Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KR 159/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 174/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 152/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB durch Beschluss als unzulässig verworfen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 01.09.2004 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte (dem Grunde nach) verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten einer Implantatbehandlung zu erstatten.
Die Beklagte gewährte der am 00.00.1957 geborenen und bei ihr krankenversicherten Klägerin im Jahr 1997 eine Versorgung mit fünf Implantaten sowie darauf aufbauendem Zahnersatz (Bescheide vom 02.06. und 03.07.1997). Am 02.11.2001 wurde bei der Klägerin aufgrund einer computertomographischen Untersuchung eine interforaminale Zyste im Unterkiefer diagnostiziert und am 21.11.2001 zusammen mit drei noch im Unterkiefer befindlichen Implantaten entfernt. Zugleich implantierte Dr. T, N, fünf neue Implantate.
Am 01.03.2002 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und beantragte - bezogen auf die Implantatversorgung der Jahre 1997 bis 2001 - die "Aussetzung der Verjährung". Später legte sie einen chirurgischen Implantatplan des Dr. T, N, ohne Datum, über 7.078,19 EUR sowie einen Behandlungsplan der Dres. X, N, über eine prothetische Zahnbehandlung, datierend vom 22.02.2002, über geschätzte 9.592,- EUR vor.
Durch Bescheid vom 26.03.2002 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die Versorgung mit Zahnimplantaten ab. Die Kosten der Suprakonstruktion könnten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften und nach Vorlage eines vertraglichen Heil- und Kostenplanes im gesetzlichen Umfang erstattet werden. Den dagegen am 04.02.2002 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 24.04.2002 zurück.
Die Klägerin hat am 22.05.2002 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben.
Sie hat die Auffassung vertreten, bei ihr liege eine Ausnahmeindikation i.S.d. Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Zahnbehandlungs-RL in der Fassung vom 24.10.1998, Bundesanzeiger Nr. 177) vor. Es habe sich in ihrem Fall um eine Zyste sowie Entzündungen i.S. dieser Richtlinien gehandelt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2002 zu verurteilen, die Kosten für die am 21.11.2001 durchgeführte Implantatversorgung zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass eine Ausnahmeindikation i.S.d. Zahnbehandlungs-RL nicht vorgelegen habe.
Das Sozialgericht hat ein Sachverständigengutachten des Zahnarztes Dr. I, N, eingeholt, in dem der Sachverständige unter dem 20.06.2003 u.a. ausgeführt hat: Vor der hier strittigen Implantatversorgung habe bei der Klägerin röntgenologisch eine Periimplantitis, eine extreme Knochenatrophie sowie eine interforaminale Zyste im Bereich der bestehenden Implantate vorgelegen. Seiner Ansicht nach habe eine Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung bestanden, nämlich ein größerer Kieferdefekt durch Operation einer Zyste sowie eine Periimplantitis mit Entzündung des Kiefers. Die gene-ralisierte Kieferkammatrophie sei insbesondere im Seitenzahnbereich so massiv gewesen, dass eine konventionelle prothetische Versorgung nicht mehr möglich gewesen sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 01.09.2004 hat der Sachverständige Dr. I ergänzend dargelegt, dass man bei der Beurteilung des Vorliegens eines größeren Kieferdefekts i.S.d. Zahnbehandlungs-RL berücksichtigen müsse, dass nicht nur die Zyste ausgeräumt und später entsprechendes Knochenmaterial nachgefüllt werden musste, sondern dass ein großer Teil der Kieferoberfläche zusätzlich habe abgetragen werden müssen.
Durch Urteil vom 01.09.2004 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, die Kosten für die am 21.11.2001 durchgeführte Implantatbehandlung zu übernehmen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihr am 27.09.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.10.2004 Berufung eingelegt.
