L 13 AS 3096/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 1590/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 3096/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2006 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird in vollem Umfang abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Beklagten, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig und sachlich begründet.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Kläger die vorläufige Gewährung von ihm durch die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter C. alle zwei Wochen entstehenden Fahrkosten und zusätzlicher Lebenshaltungskosten begehrt hat, zu Unrecht im tenorierten Umfang entsprochen. Für die begehrte Regelungsanordnung (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) hat der Kläger keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn der Kläger gehört ungeachtet des bisherigen Bezugs von Arbeitslosengeld II (Alg II) nicht zu den nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Leistungsberechtigten.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Zwar erfüllt der Kläger das in dieser Bestimmung genannte Alterserfordernis; er ist auch erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist derzeit jedoch seine Hilfebedürftigkeit zu verneinen. Denn er lebt mit K. B. in eheähnlicher Gemeinschaft (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b SGB II in der bis 31. Juli 2006 geltenden Fassung), wobei seit 1. August 2006 § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II und § 7 Abs. 3 a SGB II jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706) diesen Begriff umschreiben und konkretisieren. Beide bilden damit eine Bedarfsgemeinschaft mit der Folge, dass jeweils das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen ist (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II); denn hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II nur, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigten Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Für die Zeit bis 31. Juli 2006 ist der Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft durch die Rechtsprechung ausgeformt worden. Darunter wurde eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft im Sinn einer über eine bloße Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehende Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft verstanden (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in BVerfGE 87, 234, 264 f., Beschluss vom 2. September 2004 - 1 BvR 1962/04 - veröffentlicht in Juris, Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in BVerwGE 98, 195, 199; Bundessozialgericht (BSG) in BSGE 90, 90, 98 f.); die auf Dauer angelegte Verbindung zweier Personen unterschiedlichen Geschlechts muss daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulassen und sich durch innere Bindungen auszeichnen, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner in den Not- und Wechselfällen des Lebens begründen. Maßgebend ist grundsätzlich die Gesamtheit der feststellbaren (äußeren) Tatsachen, die einen Rückschluss auf das Bestehen einer solchen Gemeinschaft zulassen. Bei der Beurteilung, ob eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, gilt vor allem die Dauer des Zusammenlebens als gewichtigste Hinweistatsache (BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 1999 - 5 B 114/98 - veröffentlicht in Juris; BSGE 90, 90, 102). Dies gilt jedenfalls dann, wenn zwischen den Partnern nicht nur eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft besteht, sondern die Partner sich in gegenseitiger Zuneigung und Liebe verbunden fühlen. Der Senat hat dabei eine die Dauerhaftigkeit und Kontinuität belegende Verfestigung einer Gemeinschaft grundsätzlich erst bei einem Zusammenleben von mindestens einem Jahr angenommen (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Dezember 2005 - L 13 AS 5471/05 ER-B - veröffentlicht in Juris). Für die Zeit ab 1. August 2006 bezeichnet als zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen lebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen. Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen, wird nach § 7 Abs. 3 a SGB II vermutet, wenn Partner 1. länger als ein Jahr zusammen leben, 2. mit einem gemeinsamen Kind zusammen leben, 3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder 4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Nur beim Vorliegen eines dieser Kriterien, erst recht mehrerer dieser in § 7 Abs. 3 a SGB II abschließend aufgeführten Sachverhalte (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende BT-Drs 16/1410 S. 19 zu Nr. 7 Buchst. b) wird also vermutet, dass die Partner den wechselseitigen Willen haben, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen. Diese Vermutung kann jedoch vom Betroffenen widerlegt werden, indem er darlegt und nachweist, dass keiner der in § 7 Abs. 3 a SGB II aufgeführten Sachverhalte vorliegt oder die Vermutung durch andere Umstände entkräftet wird (vgl. Gesetzentwurf BT-Drs 16/1410 a.a.O.).

