L 3 AS 5359/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 3247/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 5359/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 16. Oktober 2006 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 14. August 2006 wird ab dem 1. Oktober 2006 angeordnet.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin (Ast.), der das Sozialgericht Heilbronn (SG) nicht abgeholfen hat (§ 173 SGG), ist, nachdem der Bevollmächtigte der Ast. seine Bevollmächtigung nachgewiesen hat, zulässig und begründet.

Die Antragsgegnerin (Agg.) hat der Ast. mit Bescheid vom 06.04.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.06.2006 bis zum 30.11.2006 in Höhe von monatlich 345,00 EUR bewilligt. Mit Bescheid vom 14.08.2006 hat sie die Bewilligung mit Wirkung vom 01.07.2006 aufgehoben. Hiergegen hat die Ast. am 06.09.2006 Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

Widerspruch und Anfechtungsklage haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG). Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch gem. § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), wonach Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung haben. Hierunter fällt auch die vorliegend gegebene Aufhebung einer Leistungsbewilligung.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand nur treffen, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt. Aufgrund dieses Vorrangs der Anfechtungssachen ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG nicht statthaft (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, Rn. 271).

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Der Antrag des Ast. ist deshalb dahingehend auszulegen, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ab dem 01.10.2006 beantragt ist. Die Ast. begehrt nämlich vorläufige Leistungen ab diesem Zeitpunkt in der mit Bescheid vom 06.04.2006 bewilligten Höhe.

Hinsichtlich der Begründetheit des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist eine Abwägung des öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug und des privaten Interesses an der aufschiebenden Wirkung vorzunehmen. Maßgebliche Gesichtspunkte sind hierbei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, die Gründe für die Eilbedürftigkeit, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie die Folgen des Vollzugs (Krodel, Rn. 230). Hierbei überwiegen bei der im Verfahren der einstweiligen Anordnung allein möglichen und zulässigen summarischen Prüfung der Sachlage die Gründe, die für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs sprechen.

Ein Erfolg in der Hauptsache ist wahrscheinlich. Die Ast. ist - unter Zugrundelegung ihrer persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse - hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II. Bis zur Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 01.07.2006 hat sie ihren Lebensunterhalt allein durch Leistungen der Antragsgegnerin (Agg.) bestritten. Sie hat zwar ausweislich ihrer Angaben in der Versicherung an Eides statt vom 21.09.2006 von ihrem Ehemann im Monat August einen Betrag von 870,- EUR als Unterhaltsbetrag und Benzingeld erhalten. Weitere Einkünfte und weiteres Vermögen hat die Ast. nicht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der ihr im August gewährte Unterhalt in den Monaten August und September zur Bestreitung des Lebensunterhalts verbraucht worden ist. Dies gilt umso mehr, als die Ast. monatliche Mietkosten in Höhe von 240,- EUR hat. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs war deshalb für die Zeit bis zum 30.09.2006 nicht anzuordnen.

Die Ast. ist zwar seit dem 14.06.2006 verheiratet. Zwischen ihr und ihrem Ehemann besteht jedoch keine Bedarfsgemeinschaft, weshalb Einkommen und Vermögen des Ehemannes nicht gem. § 9 Abs. 2 SGB II berücksichtigt werden dürfen.

Zur Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte. Nach § 1567 BGB leben die Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Gemeinschaft ablehnt. Der Begriff des dauernden Getrenntlebens wird danach durch den Zustand gekennzeichnet, dass die zum Wesen der Ehe gehörende Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Hierbei ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen, so dass eine bloß vorübergehende räumliche Trennung nicht zur Annahme eines dauernden Getrenntlebens führt (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rn. 26).

Für ein dauerndes Getrenntleben spricht vorliegend, dass die Ast. und ihr Ehegatte auch nach der Heirat weiterhin zwei getrennte Wohnungen bewohnen und die Ast. gewichtige Gründe dargelegt hat, die der Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann entgegenstehen. Nach Auffassung des Senats ist dies zwar nicht schon hinreichend durch die Angaben der Ast. belegt, wegen der unhygienischen Verhältnisse nicht zu ihrem Ehemann zu ziehen. Auch bestand nach der Eheschließung noch ein regelmäßiger Kontakt, indem die Klägerin ihren Ehemann drei mal wöchentlich besuchte.

Die Ast. hat jedoch glaubhaft vorgetragen, von ihrem Ehemann wegen eines Streites über die gemeinsame eheliche Wohnung dahingehend bedroht worden zu sein, er "stoße ihr ein Messer in den Ranzen", wenn sie nicht zu ihm ziehe. Der Entschluss, die Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft mit dem Ehegatten nicht mehr fortzuführen bzw. überhaupt herzustellen, ist danach ohne weiteres nachvollziehbar.

In Betracht kommt zwar, dass die Ast. einen Anspruch auf Unterhalt bei Getrenntleben gegen ihren Ehemann gem. § 1361 BGB hat. Solange dieser jedoch tatsächlich nicht gewährt wird, kann sie hierauf nicht zur Bestreitung ihres aktuellen Bedarfs verwiesen werden. Diesen Anspruch kann die Agg. gem. § 33 SGB II durch Anzeige an den Ehegatten der Ast. auf sich überleiten.

In Abwägung dieser Gesichtspunkte ist ein Erfolg der Ast. in der Hauptsache für die Zeit ab Oktober 2006 nicht unwahrscheinlich. Da die Ast. kein Einkommen erzielt und über kein Vermögen verfügt, um ihren aktuellen Lebensbedarf und damit ihre Existenzsicherung zu bestreiten, ist ihr auch ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar, da ihr ansonsten möglicherweise irreversible Nachteile drohen. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren soll nämlich dazu dienen, der Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren eine zukünftige oder gegenwärtige prozessuale Rechtsstellung vor zeitüberholenden Entwicklungen zu sichern.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bewirkt, dass die Agg. für den Zeitraum bis zum 30.11.2006 die bewilligte Leistung zu erbringen hat. Für die danach folgende Zeit hat die Ast. gegebenenfalls - bei weiter vorliegender Hilfebedürftigkeit - einen neuen Antrag zu stellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Zwar wurde die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs erst ab dem 01.10.2006 angeordnet. Dies entspricht jedoch auch dem Antrag der Ast., der auf die Gewährung von Leistungen ab diesem Zeitpunkt gerichtet war.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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