Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AS 776/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 150/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 2. Januar 2006 aufgehoben, soweit er nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betrifft. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 02. Januar 2006 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist auch begründet, denn dem Antragsteller sind keine vorläufigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Form eines Darlehens nach § 7 Abs. 5 Satz 2 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB II) zu gewähren.
Nach § 86b Abs. 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch zusteht, d.h. die Antragsgegnerin im Klageverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dazu verpflichtet werden wird, ihm laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit ab November 2005 zu gewähren.
Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten diejenigen Personen Leistungen nach dem SGB II, die das 15., nicht aber das 65. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes haben nach Absatz 5 Satz 1 SGB II hingegen Auszubildende, deren Ausbildung unter anderem im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist. Dabei kommt es auf die grundsätzliche Förderungsfähigkeit einer konkreten Ausbildung an und nicht darauf, ob ein Studierender tatsächlich BAföG erhält (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 20.1.2006 – L 7 AS 6/05 mwN). Eine solche Ausbildung führt der Antragsteller durch. Er ist als Student für ein Magisterstudium (Slav./Russ.) an der Universität in P eingeschrieben und geht damit einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung nach. Ihm werden keine Leistungen nach dem BAföG gewährt, weil er seine erste Ausbildung (Studium der Betriebswirtschaft vom Wintersemester 2002/2003 bis Sommersemester 2004) nicht fortgeführt und den Fachrichtungswechsel zu seinem Magisterstudium erst nach dem 4. Fachsemester vollzogen hat. Nach dem Bescheid des Amts für Ausbildungsförderung (Studentenwerk P) vom 5.10.2004 bestand für den Fachrichtungswechsel auch kein unabweisbarer Grund, weshalb für das zum Wintersemester 2004 aufgenommene Magisterstudium kein Anspruch mehr auf Leistungen nach dem BAföG bestand. Ist aber eine Ausbildung gemäß dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähig, ändert sich an dem SGB II-Leistungsausschluss nicht dadurch etwas, dass sie konkret im Hinblick auf die Ausbildungsbiographie des Antragstellers nicht gefördert wird. Es kommt nur darauf an, dass die Ausbildung dem Grunde nach gefördert werden kann, auch wenn der Betroffene konkret (aus den unterschiedlichsten Gründen etwa wie hier wegen eines Fachrichtungswechsels) keinen Anspruch auf BAföG hat (vgl. Bayerisches LSG, a.a.O.).
Eine Leistungsberechtigung nach dem SGB II kommt auch nicht nach § 7 Abs. 6 SGB II in Betracht, wonach geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen Absatz 5 der Vorschrift keine Anwendung findet. Weder bemisst sich der Bedarf des Antragstellers nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG, noch scheitert sein Anspruch auf BAföG daran, dass er noch im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils wohnt (§ 2 Abs. 1a BAföG).
Zu Unrecht hat das Sozialgericht Potsdam seine Anordnung der Verpflichtung zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen im Wege eines Darlehens darauf gestützt, dass die Antragsgegnerin keine ausreichende Ermessensentscheidung nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II getroffen habe. Das Sozialgericht verkennt offenbar, dass die Beurteilung, ob ein "besonderer Härtefall" vorliegt, nicht im Ermessen der Antragsgegnerin steht. Vielmehr setzt eine Verpflichtung zur – auch vorläufigen - Gewährung der Leistungen tatbestandlich voraus, dass beim Antragsteller ein - das Ermessen erst eröffnender - besonderer Härtefall vorliegt, der es ausnahmsweise rechtfertigt, dass einem Auszubildenden Leistungen gewährt werden können. Ein besonderer Härtefall liegt nur vor, wenn die Folgen des Leistungsausschlusses über das Maß dessen hinausgehen, was als regelmäßige Belastung mit der Schaffung des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II in Kauf genommen worden ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006, L 10 AS 545/06 mwN).
