S 19 R 2891/05

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 19 R 2891/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 04.03.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2005 wird abgeändert. 2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine teilweise Erwerbsminderungs-rente bei Berufsunfähigkeit nach einem Leistungsfall vom 09.01.2004 ab 01.02.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. 3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu ½.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung bei Berufsunfähigkeit.

Der 1950 geborene Kläger begann im April 1966 eine Maurerlehre, die er im September 1969 abschloss. Er zog sich zum Ende seiner Lehre im Januar 1969 einen Lendenwirbel-säulenbruch bei einem häuslichen Unfall zu, so dass die Gesellenprüfung von März 1969 auf September 1969 verschoben werden musste. Danach war er unter anderem bis 1973 als Verkaufsfahrer, von 1973 bis 1980 als Glaszuschneider und von 1980 bis 1983 und von 1993 und 1997 als Reetdachdecker versicherungspflichtig beschäftigt. Von 1983 bis 1990 war der Kläger als Großmarktarbeiter und von 1990 bis 1993 als Kommissionierer tätig. In den Jahren 1997 und 1998 erfolgte eine qualifizierte Umschulung zum Glas- und Gebäudereiniger. Bis März 2003 war er als Glas- und Gebäudereiniger tätig. Seit März 2003 ist der Kläger arbeitslos. Das Arbeitsverhältnis wurde von Firmenseite wegen Auftragsmangels gekündigt.

Am 09.01.2004 beantragte der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung. Daraufhin wurde von der Beklagten am 03.02.2004 ein chirurgisches Gutachten durch Dr. F. erstellt. Dieser stellte Halswirbelsäulen (HWS) -Beschwerden bei guter Beweglichkeit ohne sensomotorische Störungen und unter Ausschluss eines Bandscheibenvorfalls im HWS-Bereich fest. Der Sachverständige diagnostizierte weiter Kreuzschmerzen, rezividierende Lumbalgien bei guter Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule, einen Ausfall des Achillessehnenreflexes links bei ansonsten unauffälligem neurologischem Befund. Röntgenologisch wurden degenerative Veränderungen von Brust- und Lendenwirbelsäule festgestellt. Dieser Zustand beruhe auf einer Fraktur des ersten Lendenwirbelkörpers aufgrund eines häuslichen Sturzes im Jahre 1969. Zudem wurden Fettstoffwechselstörungen mit deutlich pathologischen Werten, ein unzureichend eingestellter Diabetes mellitus und ein postthrombotisches Syndrom rechts benannt. Dr. F. erachtete den Kläger noch für in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Arbeitshaltung, ohne ständiges oder häufiges Bücken und ohne Absturzgefahr täglich sechs Stunden und mehr zu verrichten. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger in dem zuletzt ausgeübten Beruf als Glas- und Gebäudereiniger nicht mehr arbeiten könne.

Mit Bescheid vom 04.03.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit der Begründung ab, dass der Kläger zwar den Beruf als Glas- und Gebäudereiniger nicht mehr ausüben könne, jedoch sei der Kläger in der Lage, eine zumutbare Verweisungstätigkeit als Hausmeister, als Arzneimittelausfahrer, als Kassierer an Großtankstellen oder als Textilreiniger im Umfang von mindestens sechs Stunden zu verrichten.

Mit Schriftsatz vom 11.03.2004 legte der Kläger Widerspruch ein und wies unter anderem darauf hin, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben könne und ebenso keine andere Tätigkeit, bei der man sich bücken müsse.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger sei zwar in seinem Beruf als Glas- und Gebäudereiniger, der dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen sei, berufsunfähig, er könne jedoch auf die im Ausgangsbescheid genannten Tätigkeiten sozial zumutbar verwiesen werden.

