L 12 AS 3870/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 2736/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3870/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.7.2006 wird aufgehoben und der Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Anspruch der Antragstellerin (Ast.) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) infolge Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft (eheähnliche Gemeinschaft) entfällt.

Die 1971 geborene Ast. lebt seit November 2001 mit dem 1968 geborenen Zeugen Herrn G. zusammen, und zwar zunächst in einer Wohnung in G. im Raum F ... Dort bezog die Ast. zuletzt Leistungen nach dem SGB II von der Arbeitsagentur. Im Frühjahr 2006 zogen die beiden gemeinsam in eine Wohnung in E. um.

Am 12.04.2006 stellte die Ast. bei der Antragsgegnerin (Ag.), Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Auf dem Antragsformular kreuzte sie lediglich an, dass sie und Herr G. ledig seien. Weitere Angaben über Herrn G. machte die Ast. nicht. Sie gab laut einem Aktenvermerk der Ag. an, keine Unterlagen über Herrn G. vorzulegen, da sie beide von der Arbeitsagentur A. nicht als eheähnliche Gemeinschaft angesehen worden seien. Im Verlaufe des Antragsverfahrens legte die Ast. auch eine durch sie und Herrn G. unterschriebene schriftliche Erklärung vor, derzufolge zwischen ihnen keine eheähnliche Gemeinschaft bestehe, da sie getrennte Konten und Kassen hätten, über die sie nicht gegenseitig verfügen könnten, sie für den anderen finanziell nicht einstünden und es keinerlei Gemeinschaftseigentum ("Geräte") gebe.

Mit Schriftsatz vom 25.04.2006 teilte die Ag. der Ast. mit, sie sei im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten gehalten, bis spätestens 12.05.2006 einen Einkommens- und Vermögensnachweis des Herrn G. beizubringen, da sie mit diesem in eheähnlicher Gemeinschaft lebe. Mit Bescheid vom 18.05.2006 lehnte die Ag. die Gewährung von Leistungen mit Wirkung vom 01.04.2006 ab, da die Ast. die Einkommens- und Vermögensnachweise ihres Partners trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vorgelegt habe.

Gegen diesen Bescheid legte die Ast. Widerspruch ein. Entgegen der Auffassung der Ag. lebe sie mit Herrn G. nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Es bestehe allenfalls eine Wohn-, nicht aber eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sie hätten getrennte Konten und wirtschafteten jeder für sich. Hinsichtlich der Wohnkosten gebe es zwischen ihr und Herrn G. eine Vereinbarung, dass er die gesamte Miete überweise und sie während der Dauer der Arbeitslosigkeit 260,- EUR Miete und Nebenkostenvorauszahlung an ihn bezahle. Nach Beendigung der Arbeitslosigkeit würden sämtliche Kosten der Wohnung hälftig geteilt. Es sei ihr aber auch gar nicht möglich, Angaben über Herrn G.s Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu machen. Dieser selbst sei nicht bereit, ihr Auskünfte zu erteilen.

Am 13.06.2006 beantragte die Ast. beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) vorläufigen Rechtsschutz mit dem Ziel, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Anrechnung des Einkommens von Herrn G. zu gewähren. Sie sei gegenwärtig völlig mittellos und auch gesetzlich nicht krankenversichert.

Das Gericht hat zur Klärung der Frage nach dem Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Ast. und Herrn G. am 04.07.2006 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dessen Rahmen der Zeuge G. vernommen wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2006 wies die Ast. den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde im wesentlichen angegeben, dass zwischen der Ast. und Herrn G. eine eheähnliche Gemeinschaft existiere. Es bestehe eine Wirtschaftsgemeinschaft in Form einer Not- und Einstehensgemeinschaft. Dafür sprächen ein gemeinsam durchgeführter Umzug nach Zusammenleben seit 2001, ein trotz Umzugs in unveränderter Höhe fortbestehender Dauerauftrag der Ast. auf das Konto des Herrn G., obwohl sich eine Anpassung an die tatsächlichen Gegebenheiten aufgedrängt habe, unterschiedliche Schilderungen im Erörterungstermin über die Organisation des Einkaufs von Lebensmitteln, die Wohnraumaufteilung, nach der es insbesondere ein gemeinsames Schlafzimmer gebe, sowie ein gemeinsam verbrachter Urlaub, der Indiz für eine gemeinsame Freizeitgestaltung sei.

Mit Beschluss vom 14.7.2006 hat das SG angeordnet, der Ast. vom 13.6.2006 bis längstens 30.11.2006 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 345 EUR zu gewähren. Ein Anordnungsanspruch sei im Hinblick darauf, dass der Ast. möglicherweise erhebliche Nachteile drohen, insbesondere das Existenzminimum nicht gesichert sei, zu bejahen. Die Ast. sei - nehme man nur ihre persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse in den Blick - hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II. Vom Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zwischen der Ast. und Herrn G. habe sich das SG nicht zu überzeugen vermocht. Eine Wohngemeinschaft sei im Falle der Ast. zwar zweifelsfrei vorhanden. Diese reiche allein jedoch nicht aus, um auf eine eheähnliche Gemeinschaft zu schließen. Bereits vom Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft könne jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht mehr ausgegangen werden. Die Ast. und Herr G. wirtschafteten jeweils getrennt. Das Gericht habe sich auch nicht vom Vorhandensein einer inneren Verantwortungs- und Einstehensbereitschaft der Partner zu überzeugen vermocht. Ausschlaggebend gegen eine Einstehensgemeinschaft in den Not- und Wechselfällen des Lebens sei zur Überzeugung der Kammer auch die spontane Angabe der Ast. gewesen, dass sie sich, wenn ihr etwas zustoße , immer zuerst an den Vater wenden würde. Die Kammer habe sich daher vom Vorliegen innerer Bindungen, die über bloße freundschaftliche Umgangsformen hinausgehen, nicht zu überzeugen vermocht. Es spreche aus der Sicht des Gerichts Gewichtiges dafür, dass es sich bei der Lebensform der Ast. um eine zweckgebundene Wohngemeinschaft und nicht um eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II handele.

