L 11 KR 3444/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 3102/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3444/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme für die Durchführung einer Fettschürzenresektion.

Die 1962 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin beantragte im Dezember 2004 unter Vorlage ärztlicher Atteste die Kostenübernahme für eine Fettschürzenresektion. Dr. U. empfahl aus orthopädischer Sicht eine plastische Operation wegen Hängebauch, da hierdurch die vorliegende Lendenwirbelsäulenbelastung bei Bandscheibenprotrusion L 5/S1 teilweise gemindert werden könne. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. befürwortete eine plastische Operation, da die Klägerin wegen eines Hängebauchs und unschönen Vernarbungen nach drei Kaiserschnitten und Adipositas an einem depressiven Syndrom leide. Auch Prof. Dr. H., Klinikum S., Krankenhaus B. C., bejahte die chirurgische Indikation zur Fettschürzenresektion. Bei der Klägerin bestehe der Zustand nach dreimaliger Sectio in den Jahren 1982, 1997 und 2000. Wegen dadurch bedingter Faszienschwäche habe sich eine erhebliche Fettschürze mit rezidivierendem intertriginösem Ekzem ausgebildet, das mit konservativen Maßnahmen nicht suffizient behandelt werden könne. Nur durch eine Fettschürzenresektion sei die Hautentzündung auf Dauer behebbar.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine sozialmedizinische Begutachtung der Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B.-W. (MDK). Dr. S. erhob bei der Klägerin ein Körpergewicht von 96,3 kg bei einer Größe von 155 cm. Im Unterbauch bestehe eine quer verlaufende deutliche Hautfalte, die zwar kosmetisch nicht ansprechend, aber physiologisch sei. Durch intensive Hygiene könnten offensichtlich Entzündungen über größere Zeiträume hinweg vermieden werden. Es hätten sich keinerlei Reizzustände im Faltengrund gezeigt. Die beantragte Plastik der Bauchhaut sei somit medizinisch nicht notwendig, kosmetisch aber sicher sinnvoll.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.01.2005 die Kostenübernahme für eine Bauchhautplastik ab.

Ihren dagegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin mit psychischen Problemen. Sie legte eine nervenärztliche Stellungnahme des Dr. R. vor, der darin zwar operative Risiken hinsichtlich Infektionen und Nachblutungen einräumte, jedoch darauf hinwies, dass die Ablehnung bei der Klägerin starkes Leid hervorrufe. Seiner Meinung nach sei dies der wesentliche Faktor, der bei ihr die mittlerweile chronifizierte depressive Stimmungslage unterhalte.

Hierzu äußerte sich Dr. L. vom MDK in einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten nach Aktenlage dahingehend, dass eine Entstellung, Funktionsbeeinträchtigung oder ein sonstiger Befund von Krankheitswert nicht vorliege. Der Wunsch nach Verbesserung der Ästhetik falle nicht in die Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine psychische Störung sei mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln.

Die Klägerin wandte dagegen ein, es gebe keine konservative Methode, ihr die Bauchhautplastik zu ersparen. Sie habe in der Zwischenzeit mehrere Lebenskrisen hinter sich gebracht, ihren langjährigen Arbeitsplatz durch Kündigung verloren und auch der Lebensgefährte und Vater ihrer beiden Töchter habe sie aufgrund ihres extremen Übergewichts und ihres Aussehens verlassen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach Feststellung der MDK-Gutachter liege keine medizinische Notwendigkeit für eine Fettschürzenresektion bzw. Bauchhautplastik vor.

Deswegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) mit der Begründung, es gehe ihr nicht darum, besser auszusehen, vielmehr wolle sie mit Hilfe der Resektion ein normales Leben führen und ihre psychische Störung beseitigen. Es stellten sich immer wieder Entzündungen ein, außerdem entstünden üble Gerüche, die sie im persönlichen Umgang mit anderen Menschen deutlich hemmten und zu ihren Depressionen beitragen würden.

Das SG hörte die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen.