Zur Begründung bringt sie vor: Implantologische Versorgungen dürften von den Krankenkassen nur bei seltenen Ausnahmeindikationen in besonders schweren Fällen erbracht werden, wenn sie im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgten. Letztere Voraussetzung schließe von vornherein Fallgestaltungen aus, in denen das Ziel der implantologischen Behandlung nicht über eine reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufunktion hinaus gehe. Das Vorliegen einer Ausnahmeindikation sei somit zu verneinen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 01.09.2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Dr. I am 03.03.2006 (erneut) als Sachverständigen gehört. Der Sachverständige hat dargelegt: Nach den vorliegenden Röntgenbildern sei durch die Ausräumung der Zyste der Kieferknochen noch weiter zurückgegangen. Das Ausmaß dieses Rückgangs könne aber nicht beurteilt werden. Hierzu bedürfe es besonderer Röntgenaufnahmen, die Hinweise auf den Größenmaßstab enthielten. Nach Vorlage von Röntgenaufnahmen von Seiten der Klägerin hat der Sachverständige Dr. I mit Schreiben vom 20.07.2006 mitgeteilt, dass auch nach Auswertung dieser Aufnahmen eine objektive und verlässliche Aussage über die Größe des Kieferdefektes nicht zu treffen sei.
Wegen der weiteren Einzeheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Bescheide der Beklagten vom 26.03.2002 und 24.04.2002 zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin (dem Grunde nach) die Kosten der am 21.11.2001 durchgeführten Implantatbehandlung zu erstatten.
Die Voraussetzungen für einen hier allein in Betracht kommenden Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind nicht erfüllt.
Dahingestellt bleiben kann, ob die Leistungen i.S.d. 1. Alternative dieser Vorschrift unaufschiebbar waren und ob die notwendige Kausalität zwischen der Ablehnung der Leistung durch die Beklagte und der Selbstbeschaffung der Leistung durch die Klägerin gegeben ist. Zweifel am Vorliegen einer unaufschiebbaren Leistung begründet die Tatsache, dass sich die Klägerin bereits mehrere Monate vor der Eingliederung der Implantate am 21.11.2001 in zahnärztlicher Behandlung befand, deren Ziel (zunächst) in einem Ersetzen der bereits vorhandenen Implantate bestand. Auch sind zwischen der Diagnose der Zyste am 02.11.2001 und der hier streitgegenständlichen Implantatversorgung knapp drei Wochen verstrichen, so dass auch insofern nicht recht verständlich erscheint, warum es der Klägerin nicht möglich gewesen sein sollte, sich zuvor mit der beklagten Krankenkasse in Verbindung zu setzen und dort die Versorgung mit Zahnimplantaten zu beantragen.
Ob die für die 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V erforderliche Kausalität zwischen der Ablehnung der Leistung durch die beklagte Krankenkasse und der Selbstbeschaffung der Implantatversorgung durch die Klägerin gegeben ist, erscheint deshalb fraglich, weil die Klägerin erst Monate nach der durchgeführten Implantatversorgung einen Antrag auf Kostenerstattung bei der Beklagten gestellt hat. Die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erforderliche Kausalität zwischen der Ablehnung der Leistung und der Beschaffung durch den Versicherten (vergl. insoweit z.B. BSG Urt. vom 22.03.2005, Az.: B 1 KR 3/04 R) ist damit offenkundig nicht gegeben. Ob dies tatsächlich deshalb - wie das Sozialgericht angenommen hat - unbeachtlich sein soll, weil die Beklag-te in der Vergangenheit mehrfach Kostenerstattungen an die Klägerin vorgenommen hat, obgleich auch in diesen Fällen die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V offenkundig nicht erfüllt waren, erscheint dem Senat zweifelhaft. Das Kausalitätserfordernis steht grundsätzlich nicht zur Disposition der Beklagten; es handelt sich um eine gesetzliche Voraussetzung, die für das Vorliegen eines Kostenerstattungsanspruchs erfüllt sein muss. Dies kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, weil - selbst wenn man vom Vorliegen der Kausalität ausgehen würde -, ein Anspruch auf Kostenerstattung nicht gegeben wäre.