Mit seiner am 15.12.2005 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren hinsichtlich der Gewährung einer unbefristeten teilweisen Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit weiter. Zur Begründung verweist der Kläger sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 04.03.2004 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 12.12.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine unbefristete teilweise Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit ab Antragstellung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt die Beklagte Bezug auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt ihrer Verwaltungsakten.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen. Weiter hat das Gericht im Laufe des Verfahrens verschiedene Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers eingeholt. Ferner ist seitens des Gerichts Beweis erhoben worden durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. E ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 04.09.2006 beim Kläger wiederholt auftretende Muskelreizerscheinungen der HWS und der Lendenwirbelsäule ohne nennenswerte Funktionseinschränkungen festgestellt. Weiterhin hat er geringe Verschleißumformungen der HWS mit Osteochondrose, Spondylose, Spondylarthrose und Unkarthrose diagnostiziert. Hinsichtlich der Lendenwirbelsäule hat der Sachverständige eine Höhenminderung und Keilwirbelbildung und daraus resultierender Buckelbildung und einen verheilten Bruch des 1. Lendenwirbelkörpers mit begleitenden Verschleißumformungen sowie eine deutliche Osteochondrose im Segment L5/S1 genannt. Zudem hat Dr. E. einen diät- und tablettenpflichtiger Diabetes mellitus und eine Umfangsvermehrung des rechten Beines nach stattgehabter Thrombose festgestellt.

Dr. E. kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Kläger in der Lage sei, leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung zu verrichten. Hierbei seien überwiegend sitzende Tätigkeiten mit gelegentlichem Aufstehen möglich. Es sollten keine überwiegenden Hebe-, Trage- oder Bückbelastungen wegen der Lendenwirbelsäulenveränderungen mehr durchgeführt werden. Die Tätigkeit sei auf ebener Erde zu verrichten. Wegen der Wirbelsäulenproblematik sollten Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an anderen gefährdenden Arbeitsplätzen ausgeschlossen werden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 22.09.2006 hat Dr. E. sein Gutachten erläutert. Weiter hat die Kammer in dem Termin Beweis erhoben durch Vernehmung des berufskundigen Sachverständigen M. von der Agentur für Arbeit zum Beweisthema, welche Verweisungstätigkeiten für den Kläger in Betracht kommen können. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Verhandlung verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung der Kammer.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Der Kläger hat die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt und ist berufsunfähig.

Nach § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auf Antrag Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise erwerbsgemindert sind und 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung besteht nach § 240 Abs. 1 SGB VI auch für Versicherte bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie

1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und 2. berufsunfähig sind.

Der Kläger ist vor dem 02.01.1961 geboren und, wie die Aufklärung des Sachverhaltes im gerichtlichen Verfahren ergeben hat, berufsunfähig. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf des Versicherten (BSGE 55, 45; BSG, 22. Juni 1988 Az.: 1 RA 13/87). Darunter ist im Allgemeinen diejenige versicherungspflichtige Beschäftigung zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, d. h. mit dem Ziel verrichtet worden ist, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben. In der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn sie die qualitativ höchste ist (BSG, 20.07.2005 - B 13 RJ 29/04 R in juris). Ausgehend vom bisherigen Beruf bestimmt sich, welche Verweisungstätigkeiten als zumutbar in Betracht kommen.

Bisheriger Beruf des Klägers ist nach Maßgabe dieser Grundsätze die Tätigkeit eines Glas- und Gebäudereinigers. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Eine solche Tätigkeit kann der Kläger nach den Feststellungen der Kammer nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Nach den Ausführungen des gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen Dr. E. ist der Kläger nur noch in der Lage, leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten ebenerdig in wechselnder Körperhaltung im Gehen, Stehen und Sitzen, zu verrichten. Es können hierbei keine Tätigkeiten mit Hebe-, Trage- oder Bückbelastungen ausgeführt werden. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sind ausgeschlossen. Diesen schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen schließt sich die Kammer insoweit an.

Der Kläger ist auch nicht sozial zumutbar verweisbar. Es gibt keine andere Tätigkeit, die ihm sozial zumutbar und für die er sowohl gesundheitlich als auch fachlich geeignet ist. Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt (vgl. dazu BSG, 24. April 1997, 13 RJ 59/96 in juris).

Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von 3 Monaten bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert. Die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der von einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 240 Abs.2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung, bisheriger Beruf, besondere Anforderung der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird. Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrige Gruppe verwiesen werden (st. Rechtspr. BSG, 20.07.2005 – B 13 RJ 19/04 R in juris).

In Anwendung dieser Kriterien genießt der Kläger Berufsschutz als Facharbeiter. Er hat eine zweijährige qualifizierte Umschulung zum Glas- und Gebäudereiniger absolviert, die einer (dreijährigen) Ausbildung in diesem Bereich gleich kommt. Auch dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Kläger ist daher sozial zumutbar nur auf den oberen Bereich der Stufe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters als der nächstniedrigere Stufe verweisbar.

