Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 1044/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 4830/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob bei der Klägerin der Zeitraum vom 01. September 1968 bis 30. April 1969 sowie vom 04. Juni 1972 bis 04. Juni 1982 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 (zusätzliche Altersversorgung der Technischen Intelligenz [AVItech]) der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) und die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte festzustellen sind.
Die am 1947 geborene Klägerin hat nach dem Zeugnis der Ingenieurschule für Bauwesen G. vom 06. Juli 1968 diese Ingenieurschule vom 01. September 1965 bis 06. Juli 1968 besucht und die staatliche Ingenieurprüfung mit dem Prädikat "befriedigend" in der Fachrichtung Hochbau abgelegt. Nach der Ingenieururkunde ebenfalls vom 06. Juli 1968 der genannten Schule erhielt sie das Recht, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. In der ehemaligen DDR war sie vom 01. September 1968 bis 30. April 1969 als Ingenieurin beim VE Wohnungsbaukombinat L. und - nach einer Babypause und einer Tätigkeit als Technische Zeichnerin - vom 05. Juni 1972 bis zum 04. Juni 1982, wobei sie danach aus der früheren DDR ausreiste, als "Investitionsingenieur" bei der Deutschen Reichsbahn ebenfalls in L. beschäftigt. Eine Versorgungszusage über Ansprüche auf Leistungen aus einer freiwilligen Zusatzversorgung (FRZ) erhielt sie nicht.
Am 24. Mai 2004 beantragte die Klägerin bei der früheren Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA, jetzt Deutsche Rentenversicherung Bund [DRVB]; im Folgenden einheitlich Beklagte genannt) als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme die Feststellung der Versorgungsanwartschaften in der AVItech in den genannten Zeiten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08. Dezember 2004 ab. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) finde die AVItech in volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben nur dann Anwendung, wenn am Stichtag des 30. Juni 1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) verschiedene Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt seien. Die Klägerin habe am 30. Juni 1990 im Beitrittsgebiet keine abhängige Beschäftigung mehr ausgeübt. Sie sei damit nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) beschäftigt gewesen. Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, durch ihre Ingenieurtätigkeit in Betrieben der früheren DDR habe sie die Voraussetzungen des AAÜG erfüllt und sei somit für den jeweils geltend gemachten Zeitraum dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen. Sie habe durch Vorlage der entsprechenden Urkunde belegt, dass sie berechtigt sei, den Titel "Ingenieur" zu führen. Nach dem AAÜG sei ihre Ingenieurtätigkeit so zu beurteilen, dass sie im Sinne einer positiven Versorgungszusage durch die jeweiligen Unternehmen in das Zusatzversorgungssystem einbezogen werde. Die entsprechenden Zeiten seien bei der Rentenberechnung künftig positiv zu berücksichtigen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid der bei der Beklagten bestimmten Widerspruchsstelle vom 04. April 2005).
Deswegen erhob die Klägerin am 28. April 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Konstanz. Sie wiederholte ihre Widerspruchsbegründung und trug ergänzend vor, es sei bei ihr zu berücksichtigen, dass sie aus politischen Gründen aus der früheren DDR ausgereist sei. Eine gesetzliche Regelung sei stets unter und mit den besonderen Umständen zu bewerten, wie sie sich aus den politischen Umständen der früheren DDR ergeben hätten. Es dürften nicht diejenigen Personen diskriminiert werden, die für sich und ihre Familie den Weg in die rechtsstaatliche Bundesrepublik gesucht hätten. Denn ansonsten wäre und sei derjenige privilegiert, der sich an den politischen Unzuträglichkeiten der früheren DDR nicht gestört habe, der diese gegebenenfalls sogar befördert und/oder aber untätig abgewartet habe, bis das System in Agonie verfallen und die VEB-Betriebe nach dem 30. Juni 1990 wegen der Währungsreform entweder umfirmiert worden oder in Konkurs gegangen wären. Die von der Beklagten herangezogene und zitierte Stichtagsregelung sei rechtswidrig und daher zu modifizieren. Die Annahme der Beklagten, die Erteilung der Versorgungszusage durch die frühere DDR habe nicht vorgelegen, sei eine unzulässige Rechtsausübung, nachdem sie einen Ausreiseantrag gestellt habe. Die strikte wortwörtliche Auslegung des AAÜG führe zu einer unangemessenen Ungleichbehandlung und verstoße damit gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Die Frage, inwieweit der Umstand, dass sie nach langjähriger politischer Verfolgung aus der früheren DDR ausgereist sei, bei der Anwendung der Stichtagsregelung Berücksichtigung finden könne und müsse, bedürfe unbedingt der Klärung in einer mündlichen Verhandlung. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten entgegen. Mit Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2005 wies das SG die Klage nach einem entsprechenden Hinweis der Beteiligten auf § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ab. Auf die Entscheidungsgründe des dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 17. Oktober 2005 zugestellten Gerichtsbescheids wird Bezug genommen.
Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. November 2005 mit Fernkopie Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie trägt vor, Kern des Rechtsstreits sei die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des AAÜG. Dabei habe es sich um komplexe sozialrechtliche Fragen gehandelt, die im Rahmen einer mündlichen Verhandlung und unter voller Besetzung des Gerichts mit drei Richtern hätten entschieden werden müssen. Der Gerichtsbescheid beruhe auch auf dieser Verletzung. Die Begrenzung des SG auf die Sicht am Stichtag des 30. Juni 1990 verstoße gegen den in Art. 3 GG festgehaltenen Gleichheitssatz. Derjenige, der vor dem 30. Juni 1990 die versorgungsrechtlich relevante Tätigkeit aufgegeben habe, habe objektiv keine Möglichkeit gehabt, eine positive Zusage zu erhalten. Eine verfassungskonforme Auslegung sei geboten. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wäre geboten gewesen. Hier hätte eine Einzelfallentscheidung getroffen werden müssen. Das SG habe jedoch generalisiert entschieden. Der duldsamen und unreflektierten Hinnahme höchstrichterlicher Rechtsprechung seien Grenzen gesetzt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. April 2005 zu verpflichten, den Zeitraum vom 01. September 1968 bis 30. April 1969 sowie vom 05. Juni 1972 bis 04. Juni 1982 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz und die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Stichtagsregelungen für die Schaffung von Ansprüchen seien trotz der damit verbundenen Härten verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Bis zum letzten Tag seiner Beschäftigung im Geltungsbereich eines Versorgungssystems habe ein Versicherter noch mit der Erteilung einer Versorgungszusage rechnen können, danach nicht mehr. Sei er, wie auch die Klägerin, aus welchen Gründen auch immer vor dem 30. Juni 1990, an dem das hier maßgebende Versorgungssystem geschlossen worden sei, aus dem Beschäftigungsverhältnis in einem volkseigenen Produktionsbetrieb ausgeschieden, ohne eine Versorgungszusage erhalten zu haben, habe er von dem Zeitpunkt seines Ausscheidens an nicht mehr auf eine Einbeziehung vertrauen können.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG hat zu Recht durch Gerichtsbescheid entschieden, dass die Klägerin die begehrte Feststellung nicht verlangen kann, weshalb der Bescheid der Beklagten vom 08. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. April 2005 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheids.
Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen: Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, hängt ein fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer bis zum 30. Juni 1990 nicht vorliegenden Versorgungszusage im Bereich der AVItech u.a. davon ab, dass am 30. Juni 1990 im Beitrittsgebiet eine der Berufsbezeichnung entsprechende ingenieurtechnische Tätigkeit ausgeübt wurde (vgl. zuletzt Urteile vom 10. Februar 2005 - B 4 RA 48/04 R - und vom 13. Dezember 2005 - B 4 RA 3/05 R). Schon diese Voraussetzung hat die Klägerin am 30. Juni 1990 nicht erfüllt. Auf die Gründe, warum eine entsprechende ingenieurtechnische Tätigkeit im Beitrittsgebiet zum Stichtag nicht mehr ausgeübt wurde, kommt es nicht an. Daher kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass diese langjährige Tätigkeit als Ingenieur bereits am 04. Juni 1982 wegen der auf politische Gründe gestützten Ausreise aus der früheren DDR beendet wurde. Die auf den 30. Juni 1990 bezogene generelle Stichtagsregelung ist auch verfassungsrechtlich im Hinblick auf die Art. 3, 14 GG nicht zu beanstanden. Das BVerfG hat vielmehr ebenfalls bestätigt, dass der Gesetzgeber bzw. die Rechtsprechung von Verfassungs wegen nicht gehalten ist, es genügen zu lassen, dass zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 eine ingenieurtechnische Tätigkeit im Beitrittsgebiet bei einem VEB-Betrieb vorgelegen hat (vgl. Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04 u.a. - = NVwZ 2006, 449). Eine von der Klägerin geforderte Einzelfallprüfung war danach hier nicht vorzunehmen.
Im Hinblick auf die obergerichtliche Rechtsprechung, die auch unter verfassungsrechtlicher Betrachtung keine Würdigung der Umstände des Einzelfalls erfordert, hat das SG auch nicht rechtsfehlerhaft unter Verkennung der Kompetenzregelung des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 Regelung 2 SGG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Gerichtsbescheid entschieden.