Dr. R. teilte unter Beifügung eines Arztbriefs des Internisten und Rheumatologen Dr. S. vom Dezember 2004 und eines eigenen Befundberichtes vom Juli 2004 sowie verschiedener Publikationen aus dem Internet zum Thema Übergewicht und Depressionen mit, die Klägerin leide unter einer mittelgradigen depressiven Episode und einer Anpassungsstörung (nach Trennung vom Vater der Kinder) sowie an einem Lumbalsyndrom. Auslöser der Depression sei die Adipositas per magna insbesondere am Bauch. Das Ausmaß der Fettschürze sei so gewaltig, dass sie Einlagen in die Hautfalte einlegen müsse. Es bestehe immer wieder die Gefahr einer Candida-Pilzinfektion aufgrund des warmen und feuchten Klimas. Seiner Ansicht nach habe die große Bauch-Fettschürze einen Krankheitswert in dem Sinne, dass die Klägerin schon glaubhaft mehrere Diäten versucht habe und ihr einfach eine Reduktion des Körpergewichtes nicht gelungen sei. Die Klägerin leide sehr unter ihrer massiven Körperform. Die operative Entfernung der Fettschürze sei geeignet, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen zu vermindern, zumindest zu lindern; allerdings sollte hierbei bedacht werden, dass ohne Gefahr größerer organisch gesundheitlicher Probleme maximal 5 l (5 kg) abgesaugt werden könnten in einer Fettabsaugungsprozedur. Zusätzlich könne ein Chirurg eine Bauchdeckenstraffung vornehmen, so dass das schlaffe Bindegewebe am Bauch, das durch drei Kaiserschnitte entstanden sei und bei dem auch hässliche Narbenzüge bestünden, verbessert werden könne. Dies sei mit konservativen Maßnahmen nicht zu erreichen, auch nicht mit einem massiven körperlichen Fitnessprogramm. Durch die anhaltende Feuchtigkeit in der Hautfalte komme es vor allem an heißen Tagen zu unangenehmen Ausdünstungen, welche die Klägerin sehr belasteten.

Oberarzt Dr. S., Klinikum S., führte aus, bei der Klägerin bestehe eine mäßig ausgeprägte Fettschürze. Nach den Angaben der Klägerin komme es immer wieder zu einem intertriginösen Ekzem und zu wunden Stellen und Rötungen; zu den Untersuchungszeitpunkten am 07.12.2004 und 13.06.2005 hätten sich jedoch keine ausgeprägte Rötung oder wunde Stellen und kein Ekzem gezeigt. Unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und der von ihr geschilderten Hautprobleme bestehe eine Operationsindikation. Dr. S. fügte die Atteste des Dr. R. und des Dr. U. bei.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.06.2006, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 09.06.2006, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, die Fettschürze der Klägerin stelle keine Krankheit dar, die durch operative Entfernung zu behandeln sei. Auch sei keine unmittelbar auf der Fettschürze beruhende Funktionsbeeinträchtigung ersichtlich. Eine wesentliche Entlastung für die Wirbelsäule sei durch eine Fettschürzenresektion, die lediglich zu einer Gewichtsreduktion von maximal wenigen Kilogramm führe, nicht zu erwarten. Auch zur Behandlung von Ekzemen, wunden Stellen oder Rötungen sei die Entfernung der Fettschürze nicht notwendig, zumal solche nicht festgestellt worden seien. Von einer Entstellung könne bei der Klägerin ebenfalls nicht ausgegangen werden, da der Bauch in der Regel mit Kleidung bedeckt sei, so dass sich die äußere Erscheinung der Klägerin nicht von derjenigen einer Übergewichtigen unterscheide. Selbst wenn von einer Mitursächlichkeit der Fettschürze für die psychische Erkrankung der Klägerin ausgegangen werde, komme eine Behandlung dieser Erkrankung durch eine operative Entfernung der Fettschürze auf Kosten der Beklagten nicht in Betracht, denn psychische Erkrankungen seien nach ständiger Rechtsprechung ausschließlich durch psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlungen anzugehen.

Hiergegen richtet sich die am 13.06.2006 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung trägt sie vor, das SG habe übersehen, dass es bei ihr, wie sie vorgetragen habe, immer wieder zu Entzündungen im Bauchbereich komme. Dabei entstünden Gerüche, die sie im persönlichen Umgang mit anderen Menschen deutlich hemmten und zu ihren Depressionen beitrügen. Sie wolle ein normales Leben führen und ihre Störung beseitigen. Bezüglich der medizinischen Notwendigkeit im Hinblick auf ihr Lendenwirbelsäulenleiden hätte sich eine Rückfrage bei dem behandelnden Orthopäden angeboten. Entgegen dem SG sprächen sehr wohl medizinische Notwendigkeiten für die Operation. Selbst durch eine konservative Gewichtsreduktion werde die Ausbildung der Fettschürze nicht beseitigt, sondern weiter verstärkt. Wenn sie ihr Gewicht halte oder gar steigere, träten die Probleme mit dem Hängebauch verstärkt auf. Ihr bleibe somit keine Option, um ihren Gesundheitszustand zu verbessern und zu korrigieren.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. Juni 2006 sowie den Bescheid vom 12. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu beurteilen, die Kosten für die außervertragliche Behandlungsmaßnahme einer Fettschürzenresektion bzw. Bauchhautplastik zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f., 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Fettschürzenresektion bzw. Bauchhautplastik.

