Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 1865/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 76/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18.06.2004 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit steht, ob die Beklagte die Klägerin als Entleiherin der Beigeladenen zu 6. –8.), Arbeitnehmer des verleihenden Beigeladenen zu 5.), für nicht entrichtete Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch nehmen kann.
Die Klägerin hatte zwischen Januar und Mai 1998 die Beigeladenen zu 6. – 8.) vom Beigeladenen zu 5. entliehen. Dieser führte die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge nicht an die Beklagte ab.
Mit Schreiben vom 24. März 1998 mahnte die Beklagte beim Beigeladenen zu 5.) rückständige Beiträge bis Februar 1998 und Säumniszuschläge in Höhe von 19.436,86 DM an. Sie erteilte am 25. März 1998 (unter der Angabe eines Mahndatums 17. März 1998) einen Vollstreckungsauftrag. In dem Auftrag war ein Zahlungseingang/Vollziehung vom 16. März 1998 über 8.068,21 DM verzeichnet. Handschriftlich ist eine weitere Zahlung vom 17. April 1998 über 5.000,00 DM vermerkt. Am 17. April 1998 fand eine fruchtlose Pfändung statt (VV Blatt 25). Der Beigeladene zu 5.) meldete sein Gewerbe (unter anderem gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung) am 28. Mai 1998 ab (VV Blatt 51). Weitere Zahlungen von ihm an die Beklagte erfolgten nicht. Er gab im Juli 1998 vor dem Amtsgericht Hoyerswerda die eidesstattliche Versicherung ab. Nachdem ein weiterer Vollstreckungsversuch zwei Jahre später ergebnislos blieb (vgl. Vollstreckungsprotokoll vom 15. März 2000; VV Blatt 48 f) bat ihn die Beklagte, ihr die Namen der in der Zeit von Januar 1998 bis zum Mai 1998 entliehenen Arbeitnehmer, deren Entleiher, den Zeitpunkt der Entleihung und das gezahlte Bruttogehalt mitzuteilen. Nach Erhalt der Angaben forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 18. September 2000 auf, binnen 14 Tagen die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge für die von ihr in der Zeit vom 5. Januar 1998 bis zum 18. Mai 1998 entliehenen Arbeitnehmer in Höhe von 6.135,00 DM zuzüglich Säumniszuschläge gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV (monatlich 1 Prozent) ab 19. September 2000 zu zahlen. Dem Bescheid war eine Aufstellung über die einzelnen Arbeitnehmer beigefügt. Die Klägerin erhob hiergegen mit Schreiben vom 17. Oktober 2000 Widerspruch und wandte unter anderem ein, die Geltendmachung sei verwirkt. Die Einzugsstelle könne nicht über zwei Jahre Zahlungsrückstände tolerieren und untätig bleiben, um erst dann einen Bürgen in Anspruch zu nehmen. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 5. April 2001 geklagt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, vereinbarungsgemäß die Löhne einschließlich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge an den Beigeladenen zu 5. abgeführt zu haben. Die letzte Überweisung sei (erst) am 18. Juli 1998 erfolgt. Sie habe noch im April 1998 beim zuständigen Landesarbeitsamt nachgefragt, ob die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung weiterhin bestehe. Auch hätte sie die Beklagte jeweils pünktlich zu Beginn der Entleihung informiert. Diese hätte sie deshalb unverzüglich über die Zahlungsrückstände informieren können. Die Beklagte habe sich rechtsmissbräuchlich verhalten, in dem sie es unterlassen habe, der Klägerin und dem Landesarbeitsamt die Zahlungsunfähigkeit mitzuteilen. Die Klägerin hätte sich bei rechtzeitiger Information auf die Situation einstellen können. Eine zeitnahe Reaktion der Beklagten hätte nicht nur "positive Auswirkungen für ( ) künftige Zahlungsverpflichtungen gehabt", sondern Ermittlungen hinsichtlich des Verbleibes der bereits gezahlten und nicht abgeführten Beiträge ermöglichen können. Zu bemängeln sei weiter, dass weder Insolvenzantrag gestellt noch ein Strafantrag erwogen worden sei.
