L 3 AL 3855/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 3855/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Sozialgerichts auf jeweils EUR 1.582,51 festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 29.06.2006 ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat es das Sozialgericht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2004 anzuordnen.

Die gebotene Abwägung (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ergibt, dass das kraft Gesetzes bestehende öffentliche Interesse am Sofortvollzug der im Klageverfahren angegriffenen Bescheide das gegenläufige private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt. Denn die auf § 147a Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gestützten Erstattungsentscheidungen der Antragsgegnerin - deren sofortige Vollziehung gesetzlich angeordnet ist (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 336a SGB III) - sind nach aller Voraussicht rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach § 147a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGB III (in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 24.03.1999 [BGBl I, 396]; vgl. § 434l Abs. 3 SGB III) erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 124 Abs. 1 SGB III die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 24 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, der (damaligen) Bundesanstalt vierteljährlich das Arbeitslosengeld, einschließlich der auf diese Leistung entfallenden Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, für die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 24 Monate. Die Erstattungspflicht tritt nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56. Lebensjahres des Arbeitslosen beendet worden ist, der Arbeitslose auch die Voraussetzung für eine der in § 142 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 4 SGB III genannten Leistungen - z. B. für eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung - oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt oder der Arbeitgeber das Vorliegen weiterer im einzelnen bezeichneter Befreiungsgründe darlegt und nachweist (§ 147a Abs. 1 Satz 2 SGB III).

In Anwendung dieser Regelungen sind mit Blick auf die dem Arbeitslosen Kurt Schmidt in der Zeit vom 01.07.2003 bis zum 30.09.20003 gewährten Leistungen der Antragsgegnerin zunächst die für das Entstehen der Erstattungspflicht der Antragstellerin maßgeblichen Voraussetzungen des § 147a Abs. 1 Satz 1 SGB III erfüllt; dies ist zwischen der Beteiligten auch nicht im Streit. Anders als die Antragstellerin meint, liegt aber voraussichtlich auch keine der in § 147a Abs. 1 Satz 2 SGB III normierten Ausnahmen von der Erstattungspflicht vor.

Anhaltspunkte für einen Anspruch des Arbeitslosen auf eine andere Sozialleistung i. S. des § 147a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 142 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 4 SGB III bestehen nicht. Insbesondere lagen ausweislich der von der Antragsgegnerin eingeholten Auskunft der damaligen Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg vom 01.10.2003 die Voraussetzungen für einen Bezug von Altersrente (hier: wegen Arbeitslosigkeit) erst ab dem 01.01.2004 und damit nach Ablauf des streitigen Erstattungszeitraums vor.

§ 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III greift schon deshalb nicht ein, weil diese Befreiungsregelung nur auf ordentliche Kündigungen Anwendung findet (vgl. hierzu Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 38 zu § 147a), vorliegend aber eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers erfolgt ist.

Die Antragstellerin hat aber auch nicht dargelegt und nachgewiesen, dass sie bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer berechtigt war, dieses Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen (§ 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB III).

Zwar kommt eine auf betriebsbedingte Gründe gestützte Kündigung gem. § 626 BGB unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Frist ausnahmsweise bei Arbeitnehmern in Betracht, für die an sich die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2000 - B 11 AL 19/00 R -, SozR 3-4100 § 128 Nr. 11). Allerdings gilt dies nur in extremen Ausnahmefällen. Dabei geht es im wesentlichen darum, zu vermeiden, dass der tarifliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung dem Arbeitgeber Unmögliches oder evident Unzumutbares aufbürdet. Dies kann vor allem dann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber ohne außerordentliche Kündigungsmöglichkeit gezwungen wäre, ein sinnloses Arbeitsverhältnis über viele Jahre hinweg allein durch Gehaltszahlungen, denen keine entsprechende Arbeitsleistung gegenübersteht, aufrechtzuerhalten. Dabei ist ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen. Ferner ist bei der Abgrenzung, unter welchen Voraussetzungen eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist aus betriebsbedingten Gründen gegenüber einem tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer zulässig ist, stets die besondere Ausgestaltung des tariflichen Sonderkündigungsschutzes zu berücksichtigen. Stellt die tarifliche Regelung des Sonderkündigungsschutzes für betriebsbedingte Kündigungsgründe bereits Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung, die es dem Arbeitgeber jedenfalls im Regelfall ermöglichen, sich von unzumutbar gewordenen Arbeitsverhältnissen zu lösen, so hat der Arbeitgeber deshalb zunächst von diesen tariflichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Erst wenn feststeht, dass sie versagen, kann überhaupt eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist gegenüber einem tariflich sonst ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer in Betracht kommen. Dies bedeutet, dass bei einem Tarifvertrag, der bereits in den wesentlichen Fällen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes eine ordentliche Beendigungskündigung und darüber hinaus eine Änderungskündigung zulässt, eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist nur in seltenen Extremfällen in Betracht kommen kann (vgl. zu alledem BAG, Urteil vom 08.04.2003 - 2 AZR 355/02 -, NZA 2003, 856 ff. = BB 2003, 2130 ff. = EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 2).

Danach vermag sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg auf ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zu berufen. Zwar war der Arbeitnehmer nach dem von ihr vorgelegten Änderungstarifvertrag (grundsätzlich) nicht mehr ordentlich kündbar. Indes stellte die genannte tarifvertragliche Regelung bereits eine Möglichkeit zur Lösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer zur Verfügung. Denn danach galt - worauf auch die Antragstellerin selbst gewiesen hat - der Ausschluss der ordentlichen Kündigung bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien zur Kündigung nicht. Ein Versagen dieser tarifvertraglich vorgesehenen Lösungsmöglichkeiten hat die Antragstellerin schon nicht behauptet, geschweige denn nachgewiesen.

Die Voraussetzungen der in § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und 7 SGB III geregelten Befreiungstatbestände sind ebenfalls nicht erfüllt. Nach den von ihr mit der Beschwerdebegründung vorgetragen betrieblichen Verhältnissen wäre nämlich gem. § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB III bezogen auf die Gesamtzahl der aus dem Betrieb ausscheidenden Arbeitnehmer allenfalls ein Anteil älterer (55 Jahre und älter) i. H. v. 36,4 Prozent zulässig gewesen; ausgeschieden sind aber zu mehr als 50 Prozent Arbeitnehmer dieser Altersgruppe. Auch wurde die in § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB III normierte Schwelle eines Personalabbaus von mindestens 20 Prozent nach der von der Antragstellerin selbst vorgetragenen Verminderung der Belegschaft nicht erreicht.

Schließlich sind Bedenken gegen die Höhe der von der Antragstellerin geltend gemachten Erstattungsforderung i. H. v. insgesamt EUR 6.330,04 weder vorgetragen noch erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG - in entsprechender Anwendung - i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Streitwert ist gem. § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 i. V. m. §§ 53 Abs. 3 Nr. 4, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) für beide Instanzen auf EUR 1.582,51 (1/4 aus EUR 6.330,04; vgl. Nr. 7.1 des Streitwertkataloges für die Sozialgerichtsbarkeit, Ausgabe 2006) festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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