Die rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs nach dem 5. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) sind im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend zitiert. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

In Ansehung dieser rechtlichen Gegebenheiten hat die Klägerin keinen Kostenübernahmeanspruch. Dies hat das SG unter Berücksichtigung der Aussagen der behandelnden Ärzte ausführlich begründet. Die dargestellten Entscheidungsgründe stellen eine zutreffende Würdigung der für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten dar und stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteile vom 28.07.2004 -L 11 KR 896/04- und vom 26.07.2005 -L 11 KR 4993/04-). Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des SG in vollem Umfang an und sieht deswegen insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keinem anderen Ergebnis.

Für die Feststellung der Regelwidrigkeit des Körperzustandes im Sinne des Krankheitsbegriffs der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. Hauck in Hauck/Noftz, SGB V, K § 27 Rdnr. 5 ff.) ist vom Leitbild des gesunden Menschen auszugehen, der zur Ausübung normaler körperlicher oder psychischer Funktionen in der Lage ist. Eine Abweichung von dieser Norm führt zur Regelwidrigkeit der körperlichen, seelischen oder geistigen Zustandes. Es muss aber eine erhebliche Abweichung vorliegen. Geringfügige Störungen, die keine wesentliche funktionelle Beeinträchtigung zur Folge haben, reichen zur Annahme eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes nicht aus.

Insoweit hat die Klägerin zwar auf immer wieder vorkommende Hautveränderungen und Entzündungen im Bereich der Hautfalte mit Geruchsbildung insbesondere im Sommer hingewiesen. Weder bei den Untersuchungen im Krankenhaus B. C. noch anlässlich der Begutachtung durch den MDK konnten indes Ekzeme, Entzündungen oder Rötungen festgestellt werden. Solche sind auch in den aktenkundigen Befundberichten nicht dokumentiert. Der Senat verkennt dabei nicht, dass an dieser Tatsache möglicherweise die von der Klägerin betriebene Sorgfalt im hygienischen Bereich einen erheblichen Anteil hat, da die Gefahr von Mykosen oder Dermatosen durchaus gegeben sein mag. Die Notwendigkeit einer Bauchdeckenresektion ist damit aber nicht belegt.

Das gleiche gilt im Hinblick auf das von Dr. U. attestierte Lendenwirbelsäulenleiden und die Bandscheibenprotrusion L5/S1. Abgesehen davon, dass Wirbelsäulenbeschwerden einer konservativen Behandlung zugänglich sind und kein Anhalt für eine erfolglose Ausschöpfung therapeutischer Maßnahmen besteht, ist auch angesichts des Operationsrisikos keine Fettschürzenresektion, die ohnehin nur zu einer Gewichtsreduktion von wenigen Kilos führt, notwendig, worauf das SG zu Recht hingewiesen hat. Das Problem einer Belastung der Wirbelsäule durch die Adipositas per magna wird dadurch ohnehin nicht gelöst. Im übrigen ergibt sich aus dem vorliegenden Befundbericht von Dr. S. vom Dezember 2004 lediglich ein Druckschmerz der mittleren Brustwirbelsäule bei freier Beweglichkeit der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule.

Die von Dr. S. vom MDK bestätigte kosmetische Störung durch die im Unterbauch quer verlaufende deutliche Hautfalte begründet keine Durchführung einer Bauchhautplastik, da sie nicht als schwere Entstellung angesehen werden kann (vgl. BSG SozR 2200 § 182 Nr. 11 für eine Gesichtsspalte), zumal sich die Falte in einem Bereich des Körpers befindet, der üblicherweise durch Kleidung bedeckt ist. Soweit hierdurch bei der Klägerin psychische Beeinträchtigungen bewirkt werden, führt auch dies nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht dazu, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Krankenbehandlung auf die operative Beseitigung der Fettschürze bezieht. Die Krankenkasse muss den Versicherten nicht mit jeglichem Mittel versorgen, das seiner Gesundheit förderlich ist oder für sich in Anspruch nimmt, auf die Krankheit einzuwirken (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 9/04 R). Zutreffend hat das SG darauf hingewiesen, dass sich der Leistungsanspruch der Versicherten auf die Behandlung richtet, die unmittelbar an der eigentlichen Erkrankung ansetzt. Besteht eine psychische Störung, so ist diese mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln (vgl. BSG, Urteil vom 10.02.1993 - 1 RK 14/92 - und vom 09.06.1998 - B 1 KR 18/96 R -).

Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved