L 4 AL 80/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 20 AL 651/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 AL 80/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. September 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Beklagten in Höhe von 3.091,74 Euro.

Der 1965 geborene Kläger war von 1995 bis zum 31. Dezember 2001 als Dachklempner beschäftigt. Er ist verheiratet. Bis zum 30. April 2001 war auf seiner Steuerkarte die Steuerklasse III eingetragen, ab dem 1. Mai 2001 die Steuerklasse IV.

Am 6. Dezember 2001 meldete der Kläger sich mit Wirkung zum 1. Januar 2002 arbeitslos. Zutreffend gab er dabei an, dass ab dem 1. Mai 2001 auf seiner Steuerkarte die Steuerklasse IV eingetragen sei. Mit Wirkung vom 1. Januar 2002 bewilligte ihm die Beklagte daraufhin Arbeitslosengeld für 360 Tage mit einem Leistungssatz von wöchentlich 234,99 Euro bzw. täglich 33,57 Euro; das Bemessungsentgelt betrug 460 Euro bei (irrig) Leistungsgruppe C (entsprechend Steuerklasse III).

Vom 4. Februar 2002 bis zum 22. Dezember 2002 unterzog der Kläger sich einer von der Beklagten geförderten Fortbildung. Während dieses Zeitraumes bezog er Unterhaltsgeld in Höhe von wöchentlich 234,99 Euro bzw. täglich 33,57 Euro. Vom 1. Dezember bis zum 22. Dezember 2002 betrug der wöchentliche Leistungssatz 240,87 Euro, täglich 34,41 Euro. Wiederum legte die Beklagte irrig die Leistungsgruppe C (entsprechend Steuerklasse III) zugrunde.

Mit Wirkung vom 23. Dezember 2002 meldete der Kläger sich erneut arbeitslos und gab dabei wiederum zutreffend an, auf seiner Steuerkarte sei die Steuerklasse IV eingetragen. Auf der Grundlage von (wiederum irrig) Leistungsgruppe C und einem Bemessungsentgelt von 475 Euro bewilligte die Beklagte daraufhin für die Zeit bis zum 31. Dezember 2002 Arbeitslosengeld in Höhe von 240,87 Euro wöchentlich, bzw. 34,41 Euro täglich; für die Zeit ab 1. Januar 2003 betrug der Leistungssatz 239,61 Euro wöchentlich bzw. 34,23 Euro täglich.

Der Leistungsbezug dauerte bis zum 15. Juni 2003, weil der Kläger am 16. Juni 2003, was er auch anzeigte, als Gerüstbauhelfer beschäftigt war.

Am 6. November 2003 meldete der Kläger sich erneut arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Wirkung vom 1. Dezember 2003, wobei er wiederum zutreffend angab, auf seiner Steuerkarte sei die Lohnsteuerklasse IV eingetragen. In diesem Zusammenhang fiel bei der Beklagten auf, dass in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 15. Juni 2003 irrig Leistungsgruppe C (entsprechend Steuerklasse III) statt Leistungsgruppe A (entsprechend Steuerklasse IV) zugrunde gelegt worden war.

Nach vorheriger Anhörung des Klägers hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld bzw. Unterhaltsgeld für den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 15. Juni 2003 mit Bescheid vom 5. März 2004 teilweise auf und forderte eine Erstattung in Höhe von 3.091,74 Euro. Den Widerspruch des Klägers, den dieser damit begründete, die Zugrundelegung einer falschen Steuerklasse nicht verursacht zu haben, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2004 zurück. Zur Begründung heißt es darin im Wesentlichen, der Kläger könne Vertrauensschutz für sich nicht in Anspruch nehmen, weil er die teilweise Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung gekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Er habe zumindest die erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt, indem er ohne Kontrolle Leistungen auf der Grundlage der Leistungsgruppe C, entsprechend Steuerklasse III, entgegen genommen habe. Auf der Rückseite eines jeden Bewilligungsbescheides und auch im Merkblatt für Arbeitslose sei sehr anschaulich erklärt, welche Steuerklasse welcher Leistungsgruppe zuzuordnen sei. Deshalb hätte er bemerken müssen, zu hohe Leistungen zu erhalten.

Hiergegen richtet sich die am 10. September 2004 erhobene Klage, mit der der Kläger im Wesentlichen geltend macht, grobe Fahrlässigkeit dürfe ihm nicht vorgeworfen werden. Als Antragsteller habe er in seinem Anträgen zutreffende Angaben gemacht und sei nicht gehalten, zugunsten der Beklagten Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Er habe davon ausgehen dürfen, dass eine Fachbehörde seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetze. Er habe nur die jeweiligen Zahlbeträge, nicht aber den sonstigen Wust von Zahlen zur Kenntnis genommen. Der Fehler habe ihm nicht geradezu in die Augen springen müssen. Die bewilligte Lohnersatzleistung habe auch nicht offensichtlich außer Verhältnis zu dem zugrunde liegenden Arbeitsentgelt gestanden.