Im zu entscheidenden Fall leben der Kläger und K. B. nach dem bisherigen Gesamtergebnis des Verfahrens in einer über eine bloße Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehenden Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Beide leben seit Oktober 2004 zusammen und wirtschaften gemeinsam. Die die Gemeinschaft betreffenden Ausgaben werden gemeinsam von einem Konto von K. B. bestritten, dem auch die Einnahmen, darunter das Arbeitslosengeld II (Alg II) und die Versorgungsbezüge der Kontoinhaberin gutgeschrieben werden. Die Wohnung, in der der Kläger und K. B. wohnen, wird beiden von der Mutter der Partnerin mietfrei zur Verfügung gestellt; das Paar hat lediglich die Nebenkosten zu tragen. Der Kläger und K. B. sind sich durch gegenseitige Zuneigung verbunden. Dass zwischen beiden eine sich durch innere Bindungen auszeichnende, verfestigte und von gegenseitiger Zuneigung getragene Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliegt, zeigt sich schon daran, dass K. B. es bisher übernommen hatte, die Tochter des Klägers zur Wahrnehmung des dem Kläger zustehenden Umgangsrechts mit ihrem Pkw von F. nach B. und zurück zu fahren und diese während der Wochenenden von Freitag bis Sonntag im gemeinsamen Haushalt mitzuversorgen. Angesichts des schon zwei Jahre währenden und sich nicht auf eine bloße Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft beschränkenden partnerschaftlichen Zusammenlebens müssen besonders überzeugende Anhaltspunkte vorliegen, um eine eheähnliche Gemeinschaft verneinen zu können. Nach dem ab 1. August 2006 geltenden § 7 Abs. 3 a SGB II wird bereits bei einem Zusammenleben von mehr als einem Jahr der wechselseitige Wille, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen, vermutet. Ob dadurch, dass die Tochter des Klägers alle zwei Wochen am Wochenende im Haushalt versorgt wurde, der weitere Vermutungstatbestand des § 7 Abs. 3 a Nr. 3 SGB II erfüllt ist, kann offen bleiben. Denn weder sind für die Zeit bis 31. Juli 2006 besonders überzeugende und gegen eine eheähnliche Gemeinschaft sprechende Anhaltspunkte gegeben noch ist für die Zeit ab 1. August 2006 die gesetzliche Vermutung widerlegt. Allein der behauptete Umstand, dass dem Kläger keine Verfügungsbefugnis über Einkommen und Vermögen der Partnerin eingeräumt ist, führt nicht zur Verneinung einer eheähnlichen Gemeinschaft. Denn eine solche wechselseitige Verfügungsbefugnis besteht auch bei vielen Ehepaaren, die Wert auf getrennte Kassen legen, nicht. Die mithin vorzunehmende Einkommensanrechnung hat folgendes Ergebnis: Die Partnerin des Klägers verfügt über monatliche Bruttoversorgungsbezüge von mindestens 1.225,81 EUR (Stand Juli 2005). Hiervon sind abzusetzen Steuern (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) in Höhe von 25,46 EUR monatlich sowie Beiträge zur privaten Krankenversicherung und Pflegeversicherung (§ 11 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a SGB II) in Höhe von 145,06 EUR; außerdem der Beitrag zur gesetzlich vorgeschriebenen Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 11 Abs. 2 Nr. 4 1. Halbsatz SGB II) mit monatlich 18,86 EUR und die Versicherungspauschale mit 30 EUR (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-Verordnung). Behauptet und belegt sind ferner monatliche Mieteinnahmen in Höhe von 86 EUR netto (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II; Wohnung Nr. 47 in F.) sowie Negativeinkünfte aus der Eigentümergemeinschaft R.straße 14 in B.-R. mit 164,56 EUR monatlich. Ohne die nicht berücksichtigten Guthabenszinsen einschließlich Dividenden aus den K. B. gehörenden Sparbüchern, dem Bausparvertrag und den Aktien ergibt sich damit bereits ein Einkommen von monatlich 927,87 EUR. Der Bedarf beträgt 622 EUR monatlich (vgl. § 20 Abs. 3 SGB II) sowie für Heizung und Nebenkosten der Wohnung, soweit nicht bereits in der Regelleistung enthalten, 157,50 EUR (vgl. Bewilligungsbescheid des Landkreises Karlsruhe vom 10. Februar 2006); selbst unter Einschluss der vom Sozialgericht zuerkannten monatlichen Fahrkosten in Höhe von 100 EUR beträgt der Bedarf lediglich 879,50 EUR monatlich. Das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft übersteigt mithin den Bedarf, so dass Hilfebedürftigkeit zu verneinen ist. Auch wenn die elf Jahre alte Tochter während der monatlich zweimaligen Aufenthalte beim Kläger in die Bedarfsgemeinschaft mit einzubeziehen wäre (vgl. das noch nicht im Langtext vorliegende Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R -), könnte sich je Anwesenheitstag in der Person der Tochter, ihre Hilfebedürftigkeit unterstellt, allenfalls ein Bedarf von 6,90 EUR (vgl. § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB II), bei sechs Tagen also 41,40 EUR, unter Zugrundelegung des vom Sozialgericht zuerkannten Bedarfs von 3,50 EUR täglich also von 21 EUR monatlich ergeben. Der Senat kann deshalb offenlassen, ob und in welchem Umfang das Immoblienvermögen von K. B. eine Hilfebedürftigkeit ausschließen würde.

Neben dem fehlenden Anordnungsanspruch verneint der Senat auch die Dringlichkeit und Eilbedürftigkeit des erhobenen Anspruchs. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger - so die telefonische Auskunft der Beklagten - die einstweilige Anordnung bislang nicht vollstreckt hat. Dies lässt nur den Schluss zu, dass es ihm zuzumuten ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten und ihm deshalb keine nicht wieder gutzumachenden Nachteile entstehen. Wegen der Untätigkeit des Klägers ist auch die nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend anwendbare Vorschrift des § 929 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) verstrichen. Nach dieser Bestimmung ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem die Anordnung den Beteiligten, auf dessen Gesuch sie erging, zugestellt wurde, ein Monat verstrichen ist. Ist diese Frist versäumt, ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung unwirksam und damit unzulässig (vgl. Bundesgerichtshof (BGH) in BGHZ 112, 356, 360 f.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Januar 2006 - L 7 SO 4891/05 ER-B - m.w.N.); für den beantragten vorläufigen Rechtsschutz fehlt, was auch im Beschwerdeverfahren nicht außer Acht gelassen werden darf (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Januar 2006 - L 7 SO 4891/05 ER-B - m.w.N.), dann das Rechtsschutzbedürfnis. Der angegriffene Beschluss ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29. Mai 2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden, so dass die Vollziehungsfrist am 29. Juni 2006 abgelaufen ist, ohne dass der Kläger bis dahin tätig geworden ist. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 67 SGG) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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