Der Beigeladene zu 5. hat mit Schreiben vom 3. April 2002 mitgeteilt, er könne keine Aussagen machen, da er von der Angelegenheit AOK gegen Rohrleitungsbau keine Kenntnis habe.
Die Beklagte hat erwidert, von einem Insolvenzantrag bzw. dinglichen Vollstreckungsantrag bewusst abgesehen zu haben, weil zum einen selbst die Masse für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens nicht vorgelegen zu haben schien, und zum anderen das nur im Miteigentum des Klägers stehende Einfamilienhaus hoch belastet gewesen sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 2004 hat die Beklagte erklärt, den Klageanspruch in Bezug auf den Beigeladenen zu 7. für die Zeit vom 16. Februar 1998 bis zum 28. Februar 1998 anzuerkennen, weil dieser zur fraglichen Zeit nicht an die Klägerin entliehen gewesen sei. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.
Das Sozialgericht Berlin (SG) hat der Klage mit Urteil vom 18. Juni 2004 stattgegeben. Zwar sei die Regel gemäß § 28 e Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch, 4. Buch (SGB IV) verfassungsrechtlich unbedenklich. Hier jedoch dürfe die Klägerin ihre Inanspruchnahme verweigern, weil die Beklagte sie über ihre mögliche Einstandspflicht nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt habe. Die Beklagte habe insoweit rechtsmissbräuchlich gehandelt. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Beschluss vom 29. Juni 2000 – B 12 KR 10/00 B – nicht ausgeschlossen, dass der Entleiher sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen könne, obgleich ein besonderes Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen Einzugsstelle und Entleiher, aufgrund dessen die Einzugsstelle auch zur Wahrung der Interessen des Entleihers verpflichtet sein könnte, nicht ausdrücklich geregelt sei. Hier hätte die Beklagte nach Treu und Glauben der Klägerin die drohende Inanspruchnahme frühzeitig mitteilen müssen. Dies wäre ihr leicht möglich gewesen. So hätten ihr die Kontrollmeldungen nach § 28 a Abs. 4 SGB IV vorgelegen. Sie hätte deshalb spätestens nach der Mahnung vom 24. März 1998 auch die Klägerin in Kenntnis setzen können und dürfen, denn spätestens ab diesem Zeitpunkt habe diese als Entleiherin selbstschuldnerisch für die fälligen Beiträge nach § 28 i Abs. 2 Satz 2 SGB IV gehaftet. Sie hätte zu dieser Zeit auch alle Entleihdaten zur Verfügung gehabt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Eine Pflicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die Klägerin rechtzeitig zu warnen, habe nicht bestanden (GA Blatt 144 ff). Das Risiko, dass der Verleiher trotz Vereinnahmung Sozialversicherungsbeiträge nicht abführe, trage nach § 2 e Abs. 2 SGB IV der Entleiher. Nach § 1a des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (AEntG) hafte im Baugewerbe der Generalunternehmer als Bürge sogar für die Zahlung des Mindestlohnes. Die Inanspruchnahme der Klägerin sei auch nicht verwirkt. Die Klägerin habe nicht aufgrund eines bestimmten Verhaltens der Beklagten darauf vertraut, dass diese ihr Recht nicht mehr geltend machen würde und habe sich auch nicht so eingerichtet (Vertrauensverhalten), dass ihr durch die Durchsetzung jetzt ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. So habe die Beklagte nie der Klägerin zu erkennen gegeben, auf ihre Rechte zu verzichten. Darauf habe die Klägerin nicht allein deshalb vertrauen können, weil die Inanspruchnahme erst nach zwei Jahren erfolgt seien. Von der Einzugsstelle könne schließlich nicht erwartet werden, sich spätestens nach der Mahnung des Verleihers mit dem Entleiher in Verbindung zu setzen. Es müsse vielmehr zunächst ermittelt werden, welche Arbeitnehmer wohin entliehen worden seien. Die Mitteilung der Angaben gemäß § 28 a Abs. 4 SGB IV versetze die Einzugsstellen nicht in die Lage, die konkreten Sozialversicherungsbeiträge festzustellen. Dazu reichten auch nicht die normalen Beitragsnachweise des Verleihers als Arbeitgeber gemäß § 28 f Abs. 3 SGB IV aus. Denn diesen könne nur der Gesamtsozialversicherungsbeitrag entnommen werden. Welcher Beitrag für den einzelnen Arbeitnehmer zu zahlen sei, könne nur aus dem jeweiligen Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers entsprechend den Lohnunterlagen des Verleihers errechnet werden. Dafür sei also die Mitwirkung des Verleihers erforderlich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das SG habe zutreffend treuwidriges Verhalten angenommen.