Dem Kläger kann eine zumutbare Verweisungstätigkeit nicht genannt werden. Zumutbare Verweisungstätigkeiten zumindest auf – oberer Anlernebene stehen nach den ausführlichen und schlüssigen und für die Kammer überzeugenden Darlegungen des berufskundigen Sachverständigen M. nicht zur Verfügung. Auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten können solche Verweisungstätigkeiten nicht festgestellt werden. Im Einzelnen ergibt sich:

1. Die Tätigkeit als Hausmeister scheidet als zumutbare Verweisungstätigkeit wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers aus. Für eine Tätigkeit als Hausmeister müsste der Kläger, wenn auch nur gelegentlich, auf Leitern und Gerüsten arbeiten. Dies ist ihm aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht möglich. Da vom Kläger medizinisch lediglich ebenerdiges Arbeiten verlangt werden kann, ist er nicht fähig, diesen Beruf auszuüben.

2. Ebenso scheidet die Tätigkeit als Kassierer an Groß- und Selbstbedienungs-tankstellen aus. Der Kläger erfüllt zwar die körperlichen Anforderungen eines Kassierers an solchen Tankstellen. Der Kläger kann noch leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten, die ebenerdig in wechselnder Körperhaltung im Gehen, Stehen und Sitzen zu verrichten sind. Für diesen Beruf ist jedoch, aufgrund des immer größer werdenden Warenangebots, die Ausbildung des Kaufmannes im Einzelhandel/Tankstelle erforderlich.

Hierzu gibt es eine qualifizierte dreijährige Ausbildung um das Vollbild des Kaufmannes im Einzelhandel/Tankstelle zu erreichen.

Die Verweisung auf reine Kassierertätigkeit an Selbstbedienungstankstellen, die neben dem reinen Kassieren mit Verrichtungen wie Befüllung des Warenraumes und Reinigungsarbeiten einhergehen kann, ist dem Kläger als Facharbeiter nicht zumutbar. Hier wird nicht der Bereich des oberen Angelernten erreicht, sondern allenfalls der Bereich des unteren Angelernten. Die Tätigkeit ist regelmäßig der Berufsgruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen ist, denn diese Tätigkeiten erfordern keine betriebliche Ausbildung von mindestens drei Monaten. Einem Facharbeiter sind nur Tätigkeiten eines "qualifizierten" Kassierers, der mit zusätzlichen Aufgaben, wie Reparaturannahme, Telefondienst und Warendisposition zu tun hat, sozial zumutbar (vgl. LSG Rheinland-Pfalz 02.04.2004 - L 2 RI 270/01; allgemein BSG, 09.09.1986 – 5b RJ 50/84 beide in juris). Da der Kläger über keinerlei entsprechende Vorkenntnisse verfügt, kann er solche qualifizierten Tätigkeiten nicht innerhalb von 3 Monaten erlernen.

3. Eine Verweisung auf die Tätigkeit als Textilreiniger kommt aufgrund des medizinischen Leistungsvermögens des Klägers nicht in Betracht. Wie der berufskundige Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, beinhaltet diese Tätigkeit schwere Arbeiten mit Hebe- und Tragelasten über 15 kg, und eine Einarbeitung innerhalb von drei Monaten ist nicht möglich.

4. Eine Verweisung des Klägers auf die Tätigkeit eines Verkäufers in Baumärkten oder im Baustoffhandel scheidet ebenso aus. Auch hier ist die Einarbeitung innerhalb von drei Monaten nicht möglich. Die qualifizierte Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bedarf einer Zeit von drei Jahren. Für die Ausbildung zum Fachverkäufer im Einzelhandel werden zwei Jahre veranschlagt. Das erforderliche Niveau dieses Berufsbildes als qualifizierter Verkäufer im Baustoffhandel oder in Baumärkten kann der Kläger mangels einschlägiger Vorkenntnisse im kaufmännischen Bereich nicht innerhalb von drei Monaten erlangen. Eine Verweisung auf eine "einfache" Verkäufertätigkeit ist dem Kläger nicht sozial zumutbar, weil sie nicht dem Niveau des oberen Angelernten zuzuordnen ist.

