S 43 AS 129/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
43
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 43 AS 129/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1.Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. 2.Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 3.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe bleibt erfolglos, weil die Rechtsverfolgung des Antragstellers aus den sich unter II. ergebenden Darlegungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO).

II.

Der Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller rückwirkend für den Zeitraum vom 01.09.2006 an monatliche Leistungen für Unterkunft in Höhe von 464,27 EUR zu gewähren,

hat keinen Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache - auf Antrag - eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Rechtsanspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).

Erforderlich im Rahmen der Glaubhaftmachung ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, III. Kapitel, Rn. 157). Dies ist grundsätzlich im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 19.01.2006 - L 1 B 17/05 AS ER -, vom 29.11.2005 - L 19 B 84/05 AS ER - und vom 26.07.2005 - L 9 B 44/05 AS ER -).

Der Antragsteller hat bereits einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es spricht nach den vorliegenden Erkenntnissen derzeit nichts dafür, dass ihm wesentliche Nachteile drohen, wenn eine einstweilige Anordnung des Gerichts nicht ergeht.

Eine einstweilige Anordnung dient der Sicherstellung wirksamen Rechtsschutzes, der zu gewähren ist, wenn anders dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, insbesondere seiner Menschenwürde, oder anderen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen. Hiervon ausgehend ist in einem auf die Übernahme der Kosten für die Unterkunft gerichteten einstweiligen Anordnungsverfahren ein Anordnungsgrund in der Regel dann gegeben, wenn der Hilfebedürftige glaubhaft macht, dass ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Ablauf des - aus der Sicht der gerichtlichen Entscheidung - nächstfolgenden Fälligkeitszeitpunktes für die Zahlung der Miete ernsthaft mit einer Kündigung und Räumungsklage zu rechnen ist. Das setzt voraus, dass einerseits ohne die beantragte einstweilige Anordnung zum nächsten Fälligkeitszeitpunkt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 569 Abs. 3 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für eine fristlose Kündigung durch den Vermieter eintreten würden, andererseits aber auch ernsthaft erwartet werden muss, dass der Vermieter nicht nur von seinem Kündigungsrecht, sondern auch von der Möglichkeit der Räumungsklage Gebrauch machen wird. Eine dergestalt unmittelbar und ernsthaft drohende Kündigung und Räumungsklage begründen eine aktuelle Notlage, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Wahrung wirksamen vorläufigen Rechtsschutzes erfordern kann. Da sich der Zeitpunkt, zu dem der Vermieter die Kündigung ausspricht und Räumungsklage erhebt, wie auch die Durchführung des Räumungsprozesses der sozialgerichtlichen Einflussmöglichkeit entziehen, kann wirksamer vorläufiger Rechtsschutz im allgemeinen nur dadurch gewährleistet werden, dass der hilfebedürftige Mieter in den Stand gesetzt wird, durch rechtzeitige Zahlung der nächstfälligen Miete überhaupt den Eintritt der Kündigungsvoraussetzungen zu vermeiden (vgl. die ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) im Anwendungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG); Beschluss vom 12.12.1994, Az. 8 B 2650/94, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (NWVBl) 1995, 140, sowie Beschluss vom 16.03.2000, Az. 16 B 308/00, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2000, 2523 = NWVBl 2000, 392 f. = Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte (FEVS) 52, 24 ff.; vgl. ferner im Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 02.11.2006, Az. L 20 B 209/06 AS ER; im Ergebnis ebenso Sozialgericht Düsseldorf, Beschluss vom 23.08.2006, Az. S 28 AS 202/06 ER, bestätigt durch LSG NRW, Beschluss vom 15.11.2006, Az. L 12 B 144/06 AS ER).

Der Antragsteller hat vorgebracht, er laufe Gefahr, nach teilweise gezahlter Miete geräumt und damit obdachlos zu werden. Die von der Antragsgegnerin gewährten Arbeitslosengeld II-Leistungen reichten nicht aus, um die Wohnungsmiete vollständig zu begleichen. Bisher habe der Antragsteller die Differenz durch Darlehen von Freunden und Bekannten decken können. Deren Mittel seien nunmehr jedoch erschöpft.

Diesem Vorbringen ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Antragsteller aktuell, also im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, gegenüber seinem Wohnungsvermieter mit den Mietzahlungen in einem Rückstand befindet, so dass nichts für die Gefahr einer fristlosen Kündigung und damit die Notwendigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung ersichtlich ist.