Entscheidungsgründe:
Es konnte entschieden werden, obgleich in der mündlichen Verhandlung für die Beigeladenen niemand erschienen ist. Alle Beteiligten sind nach § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darauf hingewiesen worden, dass im Falle des Ausbleibens nach Lage der Akte entschieden werden kann.
Die Berufung ist begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil die abstrakte Rechtslage zwar zutreffend dargestellt. Auf die Ausführungen wird insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Im konkreten Fall jedoch hat sich die Beklagte der Klägerin gegenüber nicht treuwidrig verhalten oder ansonsten ihren Anspruch verwirkt:
Gemäß § 28 e Abs. 2 SGB IV haftet der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge für die Erfüllung der die Gesamtsozialversicherungsbeiträge betreffenden Zahlungspflicht des Arbeitgebers (§ 28 e Abs. 1 SGB IV), soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Er kann die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist. Damit haftet der Entleiher öffentlich-rechtlich wie ein selbstschuldnerischer Bürge (§§ 765 ff BGB) und kann gemäß § 768 BGB die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Hier steht außer Streit, dass die Voraussetzungen des § 28 e SGB IV vorliegen, womit die Zahlungspflicht entstanden ist, und Einreden nach § 768 BGB nicht bestehen, also solche des Beigeladenen zu 5.) gegen die Beklagte hinsichtlich der Fälligkeit der streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge.
Ob ein Bürge darüber hinaus berechtigt sein kann, dem geltend gemachten Anspruch ein treuwidriges Verhalten der Beklagten als Einzugsstelle entgegenzuhalten (so angedeutet im Beschluss des BSG vom 29. Juni 2000 – B 12 KR 10/00 B – Juris) braucht nicht entschieden zu werden. Ein solches Verhalten liegt im konkreten Fall jedenfalls nicht vor. Ausdrückliche Regelungen des Verhältnisses zwischen Entleiher und Einzugsstelle gibt es nicht (BSG, a. a. O.). Ein treuwidriges Verhalten der Beklagten nach allgemeinen Grundsätzen als Bürgschaftsgläubigerin gegenüber der Klägerin als Bürgen wäre nur denkbar, wenn die Beklagte sich entweder dem Beigeladenen zu 5.) gegenüber hätte etwas zu schulden kommen lassen, insbesondere dessen wirtschaftlichen Zusammenbruch verschuldet hätte, oder sich die jetzige Inanspruchnahme ansonsten rechtsmissbräuchlich darstellen würde (vgl. zu möglichen Fällen treuwidrigen Verhaltens des Bürgschaftsgläubigers: Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 29. Juni 2004 – IX ZR 201/98 – MDR 2004,1415 Randnr. 45 mit weiteren Nachweisen). Dass die Beklagte die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Beigeladenen zu 5.) mitverursacht haben könnte, ist nicht ersichtlich. Auch für einen sonstigen Rechtsmissbrauch fehlen Anhaltspunkte. Erforderlich wäre hierfür regelmäßig eine besonders schwerwiegende, grobe Pflichtverletzung des treuwidrig handelnden Berechtigten (BGH, a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Selbst wenn die Einzugsstelle allgemein verpflichtet wäre, einen Entleiher, welcher seiner Pflichtanzeige nach § 28 a Abs. 