L 2 U 2708/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 64/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 2708/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. April 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wegen der Folgen eines am 18.10.1997 erlittenen Sportunfalls am rechten Knie.

Der am 04.09.1969 in Polen geborene Kläger war in Deutschland von 1994 bis Ende 2001 Berufshandballspieler in der 2. Bundesliga und als solcher bei der Beklagten versichert. Nach früher in Polen erlittenen Sportverletzungen (u.a.1991 linkes Kniegelenk: vordere Kreuzbandruptur) zog er sich am 18.10.1997 bei einem Spiel am rechten Knie eine frische proximale und interligamentäre vordere Kreuzband-Ruptur, eine frische Innenmeniskus-Hinterhorn-Längsruptur und ein Hämarthros zu; nebenbefundlich wurde bei der Arthroskopie eine Knorpelerweichung an der Patellarückfläche sowie lateralen Tibia festgestellt; die Histologie des Meniskus belegte eine hydropische Degeneration (Bericht Prof. Dr. R./Klinikum O. vom 21. 10.1997; Bericht Prof. Dr. W. vom 22.10.1997). Nach Beendigung der Sportunfähigkeit am 26.11.1997 nahm der Kläger seine Spieltätigkeit - ab der 27. Woche voll - wieder auf (vgl. Bericht Prof. Dr. R./Dr. H. vom 15.12.1997 und vom 25.08.2003; Bericht des Vereinsarztes Dr. M.-L. vom 09.04.1998). Weitere Verletzungen zog er sich am 02.04.1998 und am 08.04.2000 am linken Standbein zu (Sprunggelenksverletzung, Flake fracture lateraler Femurkondylus), in deren Folge er ab Ende November 2000 mit Beschwerden am linken Knie wieder spielte und Ende 2001 nach vorderer Kreuzbandplastik-Operation links die Sportlertätigkeit aufgab.

Mit Schreiben vom 10.02.2003 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Funktionseinschränkungen und Instabilität am rechten Kniegelenk als Unfallfolge vom 18.10.1997 geltend und beantragte mit Schreiben vom 14.07.2003 deswegen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, weil eine Tätigkeit als Berufshandballspieler dadurch ausgeschlossen sei. Er legte eine ärztliche Bescheinigung von Dr. M.-L. vom 03.03.2003 vor, in der ausgeführt wird, dass nach 1997 das linke Kniegelenk im Vordergrund gestanden habe, es jedoch - wohl durch zunehmenden Knorpelschaden - immer wieder zu Reizzuständen des rechten Kniegelenks gekommen sei. Die Beklagte holte das Erste Rentengutachten bei Prof. Dr. R./Dr. H. vom 02.05.2003 ein. Die Gutachter beschrieben im rechten Kniegelenk eine leichte initiale Gonarthrose mit typischen Beschwerden und gelegentliche Schwellneigung nach Belastung bei freier Beweglichkeit und röntgenologisch unauffälligen Verhältnissen. Unfallunabhängig wurde eine alte vordere Kreuzbandruptur linkes Kniegelenk mit Verminderung der Oberschenkelmuskulatur festgestellt. Schwere körperliche Arbeit sei wegen jetzt auftretender Arthrosezeichen nicht möglich und empfehlenswert. In der Erläuterung hierzu vom 25.08.2003 wurde klargestellt, dass die Einschätzung, Handballspielen im Profibereich sei nicht mehr sinnvoll, im Hinblick auf das linke Kniegelenk erfolgt sei. Dort fände sich eine deutliche Arthrose mit drittgradigen Knorpelschäden und Zustand nach vorderer Kreuzbandplastik. Jedoch sei auch von Seiten des rechten Kniegelenks natürlich bei den entsprechenden Veränderungen eine Tätigkeit als Handballprofispieler alles andere als sinnvoll. Mit Bescheid vom 22.10.2003 lehnte die Beklagte Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben aus Anlass des Versicherungsfalles vom 18.10.1997 mit der Begründung ab, dass dem Kläger eine wettbewerbsmäßige Ausübung seiner Tätigkeit als Handballspieler nicht wegen des rechten, sondern des linken Kniegelenks und den dort festgestellten krankhaften Veränderungen unmöglich sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18.12.2003).

