L 4 KR 3461/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 229/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3461/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erhebt Anspruch auf Versorgung mit einem Notebook mit behindertengerechter Tastatur, Software und Tastenmaus als Kommunikationshilfe.

Der am 1983 geborene Kläger, der bei der Beklagten über seinen Vater familienversichert ist, leidet seit Geburt an beinbetonter tetraplegischer Cerebralparese mit mentaler Retardierung. Er kann sich zwar seinen Bezugspersonen gegenüber verständlich äußern, aber nicht manuell schreiben. Bis Juli 2002 besuchte er die Körperbehindertenschule. Seither nimmt er zweimal wöchentlich auf Kosten der Eltern an einer regelmäßig von 08.00 Uhr bis 15.25 Uhr dauernden Förder- und Betreuungsgruppe der "Lebenshilfe" in Bretten teil.

Der Kläger bezieht seit April 1995 Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III. Am 12. September 2002 stellte Arzt für Allgemeinmedizin Dr. L. drei Verordnungen für eine behindertengerechte Hardware zur Eingabenunterstützung, eine behindertengerechte Tastatur mit Software für das Kommunikationsgerät sowie eine Tastenmaus aus. Der Kostenvoranschlag der M. GmbH O. (im Folgenden: GmbH) vom 16. September 2002 belief sich auf insgesamt EUR 4.293,66. Nach Beiziehung erläuternder Unterlagen der GmbH und Einholung einer mündlichen Auskunft der Mutter am 09. Oktober 2002 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 21. Oktober 2002 die begehrte Leistung ab. Das beantragte Kommunikationsgerät erfülle nicht die Kriterien eines von den Krankenkassen zu finanzierenden Hilfsmittels. Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, die Geräte seien im Einzelfall erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen, jedenfalls die erschwerte Funktion zu ermöglichen, ersetzen, erleichtern oder ergänzen. Gestützt auf eine Stellungnahme ihres Fachdienstes Leistungen vom 27. November 2002 erließ der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2002. Bei den begehrten Geräten handele es sich um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, die weit verbreitet auch von Nichtbehinderten benutzt würden. Da der Kläger zwar nicht schreiben, sich jedoch anderweitig ausreichend und verständlich äußern könne, sei eine Kommunikationshilfe in der beantragten Form nicht erforderlich. Im Übrigen bestehe im jetzigen Alter keine Schulpflicht mehr.

Mit der am 27. Januar 2003 zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhobenen Klage trug der Kläger vor, das beantragte Gerät mit behindertengerechter Zusatzausstattung sei erforderlich, um Defizite der Kommunikation auszugleichen. Seine sprachliche Entwicklung sei sehr eingeschränkt. Seit 2002 werde er am heimischen PC durch den Privatlehrer Feierabend mit dem Ziel unterrichtet, lesen und schreiben zu lernen. Er sei nicht in der Lage, die Tasten einer handelsüblichen Tastatur präzise zu bedienen. Weiter könne er ein Notebook in die "Lebenshilfe" mitbringen und dort Privatunterricht erhalten. Er sei auf ständiges Üben angewiesen. Der Kläger legte mit dem Begleitschreiben der Siemens AG vom 02. März 2004 Informationen über das Softwareprodukt "Dr. Erich Kasten LernReha" - Programme für den Lern- und Rehabilitationsbereich - vor. Die Beklagte trat unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten der Klage entgegen und wandte ein, dem Kläger stehe offenbar ein handelsüblicher PC zur Verfügung, den zu bedienen er in der Lage sei. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. L. berichtete in der schriftlichen Zeugenaussage vom 12. März 2003 über die Behandlung und unterstützte das Begehren des Klägers. Die "Lebenshilfe" (Diplom-Sozialarbeiterin M.) erläuterte mit Schreiben vom 25. April 2003, die besuchte Gruppe besitze einen PC; mit der zur Verfügung stehenden Tastatur könne der Kläger jedoch nicht umgehen, weshalb seine Eltern die eigene Tastatur mitgebracht hätten, die jedoch am dortigen PC nicht habe angeschlossen werden können. Im Termin vom 01. März 2004 gab die Mutter des Klägers an, der zu Hause befindliche PC könne genutzt werden, dieser sei allerdings mit einer größeren Tastatur versehen. Inzwischen könne der Kläger einzelne Worte, Satzteile und kleine Briefe in Großbuchstaben verfassen. Wenn er konzentriert sei, seien mit Hilfe des Privatlehrers deutliche Fortschritte zu erzielen. Durch Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2004 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es im Wesentlichen dar, für handelsübliche Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens habe die Beklagte nicht einzustehen. Die Mutter habe eingeräumt, dass mit dem vorhandenen PC Fortschritte erzielbar seien. Der PC bei der "Lebenshilfe" lasse sich nach übereinstimmenden Aussagen mit einer behindertengerechten Tastatur nicht kombinieren.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 19. Juli 2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. August 2004 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Er macht geltend, die Versorgung mit dem begehrten Gerät sei dringend erforderlich, um seine Defizite auszugleichen. Seine Ausdrucksfähigkeit sei zeitweise eingeschränkt, sodass ihn weder Mutter noch Privatlehrer verstünden. Dies gelte erst recht für außenstehende Dritte. Den PC zu Hause, dessen Tastatur nicht behindertengerecht sei, benötigten die Eltern für eigene Zwecke.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Dezember 2002 zu verurteilen, ihm ein Notebook (hilfsweise ein Computerstandgerät) zur Eingabenunterstützung, die behindertengerechte "Großfeldtastatur" der Firma Siemens mit Lern-Software für das Kommunikationsgerät mit der Bezeichnung "Bild-Begriff-Funktion" von Dr. Erich Kasten und die behindertengerechte Tastenmaus der Marke Siemens zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie entgegnet, der Kläger sei nach Angaben der Mutter in der Lage, sich zu artikulieren. Er sei im häuslichen Bereich mit einem handelsüblichen PC ausgestattet. Auch eine weitere Ausstattung mit einer behindertengerechten Tastatur sei nach alledem nicht erforderlich.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig; sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Es besteht kein Anspruch darauf, dass ihm die Beklagte die begehrten Geräte mit Software zur Verfügung stellt.

Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Zum Ausgleich einer Behinderung ist ein Hilfsmittel nach allgemeiner Auffassung dann erforderlich, wenn es zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens benötigt wird. Zu diesen Grundbedürfnissen gehören die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit Anderen zur Vermeidung von Vereinsamung. Maßstab ist der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der behinderte Mensch mit Hilfe der von der Krankenkasse zur Verfügung zu stellenden Hilfsmittel wieder aufschließen soll. Zu diesen Hilfsmitteln gehört ein behinderungsgerecht ausgestatteter PC bei fehlender Sprach- und manueller Schreibfähigkeit (vgl. Bundessozialgericht - BSG - SozR 3-2500 § 33 Nr. 22; auch Senatsurteil vom 18. August 2006 - L 4 KR 2032/04).

Der Senat folgt hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen und der Beweiswürdigung dem angefochtenen Gerichtsbescheid und nimmt gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf dessen Entscheidungsgründe Bezug. Der Ausnahmefall, dass sowohl Sprachfähigkeit als auch manuelle Schreibfähigkeit fehlen (vgl. nochmals die zitierten Entscheidungen) und dies nur mit den hier begehrten speziellen Geräten kompensiert werden kann, ist in der Person des Klägers nicht gegeben. Neue Beweise von Amts wegen müssen bei diesem Erkenntnisstand nicht erhoben werden. Den klaren und eindeutigen Angaben der Mutter des Klägers im Termin vor dem SG vom 01. März 2004 zufolge kann der Kläger zu Hause einen handelsüblichen normalen PC mit einer größeren Tastatur nutzen. Er konnte bis dahin einzelne Worte, auch Satzteile, zum Teil sogar kleine Briefe verfassen, wie diese von der Mutter vorgezeigt worden sind. Bei hinreichender Konzentration haben sich bei der Arbeit mit dem Privatlehrer F. Lernerfolge eingestellt, deren Tragweite offenkundig nicht wesentlich von der Form der Geräte abhängig ist. Dass mit einem speziell für Behinderte gerüsteten PC noch größere Erfolge erzielt werden könnten, ist nicht substantiiert dargetan worden. Mithin ist nicht entkräftet, dass mit dem handelsüblichen Gerät ein dem Behinderungszustand und den Fähigkeiten des Klägers entsprechender optimaler Lernfortschritt erzielt werden kann. Unter diesen Umständen kommt es auch nicht auf die Beweisanregung an, es möge ein Sachverständigengutachten dahingehend eingeholt werden, ob der Kläger sich anders als über den PC ausreichend (mündlich) artikulieren kann; auch die Antwort auf diese Fragestellung steht ersichtlich in keinem Zusammenhang mit der Form der Geräte. Unsubstantiiert ist schließlich die zuletzt vorgetragene Behauptung, der bisher benutzte PC werde von den Eltern benötigt und stehe deshalb nicht mehr im bisherigen Umfang zur Verfügung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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