4 SGB IV in der vor dem 1. Januar 2003 geltenden Fassung nachgekommen ist, auf drohende oder bestehende Zahlungsunfähigkeit des Verleihers hinzuweisen, handelte es sich bei einer Verletzung nicht um einen besonders schwerwiegenden, groben Verstoß. Gegen eine solche Pflicht spricht, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, dass es dem Entleiher im Rechtsverkehr regelmäßig möglich und zumutbar ist, vom Entleiher geeignete Nachweise über die Erfüllung seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten zu fordern. Gegen eine Pflichtverletzung ist vorliegend auch anzuführen, dass sich die Situation im Frühjahr 1998 nicht so eindeutig darstellt, wie die Rückschau ergibt. Der Beigeladene zu 5. hat im März und April 1998 immerhin noch beträchtliche Teilleistungen auf seine rückständigen Beitragsforderungen geleistet. Es hätte sich aus damaliger Sicht betrachtet um zwischenzeitliche Zahlungsverzögerungen und keine generelle Säumnis handeln können.
Wie die Beklagte ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, besteht auch kein Verwirkungstatbestand aufgrund des Umstandes, dass die Beklagte erst zwei Jahre später die Klägerin in Anspruch genommen hat, weil es bereits an einem vertrauensbedingten Verhalten der Klägerin mangelt. (vgl. zu den Voraussetzungen für die Verwirkung eines Rechts in der Sozialversicherung zum Beispiel BSG, Urteil vom 28. April 1987 -12 RK 14/85- mit Bezug auf BSGE 47,194).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung (Artikel 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-Änderungsgesetz entsprechend, ständige Rechtsprechung des BSG). Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Im Streit steht, ob die Beklagte die Klägerin als Entleiherin der Beigeladenen zu 6. –8.), Arbeitnehmer des verleihenden Beigeladenen zu 5.), für nicht entrichtete Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch nehmen kann.
Die Klägerin hatte zwischen Januar und Mai 1998 die Beigeladenen zu 6. – 8.) vom Beigeladenen zu 5. entliehen. Dieser führte die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge nicht an die Beklagte ab.
Mit Schreiben vom 24. März 1998 mahnte die Beklagte beim Beigeladenen zu 5.) rückständige Beiträge bis Februar 1998 und Säumniszuschläge in Höhe von 19.436,86 DM an. Sie erteilte am 25. März 1998 (unter der Angabe eines Mahndatums 17. März 1998) einen Vollstreckungsauftrag. In dem Auftrag war ein Zahlungseingang/Vollziehung vom 16. März 1998 über 8.068,21 DM verzeichnet. Handschriftlich ist eine weitere Zahlung vom 17. April 1998 über 5.000,00 DM vermerkt. Am 17. April 1998 fand eine fruchtlose Pfändung statt (VV Blatt 25). Der Beigeladene zu 5.) meldete sein Gewerbe (unter anderem gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung) am 28. Mai 1998 ab (VV Blatt 51). Weitere Zahlungen von ihm an die Beklagte erfolgten nicht. Er gab im Juli 1998 vor dem Amtsgericht Hoyerswerda die eidesstattliche Versicherung ab. Nachdem ein weiterer Vollstreckungsversuch zwei Jahre später ergebnislos blieb (vgl. Vollstreckungsprotokoll vom 15. März 2000; VV Blatt 48 f) bat ihn die Beklagte, ihr die Namen der in der Zeit von Januar 1998 bis zum Mai 1998 entliehenen Arbeitnehmer, deren Entleiher, den Zeitpunkt der Entleihung und das gezahlte Bruttogehalt mitzuteilen. Nach Erhalt der Angaben forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 18. September 2000 auf, binnen 14 Tagen die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge für die von ihr in der Zeit vom 5. Januar 1998 bis zum 18. Mai 1998 entliehenen Arbeitnehmer in Höhe von 6.135,00 DM zuzüglich Säumniszuschläge gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV (monatlich 1 Prozent) ab 19. September 2000 zu zahlen. Dem Bescheid war eine Aufstellung über die einzelnen Arbeitnehmer beigefügt. Die Klägerin erhob hiergegen mit Schreiben vom 17. Oktober 2000 Widerspruch und wandte unter anderem ein, die Geltendmachung sei verwirkt. Die Einzugsstelle könne nicht über zwei Jahre Zahlungsrückstände tolerieren und untätig bleiben, um erst dann einen Bürgen in Anspruch zu nehmen. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 5. April 2001 geklagt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, vereinbarungsgemäß die Löhne einschließlich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge an den Beigeladenen zu 5. abgeführt zu haben. Die letzte Überweisung sei (erst) am 18. Juli 1998 erfolgt. Sie habe noch im April 1998 beim zuständigen Landesarbeitsamt nachgefragt, ob die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung weiterhin bestehe. Auch hätte sie die Beklagte jeweils pünktlich zu Beginn der Entleihung informiert. Diese hätte sie deshalb unverzüglich über die Zahlungsrückstände informieren können. Die Beklagte habe sich rechtsmissbräuchlich verhalten, in dem sie es unterlassen habe, der Klägerin und dem Landesarbeitsamt die Zahlungsunfähigkeit mitzuteilen. Die Klägerin hätte sich bei rechtzeitiger Information auf die Situation einstellen können. Eine zeitnahe Reaktion der Beklagten hätte nicht nur "positive Auswirkungen für ( ) künftige Zahlungsverpflichtungen gehabt", sondern Ermittlungen hinsichtlich des Verbleibes der bereits gezahlten und nicht abgeführten Beiträge ermöglichen können. Zu bemängeln sei weiter, dass weder Insolvenzantrag gestellt noch ein Strafantrag erwogen worden sei.
Der Beigeladene zu 5. hat mit Schreiben vom 3. April 2002 mitgeteilt, er könne keine Aussagen machen, da er von der Angelegenheit AOK gegen Rohrleitungsbau keine Kenntnis habe.
Die Beklagte hat erwidert, von einem Insolvenzantrag bzw. dinglichen Vollstreckungsantrag bewusst abgesehen zu haben, weil zum einen selbst die Masse für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens nicht vorgelegen zu haben schien, und zum anderen das nur im Miteigentum des Klägers stehende Einfamilienhaus hoch belastet gewesen sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 2004 hat die Beklagte erklärt, den Klageanspruch in Bezug auf den Beigeladenen zu 7. für die Zeit vom 16. Februar 1998 bis zum 28. Februar 1998 anzuerkennen, weil dieser zur fraglichen Zeit nicht an die Klägerin entliehen gewesen sei. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.
Das Sozialgericht Berlin (SG) hat der Klage mit Urteil vom 18. Juni 2004 stattgegeben. Zwar sei die Regel gemäß § 28 e Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch, 4. Buch (SGB IV) verfassungsrechtlich unbedenklich. Hier jedoch dürfe die Klägerin ihre Inanspruchnahme verweigern, weil die Beklagte sie über ihre mögliche Einstandspflicht nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt habe. Die Beklagte habe insoweit rechtsmissbräuchlich gehandelt. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Beschluss vom 29. Juni 2000 – B 12 KR 10/00 B – nicht ausgeschlossen, dass der Entleiher sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen könne, obgleich ein besonderes Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen Einzugsstelle und Entleiher, aufgrund dessen die Einzugsstelle auch zur Wahrung der Interessen des Entleihers verpflichtet sein könnte, nicht ausdrücklich geregelt sei. Hier hätte die Beklagte nach Treu und Glauben der Klägerin die drohende Inanspruchnahme frühzeitig mitteilen müssen. Dies wäre ihr leicht möglich gewesen. So hätten ihr die Kontrollmeldungen nach § 28 a Abs. 4 SGB IV vorgelegen. Sie hätte deshalb spätestens nach der Mahnung vom 24. März 1998 auch die Klägerin in Kenntnis setzen können und dürfen, denn spätestens ab diesem Zeitpunkt habe diese als Entleiherin selbstschuldnerisch für die fälligen Beiträge nach § 28 i Abs. 2 Satz 2 SGB IV gehaftet. Sie hätte zu dieser Zeit auch alle Entleihdaten zur Verfügung gehabt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Eine Pflicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die Klägerin rechtzeitig zu warnen, habe nicht bestanden (GA Blatt 144 ff). Das Risiko, dass der Verleiher trotz Vereinnahmung Sozialversicherungsbeiträge nicht abführe, trage nach § 2 e Abs. 2 SGB IV der Entleiher. Nach § 1a des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (AEntG) hafte im Baugewerbe der Generalunternehmer als Bürge sogar für die Zahlung des Mindestlohnes. Die Inanspruchnahme der Klägerin sei auch nicht verwirkt. Die Klägerin habe nicht aufgrund eines bestimmten Verhaltens der Beklagten darauf vertraut, dass diese ihr Recht nicht mehr geltend machen würde und habe sich auch nicht so eingerichtet (Vertrauensverhalten), dass ihr durch die Durchsetzung jetzt ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. So habe die Beklagte nie der Klägerin zu erkennen gegeben, auf ihre Rechte zu verzichten. Darauf habe die Klägerin nicht allein deshalb vertrauen können, weil die Inanspruchnahme erst nach zwei Jahren erfolgt seien. Von der Einzugsstelle könne schließlich nicht erwartet werden, sich spätestens nach der Mahnung des Verleihers mit dem Entleiher in Verbindung zu setzen. Es müsse vielmehr zunächst ermittelt werden, welche Arbeitnehmer wohin entliehen worden seien. Die Mitteilung der Angaben gemäß § 28 a Abs. 4 SGB IV versetze die Einzugsstellen nicht in die Lage, die konkreten Sozialversicherungsbeiträge festzustellen. Dazu reichten auch nicht die normalen Beitragsnachweise des Verleihers als Arbeitgeber gemäß § 28 f Abs. 3 SGB IV aus. Denn diesen könne nur der Gesamtsozialversicherungsbeitrag entnommen werden. Welcher Beitrag für den einzelnen Arbeitnehmer zu zahlen sei, könne nur aus dem jeweiligen Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers entsprechend den Lohnunterlagen des Verleihers errechnet werden. Dafür sei also die Mitwirkung des Verleihers erforderlich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das SG habe zutreffend treuwidriges Verhalten angenommen.
Entscheidungsgründe:
Es konnte entschieden werden, obgleich in der mündlichen Verhandlung für die Beigeladenen niemand erschienen ist. Alle Beteiligten sind nach § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darauf hingewiesen worden, dass im Falle des Ausbleibens nach Lage der Akte entschieden werden kann.
Die Berufung ist begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil die abstrakte Rechtslage zwar zutreffend dargestellt. Auf die Ausführungen wird insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Im konkreten Fall jedoch hat sich die Beklagte der Klägerin gegenüber nicht treuwidrig verhalten oder ansonsten ihren Anspruch verwirkt:
Gemäß § 28 e Abs. 2 SGB IV haftet der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge für die Erfüllung der die Gesamtsozialversicherungsbeiträge betreffenden Zahlungspflicht des Arbeitgebers (§ 28 e Abs. 1 SGB IV), soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Er kann die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist. Damit haftet der Entleiher öffentlich-rechtlich wie ein selbstschuldnerischer Bürge (§§ 765 ff BGB) und kann gemäß § 768 BGB die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Hier steht außer Streit, dass die Voraussetzungen des § 28 e SGB IV vorliegen, womit die Zahlungspflicht entstanden ist, und Einreden nach § 768 BGB nicht bestehen, also solche des Beigeladenen zu 5.) gegen die Beklagte hinsichtlich der Fälligkeit der streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge.