Dagegen hat der Kläger am 09.01.2004 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, auch allein wegen der Folgen im Bereich des rechten Kniegelenks eine Tätigkeit als Berufshandballspieler wettbewerbsmäßig nicht mehr ausüben zu können. Dr. H., als sachverständige Zeuge vom SG schriftlich befragt, hat mitgeteilt, dass der Rat zur Berufsaufgabe nach einer Kniebinnenverletzung links mit Knorpelschäden an der äußeren Oberschenkelgelenksrolle, welche eine Tätigkeit als Profi-Handballspieler unmöglich mache, erfolgt sei. Am rechten Kniegelenk fänden sich ebenfalls degenerative Veränderungen und ein Riss des vorderen Kreuzbandes, jedoch nicht in dem Ausmaß, dass allein deswegen zu einer Berufsaufgabe geraten worden wäre. Als nicht sinnvoll sei die Berufsausübung als Profihandballer bei den vorliegenden Veränderungen rechts bezeichnet worden, weil es bei den dortigen Belastungen unweigerlich zu einer raschen Entwicklung einer Arthrose, die die Berufsausübung als Handballer unmöglich machen würde, hätte kommen müssen (Aussage vom 24.04.2004). Die Beklagte legte das Gutachten des Dr. L., Chefarzt der Chirurgischen Kliniken des Klinikums U. vom 20.04.2004 vor, das im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG; L 10 U 2396/03) wegen Leistungsgewährung aus dem Unfalls vom 08.04.2000 gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt worden war. Daraus ergibt sich, dass Funktionseinschränkungen am rechten Knie nicht vorlagen und Dr. L. den Kläger wegen der linksseitigen Kniegelenksveränderungen für berufsunfähig hielt. (Der Antrag des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wegen der Unfallfolgen vom 08.04.2000 war nicht erfolgreich (siehe Niederschrift im Berufungsverfahren a.a.O. vom 18.8.2004)). Das SG hat die Klage mit Urteil vom 25.04.2006 abgewiesen. Gestützt auf die Angaben des Dr. H. im Verwaltungsverfahren und als sachverständiger Zeuge sowie auf das Gutachten des Dr. L. hat es ausgeführt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers als Profi-Handballspieler nicht wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 18.10.1997 bedroht gewesen sei. Diese Unfallfolgen seien gegenüber den Beeinträchtigungen am linken Knie für die Aufgabe der Tätigkeit als Handballspieler auch nach ärztlicher Einschätzung nicht zwingend und damit rechtlich wesentlich gewesen. Schon tatsächlich habe die Verletzung von 1997 den Kläger nicht von der weiteren Ausübung des Handballspiels abgehalten.

Dagegen hat der Kläger am 24.05.2006 Berufung eingelegt und an seinem Begehren festgehal-ten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. April 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Akte des LSG L 10 U 2396/03 sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), frist- und formgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG) und somit zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 22.10.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2003, mit dem die Beklagte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt bereits dem Grunde nach abgelehnt hat. Welche Klageart (§§ 54 Abs. 1 oder 54 Abs. 1 und 4 oder 55 Abs. 1 SGG) die richtige ist für diese Leistungen, auf die der Kläger hinsichtlich des "ob" einen Anspruch, jedoch hinsichtlich des "wie" lediglich einen Anspruch auf fehlerfrei ausgeübtes Ermessen von Seiten der Beklagten hat, ist hier nicht entscheidungserheblich. Denn vorliegend fehlt es schon an der Grundvoraussetzung für eine Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Unfallversicherungsrecht.

Der geltend gemachte Anspruch beurteilt sich nach den Vorschriften des am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen SGB VII, da der Versicherungsfall am 18.10.1997, mithin nach dem 1. Januar 1997, eingetreten ist.

