L 14 B 768/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 59 AS 6912/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 768/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2006 wird als unzulässig verworfen, soweit sie Zeiträume vor Erlass dieses Beschlusses betrifft, im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwältin K G beigeordnet, Raten aus dem Einkommen oder Vermögen sind nicht zu zahlen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der zu übernehmenden Kosten der Unterkunft.

Der 1953 geborene Antragsteller bezog am 1. Februar 2006 eine in A gelegene 1-Zimmer-Wohnung. Der Antragsgegner gewährte ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II), Kosten der Unterkunft wurden in Höhe von 311 EUR gezahlt. Im Juli 2006 stellte der Antragsteller einen Weitergewährungsantrag, auf dem er angab, seit April des Jahres 400 EUR für eine andere, aber im selben Haus gelegene 1-Zimmer-Wohnung zu zahlen. Der über seiner alten Wohnung lebende Mieter habe ihn durch erheblichen Lärm terrorisiert, so dass er das Angebot des Vermieters zum Wechsel der Wohnung angenommen habe. Die Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 5. Juli 2006 für die Zeit vom 1. August 2006 bis 31. Januar 2007 Leistungen in der bisherigen Höhe. Die jetzigen Unterkunftskosten könnten nur in Höhe der alten Miete anerkannt werden, weil der Umzug ohne Zustimmung des kommunalen Trägers erfolgt sei und der Mietzins auch den als angemessen anzusehenden Bedarf von 360 EUR überschreite. Gegen die Höhe der Unterkunftskosten erhob der Antragsteller Widerspruch, der vom Antragsgegner zurückgewiesen wurde (Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2006).

Mit dem am 2. August 2006 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller, dass der Antragsgegner verpflichtet werde, die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe, hilfsweise in Höhe des Richtlinienwertes von 360 EUR zu übernehmen. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner durch Beschluss vom 24. August 2006 verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 1. August 2006 bis 31. Januar 2007 monatlich 351 EUR als Kosten der Unterkunft zu gewähren, und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Der Antragsteller habe Anspruch auf die Richtlinienmiete von 360 EUR abzüglich 9 EUR für Warmwasserpauschale. Auf die vor dem Umzug nicht eingeholte Zustimmung komme es nicht an, da § 22 Abs. 2 SGB II lediglich eine Warnfunktion habe. Die mit Wirkung vom 1. August 2006 neu in das Gesetz aufgenommene Regelung in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II habe keine Rückwirkung.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 28. August 2006, mit der er geltend macht, dass der Umzug nicht erforderlich gewesen sei. Der Antragsteller habe die Kosten seines eigenen Lebensunterhalts grundlos gesteigert. Dass dieses Verhalten nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen habe, ergebe sich auch aus der mit Wirkung vom 1. August 2006 in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zu findenden Regelung. Die Probleme des Antragstellers mit dem über ihm wohnenden Mieter seien nicht so erheblich gewesen, dass ein Umzug ohne Rücksicht auf die finanziellen Folgen gerechtfertigt erscheine. Der Antragsteller habe vielmehr warten müssen, bis sich die Möglichkeit eines Umzugs ohne Mehrkosten geboten hätte.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Der Umzug sei vor Inkrafttreten des neuen Rechts zum 1. August 2006 erfolgt. Auch habe der Antragsgegner sich nicht damit auseinandergesetzt, ob der Umzug erforderlich gewesen sei. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2006 sei ein Klageverfahren bei dem Sozialgericht Berlin anhängig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist als unzulässig zu verwerfen, soweit sie zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits in der Vergangenheit liegende Zeiträume betrifft (§ 572 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)). Der Beschwerde fehlt das erforderliche Rechtschutzinteresse, soweit sich die einstweilige Anordnung des Sozialgerichts schon erledigt hat. Aufgrund des Beschlusses des Sozialgerichts, dessen Vollstreckbarkeit nicht bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Beschwerdeinstanz ausgesetzt worden ist (Beschluss des Landessozialgerichts vom 8. September 2006), war der Antragsgegner verpflichtet, vorläufig Leistungen zu erbringen. Ob der Antragsgegner zur Rückforderung dieser Leistungen berechtigt ist, kann nicht in einem gerichtlichen Eilverfahren geklärt werden (vgl. im Einzelnen Beschluss des erkennenden Senats vom 26. Juni 2006, L 14 B 471/06 AS ER).

Soweit der in der Zukunft liegende Zeitraum bis zum 31. Januar 2007 betroffen ist, ist die Beschwerde zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Auch nach Auffassung des Senats hat § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der seit dem 1. August 2006 geltenden Fassung nicht nur klarstellende Bedeutung (vgl. nochmals Beschluss des Senats vom 26. Juni 2006, L 14 B 471/06 AS ER). Es kann aber offen bleiben, ob gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die Kosten der Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen soweit angemessen auch dann zu übernehmen sind, wenn sie sich nach einem Umzug erhöht haben, sofern der Umzug nur vor dem 1. August 2006 vorgenommen worden ist. Darauf kommt es nicht entscheidend an, weil vorliegend die überwiegenden Gründe für die Erforderlichkeit des Umzugs sprechen.

Für die Annahme einer Erforderlichkeit ist unerheblich, ob die vom Antragsteller angegebenen Gründe in der vom Antragsgegner angeführten "AV-Wohnen SGB II" aufgelistet sind. Soweit der Begriff der Erforderlichkeit in Verwaltungsvorschriften näher konkretisiert worden ist, vermögen diese Konkretisierungen den Senat nicht zu binden. Erhebliche Lärmbelästigungen, die von einem über der Wohnung lebenden Mieter ausgehen, können durchaus den Wechsel einer Wohnung zu rechtfertigen, wenn sie auf anderem Wege nicht abstellbar sind. Denn sie schränken die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung ein, was sich daran zeigt, dass Lärmbelästigungen unter Umständen eine Mietminderung rechtfertigen (vgl. Bundesgerichtshof, Urt. v. 16. Juli 2003 – VIII ZR 274/02 -). Dass sich der Antragsteller zunächst bemüht hat, über seinen Vermieter eine Reduzierung des Lärms zu erreichen, wird durch den in der Verwaltungsakte des Antragsgegners zu findenden Schriftwechsel belegt. Auch der Antragsgegner stellt dem Grunde nach nicht in Abrede, dass ein sachlicher Anlass für den Wohnungswechsel vorgelegen hat. Er meint indessen, dass dieser keine Mehrkosten auslösen dürfe. Insoweit übersieht er aber, dass nach dem Gesetz die Erforderlichkeit eines Umzugs unabhängig von den durch ihn ausgelösten Kosten zu beurteilen ist. Denn nach § 22 Abs. 2 SGB II rechtfertigt ein erforderlicher Umzug die Übernahme weiterer Aufwendungen.

War der Umzug dem Grunde nach gerechtfertigt, ist der Antragsgegner zur Übernahme der für die neue Wohnung anfallenden Aufwendungen verpflichtet, soweit sie angemessen sind, ohne dass es darauf ankommt, ob in der alten Wohnung Aufwendungen nur in geringerer Höhe angefallen wären. Mit Recht hat also das Sozialgericht den Antragsgegner zur Übernahme der tatsächlichen Kosten in der Höhe verpflichtet, die den üblicherweise übernommenen Aufwendungen entspricht.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den – bedürftigen – Antragsteller und Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten beruht auf dem § 73 a SGG, 114 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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