S 26 RJ 38/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 RJ 38/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 300/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Die am 00.00.1917 in A in Polen geb. Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit Juni 1948 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.

Sie beantragte am 04.11.2002 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der Deutschen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Sie gab dabei an, sie habe von 1939 bis 1940 und von 1941 bis 1942 während ihrer Aufenthalte in den Ghettos von Zmigrod und dann Krakau innerhalb der Ghettos Tätigkeiten als Reinigungskraft in Häusern und Büros von Offizieren und auf den Straßen und in Krakau als Näherin von Uniformen verrichtet. Sie habe den ganzen Tag gearbeitet. Sie sei von deutschen Soldaten bewacht worden. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden. Bekommen habe sie dafür Essen, aber keinen Barlohn und keine Sachbezüge (Bl. 10 der Verwaltungsakte). Danach sei sie in diverse Lager gebracht worden (Bl. 41 der Verwaltungsakte). 1945 sei sei befreit worden und dann in ihre Heimat zurückgegangen und danach nach Israel ausgewandert.

Die Beklagte zog die Vorgänge des Wiedergutmachungsamtes in Saarburg nach dem BEG bei. Dort hatte die Klägerin 1956 angegeben, sie habe "Zwangsarbeit" leisten müssen (Bl. 29 der Verwaltungsakte). Ein Zeuge G hatte 1956 angegeben: " ... Ich kenne Frau U aus unserem gemeinsamen Wohnort A. Bereits im September 1939 mussten die Juden Zwangsarbeit leisten in den Gebäuden und Kasernen der Polizei bei Reinigungsarbeiten helfen. Sowohl ich selbst als auch die Genannte mussten diese Arbeiten leisten. Ab Januar 1940 mussten wir auch das Judenzeichen tragen. Später musste ich selbst in einem Steinbruch arbeiten und die Genannte arbeitete weiterhin bei Reinigungsarbeiten ... Die Arbeitszeit war ca. 10 Stunden und die Zwangsarbeiter waren alle Juden. Ich wurde im Juli 1942 nach Plaszow gebracht, während die Genannte noch in Zmigrod verblieb. Im August kam auch die Genannte nach Plaszow und wir verblieben dort bis Oktober 1943 ...!". (Bl. 30 VA).

Mit Bescheid vom 28.10.2003 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustandegekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr sei nach den eigenen Schilderungen der Klägerin im Entschädigungsverfahren von ihren auch bewachten Arbeitseinsätzen dies jeweils als Zwangsarbeit anzusehen gewesen, die nach dem ZRBG nicht anerkannt werden könne. Außerdem sei eine "Entgeltlichkeit" der Arbeit auch nicht anzunehmen, weil die Klägerin nur Essen erhalten habe.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 03.11.2003 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, sie habe Essen und zusätzliche Lebensmittel erhalten, was den Entgeltbegriff erfülle. In einer eidesstattlichen Versicherung erklärte sie: " ... Mein Gedächtnis ist geschwächt, außerdem sind schon 60 Jahre vergangen seit den Kriegszeiten. Nachdem ich meine Erklärung gelesen habe, vom 20.10.1954, habe ich mich erinnert, dass ich im Ghetto Novy Zmygrod Polen war, wahrscheinlich zwischen den Zeiten Januar 1942 und Juli 1942. Dort verrichtete ich auch Zwangsarbeiten eine gewisse Zeit bei Reinigungsarbeiten, und auch arbeitete ich eine Zeit (ungefähr 5 Monate) bei Schneiderei. Vom Ghetto Krakau wurde fehlerweise geschrieben, dass ich dort war. Im August 1942 wurde ich ins Lager Plaszow eingebracht. Dort verblieb ich bis Oktober 1943" (Bl. 53 der Verwaltungsakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung ausführlich wieder und führte noch ergänzend aus, es seien auch Widersprüche im tatsächlichen Vorbringen gegeben, die zu Lasten der Klägerin gingen. Erst im Widerspruchsverfahren habe die Klägerin sich erinnern können, im Ghetto Krakau gar nicht gewesen zu sein. Im Übrigen gehe die Beklagte davon aus, dass für die Tätigkeiten im Ghetto allenfalls geringfügiges Entgelt gewährt worden sei in Form von Essen, nicht aber von Zahlung eines ausreichenden Entgeltes im eigentlichen Sinne.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 09.08.2004 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend, für ihre Tätigkeit habe sie Lohn in Form von besserem Essen und zusätzliche Lebensmittel bekommen. Dies hätte die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. In weiteren schriftlichen Erklärungen im Klageverfahren trägt sie vor:

" ...Vom Anfang des Krieges befand ich mich in meiner Heimatstadt O A und befand mich dort bis August 1942 ... Von den ersten Tagen begann ich an zu arbeiten ... dafür bekam ich zusätzliche Lebensmittel ... Die Frauen blieben im Ghetto und erfüllten verschiedene freiwillige Arbeiten ... im Entschädigungsverfahren habe ich nur meine Zwangsarbeit geschrieben, weil über unsere freiwillige Arbeit hat man uns überhaupt nichts gefragt" (Bl. 12 GA) und " ... Ich bin schon so alt, dass es mir schwer ist, mich an etwas zu erinnern. Bald erinnere ich mich eines, bald an anderes. Ich erinnere mich dass ich zuerst im Ghetto Novy Zmigrod war. Dafür bekam ich von der Ghettoverwaltung Mittagessen jeden Tag und Lebensmittel und Lebensmittelcoupons (genauer kann ich mich nicht erinnern) wöchentlich. Diese Arbeit und diese Entlohnung sicherten damals mein Überleben. Im August 1942 wurde ich ins Ghetto Krakau überführt. Dort befand ich mich etwa fünf Monate und habe mit Hilfe vom Judenrat Arbeiten in der Schneiderei gefunden. Dort habe ich auch von der Schneidereiverwaltung Lebensmittel oder Lebensmittelcoupons wöchentlich erhalten ... Ungefähr am Ende Dezember 1942 wurde ich ins ZAL Plaszow überführt ..." (Bl. 23, 24 der GA).

Die Klägerin beantragt, entsprechend dem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 09.03.2006, schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2004 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr im Ghetto Nowy Zmigrod von Januar 1942 bis Juli 1942 und im Ghetto Krakau von August 1942 bis Dezember 1942 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung - und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden, denn Ersatzzeiten nach Entrichtung ggf. noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, es gebe schon erhebliche Widersprüche im Vorbringen,die die Glaubhaftigkeit insgesamt erschütterten, was Angaben zu Aufenthaltsorten und Zeiträumen geltend gemachter Tätigkeiten betreffe. Letztlich könne dies aber dahinstehen. Unter Berücksichtigung des den Beteiligten bekannten Urteils des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 sei hier jedenfalls von schon nicht ausreichendem Entgelt im Sinne des ZRBG auszugehen, bzw. sei ein solches Entgelt auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Nach den Angaben der Klägerin auch im Klageverfahren habe sie als Entlohnung für die in den Ghettos geleistete Arbeit nur Essen bzw. Sachbezüge bekommen. Das reiche nicht aus, zumal im Regelfall in den Ghettos die Sachbezüge für Juden unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze gelegen hätten.

Das Gericht hat die Entschädigungsvorgänge der Claims Conference beigezogen, wonach die Klägerin eine Entschädigung für den Aufenthalt im Arbeitslager Leipzig erhielt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt auch der Entschädigungsakte des Wiedersgutmachtungsamtes Saarburg Bezug genommen; alle diese Akten und Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit des Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil dieser mit der ihm ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.

Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 28.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2004, sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend glaubhaft gemacht sind und weil allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen, einen Rentenanspruch zu begründen.

Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gem. § 126 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 28.10.2003 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen wesentlichen Voraussetzungen wiedergegeben und insbesondere hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid auch zutreffend darauf hingewiesen, dass auch auf Grund der widersprüchlichen Angaben der Klägerin zum Ghetto Krakau hier nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Voraussetzungen des ZRBG hinreichend glaubhaft dargetan wurden.

Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Voraussetzung für die Gewährung einer Regelaltersrente ist nach § 35 SGB VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung auch der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff. SGB VI hat die Klägerin aber nicht; die Anwendbarkeit des ZRBG zu ihren Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten in der Deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente auch ins Ausland scheitert hier schon daran, dass Beschäftigungen während Aufenthaltes in einem Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nicht nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht sind, die auch für sich eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen geeignet wäre.