5. Der "Beruf des Arzneimittelauslieferers" scheidet ebenfalls als Verweisungs-tätigkeit für den Kläger als Facharbeiter aus. Für diesen, von der Beklagten genannten "Beruf" gelten prinzipiell die Ausführungen zum Kassierer an Tankstellen entsprechend. Die "einfache" Auslieferungstätigkeit, die die Beklagte bei ihren Verweisungen (wohl) meint, ist keine sozial zumutbare Tätigkeit für einen Facharbeiter.

Sozial zumutbar ist auch nicht eine Verweisung auf das Berufsbild des so genannten Servicefahrers. Der Kläger kann die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht innerhalb einer Einarbeitungszeit von 3 Monaten erlernen. Dieser "neue Beruf" wurde durch die Verordnung über die Berufsausbildung zum Servicefahrer/zur Servicefahrerin vom 22.03.2005 (BGBl. I S. 887) als Ausbildung eingeführt. Diese Ausbildung dauert zwei Jahre. Die wesentlichen Ausbildungsinhalte sind unter anderem das Erlernen von:

• Terminabsprachen mit Kunden, • Auftragsannahme, • Tourenplanung, • Vorschriften, die beim Be- und Entladen des Fahrzeuges beachtet werden müssen, je nach Branche, • Aufstellung und Wartung von Geräten, Befüllen von Geräten bzw. Belieferung der Kunden, • Warenbestände und Warenzustand prüfen, die Fehlbestände ergänzen und ggf. abgelaufene Ware zurückführen, • Kassenführung, • Führung von Verkaufsgesprächen, • Verkehrs und Betriebssicherheit des Fahrzeuges kontrollieren, • sämtliche Dokumentationen, • Kennen lernen der Organisation des Ausbildungsbetriebes.

Ohne Vorkenntnisse ist der Kläger nach Auffassung der Kammer nicht in der Lage, diese Ausbildungsinhalte innerhalb von 3 Monaten voll wettbewerbsfähig zu erlernen. Der Kläger hat die Gesellenprüfung zum Maurer bestanden und wurde erfolgreich zum Glas- und Gebäudereiniger umgeschult. Er besitzt damit keinerlei Vorkenntnisse, die ihn befähigen würden, die Ausbildungsinhalte in diesem Bereich "Logistik und Verkehr" zu verkürzen und schneller als "normale" Auszubildende die erforderlichen Inhalte zu erlernen, um die Abschlussprüfung zu bestehen.

Für die Kammer ist es insoweit nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte einen (handwerklichen) Facharbeiter entweder auf ungelernte oder angelernte Tätigkeiten des unteren Bereiches ("einfacher" Auslieferungsfahrer – Post– und Kurierfahrer) verweisen kann. Dies gilt im gleichen Maße für den Beruf des qualifizierten Servicefahrers, wenn die Versicherten keine besonderen Vorkenntnisse haben.

Aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen des Klägers, die es nur zulassen, leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung zu verrichten, ist der Beruf des Servicefahrers vorliegend ohnehin eine ungeeignete Verweisungstätigkeit, denn Servicefahrer müssen auch schwere Waren (z.B. Möbelstücke) anliefern und/oder abholen (s. www.berufenet.de Stichwort: Servicefahrer).

Die Kammer ist weiter der Meinung, dass auch schon die Tatsache, dass die Ausbildung zum Servicefahrer zwei Jahre dauert, nicht erkennen lässt, wie der Kläger das geforderte Berufsniveau innerhalb von drei Monaten erreichen soll. Auch erscheint es unter dem Gesichtspunkt problematisch, den Beruf des Servicefahrers tatsächlich als Verweisungstätigkeit zu benennen, wenn beispielsweise eine Logistikfirma angeben würde, bestimmte Qualitätsstandards (z.B. nach ISO 9000ff) zu erfüllen, indem sie damit wirbt, nur qualifiziert ausgebildete "Servicefahrer" zu beschäftigen.

Eine solche Firma würde wohl kaum einen Handwerker einstellen, der auf den Beruf des Servicefahrers verwiesen wurde und eine 3 monatige Kurzausbildung hierfür durchlaufen hätte. Der Kläger kann aus den genannten Gründen auch nicht dem Beruf des Servicefahrers verwiesen werden.

Die Rente ist nach § 102 Abs. 2 S. 4 SGB VI unbefristet zu gewähren, weil es nach den schlüssigen Ausführungen von Dr. E. medizinisch unwahrscheinlich ist, dass sich die Erwerbsfähigkeit beim Kläger bessert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
Saved