Mit Urteil vom 27. September 2005 hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung sei § 45 Abs. 1 SGB X. Danach dürfe ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig sei, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Absatz 2 dürfe er nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut habe und sein Vertrauen schutzwürdig sei. Auf Vertrauen könne sich nicht berufen, wer die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt habe oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Die Bewilligungsbescheide für den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 15. Juni 2003 seien teilweise rechtswidrig gewesen, weil ihnen irrig die Leistungsgruppe C statt der Leistungsgruppe A zugrunde gelegt worden sei. Zwar habe der Kläger in seinen Anträgen richtige Angaben gemacht, jedoch müsse er sich vorhalten lassen, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt zu haben, denn er habe jedenfalls die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Die Bewilligungsbescheide hätten auf ihrer Rückseite Hinweise zur Höhe des Arbeitslosengeldes enthalten. Dort sei zur Leistungsgruppe vermerkt, dass die Zuordnung zur Leistungsgruppe C aufgrund der Lohnsteuerklasse III erfolge. Dem hätte der Kläger entnehmen können, dass die Leistungsbewilligung nur dann rechtmäßig gewesen wäre, wenn auf seiner Steuerkarte noch immer die Steuerklasse III eingetragen gewesen wäre. Tatsächlich sei ihm aber bewusst gewesen, dass dort die Steuerklasse IV eingetragen war. Ihm sei auch bewusst gewesen, dass die Steuerklasse Einfluss habe auf die Höhe er Abzüge, denn aus diesem Grund habe er mit Wirkung zum 1. Mai 2001 die Steuerklasse gewechselt. Bei genauer Kenntnisnahme der Hinweise, insbesondere mit dem Wissen, dass die Steuerklasse über die Höhe der Abzüge entscheide, sei es für ihn ohne weiteres erkennbar gewesen, dass die Höhe der zu berücksichtigenden Lohnsteuer ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die Höhe des Arbeitslosengeldes habe. Soweit der Kläger die Hinweise im Bescheid nicht zur Kenntnis genommen habe, habe er gegen die Obliegenheit verstoßen, Bewilligungsbescheide zu lesen, auch wenn dies nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt sei. Zwar dürfe ein Antragsteller davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen frage und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetze. Dies schließe jedoch auch eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers nicht aus. Er sei ohne weiteres in der Lage gewesen, den deutlichen Inhalt des Bewilligungsbescheides vollständig zur Kenntnis zu nehmen. Den Erstattungsbetrag schließlich habe die Beklagte mit 3.091,74 Euro zutreffend berechnet.

Gegen das ihm am 11. Januar 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. Februar 2006 Berufung eingelegt. Mit ihr verfolgt er sein Begehren weiter. Ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen führt er aus, die Beklagte treffe ein Beratungsverschulden, weil sie ihn auf die negativen Folgen eines Steuerklassenwechsels hätte aufmerksam machen müssen. Auch wenn sie der richtigen Angabe des Klägers in seinem Leistungsantrag gefolgt wäre, hätte sie ihn besonders darauf aufmerksam machen müssen, dass er die Möglichkeit zu einem nochmaligen Wechsel seiner Steuerklasse habe, um einen höheren Leistungsanspruch zu haben. Unter Umständen hätten der Kläger und seine Ehefrau bei richtiger Beratung durch die Beklagte den Steuerklassenwechsel wieder rückgängig gemacht.

Der Kläger, der den Erstattungsbetrag entrichtet hat, beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. September 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.091,74 Euro nebst 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz der EZB seit 24. März 2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das mit der Berufung angegriffene Urteil für zutreffend und entgegnet auf das Berufungsvorbringen, es habe keine Hinweis- oder Beratungspflicht bestanden, weil die Steuerklassenänderung weit vor der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld vorgenommen worden sei, nämlich schon zum 1. Mai 2001. Daher habe keine Veranlassung bestanden, den Kläger nachträglich zu beraten. Für das Ansinnen des Klägers, ihn auf die Möglichkeit der Rückgängigmachung des Lohnsteuerklassenwechsels hinzuweisen, gebe es im Gesetz keinen Anhaltspunkt.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten (Kd.Nr.: 037A279100) sowie der Gerichtsakte Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

Im Erörterungstermin vom 18. August 2006 haben die Beteiligten sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten durfte der Berichterstatter anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung über den Rechtsstreit entscheiden (§ 155 Abs. 3, 4 i.V.m. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. In seiner Entscheidung vom 27. September 2005 beurteilt das Sozialgericht Frankfurt (Oder) die Sach- und Rechtslage zutreffend. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; er hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der bereits erstatteten 3.091,74 Euro.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht auf die sorgfältigen Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) in seinem Urteil Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG); das Sozialgericht hat die rechtlichen Zusammenhänge vollständig und zutreffend dargestellt und einer überzeugenden rechtlichen Würdigung unterzogen. In Würdigung des Berufungsvorbringens bleibt lediglich ergänzend auszuführen:

Dass die Überzahlung auf einem Verwaltungsfehler der Beklagten beruht, spielt keine Rolle für die Beurteilung, ob die Leistungen in Höhe der Überzahlung aufgehoben und zurückgefordert werden dürfen. Der Kläger geht fehl, wenn er meint, Leistungen der Beklagten gleichsam blind entgegennehmen zu dürfen. Zudem wäre es ihm auch im Rahmen einer raschen Prüfung nicht schwer gefallen, das Verwaltungsversehen zu entdecken, denn den Bewilligungsbescheiden der Beklagten ist ohne weiteres zu entnehmen, welche Leistungsgruppe welcher Steuerklasse entspricht. Von einem Beratungsverschulden der Beklagten kann bei alledem keine Rede sein. Kennzeichnend für den Fall des Klägers ist gerade, dass er seine Steuerklasse nicht im Laufe des Leistungsbezuges, sondern schon lange vorher geändert hatte. Die vom Kläger angeführte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch in Zusammenhang mit einem Wechsel der Steuerklasse bezieht sich so denn auch ausschließlich auf Fälle, in denen der Steuerklassenwechsel – anders als hier – während des Leistungsbezuges herbeigeführt wurde. Im Übrigen drängt sich auch nicht die Annahme auf, die Steuerklasse IV sei besonders nachteilig gewesen; denn wenn der Kläger wieder zur Steuerklasse III gewechselt wäre, hätte seine Ehefrau wieder Steuerklasse V annehmen müssen, was mit höherer Steuerlast für sie verbunden gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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