangiert. Wegen der Schlafstörungen sollten allerdings Schichtarbeiten vermieden werden. Im Übrigen bestehe eine vollschichtige Leistungsfähigkeit.

Schließlich hat das SG noch auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung des orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. B. vom 3.2.2006. Erhoben worden ist eine chronische generalisierte Tendomyopathie bei Fibromyalgiesyndrom, ein chronisches Halswirbelsäulensyndrom bei leichter Fehlstatik, degenerativen Veränderungen mit Bandscheibenverschleiß, passager funktionellen Wurzelreizbeschwerden und bis mittelgradiger Funktionseinschränkung, ein Schulterarm-Syndrom rechts mit mittelgradiger schmerzhafter Funktionseinschränkung, ein Zustand nach Sulcus ulnaris-Dekompressions-Operation rechts, ein Zustand nach Supinator Logen-Dekompressions-Syndrom rechts bei Cubitus-valgus beidseits mit endgradiger Funktionseinschränkung, ein Zustand nach Medianusnerven-Dekompressions-Operation rechts bei fortschreitender Polyarthrose in Finger- und Daumensattelgelenken vom Typ Heberden Bouchard mit grob- und feinmotorischer Funktionseinschränkung, ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen mit zunehmendem Bandscheibenverschleiß und funktionellen Nervenwurzelreizbeschwerden sowie hälftiger Funktionseinschränkung, ein Hüftverschleißleiden beidseits im Sinne einer beginnenden Coxarthrose mit Beugebehinderung, rechts stärker als links, ein zunehmendes Kniegelenksverschleißleiden rechts nach Arthroskopie bei Innenmeniskusschaden und Knorpelverschleiß bei Genua vara beidseits mit Funktionseinschränkung, ein Status varicosus beider Beine im Sinne einer Stammvaricosis, eine Knick-Plattfuß-Fehlstatik beidseits mit Sprunggelenksfunktionseinschränkung sowie eine Adipositas. Wegen des Fibromyalgiesyndroms und der Tendomyopathie könnten - nach Besserung durch eine fachspezifische Therapie - auch leichte körperliche Tätigkeiten nur noch bis halbtags verrichtet werden. Ausgeschlossen seien Arbeiten mit Publikumsverkehr, mit besonderer geistiger Beanspruchung und erhöhter Verantwortung sowie nervlicher Belastung. Unzumutbar seien ferner Tätigkeiten mit häufigem Bücken, Überkopfarbeiten, Tätigkeiten mit Vorneigen des Rumpfes, das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, Zwangshaltungen, Arbeiten mit häufigem Treppensteigen und Steigen auf Leitern, Arbeiten in Nässe, Kälte und Zugluft sowie bei stark schwankenden Temperaturen.

Zum Sachverständigengutachten von Dr. B. hat sich die Beklagte unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme von Dr. Schlicht vom 17.3.2006 geäußert, worin im Wesentlichen hervorgehoben wird, dass im Sachverständigengutachten von Dr. H. eine intensive Auseinandersetzung mit dem Sozialverhalten, den Sozialbezügen und dem Tagesablauf der Klägerin stattgefunden habe und vor diesem Hintergrund das abgeleitete Leistungsbild in jeder Hinsicht nachvollziehbar sei. Letzteres fehle im Sachverständigengutachten von Dr. B. völlig. Der Sachverständige gehe offenbar - zu Unrecht - davon aus, dass bei Erfüllung der Diagnosekriterien einer Fibromyalgie automatisch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliege. Zudem sei die durchgeführte Befundung teilweise widersprüchlich, falsch und nicht kritisch hinterfragt.

Das SG hat die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4.4.2006 durch Urteil vom selben Tag abgewiesen.

Es hat unter Darstellung der für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften sowie unter Darstellung der Grundsätze zum Berufsschutz entschieden, dass die als ungelernte Arbeiterin einzustufende und damit breit verweisbare Klägerin die ihr somit noch zumutbaren - unbenannten - leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden am Tag verrichten könne. In der Leistungseinschätzung gefolgt werde den Gutachten von Dr. J. und Dr. H ... Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 25.4.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.5.2006 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Klagebegehren im Wesentlichen gestützt auf das Sachverständigengutachten von Dr. B. weiterverfolgt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. April 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2004 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, weil sie zur Überzeugung des Senats noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden am Tag zu verrichten.

Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung und der Begründung der streitgegenständlichen Bescheide folgend als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).

