S 4 KR 191/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 191/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Abzweigung von Krankengeld.

Die Ehe des am 00.00.1965 geborenen Klägers wurde am 07.02.2003 rechtskräftig geschieden. Der Kläger war zum Unterhalt seiner drei Kinder, geboren am 00.00.1986, 00.00.1989 und 00.00.1993 verpflichtet.

Während des ungekündigten Beschäftigungsverhältnisses wurde er am 13.02.2003 arbeitsunfähig und erhielt von der Beklagten Krankengeld in Höhe von netto 46,18 Euro pro Tag bzw. 1.385,40 Euro pro Monat und brutto 53,61 Euro pro Tag bzw. 1.608,30 Euro pro Monat.

Da der Kläger seit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit den geschuldeten Unterhalt nicht zahlte, gewährte die beigeladene Stadt S den Kindern des Klägers Sozialhilfeleistungen, und zwar in Höhe von 343,37 Euro (K1, geb. am 00.00.1986) und jeweils 269,37 Euro an die beiden anderen Kindern (J2 und J3). Außerdem gewährte die Beigeladene der geschiedenen Ehefrau des Klägers Unterhalt in Höhe von 42,74 Euro pro Monat.

Mit Schreiben vom 14.02.2003 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten die Abzweigung von Krankengeld zur teilweisen Deckung der kraft Gesetzes übergegangenen Unterhaltsansprüche.

Mit Bescheid vom 26.02.2003 teilte die Beklagte der Beigeladenen mit, dass von dem Nettokrankengeld in Höhe von 1.385,40 Euro monatlich ein Betrag von 546,88 Euro abgezweigt würde; die Beklagte gehe von einem Selbstbehalt des Klägers von monatlich 838,52 Euro aus.

Dagegen hat die Beigeladene am 05.02.2003 Widerspruch erhoben. Es sei der Selbstbehalt für einen nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen nach Abschnitt A Nr. 5 der Düsseldorfer Tabelle in Höhe von 730,00 Euro zu Grunde zu legen. Der Kläger gehe auf Grund seiner Erkrankung derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach. Es sei daher von einem Selbsthalt in Höhe von 730,00 Euro auszugehen.

Mit Schreiben vom 06.03.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Beigeladene eine höhere Abzweigung unter Berücksichtigung eines niedrigeren Selbstbehaltes in Höhe von 730,00 Euro geltend mache.

Mit Bescheid vom 02.04.2003 gerichtet an die Beigeladene setzte die Beklagte einen Abzweigungsbetrag von 655,50 Euro bei einem Selbstbehalt von 730,00 Euro fest. Dem Kläger wurde der Bescheid nicht bekanntgegeben.

In der Folgezeit wurde das um monatlich 655,50 Euro gekürzte Krankengeld an den Kläger ausgezahlt.

Am 17.06.2003 erhob der Kläger gegen die tatsächlich vorgenommene Kürzung der Krankengeldauszahlung Widerspruch. Ihm stehe der Selbstbehalt als "Erwerbstätiger" zu: Es bestehe ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis und das Krankengeld hätte lediglich Entgeltersatzfunktion. Maßgeblich sei daher der Selbstbehalt eines Erwerbstätigen in Höhe von 840,00 Euro.

Mit Schreiben vom 18.06.2003 teilte die Beklagte mit, dass die Abzweigung vorläufig eingestellt werde.

Den vom Kläger erhobenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2003 als unbegründet zurück. Der Kläger gehe als Arbeitsunfähiger keiner Erwerbstätigkeit nach. Ihm entstünden während der Arbeitsunfähigkeit nicht die gleichen Kosten, die entstehen würden, wenn die Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt würde. Auch bei ungekündigtem Arbeitsverhältnis bedürfe es des höheren Selbstbehaltes nicht als Anreiz, um eine Arbeitsstelle zu erhalten oder zu erlangen. Es sei also gerechtfertigt, den reduzierten Eigenbedarf, den die Düsseldorfer Tabelle für den nicht Erwerbstätigen vorsehe, während des Krankengeldbezuges anzuwenden.