Ein besonderer Härtefall in diesem Sinne besteht nach den Umständen des Einzelfalls jedoch nicht. Anhaltspunkte für Erkrankung oder Behinderung des 1980 geborenen Antragstellers liegen nicht vor. Das Studium des Antragstellers steht auch nicht unmittelbar vor dem Abschluss, da er erst zum Wintersemester 2004/2005 den Fachrichtungswechsel vollzogen hat. Es sind auch keine persönlichen oder familiären Verpflichtungen dargetan, die für sich genommen einen besonderen Härtefall begründen würden. Keineswegs liegt ein besonderer Härtefall im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II bereits dann vor, wenn ein Auszubildender zur Finanzierung seiner Ausbildung eine den Lebensunterhalt nicht deckende Nebentätigkeit aufgenommen hat, wie dies der Antragsteller mit seiner stundenweisen Arbeit als Auslieferungsfahrer für einen Pizza-Service - zumindest zwischenzeitlich - getan hat. Wie die Antragsgegnerin zu Recht ausgeführt hat, wird eine solche Nebentätigkeit von vielen Studierenden neben dem Studium ausgeübt, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es mag nachvollziehbar sein, dass es für den Antragsteller wünschenswert wäre, seine Ausbildung ohne Nebentätigkeit durchzuführen. Die vom Gesetzgeber vorgesehenen Leistungen zur Ausbildungsförderung hätte er jedoch bereits anlässlich seines ersten Studiums in Anspruch nehmen können. Dass er erst nach dem 4. Fachsemester einen Fachrichtungswechsel vollzogen und daher keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung (mehr) hat, kann nicht auf der Grundlage der Grundsicherung zu einer weitergehenden Förderung führen, als das BAföG dies vorsieht. Denn Sinn des Gesetzes ist es, so wie früher die Sozialhilfe nunmehr auch die Grundsicherung von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O). Die Leistungen zur Grundsicherung dienen nicht dem Zweck, gleichsam eine Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene sicherzustellen, nachdem die primär dafür vorgesehenen Leistungen nicht mehr gewährt werden können. Diese Bestimmungen würden andernfalls durch die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II unterlaufen.
Nach alldem war auf die Beschwerde der Antragsgegnerin der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 02. Januar 2006 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist auch begründet, denn dem Antragsteller sind keine vorläufigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Form eines Darlehens nach § 7 Abs. 5 Satz 2 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB II) zu gewähren.
Nach § 86b Abs. 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch zusteht, d.h. die Antragsgegnerin im Klageverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dazu verpflichtet werden wird, ihm laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit ab November 2005 zu gewähren.
Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten diejenigen Personen Leistungen nach dem SGB II, die das 15., nicht aber das 65. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes haben nach Absatz 5 Satz 1 SGB II hingegen Auszubildende, deren Ausbildung unter anderem im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist. Dabei kommt es auf die grundsätzliche Förderungsfähigkeit einer konkreten Ausbildung an und nicht darauf, ob ein Studierender tatsächlich BAföG erhält (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 20.1.2006 – L 7 AS 6/05 mwN). Eine solche Ausbildung führt der Antragsteller durch. Er ist als Student für ein Magisterstudium (Slav./Russ.) an der Universität in P eingeschrieben und geht damit einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung nach. Ihm werden keine Leistungen nach dem BAföG gewährt, weil er seine erste Ausbildung (Studium der Betriebswirtschaft vom Wintersemester 2002/2003 bis Sommersemester 2004) nicht fortgeführt und den Fachrichtungswechsel zu seinem Magisterstudium erst nach dem 4. Fachsemester vollzogen hat. Nach dem Bescheid des Amts für Ausbildungsförderung (Studentenwerk P) vom 5.10.2004 bestand für den Fachrichtungswechsel auch kein unabweisbarer Grund, weshalb für das zum Wintersemester 2004 aufgenommene Magisterstudium kein Anspruch mehr auf Leistungen nach dem BAföG bestand. Ist aber eine Ausbildung gemäß dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähig, ändert sich an dem SGB II-Leistungsausschluss nicht dadurch etwas, dass sie konkret im Hinblick auf die Ausbildungsbiographie des Antragstellers nicht gefördert wird. Es kommt nur darauf an, dass die Ausbildung dem Grunde nach gefördert werden kann, auch wenn der Betroffene konkret (aus den unterschiedlichsten Gründen etwa wie hier wegen eines Fachrichtungswechsels) keinen Anspruch auf BAföG hat (vgl. Bayerisches LSG, a.a.O.).