Der Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V setzt nämlich weiter voraus, dass ein Anspruch auf die entsprechende Sachleistung bestanden hätte (vergl. dazu BSG Urt. vom 27.09.2005 Az.: B 1 KR 6/04 R). Die Voraussetzungen eines solchen Sachleistungsanspruchs auf Versorgung mit fünf Zahnimplantaten nebst Suprakonstruk-tion sind jedoch nicht gegeben.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V umfasst der (Primär-)Anspruch des Versicherten auf zahnärztliche Behandlung auch die Versorgung mit Zahnersatz. Weiter bestimmt § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in der ab 01.01.1997 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung vom 23.06.1997 (2. GKV-NOG, BGBl. I 15 20), dass implantologische Leistungen grundsätzlich nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören. Sie sind ausnahmsweise dann vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn seltene vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vorliegen, in denen die Krankenkasse diese Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Die Versorgung der Klägerin im Unterkiefer mit fünf Implantaten durch Dr. T am 21.11.2001 basiert nicht auf einer solchen Ausnahmeindikation.
Eine Ausnahmeindikation i.S.v. § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V liegt nach den Festlegungen des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen nur bei den in Kapitel B VII Nr. 29 Satz 4 der Zahnbehandlungs-RL aufgeführten Sachverhalten vor. Dazu gehören nur folgende Krankheiten:
a) größere Kiefer- oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursache haben in: Tumoroperationen, Entzündungen des Kiefers, Operationen infolge von großen Zysten, Operationen infolge von Osteopathien, angeborenen Fehlbildungen des Kiefers oder Unfällen,
b) dauerhaft bestehende extreme Mundtrockenheit (Xerostomie), insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung,
c) generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen,
d) nicht willentlich beeinflussbare muskuläre Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken).
Darüber hinaus darf eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sein (Richtlinien a.a.O. Satz 2).
Ein in den Zahnbehandlungs-RL umschriebener Fall lag bei der Klägerin nicht vor. In Betracht kommt hier lediglich die unter dem Buchstaben a) beschriebene Fallgestaltung. Es lässt sich schon nicht feststellen, ob bei der Klägerin ein größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt vorgelegen hat, der seine Ursache in Entzündungen oder in einer Operation infolge von großen Zysten gehabt hat.
Bei der Klägerin hat vor der hier streitgegenständlichen Implantatversorgung nach den Feststellungen des Sachverständigen I eine (massive) Kieferkammatrophie, eine Periimplantitis (Entzündung im Bereich der Implantate) sowie eine Zyste vorgelegen. In diesem Zusammenhang ist zunächst von Bedeutung, dass die Kieferkammatrophie für sich allein keinen Ausnahmefall i.S.d. Zahnbehandlungs-RL darstellt (vergl. dazu BSG Urt. vom 19.06.2001, Az.: B 1 KR 5/00 R; Urt. vom 03.09.2003 - Az.: B 1 KR 9/02 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 2). Der insoweit bei der Klägerin bestehende Kieferdefekt kann somit bei der Beurteilung der Frage, ob eine Ausnahmeindikation vorliegt, von vornherein nicht berücksichtigt werden.
Das Ausmaß des durch die Ausräumung der Zyste entstandenen weiteren Kieferdefekts lässt sich nach den insoweit überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen I im Berufungsverfahren, denen sich der Senat in vollem Umfang anschließt, nicht mehr ermitteln. Hierzu sind nach den Darlegungen des Sachverständigen besondere Röntgenaufnahmen erforderlich, die die Festlegung eines Größenmaßstabs enthalten. Derartige Aufnahmen, die im Zusammenhang mit der Behandlung der Klägerin im November 2001 angefertigt worden sein müssten, existieren nicht. Jedenfalls vermochte der Sachverständige auch nach Auswertung der von der Klägerin vorgelegten Röntgenaufnahmen keine verlässlichen Angaben dazu zu machen, in welchem Umfang der Kieferknochen durch die Ausräumung der Zyste (weiter) beeinträchtigt worden ist. Weitere Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, sind nicht vorhanden. Die Größe des durch die Zystenoperation ergebenden Kieferdefekts lässt sich demnach nicht bestimmen. Es kann somit nicht beurteilt werden, ob ein "größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt" i.S. der o.g. Ausnahmeindikation der Zahnbehandlungs-RL vorgelegen hat. Nach den allgemeinen Regeln über die Beweislast trägt die Klägerin den Nachteil der fehlenden Feststellbarkeit.