Dagegen hat der Kläger am 13.10.2003 Klage erhoben. Die in der Düsseldorfer Tabelle vorgenommene Differenzierung sei nach dem Verständnis des Klägers alleine dadurch begründet, dass dem grundsätzlich Arbeitsfähigen, aber dennoch nicht Erwerbstätigen - mit anderen Worten dem Arbeitslosen - ein Anreiz gegeben werden solle, sich nach Kräften um die Erlangung einer neuen Arbeitsstelle zu bemühen. Eines solchen Leistungsanreizes bedürfe es aber dann gerade nicht, wenn der betroffene Unterhaltspflichtige noch eine Arbeitsstelle habe und allein aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig sei. Auch die im Widerspruchsbescheid angegebene Begründung, der Erwerbslose habe geringere Kosten als der Erwerbstätige treffe auf den Arbeitsunfähigen bei bestehendem Arbeitsverhältnis nicht zu. Die Fixkosten blieben gleich, darüber hinaus entstünden auf Grund der notwendigen regelmäßigen Behandlungsmaßnahmen erhebliche Zusatzkosten, die das Maß der ansonsten üblicherweise anfallenden berufsbedingten Aufwendungen zumindest erreichten, eher überstiegen. Im Ergebnis sei zu differenzieren, ob das Krankengeld während eines noch bestehenden Beschäftigungsverhältnis oder während Arbeitslosigkeit bezahlt werde. Bei noch bestehendem Beschäftigungsverhältnis habe das Krankengeld eindeutig Entgeltersatzfunktion und das Beschäftigungsverhältnis stehe noch im Vordergrund, so dass für den Selbstbehalt und die Höhe der Abzweigung auf den Selbstbehalt eines Erwerbstätigen abzustellen sei.

Mit Beschluss vom 10.02.2004 hat das Gericht die Stadt S als Sozialhilfeträger gemäß § 75 Abs. 2 SGG beigeladen.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entsprechend dem schriftsätzlichen Vorbringen beantragt der Kläger,

den Bescheid der Beklagten über die Krankengeldberechnung für den Kläger vom 08.04.2003 in Form des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2003 aufzuheben und dem Beklagten aufzugeben, an den Kläger für die Dauer der Bezugsberechtigung monatliches Krankengeld von wenigstens 840,00 Euro auszuzahlen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene sind übereinstimmend der Auffassung, dass eine Differenzierung von Krankengeldempfängern mit noch bestehendem Arbeitsverhältnis und ohne bestehendes Arbeitsverhältnis nicht gerechtfertigt sei. Es sei hier auf den Selbstbehalt eines nicht Erwerbstätigen abzustellen. Nur dann bestehe für den Betroffenen der Anreiz, durch Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit in den Vorteil eines höheren Selbstbehalts zu kommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten verwiesen.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da alle Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt hatten.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid nicht gemäß § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da die Beklagte zu Recht es abgelehnt hat, Krankengeld unter Berücksichtigung eines höheren Selbstbehalts nach Ziffer 5 der Düsseldorfer Tabelle in Höhe von 850,00 Euro monatlich auszuzahlen.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an die Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.

Bei § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I handelt es sich um eine zweistufige Norm: Sie räumt dem Sozialleistungsträger hinsichtlich des unbestimmten Rechtsbegriffs "in angemessener

Höhe" einen Beurteilungsspielraum sowie in Bezug auf die Befugnis "kann" einen Ermessensspielraum ein (vgl. BSG, Urteil vom 18.08.1983 - 7 RAr 101/81 und LSG Berlin, Urteil vom 23.10.2002 - L 9 KR 11/00).

Mit der Norm des § 48 Abs. 1 SGB I ist es vereinbar, dass die Auszahlung auch an die Person oder Stelle erfolgen kann, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewährt. Die Unterhaltsansprüche der Kinder des Klägers sind gemäß §§ 2, 91 BSHG auf die beigeladene Stadt S als zuständigen Sozialhilfeträger übergegangen. Die Beklagte war daher berechtigt, gemäß § 48 Abs. 1 SGB I einen Teil der Krankengeldzahlung an die Beigeladene zur Erfüllung der auf die Beigeladene übergegangenen Unterhaltsansprüche der Kinder des Klägers abzuzweigen. Der Kläger ist seiner Unterhaltspflicht unstreitig nicht nachgekommen. Die Beigeladene ist somit durch die Zahlung von Sozialhilfe in Vorlage getreten. Die Beklagte ist danach grundsätzlich nach § 48 Abs. 1 SGB I berechtigt und verpflichtet, nach pflichtgemäßer Ermessensausübung von dem dem Kläger bewilligten Krankengeld einen angemessenen Betrag abzuzweigen und an die Beigeladene abzuführen.