Selbst wenn der Antragsteller zukünftig mit den Mietzahlungen in Rückstand geraten sollte, weil er die Differenz zwischen Leistungen der Antragsgegnerin und tatsächlich geschuldeter Miete nicht mehr aufzubringen in der Lage ist, hängt es von der Höhe der Mietrückstände ab, wann der Zeitpunkt erreicht ist, in dem das weitere Anwachsen des Rückstandes den Vermieter zum nächsten Fälligkeitszeitpunkt zu einer fristlosen Kündigung berechtigen würde. Nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB ist eine fristlose Kündigung berechtigt, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines Teils der Miete, der die Miete für einen Monat übersteigt, in Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. Ausgehend von der im Beschluss des Gerichts vom 25.02.2006 gleichen Rubrums im Verfahren S 00 AS 000/00 ER zugrunde gelegten tatsächlichen Miete einschließlich Neben- und Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 533,04 EUR besteht eine Differenz zu den von der Antragsgegnerin derzeit gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 377,27 EUR, die sich auf 155,77 EUR bemisst. Selbst wenn zukünftig monatlich ein Mietrückstand in Höhe dieser Differenz anwüchse, dauerte es noch einige Monate, bis ein Rückstand erreicht würde, der den Voraussetzungen des § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB entspricht.

Mangels glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes kommt es mithin auf das Bestehen eines Anordnungsanspruches nicht mehr an.

Dennoch weist das Gericht zur Frage des Anordnungsanspruches, also der Frage des Bestehens des materiellen Anspruchs auf Gewährung eines Unterkunfts- und Heizkostenanteils im Rahmen des Arbeitslosengeldes II in Höhe der tatsächlichen Kosten von 533,04 EUR anstelle der von der Antragsgegnerin als angemessen anerkannten 377,27 EUR, vorsorglich darauf hin, dass es nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen dürfte, dass die von der Antragstellerin für einen Einpersonenhaushalt als angemessen zugrunde gelegte sogenannte Bruttomonatskaltmiete, d.h. Kaltmiete zuzüglich Betriebskosten, aber ohne Heizkosten, in Höhe von 331,00 EUR einer rechtlichen Überprüfung standhält. Sollte dies der Fall sein, sollten also die Aufwendungen des Antragstellers für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II als Bedarf nur solange zu berücksichtigen, wie es ihm nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Sofern der Antragsteller also gegenüber der Antragsgegnerin darlegen und ggf. belegen kann, dass es ihm nicht gelingt, eine Wohnung mit einer Bruttokaltmiete von 331,00 EUR monatlich anzumieten, dürften im Rahmen der Gewährung von Arbeitslosengeld II die tatsächlichen Unterkunftskosten zugrunde zu legen sein. Es könnte sich daher für den Antragsteller zur Vermeidung nachteiliger Folgen empfehlen, sich ernsthaft und nachhaltig um die Anmietung einer Wohnung mit einer Bruttomonatskaltmiete von höchstens 331,00 EUR zu bemühen, sofern – seit der Erhöhung des anerkannten Angemessenheitswertes von 288,00 EUR auf 331,00 EUR im Mai 2006 durch die Antragsgegnerin – noch nicht geschehen. Gelingt dem Antragsteller die Anmietung einer Wohnung zum Bruttokaltmietpreis von 331,00 EUR monatlich und erteilt die Antragsgegnerin eine Zusicherung zu den Aufwendungen für diese Wohnung nach § 22 Abs. 2 SGB II, kann er - jedenfalls ab diesem Zeitpunkt - wieder Leistungen von der Antragsgegnerin in Höhe der tatsächlichen (neuen) Unterkunftskosten erhalten. Gelingt ihm trotz intensiver Bemühungen eine solche Anmietung nicht und kann er seine vergeblichen Bemühungen darlegen und ggf. belegen, dürfte der Tatbestand der Unmöglichkeit der Kostensenkung i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II erfüllt sein und – ebenfalls ab diesem Zeitpunkt – ein Anspruch gegen die Antragstellerin auf Übernahme der (jetzigen) tatsächlichen Kosten der Unterkunft im Rahmen des Arbeitslosengeldes II bestehen. Durch ernsthafte, intensive und nachhaltige Bemühungen um die Anmietung einer Wohnung zum Bruttokaltmietpreis von 331,00 EUR hat es der Antragsteller demnach selbst in der Hand, zu erreichen, dass durch die Antragsgegnerin – jedenfalls für die Zukunft – im Rahmen der gewährten Leistungen nach dem SGB II wieder die tatsächlichen Unterkunftskosten übernommen werden, und zwar unabhängig davon, ob der von der Antragsgegnerin als angemessen zugrunde gelegte Wert von 331,00 EUR einer gerichtlichen Überprüfung standhält.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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