Außerdem hat hier aber auch keine Gesamtbehandlung i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V i.d.F. des 2. GKV-NOG stattgefunden. Das Erfordernis der Gesamtbehandlung bedeutet, dass das Ziel der implantologischen Behandlung des Zahnarztes auf mehr als nur die Wiederherstellung der Kaufähigkeit gerichtet sein muss. So ist es im Falle von großen Kiefer- und Gesichtsdefekten zunächst erforderlich, dass durch operative Maßnahmen der Defekt beseitigt oder aber zumindest gemildert wird, bevor im Rahmen einer weiteren (zahnärzt- lichen) Behandlung durch die implantologische Versorgung die Kaufähigkeit gewährleistet wird. Im Falle der Klägerin ist nach Ausräumung der Zyste zwar Knochenmaterial aufgefüllt worden; dies war aber zumindest auch erforderlich, um überhaupt Implantate einbringen zu können. Diese Maßnahme bezweckte aber somit nichts anderes, als lediglich die Voraussetzungen für die weitere Behandlung mit Implantaten zu schaffen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Aufbau des Kieferknochens durch besondere Maßnahmen im Falle der Kieferathrophie eine regelmäßig durchzuführende Behandlung darstellt, weil nur dadurch der hinreichende Halt der Implantate im Kieferknochen gewährleistet wird. Derartige Behandlungsmaßnahmen können deshalb nicht gemeinsam mit der sich anschließenden Implantatversorgung als Gesamtbehandlung i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V i.d.F. des 2. GKV-NOG qualifiziert werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte (dem Grunde nach) verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten einer Implantatbehandlung zu erstatten.
Die Beklagte gewährte der am 00.00.1957 geborenen und bei ihr krankenversicherten Klägerin im Jahr 1997 eine Versorgung mit fünf Implantaten sowie darauf aufbauendem Zahnersatz (Bescheide vom 02.06. und 03.07.1997). Am 02.11.2001 wurde bei der Klägerin aufgrund einer computertomographischen Untersuchung eine interforaminale Zyste im Unterkiefer diagnostiziert und am 21.11.2001 zusammen mit drei noch im Unterkiefer befindlichen Implantaten entfernt. Zugleich implantierte Dr. T, N, fünf neue Implantate.
Am 01.03.2002 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und beantragte - bezogen auf die Implantatversorgung der Jahre 1997 bis 2001 - die "Aussetzung der Verjährung". Später legte sie einen chirurgischen Implantatplan des Dr. T, N, ohne Datum, über 7.078,19 EUR sowie einen Behandlungsplan der Dres. X, N, über eine prothetische Zahnbehandlung, datierend vom 22.02.2002, über geschätzte 9.592,- EUR vor.
Durch Bescheid vom 26.03.2002 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die Versorgung mit Zahnimplantaten ab. Die Kosten der Suprakonstruktion könnten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften und nach Vorlage eines vertraglichen Heil- und Kostenplanes im gesetzlichen Umfang erstattet werden. Den dagegen am 04.02.2002 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 24.04.2002 zurück.
Die Klägerin hat am 22.05.2002 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben.
Sie hat die Auffassung vertreten, bei ihr liege eine Ausnahmeindikation i.S.d. Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Zahnbehandlungs-RL in der Fassung vom 24.10.1998, Bundesanzeiger Nr. 177) vor. Es habe sich in ihrem Fall um eine Zyste sowie Entzündungen i.S. dieser Richtlinien gehandelt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2002 zu verurteilen, die Kosten für die am 21.11.2001 durchgeführte Implantatversorgung zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass eine Ausnahmeindikation i.S.d. Zahnbehandlungs-RL nicht vorgelegen habe.