Zu Recht hat die Beklagte zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffes der angemessenen Höhe des abzuzweigenden Krankengeldbetrages die Düsseldorfer Tabelle zu Grunde gelegt. Unter Ziffer 5 differenziert die Düsseldorfer Tabelle den notwendigen Eigenbedarf (Selbstbehalt) danach, ob der Unterhaltspflichtige erwerbstätig ist (Selbstbehalt 840,00 Euro) oder nicht erwerbstätig ist (Selbstbehalt 730,00 Euro). Die Beklagte war nicht verpflichtet, den höheren Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle für Erwerbstätige zu Grunde zu legen. Zu dieser Frage besteht eine uneinheitliche Rechtsprechung: Während das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 09.07.1999 - 2 WF 78/99) den Selbstbehalt eines erwerbstätigen Unterhaltsschuldners beim Bezug von Krankengeld zu Grunde legt, ist das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 26.02.2001 - 18 WF 51/01) der Auffassung, dass zumindest bei längerfristiger Erkrankung auf den geringeren Selbstbehalt abzustellen sei. Während das OLG Karlsruhe für seine Auffassung auf die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes abstellt, führt das Kammergericht Berlin zur Begründung aus, dass die üblicherweise mit der Erwerbstätigkeit verbundenen höheren Aufwendungen der Lebensführung bei dem Krankengeldbezieher entfallen. Soweit krankheitsbedingte höhere Aufwendungen anfallen, können diese, wenn sie nachgewiesen sind, einkommensmindernd abgesetzt werden. Die erkennende Kammer schließt sich der Auffassung des Kammergerichtes Berlin an. Es liegt ein nicht nur kurzfristiger Krankengeldbezug vor. Stellt man darauf ab, dass mit der Differenzierung zwischen dem geringeren und höheren Selbstbehalt die unterschiedliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten berücksichtigt werden soll, so ist es bei pauschalierender Betrachtung zulässig, bei dem längerfristigen Arbeitsunfähigen, d. h. bei einer Arbeitsunfähigkeit, die nur wenige Tage überschreitet, auf den geringeren Selbstbehalt abzustellen, da der Arbeitsunfähige in der Tat weniger laufende Kosten hat. Soweit die Differenzierung damit begründet wird, dass dem Erwerbslosen ein Anreiz geschaffen werden soll, eine Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen, so ist auch unter Berücksichtigung dieses Kriteriums der geringere Selbstbehalt gerechtfertigt: Der Arbeitsunfähige wird durch den geringeren Selbstbehalt der Anreiz gegeben, alles zu unternehmen, d. h., alle möglichen Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um die Arbeitsunfähigkeit so schnell wie möglich zu überwinden. Die Beklagte hat daher zutreffend der Berechnung der Abzweigung den geringeren Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle zu Grunde gelegt.

Nach Auffassung der erkennenden Kammer ist der Bescheid auch nicht deswegen rechtswidrig, weil der abgezweigte Betrag nicht nach den Unterhaltsansprüchen der drei Kinder differenziert wurde. Zwar vertritt das BSG im Urteil vom 13.07.2006 (B 7 aAL 24/05 R) die Rechtsauffassung, dass der die Abzeigung enthaltende Bescheid in den Fällen, in denen die Abzweigung sich auf mehrere Unterhaltsansprüche bezieht, eine Differenzierung nach diesen Unterhaltsansprüchen jedoch nicht vorgenommen wird und die Abzweigung lediglich in einer Summe angegeben wird, schon deswegen rechtswidrig ist, weil die Bescheide gegen das Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs. 1 SGG X verstoßen. Es handele sich nicht um einen einzigen einheitlichen Abzweigungsanspruch, sondern um zwei getrennte Abzweigungsansprüche. Reiche der abzweigungsfähige Betrag der laufenden Geldleistung nicht aus, um den gesamten an beide Kinder ausgezahlten Unterhalt zu ersetzen, müsse der Abzweigungsbetrag geteilt werden. Erfolge keine ausdrückliche Festlegung, könne nicht nachvollzogen werden, in welcher Höhe der jeweilige, auf den Sozialhilfeträger übergangene Unterhaltsanspruch durch die Abzweigung erfüllt sei. Nach Auffassung der erkennenden Kammer berücksichtigt die Rechtsauffassung des BSG jedoch nicht, dass auf Grund der Regelung in § 366 Abs. 2 BGB dem Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes dadurch Rechnung getragen wird, dass bei fehlender Bestimmung des Schuldners nach den im BGB genannten Kriterien die Schuld auf die einzelnen Ansprüche aufgeteilt wird. Im vorliegenden Fall wäre unter Anwendung des § 366 Abs. 2 BGB der Abzweigungsbetrag im Verhältnis der drei Unterhaltsansprüche aufzuteilen.

Die Klage musste daher abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Berufung ist zulässig, da das Gericht von der Entscheidung des BSG vom 13.07.2006 (a. a. O.) abweicht.
Rechtskraft
Aus
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