L 24 B 327/06 KR PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 425/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 B 327/06 KR PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. Mai 2006 geändert. Der Klägerin wird für den Rechtsstreit beim Sozialgericht Berlin S 73 KR 425/06 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten gewährt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren zur Hauptsache um die Kostenübernahme für die Präparate Symbioflor, Vitamin-B Komplex und Probiotic Pur. Den entsprechenden Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme hatte die Beklagten mit Bescheid vom 01. August 2005 mit der Begründung abgelehnt, der Antrag auf Kostenübernahme für Nahrungsergänzungsmittel habe nach der Beurteilung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu folgendem Ergebnis geführt:

Symbioflor-Wirksubstanz: Enterokokkus faecalis Autolysat und Zellen- ist in Deutschland zugelassen. Es handelt sich um ein OTC-Präparat ist apothekenpflichtig, aber nicht rezeptpflichtig. Die Zulassungsindikation lautet: "Regulierung körpereigener Abwehrkräfte, chronisch Infektionen der oberen Atemwege, Entzündungen im Mund-, Nasen-, Rachenraum und Mittelohr, Erkältungskrankheiten und gastrointestinaler Störungen." Der Einsatz von OCT-Präparaten ist nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Eine Ausnahmeregelung besteht für den Wirkstoff nicht.

Bei Probiotik handelt es sich um nicht zugelassene Arzneimittel, d.h. Nahrungsergänzungsmittel. Diese sind nach den Arzneimittelrichtlinien von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgeschlossen.

Vitamin B-Komplex ist ebenfalls ein OTC-Präparat. Eine Verordnung zu Kassenlasten wäre nur bei der Dialyse lt. Ziffer 16.4.38 der Arzneimittelrichtlinien möglich. Eine derartige Situation liegt hier nicht vor.

Dementsprechend sei aus medizinischer Sicht die Notwendigkeit für die beantragte Versorgung nicht gegeben. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2006 zurück: Versicherte hätten gemäß § 31 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht nach § 34 SGB V oder nach den Arzneimittelrichtlinien ausgeschlossen seien. Gemäß § 34 Abs. 1 SGB V seien ab 01. Januar 2004 nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Die Verordnung dieser Arzneimittel sei nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gälten. Der gemeinsame Bundesausschuss habe entsprechend der Ermächtigung in § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine Änderung der Arzneimittelrichtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V beschlossen. Den Nummern 16 Punkt 2 und 16 Punkt 3 der geänderten Arzneimittelrichtlinien sei zu entnehmen, wann eine Krankheit schwerwiegend und wann ein Arzneimittel als Therapiestandard im Sinne der gesetzlichen Neuregelung anzusehen sei. Nummer 16 Punkt 4 enthalte eine abschließende Auflistung der schwerwiegenden Erkrankungen und der Behandlung dienenden Standardtherapeutika. Die Präparate Symbioflor und Vitamin-B Komplex seien apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtig. Nach Nummer 16 Punkt 5 der Arzneimittelrichtlinien könne der Arzt für die in den Arzneimittelrichtlinien in Abschnitt F aufgeführten Indikationsgebiete bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und der Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt seien. Der Arzt habe zur Begründung der Verordnung die zugrunde liegende Diagnose in der Patientendokumentation aufzuzeichnen. Bei dem Präparat Probiotic handele es sich um ein nicht zugelassenes Arzneimittel. Dieses sei nach Nummer G 20.1 der Arzneimittelrichtlinien von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Ausweislich des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 21. Juli 2005 sei keine Ausnahme nach Punkt 16 der Arzneimittelrichtlinien gegeben (der unter F der Arzneimittelrichtlinien als Ausnahme aufgeführten schwerwiegenden Erkrankung). Eine Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei somit ausgeschlossen. Die Beurteilungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung seien entsprechend ihrer Zweckbestimmung bei der Entscheidung der Kasse über die Gewährung oder Versagung einer Leistung nach der medizinischen Seite hin Richtung gebend. Die Arzneimittel-Richtlinien seien für Vertragsärzte, Krankenkassen und Versicherte verbindlich (vgl. §§ 81 Abs. 3 und 92 Abs. 7 SGB V). Ergänzend bleibe festzuhalten, dass gemäß § 15 Abs. 1 des Arzt-/Ersatzkassenvertrages (EKV) die Verordnung von Arzneimitteln allein in der Verantwortung des Vertragsarztes liege. Insoweit bestehe für den behandelnden Vertragsarzt grundsätzlich die Möglichkeit, das notwendige Präparat zu Lasten der Kasse zu verordnen. Soweit der Arzt im Rahmen seiner Therapiehoheit von einer ärztlichen Verordnung des Präparates absehe, bestehe keine Möglichkeit einer Kostenübernahme. Die Genehmigung von Arzneimittelverordnungen durch die Kasse sei der Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 2 des Arzt-/Ersatzkassenvertrages folgend unzulässig. Die vertragsärztliche Tätigkeit werde im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Prüfungseinrichtungen nach § 106 SGB V überwacht (§ 43 Abs.1 EKV). Seit dem 01. Januar 2004 könne der Vertragsarzt nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen seien, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Die Entscheidung treffe mithin der behandelnde Arzt, nicht die Krankenkasse. Der Widerspruchsausschuss verkenne durchaus nicht die hier vorliegende Problematik, müsse jedoch zugleich um Verständnis bitten, dass die Kasse als Körperschaft des öffentlichen Rechts in ihrem Verwaltungshandeln an die vorgenannten Rechtsgrundlagen gebunden sei.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 09. März 2006 Klage zum Sozialgericht Berlin (S 73 KR 425/06) erhoben und hierzu die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Sie hat verschiedene ärztliche Atteste ihres behandelnden Arztes A M vorgelegt, nach denen die Klägerin auf Grund der gesicherten Diagnosen