Ob ein Bürge darüber hinaus berechtigt sein kann, dem geltend gemachten Anspruch ein treuwidriges Verhalten der Beklagten als Einzugsstelle entgegenzuhalten (so angedeutet im Beschluss des BSG vom 29. Juni 2000 – B 12 KR 10/00 B – Juris) braucht nicht entschieden zu werden. Ein solches Verhalten liegt im konkreten Fall jedenfalls nicht vor. Ausdrückliche Regelungen des Verhältnisses zwischen Entleiher und Einzugsstelle gibt es nicht (BSG, a. a. O.). Ein treuwidriges Verhalten der Beklagten nach allgemeinen Grundsätzen als Bürgschaftsgläubigerin gegenüber der Klägerin als Bürgen wäre nur denkbar, wenn die Beklagte sich entweder dem Beigeladenen zu 5.) gegenüber hätte etwas zu schulden kommen lassen, insbesondere dessen wirtschaftlichen Zusammenbruch verschuldet hätte, oder sich die jetzige Inanspruchnahme ansonsten rechtsmissbräuchlich darstellen würde (vgl. zu möglichen Fällen treuwidrigen Verhaltens des Bürgschaftsgläubigers: Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 29. Juni 2004 – IX ZR 201/98 – MDR 2004,1415 Randnr. 45 mit weiteren Nachweisen). Dass die Beklagte die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Beigeladenen zu 5.) mitverursacht haben könnte, ist nicht ersichtlich. Auch für einen sonstigen Rechtsmissbrauch fehlen Anhaltspunkte. Erforderlich wäre hierfür regelmäßig eine besonders schwerwiegende, grobe Pflichtverletzung des treuwidrig handelnden Berechtigten (BGH, a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Selbst wenn die Einzugsstelle allgemein verpflichtet wäre, einen Entleiher, welcher seiner Pflichtanzeige nach § 28 a Abs. 4 SGB IV in der vor dem 1. Januar 2003 geltenden Fassung nachgekommen ist, auf drohende oder bestehende Zahlungsunfähigkeit des Verleihers hinzuweisen, handelte es sich bei einer Verletzung nicht um einen besonders schwerwiegenden, groben Verstoß. Gegen eine solche Pflicht spricht, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, dass es dem Entleiher im Rechtsverkehr regelmäßig möglich und zumutbar ist, vom Entleiher geeignete Nachweise über die Erfüllung seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten zu fordern. Gegen eine Pflichtverletzung ist vorliegend auch anzuführen, dass sich die Situation im Frühjahr 1998 nicht so eindeutig darstellt, wie die Rückschau ergibt. Der Beigeladene zu 5. hat im März und April 1998 immerhin noch beträchtliche Teilleistungen auf seine rückständigen Beitragsforderungen geleistet. Es hätte sich aus damaliger Sicht betrachtet um zwischenzeitliche Zahlungsverzögerungen und keine generelle Säumnis handeln können.
Wie die Beklagte ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, besteht auch kein Verwirkungstatbestand aufgrund des Umstandes, dass die Beklagte erst zwei Jahre später die Klägerin in Anspruch genommen hat, weil es bereits an einem vertrauensbedingten Verhalten der Klägerin mangelt. (vgl. zu den Voraussetzungen für die Verwirkung eines Rechts in der Sozialversicherung zum Beispiel BSG, Urteil vom 28. April 1987 -12 RK 14/85- mit Bezug auf BSGE 47,194).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung (Artikel 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-Änderungsgesetz entsprechend, ständige Rechtsprechung des BSG). Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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