Vordergründig geprägt wird das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin hier durch die bei ihr vorliegenden orthopädischen Befunde sowie durch eine Fibromyalgie bzw. Somatisierungsstörung und eine depressive Symptomatik. Eine rentenrechtlich relevante, vor allem zeitliche Leistungseinschränkung resultiert hieraus - unbeschadet der genauen diagnostischen Einordnung - zur Überzeugung des Senats nicht.

Der Senat stützt seine diesbezügliche Überzeugung in erster Linie auf die Sachverständigengutachten von Dr. J. und Dr. H., ergänzend aber auch auf die von Dr. Schlicht vorgenommene Beurteilung. Danach bedingen die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen lediglich die Beschränkung auf noch leichte körperliche Tätigkeiten unter Beachtung der weiteren, in den Sachverständigengutachten im Einzelnen aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen. Insbesondere ist nach diesen Gutachten die Annahme einer quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkung medizinisch nicht begründet. Die von Dr. J. und Dr. H. vorgenommene Leistungsbeurteilung ist nach den erhobenen Befunden, bei kritischer Würdigung und der gebotenen Anlegung eines strengen Maßstabes für den Senat schlüssig und nachvollziehbar, weshalb er ihr folgt. Die hiervon abweichende Leistungsbeurteilung insbesondere durch Dr. B. erachtet der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens als widerlegt.

Die im Verfahren erhobenen orthopädischen Befunde bedingen hier von vornherein keine zeitliche Leistungseinschränkung. Hierfür ist maßgebend, dass orthopädischen Befunden in aller Regel bereits durch die Einhaltung qualitativer Einschränkungen Rechnung getragen werden kann. Lediglich in besonders begründeten Ausnahmefällen kann die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung gerechtfertigt sein. Unter Berücksichtigung von Art und Umfang der hier zu beurteilenden Befunde liegen hierfür keine Anhaltspunkte vor. Auch Dr. B. hat im Übrigen die von ihm angenommene Leistungseinschränkung im Wesentlichen nicht auf die orthopädischen Befunde, sondern auf das seiner Ansicht nach bei der Klägerin vorliegende Fibromyalgiesyndrom bzw. die Tendomyopathie gestützt.

Selbst bei einem Fibromyalgiesyndrom liegt indes nicht automatisch Erwerbsunfähigkeit vor. So bleibt in vielen Fällen von Versicherten mit einem Fibromyalgiesyndrom eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten erhalten. Maßgeblich für die deshalb auch in Fällen von Fibromyalgie notwendige Beurteilung der Restleistungsfähigkeit nach den vorhandenen Funktionsbeeinträchtigungen sind zunächst z. B. der Nachweis von vegetativen Zeichen von Seiten des Herzens und des Darms - wie sie typischerweise mit dem Vorliegen eines Fibromyalgiesyndroms einhergehen - und das Vorliegen von nervenärztlicherseits zu beurteilenden Befunden (z. B. einer depressiven Störung) und deren Schweregrad (der sich im Wesentlichen nach dem Umfang einer Leistungsreduktion im Bereich häuslicher Aufgaben und im Bereich persönlicher Verrichtungen sowie des sozialen Umfelds beurteilt) sowie das Vorhandensein zusätzlicher Faktoren (sogenannter Konvergenzfaktoren). Ferner kommt es auf den Schweregrad des Fibromyalgiesyndroms an (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 22.1.2003 - L 3 RJ 1400/00 mwN).

Die sozialmedizinische Beurteilung bei Somatisierungsstörungen erfordert eine ausführliche Befragung des Probanden zu den Tagesaktivitäten. Erfragt (und hinterfragt) werden müssen auch Symptome des sozialen Rückzugs. Nur bei einer weitgehenden Einschränkung der Fähigkeit zur Teilnahme an den Aktivitäten des täglichen Lebens (im Sinne einer "vita minima") beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, Kommunikation, Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Interesse und Aufmerksamkeit ist von einer Minderung des qualitativen und quantitativen Leistungsvermögens auszugehen (Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen, DRV-Schriften, Band 30, S. 47).

Hinsichtlich der Auswirkungen von Schmerzen auf die Erwerbsfähigkeit ist zu beachten, dass je nach Ausprägung der Schmerzsymptomatik die Konzentration deutlich beeinträchtigt sein kann, es können auch kognitive Störungen auftreten. Antriebstörungen, Störungen der Vitalgefühle und weitere depressive Symptome sind häufig vorhanden, bei entsprechendem Schweregrad auch suizidale Tendenzen. Chronische Schmerzen können die Möglichkeit der Betroffenen, an Aktivitäten des täglichen Lebens teilzunehmen, beeinträchtigen. Es kann zu einem zunehmenden sozialen Rückzug kommen, da die Betroffenen gegebenenfalls ihre körperlichen Aktivitäten einschränken, gewissermaßen ihre gesamte Lebensgestaltung dem chronischen Schmerz unterordnen.