I. Es fehlt schon an einem schlüssigen glaubhaften Vortrag für die Annahme von regelmäßigen auch regelmäßig entgeltlichen Tätigkeiten, für die - um rentenversicherungsrechtlich relevant zu sein - sogar ein Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müsste (entsprechend § 1227 der 1941 - 1943 geltenden Reichsversicherungsordnung). Die Klägerin selbst hat nämlich mehrfach in ihren Erklärungen eingeräumt, sich nicht mehr genau an die Einzelheiten erinnern zu können und dass sie immer wieder in ihren Erinnerungen schwanke. Letztlich bleibt nur übrig, dass sie meint, für ihre Tätigkeiten Lebensmittel erhalten zu haben, auch zusätzliche Lebensmittel. Dies steht jedoch in Widerspruch zu ihren ursprünglichen Angaben im Rentenantrag, neben Essen weder Barlohn erhalten zu haben noch sonstige Sachbezüge (Bl. 10 VA). Letztlich kann allenfalls davon ausgegangen werden, dass die Klägerin Lebensmittel gerade in einem Umfang bekam, der knapp ausreichte, ihr eigenes Überleben zu sichern, entsprechend dem Urteil des LSG NRW vom 18.07.2005 (L 3 RJ 101/04), wonach die Lebensmittelrationen im Ghetto aber regelmäßig nur unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze lagen. Dass das Erinnerungsvermögen der Klägerin leider getrübt ist, wird auch dadurch deutlich, dass sie absolut widersprüchliche Angaben zum Ghetto Krakau machte. Im Rentenantrag gab sie einen Aufenthalt auch in Krakau an, erklärte jedoch im Widerspruchsverfahren, dass sie dort überhaupt nicht gewesen sei. In der Klageschrift macht sie jetzt wieder geltend, seit August 1942 im Ghetto Krakau gewesen zu sein und dort Tätigkeiten als Schneiderin ausgeübt zu haben, ab August 1942. Nach der Erklärung im Widerspruchsverfahren war sie aber im August 1942 ins Lager Plaszow gebracht worden, also gar nicht mehr in einem Ghetto. Angesichts all dieser Widersprüche und Unklarheiten muss auch festgehalten werden, dass die Klägerin im Entschädigungsverfahren selbst angegeben hatte, dass sie ab September 1939 habe Zwangsarbeit leisten müssen, was auch der Zeuge G bestätigt (Bl. 29, 30 der Verwaltungsakte); an solchen Erklärungen muss sich ein Betroffener festhalten lassen, wenn solche ursprünglichen Erklärungen nicht schlüssig wiederlegt werden können (vgl. Urteil des LSG NRW vom 18.07.2005 - L 3 RJ 101/04). Es ist mithin nicht schlüssig dargelegt worden, dass abweichend von früheren Angaben im Entschädigungsverfahren und abweichend von früheren Angaben im Rentenverfahren die Klägerin für die von ihr verrichteten Tätigkeiten jedenfalls mehr als das zum Überleben gerade Notwendige erhielt.

II. Im Übrigen wird klägerischerseits offenbar verkannt, dass das ZRBG in der vorliegenden, so von der Bundesregierung 2002 initiierten und vom Bundestag verabschiedeten Form, von vorn herein nicht geeignet ist, Ansprüche für einen wirklich größeren Personenkreis zu begründen und die von den meisten heute noch lebenden Ghetto-Insassen gehegten Erwartungen zu erfüllen. Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes reicht nicht jede Art von Tätigkeit anlässlich Aufenthalt in einem Ghetto aus, um ins Ausland zahlbare Rentenansprüche nach dem ZRBG zu begründen (vgl. BSG vom 07.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R; LSG NRW Urteile vom 03.06.2005 - L 4 R 3/05 und vom 18.07.2005 - L 3 RJ 101/04 und vom 13.01.2006 - L 4 RJ 113/04). Von der Klägerin wurde nichts vorgetragen, was im Lichte in dieser vorgenannten Entscheidungen ihre Ghettotätigkeiten auch glaubhaft anders bewerten könnte.

III. Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der zuletzt vom BSG und dem LSG NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG gibt solche Ansprüche für sie nicht her.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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