L 11 R 2621/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1012/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2621/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. April 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG).

Der 1956 in Rumänien geborene Kläger reiste zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Kindern am 29.09.1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Landratsamt R. registrierte die Ehefrau des Klägers als Spätaussiedlerin im Sinne des § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) und nach § 7 Abs. 2 BVFG die Kinder und den Kläger als Abkömmlinge bzw. Ehegatte eines Spätaussiedlers (Bescheinigungen vom 04.04.1995).

Unter dem 11.08.1999 erstellte die Beklagte einen Versicherungsverlauf, in dem sie die (nach dem Vorbringen des Klägers) zwischen dem 24.04.1974 und 28.09.1994 zurückgelegten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten in Rumänien, nicht anerkannte. Die Ablehnung begründete sie damit, dass der Kläger nicht zum Personenkreis des § 1 FRG gehöre.

Am 27.09.2004 stellte der Kläger einen Antrag auf Kontenklärung.

Hierauf erstellte die Beklagte unter dem 29.09.2004 einen Versicherungsverlauf, in dem sie die bis zum 15.03.1974 zurückgelegten Ausbildungszeiten teilweise und Pflichtbeitragszeiten des Klägers in Deutschland ab 29.09.1994 anerkannte.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, den er damit begründete, dass die von ihm in Rumänien in der Zeit vom 27.04.1974 bis August 1997 zurückgelegten Arbeitszeiten nicht berücksichtigt worden seien. Er legte eine Seite seines Arbeitsbuches, wonach dieses am 29.04.1974 ausgestellt wurde, vor. Diese Zeiten müssten berücksichtigt werden, da er als Spätaussiedler anerkannt sei.

Die Beklagte wies hierauf darauf hin, dass die Anerkennung als Ehegatte eines Spätaussiedlers nach § 7 Abs. 2 BVFG nicht ausreiche, um die persönlichen Voraussetzungen des § 1 FRG zu erfüllen. Dies sei bereits im Feststellungsbescheid vom 11.08.1999 mitgeteilt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ehegatten eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 BVFG würden von § 1 FRG nicht erfasst. Deshalb könne keine Anrechnung von im Herkunftsland zurückgelegten Zeiten erfolgen.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) mit welcher er sein Begehren weiter verfolgte. Der Ehegatte eines Spätaussiedlers nach § 7 Abs. 2 BVFG sei einem Spätaussiedler gleichzustellen. Ergänzend trug der Kläger vor, er habe bereits im März 1992 alle zur Anerkennung als Spätaussiedler und Einreise ins Bundesgebiet erforderlichen Unterlagen zum Bundesverwaltungsamt nach N. übersandt. Aus ihm nicht bekannten Gründen habe sich die Bearbeitung der Anträge jedoch derart verzögert, dass er erst im Jahr 1994 habe einreisen können. Bei einer zügigen Bearbeitung wäre eine Einreise bereits im Jahr 1992 möglich gewesen. Er habe alles Erforderliche getan, um rechtzeitig zur Anerkennung eines Spätaussiedlers ins Bundesgebiet einzureisen.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet tatsächlich erst am 29.09.1994 genommen habe. Dass er nicht früher eingereist sei, lasse sich auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs abändern. Das spätere Eintreffen des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland könne nicht ausgeglichen werden, da dies mit dem Gesetzeszweck nicht im Einklang stehe. Ein früherer Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland könne mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht fingiert werden. Im übrigen dürfte bekannt sein, dass nach der entsprechenden Antragstellung beim Bundesverwaltungsamt eine langwierige Prüfung erfolge, bevor der Aufnahmebescheid erteilt werde.

Der Kläger meinte hierzu, er habe nicht gewusst und auch nicht wissen können, dass mit einer langen Verfahrensdauer zu rechnen sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.04.2006, den Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 20.04.2006, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Beklagte habe zu Recht die Anerkennung der vom Kläger in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten abgelehnt. Der Kläger habe eine Anerkennung als Vertriebener im Sinne des § 1 BVFG nicht vorgetragen und auch keinen entsprechenden Nachweis vorgelegt. Auch eine Anerkennung als Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG liege nicht vor. Er sei lediglich als Ehegatte eines Spätaussiedlers anerkannt. Ehegatten von Spätaussiedlern seien Spätaussiedlern nicht gleichzustellen. Die fehlende Anerkennung des Klägers als Aussiedler könne auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden, da der Zuzug des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland erst weit nach dem 01.01.1993 und daher nach dem maßgeblichen Stichtag, an dem das BVFG geändert worden sei, erfolgt sei.

Hiergegen hat der Kläger am 19.05.2006 Berufung eingelegt. Das Bundesverwaltungsamt in N. hätte die Einreise ins Bundesgebiet schon wesentlich früher bewilligen können. Er wäre auch mit Sicherheit schon vor dem Stichtag eingereist, wenn eine entsprechende Entscheidung durch das Bundesverwaltungsamt erfolgt wäre.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. April 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 29. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 16.03.1974 bis 28.09.1994 als Fremdrentenzeit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für richtig.

Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten erörtert (Niederschrift vom 21.09.2006, Bl. 28/29 der SG-Akte).

Der Kläger hat ergänzend vorgetragen, dass die Bejahung einer Funktionseinheit zwischen dem Bundesverwaltungsamt und dem Rentenversicherungsträger unter dem Gesichtspunkt einer Verknüpfung durch das Fremdrentengesetz durchaus vertretbar sei.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nicht begründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht entschieden, dass der Bescheid der Beklagten vom 29.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.03.2005 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Die Beklagte hat zu Recht die vom Kläger in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten nicht als rentenrechtliche Zeiten im Sinne des FRG anerkannt.

Die rechtlichen Grundlagen für die Anerkennung von Beitragszeiten, die bei einem nicht deutschen Träger der Rentenversicherung zurückgelegt sind, sind im Gerichtsbescheid des SG zutreffend dargestellt. Darauf wird nach § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Ergänzend wird noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich hier nicht um ein Verfahren gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) handelt. Zwar hat die Beklagte bereits mit Bescheid vom 11.08.1999 die Anerkennung der vom Kläger in Rumänien zurückgelegten Zeiten als Zeiten nach dem FRG abgelehnt. Die Beklagte hat mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.03.2005 jedoch nicht auf diesen ursprünglichen Bescheid Bezug genommen und den neuen Antrag unter Hinweis auf den bereits erteilten Bescheid abgelehnt. Vielmehr hat die Beklagte eine sachliche Begründung dafür geliefert, weshalb die Anerkennung dieser Zeiten nicht in Betracht kommt. Sie hat neu entschieden.

Die vom Kläger in Rumänien zurückgelegten Rentenversicherungszeiten könnten nach der Vorschrift des § 15 FRG berücksichtigt werden, wenn der Kläger zum Personenkreis des FRG gehören würde. Wer hierzu gehört, richtet sich nach § 1 FRG. Notwendig ist eine entsprechende Anerkennung durch die nach dem BVFG zuständige Feststellungsbehörde. Eine solche Feststellung durch das Landratsamt liegt hier nicht vor. Der Kläger ist "nur" gemäß § 7 Abs. 2 BVFG als Ehegatte eines Spätaussiedlers anerkannt. Als Vertriebener selbst ist der Kläger nicht anerkannt und er hat dies auch zu keiner Zeit begehrt. Dies hat das SG bereits ausführlich dargelegt. Die Entscheidungsgründe stellen insoweit eine umfassende und zutreffende Würdigung der für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten dar. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt auf die zutreffenden Ausführungen im Gerichtsbescheid Bezug.

Das Begehren des Klägers lässt sich auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Dieses richterrechtlich aus den sozialen Rechten entwickelte verschuldensunabhängige sekundäre Recht knüpft unter anderem an die Verletzung "behördlicher" Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten im Sozialversicherungsverhältnis an. Die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs sind: 1. Es muss eine sich aus dem jeweiligen Sozialrechtsverhältnis ergebende Pflicht des Sozialleistungsträgers oder eines anderen Organs oder Leistungsträgers (sofern dieser mit der Erfüllung der Pflicht für den Sozialleistungsträger beauftragt gewesen ist) bestehen, diese Pflicht muss 2. dem Sozialleistungsträger gerade dem Versicherten gegenüber obliegen und 3. objektiv rechtswidrig nicht oder schlecht erfüllt worden sein sowie 4. muss die Pflichtverletzung zumindest gleichwertig einen dem Sozialleistungsträger zurechenbaren sozialrechtlichen Nachteil verursacht haben. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist grundsätzlich und soweit notwendig sowie rechtlich und tatsächlich möglich der Zustand wieder herzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre und der Sozialleistungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.2003 - B 4 RA 13/03 R -). Hier fehlt es zunächst an einem Fehlverhalten der Beklagten. Ein solches wird auch vom Kläger nicht behauptet. Ob wie vom Kläger dargetan eine Pflichtverletzung des Bundesverwaltungsamtes vorliegt, kann dahingestellt bleiben, denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der der Senat folgt, steht dem Versicherten ein Herstellungsanspruch gegen die zur Entscheidung berufene Behörde aufgrund eines Beratungsfehlers einer anderen Behörde nur dann zu, wenn diese andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit arbeitsteilig in das Verwaltungsverfahren eingeschaltet ist (BSG SozR 3-1200 § 14 SGB I Nrn. 8 u. 22 und SozR 3-3100 § 60 BVG Nr. 3, jeweils m.w.N.). Eine derartige Fallkonstellation liegt hier nicht vor. Das Bundesverwaltungsamt ist nicht arbeitsteilig in Zusammenarbeit mit der Beklagten in die Anerkennung fremdrentenrechtlicher Zeiten eingebunden. Das Bundesverwaltungsamt erteilt die Einreiseerlaubnis, die Beklagte prüft das Vorliegen der Voraussetzungen nach dem Fremdrentenrecht. Das Bundesverwaltungsamt handelte in diesem Zusammenhang nicht als "gesetzlicher Erfüllungsgehilfe" der Beklagten. Einen eventuellen Fehler des Bundesverwaltungsamtes muss der Kläger in diesem Rechtsverhältnis klären. Der Beklagten ist ein etwaiger Fehler des Bundesverwaltungsamtes nicht zuzurechnen. Im übrigen scheitert das Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch daran, dass der Zuzug des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1994 nicht auf die Zeit vor dem 01.01.1993 vorverlegt werden kann. Der Zeitpunkt der Einreise ist eine Tatsache. Mit verwaltungskonformen Mitteln kann nicht fingiert werden, dass die tatsächlich erst im Jahr 1994 erfolgte Einreise bereits im Jahr 1992 stattfand.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision besteht kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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