Für die Leistungsbeurteilung ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, dass der Gutachter die Entwicklung der Schmerzsymptomatik und ihre Auswirkungen insbesondere auf dem Bereich der sozialen Möglichkeiten und Aktivitäten bei dem Probanden differenziert erfragt. Eine exakte Erhebung und Darstellung der medikamentösen Therapie (unter Umständen einer vorhandenen Medikamentenabhängigkeit) ist ebenso erforderlich wie die Einsichtnahme in ein eventuell vorhandenes Schmerztagebuch. Erfragt werden muss differenziert der Tagesablauf des Probanden, weil sich hier unter Umständen Hinweise auf Partizipationsstörungen ergeben. Das Fehlen einer objektiven Messmethode zur Quantifizierung des Schmerzes erschwert die Leistungsbeurteilung dieser Probanden, auch die Verwendung entsprechender Schmerzskalen in der Leistungsbeurteilung ist nicht zielführend, sodass der Gutachter nur durch eine umfassende und auch zeitlich umfangreiche Befragung des Probanden eine nachvollziehbare und zutreffende Beurteilung abgeben kann. Zu beurteilen sind neben dem Ausmaß der psychopathologischen Auffälligkeiten und dem eventuell bestehenden Ausmaß einer schmerzbedingten Persönlichkeitsveränderung die Fragen nach einer eventuell stattgefundenen Adaption an die Symptomatik bzw. nach bisher vom Probanden eingeschlagenen Coping-Strategien (Empfehlung für die sozialmedizinische Beurteilung bei chronischen Schmerzsyndromen DRV-Schriften, Band 30, S. 51/52).

Den dargestellten Anforderungen genügt insbesondere das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. H., der die Tagesaktivitäten der Klägerin und ihre Partizipationsfähigkeiten festgestellt hat. Die Klägerin nimmt durch Zeitungslektüre am täglichen Geschehen teil, erledigt komplett den Haushalt, kocht und pflegt soziale Kontakte. Die Stimmung der Klägerin wird nicht als herabgesetzt beschrieben, vom Antrieb her sei sie fast eine Spur gesteigert.

Unter Berücksichtigung der oben dargelegten sozialmedizinischen Grundsätze hat Dr. H. diese Befunde zutreffend dahin gewürdigt, dass die bei der Klägerin vorliegenden Schmerzen und somatischen Begleiterscheinungen bzw. die depressiven Anteile keine wesentliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit bedingen. Von einer vita minima bzw. einer Unterordnung der gesamte Lebensgestaltung unter den Schmerz kann hier keine Rede sein. Es sind vielmehr weitgehende Aktivitäten erhalten und die Partizipationsfähigkeit ist nicht erheblich eingeschränkt. Demgegenüber geht Dr. B. - worauf bereits Dr. Schlicht zutreffend hingewiesen hat -, ohne die erforderlichen Feststellungen zu treffen, unrichtigerweise davon aus, dass bei Erfüllung der Kriterien für eine Fibromyalgie hieraus ohne weiteres Erwerbsunfähigkeit folgt.

Im Rahmen der der Klägerin ohne relevante zeitliche Einschränkung zumutbaren leichten körperlichen Tätigkeiten ist keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. keine schwere spezifische Leistungsbehinderung zu beachten, die dazu zwingen würde, unter diesem Gesichtspunkt eine konkrete Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu benennen, die die vollschichtig bzw. mindestens sechsstündig arbeitsfähige Klägerin noch verrichten kann, bzw. zu prüfen, inwiefern derartige Arbeitsplätze überhaupt vorhanden sind (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 75, 81, 90, 104, 117, 136).

Nur ausnahmsweise u.a. in diesen Fällen ist nämlich auch für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten mit vollschichtigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist (BSG SozR 3 - 2200 § 1246 Nr. 50). In der Rechtsprechung des BSG sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG a.a.O. mwN), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr muss eine Verweisungstätigkeit erst benannt werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger und außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG a.a.O.; SozR 3-2200 § 1246 Nr. 90). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Tätigkeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeit, Lasten zu bewältigen, und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen.

Nicht anders liegt der Fall der Klägerin. Auch bei ihr wird den wesentlichen qualitativen Einschränkungen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihr nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden. Die übrigen qualitativen Einschränkungen engen das Arbeitsfeld der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt darüber hinaus nicht in ungewöhnlicher Weise weiter ein. Insbesondere ist auch aus dem Sachverständigengutachten von Dr. B. bis auf eine gewisse Schwergängigkeit und Schmerzhaftigkeit keine erhebliche Einschränkung der Gebrauchsfunktion beider Hände abzuleiten. Zusätzlich gegen das Bestehen wesentlicher Einschränkungen insoweit sprechen die dargestellten Haushaltsaktivitäten der Klägerin sowie insbesondere die seitengleich kräftig ausgeprägte Hals- und Schulternackenmuskulatur sowie die kräftigen Arme mit ebenfalls seitengleicher Muskelbepackung.

Insoweit lediglich hilfsweise ist z.B. auf die Verweisungstätigkeit einer Pförtnerin an einer Nebenpforte hinzuweisen, im Rahmen derer die bei der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen Berücksichtigung finden.

Entsprechende Tätigkeiten sind im Lohngruppenverzeichnis i.d.F. des Änderungstarifvertrages Nr. 11 vom 22.3.1991 des Manteltarifvertrags für Arbeiterinnen und Arbeiter der Länder II der Lohngruppe 2 (Arbeiter mit Tätigkeiten, für die eine eingehende Einarbeitung erforderlich ist - Ziff. 1.9) zugeordnet.

Der Pförtner an der Nebenpforte hat insbesondere bekannte Fahrzeuge der Firma bzw. Mitarbeiter passieren zu lassen (vgl. BSG vom 22.10.1996 - 13 RJ 35/95 - und Urteil des 2. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25.6.1997 - L 2 J 3307/96 -). Die Tätigkeit des Pförtners an der Nebenpforte kann im Wechsel von Sitzen und Stehen ausgeübt werden und ist nicht mit dem Heben und Tragen von Lasten verbunden. Tätigkeiten eines Pförtners an der Nebenpforte erfordern auch keine besonderen sprachlichen Anforderungen an das Kommunikationsvermögen.

Pförtnertätigkeiten kommen darüber hinaus in den unterschiedlichsten Ausprägungen vor. Die Klägerin könnte deshalb in einem Bereich eingesetzt werden, der nicht in erster Linie durch Publikumsverkehr geprägt ist. Pförtnertätigkeiten eignen sich auch für Personen, deren obere Extremitäten Funktionsbeeinträchtigungen aufweisen oder deren Hebe- und Tragefähigkeit aus anderen Gründen eingeschränkt ist, weil derartige Einschränkungen sich - je nach konkretem Arbeitsplatz - berücksichtigen lassen (vgl. zur Pförtnertätigkeit faktisch Einarmiger und in der Schlüsselverwaltung Urteil des 8. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 17.10.1997 - L 8 J 262/97 -, gestützt auf entsprechende berufskundliche Feststellungen des - damaligen - Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg). Es gibt nach Feststellungen des Berufsverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e.V. sogar Tätigkeiten im Pfortenbereich, die lediglich im Sitzen ausgeführt werden können und bei denen der Pförtner nur auf ein Klingelzeichen hin die Tür öffnen muss. Der Senat hat deshalb bereits entschieden, dass selbst eine erhebliche Beeinträchtigung beider oberer Extremitäten z. B. infolge von Beschwerden im Bereich der Schultergelenke mit einer dadurch bedingten eingeschränkten Beweglichkeit und der Unfähigkeit, Lasten von mindestens 5 kg zu heben oder zu tragen, ihrer Art nach selbst bei Eintritt einer Verschlimmerung einer Pförtnertätigkeit der beschriebenen Art nicht entgegensteht (Urteil des erkennenden Senats vom 28.1.2004 - L 3 RJ 1120/03 -).

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht über die für die Tätigkeit als Pförtner notwendige Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit verfügt, sind aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht ersichtlich.

Arbeitsplätze als Pförtner sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in genügender Anzahl vorhanden und sind nicht nur leistungsgeminderten Betriebsangehörigen vorbehalten, sondern werden auch mit Bewerbern vom freien Arbeitsmarkt besetzt (vgl. Urteil des 8. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 17.10.1997 - L 8 J 262/97 -).

Ob Arbeitsplätze als Pförtner an der Nebenpforte frei oder besetzt sind, ist nicht zu ermitteln, denn das Risiko, dass die Klägerin möglicherweise keinen geeigneten Arbeitsplatz finden könnte, geht nicht zu Lasten des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 41; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 19; BSG NZS 1993, 403, 404 und vom 21.7.1992 - 3 RA 13/91 -).

Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit liegt jedenfalls deshalb nicht vor, weil die Klägerin in der Lage ist, mögliche Arbeitsplätze mit ihrem PKW zu erreichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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