Gegen diesen Beschluss hat die Ag. Beschwerde eingelegt, welche vom SG nach Nichtabhilfe dem LSG Baden-Württemberg zur Entscheidung vorgelegt wurde.

Die Ag. hat ausgeführt, im vorliegenden Fall lebe die Ast. mit ihrem Partner bereits über 4 ½ Jahre zusammen. Gemeinsam sei man in ein anderes Bundesland umgezogen. Es überzeuge nicht, in einer solchen Lebenssituation emotionale Bindungen zu verneinen. Die Tatsache, dass Partner ihre Lebenshaltungskosten akribisch abrechneten und dies konsequent aufteilten, könne nicht als Beweis dafür gesehen werden, dass ein Füreinandereinstehen nicht beabsichtigt sei.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Regelung zugunsten der Ast. sind nicht gegeben.

Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Regelungen umfassend und zutreffend dargelegt. Insoweit nimmt der Senat darauf Bezug.

Der Senat hält den angefochtenen Bescheid auf Grund der durchgeführten Überprüfung nicht für rechtswidrig. Nach den gesamten Umständen und auch der durchgeführten Beweiserhebung geht der Senat davon aus, dass die Ast. mit dem Zeugen G. in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt. Für die Annahme einer solchen Gemeinschaft spricht insbesondere der lange Zeitraum des Zusammenwohnens. Die Ast. lebt mit dem Zeugen G. schon über 4 ½ Jahre zusammen und ist mit ihm, nachdem dieser berufsbedingt den Wohnort wechselte, umgezogen. Beide haben innerhalb der Wohnung nicht streng getrennte Bereiche, sondern sie benutzen insbesondere ein gemeinsames Schlafzimmer. Dies ist bei einer gewöhnlichen Wohngemeinschaft, die primär das Ziel hat, günstigeren Wohnraum anzumieten, unüblich. Dies zeigt einen hohen Grad der Vertrautheit und Intimität zwischen der Ast. und dem Zeugen G ... Das Nichtvorhandensein einer eigenen Intimsphäre innerhalb der Wohnung oder die gemeinsame Nutzung mehrerer Räume, insbesondere eines Schlafzimmers, bezeugt eine innere Bindung. Diese Bindung wird auch durch die oben erwähnte Dauer des Zusammenlebens bekräftigt und auch durch den Umstand, dass die Ast. mit dem Zeugen G. zusammen umgezogen ist. Dies geht ebenfalls über die reine Zweckgemeinschaft hinaus. Die Aussage der Ast., nur eine lockere Beziehung zu haben, wird durch diese Tatsachen nicht gestützt. Auch die Aussage der Ast., sich in Notfällen zuerst an ihren Vater zu wenden, schließt eine starke innere Bindung an den Zeugen G. nicht aus. Starke, andauernde emotionale Bindungen an Elternteile bestehen häufig auch in ehelichen Lebensgemeinschaften weiter und sind nicht ungewöhnlich. Gegen die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft spricht auch nicht die strikte Trennung in finanziellen Dingen. Abrechnung über getrennte Kassen ist auch in einer Ehe möglich und ist rechtlich mit einer solchen zu vereinbaren. Ein gemeinsames Wirtschaften liegt schon in dem gemeinsamen Wohnen und dem gemeinsamen Kochen. Aus den getrennten Kassen allein kann nicht auf ein Nichtfüreinandereinstehen geschlossen werden. Getrennte Kassen können ein Indiz dafür sein. Der Zeuge G. hat selbst ausgesagt, der Ast. in Notfällen zu helfen. Er hat dies zwar insoweit eingeschränkt, als er betonte dies für all seine Freunde zu tun. Daraus ergibt sich aber auf jeden Fall eine innere Bindung die über die reine Zweckgemeinschaft hinausgeht. Die Ast. wohnt mit dem Zeugen G. nicht nur unter einer gemeinsamen Meldeadresse zusammen, sondern die oben geschilderte Ausgestaltung ihres gemeinsamen Wohnens ergibt eine auf einer inneren Bindung beruhende nichteheliche Lebensgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II. Mit dem Zeugen G. besteht eine Bedarfsgemeinschaft, welche nach § 9 Abs. 2 SGB II zur Folge hat, dass das Einkommens des Partners bei der Berechnung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen ist. Im Vorliegenden Fall sprechen alle Anhaltspunkte dafür, dass die Berücksichtigung des Einkommens des Zeugen G., welches im Verfahren nicht genannt wurde und der als Programmierer bei einer renommierten Softwarefirma arbeitet, eine Bedürftigkeit der Ast. ausschließt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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