Das Sozialgericht hat ein Sachverständigengutachten des Zahnarztes Dr. I, N, eingeholt, in dem der Sachverständige unter dem 20.06.2003 u.a. ausgeführt hat: Vor der hier strittigen Implantatversorgung habe bei der Klägerin röntgenologisch eine Periimplantitis, eine extreme Knochenatrophie sowie eine interforaminale Zyste im Bereich der bestehenden Implantate vorgelegen. Seiner Ansicht nach habe eine Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung bestanden, nämlich ein größerer Kieferdefekt durch Operation einer Zyste sowie eine Periimplantitis mit Entzündung des Kiefers. Die gene-ralisierte Kieferkammatrophie sei insbesondere im Seitenzahnbereich so massiv gewesen, dass eine konventionelle prothetische Versorgung nicht mehr möglich gewesen sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 01.09.2004 hat der Sachverständige Dr. I ergänzend dargelegt, dass man bei der Beurteilung des Vorliegens eines größeren Kieferdefekts i.S.d. Zahnbehandlungs-RL berücksichtigen müsse, dass nicht nur die Zyste ausgeräumt und später entsprechendes Knochenmaterial nachgefüllt werden musste, sondern dass ein großer Teil der Kieferoberfläche zusätzlich habe abgetragen werden müssen.
Durch Urteil vom 01.09.2004 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, die Kosten für die am 21.11.2001 durchgeführte Implantatbehandlung zu übernehmen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihr am 27.09.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.10.2004 Berufung eingelegt.
Zur Begründung bringt sie vor: Implantologische Versorgungen dürften von den Krankenkassen nur bei seltenen Ausnahmeindikationen in besonders schweren Fällen erbracht werden, wenn sie im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgten. Letztere Voraussetzung schließe von vornherein Fallgestaltungen aus, in denen das Ziel der implantologischen Behandlung nicht über eine reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufunktion hinaus gehe. Das Vorliegen einer Ausnahmeindikation sei somit zu verneinen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 01.09.2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Dr. I am 03.03.2006 (erneut) als Sachverständigen gehört. Der Sachverständige hat dargelegt: Nach den vorliegenden Röntgenbildern sei durch die Ausräumung der Zyste der Kieferknochen noch weiter zurückgegangen. Das Ausmaß dieses Rückgangs könne aber nicht beurteilt werden. Hierzu bedürfe es besonderer Röntgenaufnahmen, die Hinweise auf den Größenmaßstab enthielten. Nach Vorlage von Röntgenaufnahmen von Seiten der Klägerin hat der Sachverständige Dr. I mit Schreiben vom 20.07.2006 mitgeteilt, dass auch nach Auswertung dieser Aufnahmen eine objektive und verlässliche Aussage über die Größe des Kieferdefektes nicht zu treffen sei.
Wegen der weiteren Einzeheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Bescheide der Beklagten vom 26.03.2002 und 24.04.2002 zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin (dem Grunde nach) die Kosten der am 21.11.2001 durchgeführten Implantatbehandlung zu erstatten.
Die Voraussetzungen für einen hier allein in Betracht kommenden Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind nicht erfüllt.
Dahingestellt bleiben kann, ob die Leistungen i.S.d. 1. Alternative dieser Vorschrift unaufschiebbar waren und ob die notwendige Kausalität zwischen der Ablehnung der Leistung durch die Beklagte und der Selbstbeschaffung der Leistung durch die Klägerin gegeben ist. Zweifel am Vorliegen einer unaufschiebbaren Leistung begründet die Tatsache, dass sich die Klägerin bereits mehrere Monate vor der Eingliederung der Implantate am 21.11.2001 in zahnärztlicher Behandlung befand, deren Ziel (zunächst) in einem Ersetzen der bereits vorhandenen Implantate bestand. Auch sind zwischen der Diagnose der Zyste am 02.11.2001 und der hier streitgegenständlichen Implantatversorgung knapp drei Wochen verstrichen, so dass auch insofern nicht recht verständlich erscheint, warum es der Klägerin nicht möglich gewesen sein sollte, sich zuvor mit der beklagten Krankenkasse in Verbindung zu setzen und dort die Versorgung mit Zahnimplantaten zu beantragen.