Eine Leistungsberechtigung nach dem SGB II kommt auch nicht nach § 7 Abs. 6 SGB II in Betracht, wonach geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen Absatz 5 der Vorschrift keine Anwendung findet. Weder bemisst sich der Bedarf des Antragstellers nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG, noch scheitert sein Anspruch auf BAföG daran, dass er noch im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils wohnt (§ 2 Abs. 1a BAföG).
Zu Unrecht hat das Sozialgericht Potsdam seine Anordnung der Verpflichtung zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen im Wege eines Darlehens darauf gestützt, dass die Antragsgegnerin keine ausreichende Ermessensentscheidung nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II getroffen habe. Das Sozialgericht verkennt offenbar, dass die Beurteilung, ob ein "besonderer Härtefall" vorliegt, nicht im Ermessen der Antragsgegnerin steht. Vielmehr setzt eine Verpflichtung zur – auch vorläufigen - Gewährung der Leistungen tatbestandlich voraus, dass beim Antragsteller ein - das Ermessen erst eröffnender - besonderer Härtefall vorliegt, der es ausnahmsweise rechtfertigt, dass einem Auszubildenden Leistungen gewährt werden können. Ein besonderer Härtefall liegt nur vor, wenn die Folgen des Leistungsausschlusses über das Maß dessen hinausgehen, was als regelmäßige Belastung mit der Schaffung des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II in Kauf genommen worden ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2006, L 10 AS 545/06 mwN).
Ein besonderer Härtefall in diesem Sinne besteht nach den Umständen des Einzelfalls jedoch nicht. Anhaltspunkte für Erkrankung oder Behinderung des 1980 geborenen Antragstellers liegen nicht vor. Das Studium des Antragstellers steht auch nicht unmittelbar vor dem Abschluss, da er erst zum Wintersemester 2004/2005 den Fachrichtungswechsel vollzogen hat. Es sind auch keine persönlichen oder familiären Verpflichtungen dargetan, die für sich genommen einen besonderen Härtefall begründen würden. Keineswegs liegt ein besonderer Härtefall im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II bereits dann vor, wenn ein Auszubildender zur Finanzierung seiner Ausbildung eine den Lebensunterhalt nicht deckende Nebentätigkeit aufgenommen hat, wie dies der Antragsteller mit seiner stundenweisen Arbeit als Auslieferungsfahrer für einen Pizza-Service - zumindest zwischenzeitlich - getan hat. Wie die Antragsgegnerin zu Recht ausgeführt hat, wird eine solche Nebentätigkeit von vielen Studierenden neben dem Studium ausgeübt, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es mag nachvollziehbar sein, dass es für den Antragsteller wünschenswert wäre, seine Ausbildung ohne Nebentätigkeit durchzuführen. Die vom Gesetzgeber vorgesehenen Leistungen zur Ausbildungsförderung hätte er jedoch bereits anlässlich seines ersten Studiums in Anspruch nehmen können. Dass er erst nach dem 4. Fachsemester einen Fachrichtungswechsel vollzogen und daher keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung (mehr) hat, kann nicht auf der Grundlage der Grundsicherung zu einer weitergehenden Förderung führen, als das BAföG dies vorsieht. Denn Sinn des Gesetzes ist es, so wie früher die Sozialhilfe nunmehr auch die Grundsicherung von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O). Die Leistungen zur Grundsicherung dienen nicht dem Zweck, gleichsam eine Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene sicherzustellen, nachdem die primär dafür vorgesehenen Leistungen nicht mehr gewährt werden können. Diese Bestimmungen würden andernfalls durch die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II unterlaufen.
Nach alldem war auf die Beschwerde der Antragsgegnerin der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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