Danach war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob bei der Klägerin der Zeitraum vom 01. September 1968 bis 30. April 1969 sowie vom 04. Juni 1972 bis 04. Juni 1982 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 (zusätzliche Altersversorgung der Technischen Intelligenz [AVItech]) der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) und die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte festzustellen sind.
Die am 1947 geborene Klägerin hat nach dem Zeugnis der Ingenieurschule für Bauwesen G. vom 06. Juli 1968 diese Ingenieurschule vom 01. September 1965 bis 06. Juli 1968 besucht und die staatliche Ingenieurprüfung mit dem Prädikat "befriedigend" in der Fachrichtung Hochbau abgelegt. Nach der Ingenieururkunde ebenfalls vom 06. Juli 1968 der genannten Schule erhielt sie das Recht, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. In der ehemaligen DDR war sie vom 01. September 1968 bis 30. April 1969 als Ingenieurin beim VE Wohnungsbaukombinat L. und - nach einer Babypause und einer Tätigkeit als Technische Zeichnerin - vom 05. Juni 1972 bis zum 04. Juni 1982, wobei sie danach aus der früheren DDR ausreiste, als "Investitionsingenieur" bei der Deutschen Reichsbahn ebenfalls in L. beschäftigt. Eine Versorgungszusage über Ansprüche auf Leistungen aus einer freiwilligen Zusatzversorgung (FRZ) erhielt sie nicht.
Am 24. Mai 2004 beantragte die Klägerin bei der früheren Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA, jetzt Deutsche Rentenversicherung Bund [DRVB]; im Folgenden einheitlich Beklagte genannt) als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme die Feststellung der Versorgungsanwartschaften in der AVItech in den genannten Zeiten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08. Dezember 2004 ab. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) finde die AVItech in volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben nur dann Anwendung, wenn am Stichtag des 30. Juni 1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) verschiedene Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt seien. Die Klägerin habe am 30. Juni 1990 im Beitrittsgebiet keine abhängige Beschäftigung mehr ausgeübt. Sie sei damit nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) beschäftigt gewesen. Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, durch ihre Ingenieurtätigkeit in Betrieben der früheren DDR habe sie die Voraussetzungen des AAÜG erfüllt und sei somit für den jeweils geltend gemachten Zeitraum dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen. Sie habe durch Vorlage der entsprechenden Urkunde belegt, dass sie berechtigt sei, den Titel "Ingenieur" zu führen. Nach dem AAÜG sei ihre Ingenieurtätigkeit so zu beurteilen, dass sie im Sinne einer positiven Versorgungszusage durch die jeweiligen Unternehmen in das Zusatzversorgungssystem einbezogen werde. Die entsprechenden Zeiten seien bei der Rentenberechnung künftig positiv zu berücksichtigen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid der bei der Beklagten bestimmten Widerspruchsstelle vom 04. April 2005).
Deswegen erhob die Klägerin am 28. April 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Konstanz. Sie wiederholte ihre Widerspruchsbegründung und trug ergänzend vor, es sei bei ihr zu berücksichtigen, dass sie aus politischen Gründen aus der früheren DDR ausgereist sei. Eine gesetzliche Regelung sei stets unter und mit den besonderen Umständen zu bewerten, wie sie sich aus den politischen Umständen der früheren DDR ergeben hätten. Es dürften nicht diejenigen Personen diskriminiert werden, die für sich und ihre Familie den Weg in die rechtsstaatliche Bundesrepublik gesucht hätten. Denn ansonsten wäre und sei derjenige privilegiert, der sich an den politischen Unzuträglichkeiten der früheren DDR nicht gestört habe, der diese gegebenenfalls sogar befördert und/oder aber untätig abgewartet habe, bis das System in Agonie verfallen und die VEB-Betriebe nach dem 30. Juni 1990 wegen der Währungsreform entweder umfirmiert worden oder in Konkurs gegangen wären. Die von der Beklagten herangezogene und zitierte Stichtagsregelung sei rechtswidrig und daher zu modifizieren. Die Annahme der Beklagten, die Erteilung der Versorgungszusage durch die frühere DDR habe nicht vorgelegen, sei eine unzulässige Rechtsausübung, nachdem sie einen Ausreiseantrag gestellt habe. Die strikte wortwörtliche Auslegung des AAÜG führe zu einer unangemessenen Ungleichbehandlung und verstoße damit gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Die Frage, inwieweit der Umstand, dass sie nach langjähriger politischer Verfolgung aus der früheren DDR ausgereist sei, bei der Anwendung der Stichtagsregelung Berücksichtigung finden könne und müsse, bedürfe unbedingt der Klärung in einer mündlichen Verhandlung. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten entgegen. Mit Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2005 wies das SG die Klage nach einem entsprechenden Hinweis der Beteiligten auf § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ab. Auf die Entscheidungsgründe des dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 17. Oktober 2005 zugestellten Gerichtsbescheids wird Bezug genommen.
Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. November 2005 mit Fernkopie Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie trägt vor, Kern des Rechtsstreits sei die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des AAÜG. Dabei habe es sich um komplexe sozialrechtliche Fragen gehandelt, die im Rahmen einer mündlichen Verhandlung und unter voller Besetzung des Gerichts mit drei Richtern hätten entschieden werden müssen. Der Gerichtsbescheid beruhe auch auf dieser Verletzung. Die Begrenzung des SG auf die Sicht am Stichtag des 30. Juni 1990 verstoße gegen den in Art. 3 GG festgehaltenen Gleichheitssatz. Derjenige, der vor dem 30. Juni 1990 die versorgungsrechtlich relevante Tätigkeit aufgegeben habe, habe objektiv keine Möglichkeit gehabt, eine positive Zusage zu erhalten. Eine verfassungskonforme Auslegung sei geboten. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wäre geboten gewesen. Hier hätte eine Einzelfallentscheidung getroffen werden müssen. Das SG habe jedoch generalisiert entschieden. Der duldsamen und unreflektierten Hinnahme höchstrichterlicher Rechtsprechung seien Grenzen gesetzt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. April 2005 zu verpflichten, den Zeitraum vom 01. September 1968 bis 30. April 1969 sowie vom 05. Juni 1972 bis 04. Juni 1982 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz und die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Stichtagsregelungen für die Schaffung von Ansprüchen seien trotz der damit verbundenen Härten verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Bis zum letzten Tag seiner Beschäftigung im Geltungsbereich eines Versorgungssystems habe ein Versicherter noch mit der Erteilung einer Versorgungszusage rechnen können, danach nicht mehr. Sei er, wie auch die Klägerin, aus welchen Gründen auch immer vor dem 30. Juni 1990, an dem das hier maßgebende Versorgungssystem geschlossen worden sei, aus dem Beschäftigungsverhältnis in einem volkseigenen Produktionsbetrieb ausgeschieden, ohne eine Versorgungszusage erhalten zu haben, habe er von dem Zeitpunkt seines Ausscheidens an nicht mehr auf eine Einbeziehung vertrauen können.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG hat zu Recht durch Gerichtsbescheid entschieden, dass die Klägerin die begehrte Feststellung nicht verlangen kann, weshalb der Bescheid der Beklagten vom 08. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. April 2005 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheids.
Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen: Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, hängt ein fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer bis zum 30. Juni 1990 nicht vorliegenden Versorgungszusage im Bereich der AVItech u.a. davon ab, dass am 30. Juni 1990 im Beitrittsgebiet eine der Berufsbezeichnung entsprechende ingenieurtechnische Tätigkeit ausgeübt wurde (vgl. zuletzt Urteile vom 10. Februar 2005 - B 4 RA 48/04 R - und vom 13. Dezember 2005 - B 4 RA 3/05 R). Schon diese Voraussetzung hat die Klägerin am 30. Juni 1990 nicht erfüllt. Auf die Gründe, warum eine entsprechende ingenieurtechnische Tätigkeit im Beitrittsgebiet zum Stichtag nicht mehr ausgeübt wurde, kommt es nicht an. Daher kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass diese langjährige Tätigkeit als Ingenieur bereits am 04. Juni 1982 wegen der auf politische Gründe gestützten Ausreise aus der früheren DDR beendet wurde. Die auf den 30. Juni 1990 bezogene generelle Stichtagsregelung ist auch verfassungsrechtlich im Hinblick auf die Art. 3, 14 GG nicht zu beanstanden. Das BVerfG hat vielmehr ebenfalls bestätigt, dass der Gesetzgeber bzw. die Rechtsprechung von Verfassungs wegen nicht gehalten ist, es genügen zu lassen, dass zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 eine ingenieurtechnische Tätigkeit im Beitrittsgebiet bei einem VEB-Betrieb vorgelegen hat (vgl. Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04 u.a. - = NVwZ 2006, 449). Eine von der Klägerin geforderte Einzelfallprüfung war danach hier nicht vorzunehmen.
Im Hinblick auf die obergerichtliche Rechtsprechung, die auch unter verfassungsrechtlicher Betrachtung keine Würdigung der Umstände des Einzelfalls erfordert, hat das SG auch nicht rechtsfehlerhaft unter Verkennung der Kompetenzregelung des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 Regelung 2 SGG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Gerichtsbescheid entschieden.
Danach war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
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