Ob die für die 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V erforderliche Kausalität zwischen der Ablehnung der Leistung durch die beklagte Krankenkasse und der Selbstbeschaffung der Implantatversorgung durch die Klägerin gegeben ist, erscheint deshalb fraglich, weil die Klägerin erst Monate nach der durchgeführten Implantatversorgung einen Antrag auf Kostenerstattung bei der Beklagten gestellt hat. Die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erforderliche Kausalität zwischen der Ablehnung der Leistung und der Beschaffung durch den Versicherten (vergl. insoweit z.B. BSG Urt. vom 22.03.2005, Az.: B 1 KR 3/04 R) ist damit offenkundig nicht gegeben. Ob dies tatsächlich deshalb - wie das Sozialgericht angenommen hat - unbeachtlich sein soll, weil die Beklag-te in der Vergangenheit mehrfach Kostenerstattungen an die Klägerin vorgenommen hat, obgleich auch in diesen Fällen die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V offenkundig nicht erfüllt waren, erscheint dem Senat zweifelhaft. Das Kausalitätserfordernis steht grundsätzlich nicht zur Disposition der Beklagten; es handelt sich um eine gesetzliche Voraussetzung, die für das Vorliegen eines Kostenerstattungsanspruchs erfüllt sein muss. Dies kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, weil - selbst wenn man vom Vorliegen der Kausalität ausgehen würde -, ein Anspruch auf Kostenerstattung nicht gegeben wäre.
Der Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V setzt nämlich weiter voraus, dass ein Anspruch auf die entsprechende Sachleistung bestanden hätte (vergl. dazu BSG Urt. vom 27.09.2005 Az.: B 1 KR 6/04 R). Die Voraussetzungen eines solchen Sachleistungsanspruchs auf Versorgung mit fünf Zahnimplantaten nebst Suprakonstruk-tion sind jedoch nicht gegeben.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V umfasst der (Primär-)Anspruch des Versicherten auf zahnärztliche Behandlung auch die Versorgung mit Zahnersatz. Weiter bestimmt § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in der ab 01.01.1997 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung vom 23.06.1997 (2. GKV-NOG, BGBl. I 15 20), dass implantologische Leistungen grundsätzlich nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören. Sie sind ausnahmsweise dann vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn seltene vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vorliegen, in denen die Krankenkasse diese Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Die Versorgung der Klägerin im Unterkiefer mit fünf Implantaten durch Dr. T am 21.11.2001 basiert nicht auf einer solchen Ausnahmeindikation.
Eine Ausnahmeindikation i.S.v. § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V liegt nach den Festlegungen des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen nur bei den in Kapitel B VII Nr. 29 Satz 4 der Zahnbehandlungs-RL aufgeführten Sachverhalten vor. Dazu gehören nur folgende Krankheiten:
a) größere Kiefer- oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursache haben in: Tumoroperationen, Entzündungen des Kiefers, Operationen infolge von großen Zysten, Operationen infolge von Osteopathien, angeborenen Fehlbildungen des Kiefers oder Unfällen,
b) dauerhaft bestehende extreme Mundtrockenheit (Xerostomie), insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung,
c) generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen,
d) nicht willentlich beeinflussbare muskuläre Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken).
Darüber hinaus darf eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sein (Richtlinien a.a.O. Satz 2).
Ein in den Zahnbehandlungs-RL umschriebener Fall lag bei der Klägerin nicht vor. In Betracht kommt hier lediglich die unter dem Buchstaben a) beschriebene Fallgestaltung. Es lässt sich schon nicht feststellen, ob bei der Klägerin ein größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt vorgelegen hat, der seine Ursache in Entzündungen oder in einer Operation infolge von großen Zysten gehabt hat.