- Restless-legs-Syndrom, - Fruktoseintoleranz - Dysbiose (Gleichgewichtsstörung der Darmflora) - Laktoseintoleranz (nach Laktosetoleranztest am 05. Juli 2005)

vorlägen. Auf Grund dieser Diagnosen müsse die Patientin eine spezielle Diät einhalten (Attest vom 05. Juli 2005). Zudem liege nach dem Attest vom 23. August 2005 ein Missverhältnis der Darmkeime vor, so dass ärztlicherseits eine Substitution mit Symbioflor sowie Probiotik pur zwingend indiziert sei. Auf Grund des Restless-legs-Syndroms soll die Patientin auf Grund neurologischer Empfehlung Vitamin-B Komplex einnehmen. Nach dem Attest vom 20. Oktober 2005 sei eine Fruktoseunverträglichkeit festgestellt, weshalb eine Nahrungsergänzung zu Aufrechterhaltung des Vitamin- und Mineralstoffgehaltes nötig sei.

Mit Beschluss vom 09. Mai 2006 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, weil die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg biete. Zur Begründung hat das Sozialgericht auf die Begründung des Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Gegen den ihr am 30. Juni 2006 zugestellten Beschluss richtet sich die am 27. Juli 2006 durch ihren Prozessbevollmächtigten eingelegte Beschwerde der Klägerin: Den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid sei zu widersprechen, da bei der Klägerin ein Missverhältnis der Darmkeime vorliege, weshalb ärztlicherseits eine Substitution mit Symbioflor und Probiotik zwingend indiziert sei. Es liege auch eine schwere Verdauungsschwierigkeit vor, welche durch die Kombination der Substitution zu einer Linderung der Beschwerden führen könne, was durch die von der Klägerin vorgelegten Atteste ihres behandelnden Arztes belegt sei. Sie sei dringend auf die genannten Nahrungsergänzungsmittel angewiesen. In Folge der schweren Erkrankungen leide sie an lang andauernden Schlafstörungen, welche zur Beeinträchtigung nicht nur der Psyche, der Kognition, der neurologischen Funktionen, sondern auch zu metabolischen, cardiopulmonalen, hormonellen Veränderungen und letztendlich zu einer erheblichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit führen, was sich aus einem (beigefügten) ärztlichen Attest der behandelnden Nervenärztin Dr. P vom 14. Dezember 2005 ergebe.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt (Eingang 04. August 2006).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte zum Hauptverfahren, des Sonderhefts zur Prozesskostenhilfe, sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Aus dem Sonderheft Prozesskostenhilfe ergibt sich, dass die Klägerin über kein einsetzbares Vermögen verfügt (Sparbuch mit einer Einlage von 208,47 Euro), dass sie eine Rente wegen Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Höhe von monatlich 219,01 Euro erhält und zusätzlich nach dem Bescheid des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin vom 21. November 2005 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 457,22 Euro.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Begründung des Sozialgerichts hinsichtlich der nicht hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO –) trägt die Ablehnung der Prozesskostenhilfe nicht. Im Hinblick auf die Bewilligung von Sozialhilfe durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sind die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Bezug auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses der Klägerin ebenfalls erfüllt. Es mag zutreffend sein, dass die Klage letztlich nicht erfolgreich sein wird, wofür nach der Beurteilung durch den MDK eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Hinreichende Erfolgsaussicht für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedeutet jedoch nicht, dass ein Erfolg überwiegend wahrscheinlich sein muss, es reicht vielmehr eine gewisse Erfolgsaussicht aus. Diese ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts, die über die bloße Einholung von Auskünften hinausgehen, erforderlich erscheinen. Vorliegend dürfte es auch um die Frage gehen, ob es sich bei den Erkrankungen der Klägerin um schwerwiegende Erkrankungen im Sinne von Buchstabe F Ziffer 16 Punkt 1 der Arzneimittelrichtlinien handelt, was nach dem Gutachten des MDK nicht der Fall sei. Dem Gutachten des MDK vom 21. Juli 2005 lag allerdings lediglich das ärztliche Attest des Allgemeinmediziners M vom 05. Juli 2005 zugrunde. Einer weiteren Stellungnahme des MDK vom 30. September 2005 lag die Bescheinigung dieses Arztes vom 23. August 2005 zugrunde. Zu den weiteren von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen hat sich der MDK nicht geäußert.

Wenn bereits die Beklagte es auf Grund fehlenden medizinischen Sachverstandes für erforderlich hält, zur Frage der Verordnungsfähigkeit nach den Arzneimittelrichtlinien den MDK einzuschalten, dürfte auch dem Gericht die Beantwortung der entsprechenden Fragen auf Grund fehlender medizinischer Sachkunde nicht möglich sein. Zumindest zu den noch nicht vom MDK gewürdigten medizinischen Unterlagen, insbesondere auch dem nervenärztlichen Attest dürfte insoweit eine Sachaufklärung in Betracht kommen. Es kommt hinzu, dass die Beklagte einen Teil der streitigen Präparate für unmittelbar durch den Arzt verordnungsfähig hält, während dieser – obwohl er die Versorgung damit für "zwingend indiziert" hält (Attest des Arztes M vom 23. August 2005) – eine Verordnung auf Kassenrezept gerade nicht durchführt. Auch insoweit könnte Klärungsbedarf bestehen.

Dementsprechend liegt hinreichende Erfolgsaussicht für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor, weshalb der Beschwerde der Erfolg nicht versagt werden kann.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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