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in der seit 1. Juli 2001 geltenden Fassung, die hier mit Blick auf die Antragstellung im Juli 2003 maßgeblich ist, haben Versicherte u. a. Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Diese Leistungen, die in Form von Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden (§ 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII), erbringen die Unfallversicherungsträger nach § 35 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit den §§ 33 bis 38 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX). Nach § 33 Abs. 1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass der Versicherungsfall rechtlich wesentlich die Notwendigkeit einer Maßnahme der Teilhabe am Arbeitsleben begründet (vgl. Hauck, SGB VII, K § 26 Rdnr. 35). D.h. auf den konkreten Fall bezogen, dass der Arbeitsunfall vom 18.10.1997 einen Gesundheitsschaden zur Folge gehabt haben muss, der sich wiederum auf die Fähigkeit des Klägers, seine berufliche Tätigkeit auszuüben, so ausgewirkt hat, dass er seine bisherige Tätigkeit nicht mehr wettbewerbsfähig ausüben kann oder dass bei Fortführung dieser Tätigkeit die konkrete Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalles entstanden wäre (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Anhang zu § 35, § 33 SGB IX Rn.1.2.). Ein Zusammentreffen mit vom Versicherungsfall unabhängigen Gesundheitsschäden oder Krankheitsanlagen beurteilt sich nach den Grundsätzen der Theorie der rechtlich wesentlichen Ursache (Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Band 2, vor § 26 SGB VII Rdnr. 2), nach der als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (grundlegend: Reichsversicherungsamt, AN 1912, S 930 f; übernommen vom BSG in BSGE 1, 72 , 76; BSGE 1, 150 , 156 f; stRspr vgl zuletzt BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15, jeweils RdNr 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw Gesundheitsschadens abgeleitet werden ( BSGE 1, 72 , 76). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG SozR Nr 69 zu § 542 aF RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO; vgl Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 RdNr 314, Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl 2003, Kap 1.3.6.1, S 80 f). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts ( BSGE 12, 242 , 245 = SozR Nr 27 zu § 542 RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO). Da der Kläger den Antrag erst nach der Aufgabe der Berufstätigkeit als Profihandballer gestellt hat, ist dieser Zeitpunkt der für die Beurteilung maßgebliche.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das SG mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt hierauf Bezug, sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend wird ausgeführt, dass der Kläger nach dem Unfall vom 18.10.1997 bis zur Berufsaufgabe wegen etwaiger Unfallfolgen am rechten Kniegelenk nicht gehindert war, der Tätigkeit als Handballspieler wettbewerbsfähig nachzugehen. Das fehlende Kreuzband hat den Kläger daran nicht gehindert, nachdem die Stabilität des Kniegelenks durch Muskelaufbau wiederhergestellt war. Die von Dr. M.-L. berichteten gelegentlichen Reizzustände haben nicht zur Spielunfähigkeit geführt. Wesentliche Einschränkungen haben sich erst nach dem Unfall am linken Knie ergeben. Soweit Dr. H. wegen der Veränderungen am rechten Knie eine Tätigkeit als Profihandballer für nicht "sinnvoll" gehalten hat, kommt damit lediglich zum Ausdruck, dass auf die Zukunft gerichtet die Möglichkeit des Eintritts des Versicherungsfalles bestehen werde. Eine konkrete Gefahr lässt sich damit noch nicht begründen. Alle gehörten Ärzte haben übereinstimmend für die Aufgabe der Spielertätigkeit die überragende Bedeutung der Veränderungen im linken Kniegelenk hervorgehoben. Der Senat hat daher keine Bedenken, diese als wesentlich für die Berufsaufgabe zu werten. Besonders ist dies durch das Gutachten des Dr. L. belegt, der von Berufsunfähigkeit auf Grund der Veränderungen im linken Knie spricht. Zudem ist fraglich, ob die Veränderungen am rechten Knie in ihrer Gesamtheit dem Unfall vom 18.10.1997 zugeordnet werden können. Bei der damaligen Arthroskopie wurden bereits Knorpelerweichungen retropatellar und an der Tibia festgestellt, bei der histologischen Untersuchung des Meniskus wurde eine hydropische Degeneration festgestellt. Das rechte Knie war daher zum Unfallzeitpunkt bereits vorgeschädigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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