Bei der Klägerin hat vor der hier streitgegenständlichen Implantatversorgung nach den Feststellungen des Sachverständigen I eine (massive) Kieferkammatrophie, eine Periimplantitis (Entzündung im Bereich der Implantate) sowie eine Zyste vorgelegen. In diesem Zusammenhang ist zunächst von Bedeutung, dass die Kieferkammatrophie für sich allein keinen Ausnahmefall i.S.d. Zahnbehandlungs-RL darstellt (vergl. dazu BSG Urt. vom 19.06.2001, Az.: B 1 KR 5/00 R; Urt. vom 03.09.2003 - Az.: B 1 KR 9/02 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 2). Der insoweit bei der Klägerin bestehende Kieferdefekt kann somit bei der Beurteilung der Frage, ob eine Ausnahmeindikation vorliegt, von vornherein nicht berücksichtigt werden.
Das Ausmaß des durch die Ausräumung der Zyste entstandenen weiteren Kieferdefekts lässt sich nach den insoweit überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen I im Berufungsverfahren, denen sich der Senat in vollem Umfang anschließt, nicht mehr ermitteln. Hierzu sind nach den Darlegungen des Sachverständigen besondere Röntgenaufnahmen erforderlich, die die Festlegung eines Größenmaßstabs enthalten. Derartige Aufnahmen, die im Zusammenhang mit der Behandlung der Klägerin im November 2001 angefertigt worden sein müssten, existieren nicht. Jedenfalls vermochte der Sachverständige auch nach Auswertung der von der Klägerin vorgelegten Röntgenaufnahmen keine verlässlichen Angaben dazu zu machen, in welchem Umfang der Kieferknochen durch die Ausräumung der Zyste (weiter) beeinträchtigt worden ist. Weitere Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, sind nicht vorhanden. Die Größe des durch die Zystenoperation ergebenden Kieferdefekts lässt sich demnach nicht bestimmen. Es kann somit nicht beurteilt werden, ob ein "größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt" i.S. der o.g. Ausnahmeindikation der Zahnbehandlungs-RL vorgelegen hat. Nach den allgemeinen Regeln über die Beweislast trägt die Klägerin den Nachteil der fehlenden Feststellbarkeit.
Außerdem hat hier aber auch keine Gesamtbehandlung i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V i.d.F. des 2. GKV-NOG stattgefunden. Das Erfordernis der Gesamtbehandlung bedeutet, dass das Ziel der implantologischen Behandlung des Zahnarztes auf mehr als nur die Wiederherstellung der Kaufähigkeit gerichtet sein muss. So ist es im Falle von großen Kiefer- und Gesichtsdefekten zunächst erforderlich, dass durch operative Maßnahmen der Defekt beseitigt oder aber zumindest gemildert wird, bevor im Rahmen einer weiteren (zahnärzt- lichen) Behandlung durch die implantologische Versorgung die Kaufähigkeit gewährleistet wird. Im Falle der Klägerin ist nach Ausräumung der Zyste zwar Knochenmaterial aufgefüllt worden; dies war aber zumindest auch erforderlich, um überhaupt Implantate einbringen zu können. Diese Maßnahme bezweckte aber somit nichts anderes, als lediglich die Voraussetzungen für die weitere Behandlung mit Implantaten zu schaffen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Aufbau des Kieferknochens durch besondere Maßnahmen im Falle der Kieferathrophie eine regelmäßig durchzuführende Behandlung darstellt, weil nur dadurch der hinreichende Halt der Implantate im Kieferknochen gewährleistet wird. Derartige Behandlungsmaßnahmen können deshalb nicht gemeinsam mit der sich anschließenden Implantatversorgung als Gesamtbehandlung i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V i.d.F. des 2. GKV-NOG qualifiziert werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved