Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 19 AS 375/06 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 239/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 16. Oktober 2006 wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller den mit Bescheid vom 16. Juni 2006 bewilligten Darlehensbetrag in Höhe von 1.378,84 EUR zu gewähren und die Tilgung des Darlehens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Frage des Bestehens des Rückzahlungsanspruchs auszusetzen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin Leistungen für eine Wohnungserstausstattung.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2006 beantragte der Antragsteller u. a. eine einmalige Beihilfe zur Erstausstattung seiner zum 1. Juni 2006 angemieteten Wohnung. Mit Bescheid vom 16. Juni 2006 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach § 23 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ein Darlehen in Höhe von 1.378,84 EUR zur Beschaffung von Mobiliar und Hausrat, davon als Sachleistung für einen Elektroherd 157,02 EUR und für einen Kühlschrank 134,27 EUR. Für die Beihilfen zur Anschaffung eines Elektroherdes und eines Kühlschrankes erfolgten weitere Bewilligungsbescheide vom 19. Juni 2006. Der in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin enthaltene Entwurf eines Darlehensvertrages sieht eine Tilgung des Darlehens in monatlichen Raten in Höhe von 80,00 EUR vor.
Mit Schreiben vom 23. Juni 2006 legte der Antragsteller Widerspruch gegen die Bewilligung der Leistungen als Darlehen und gegen die angekündigte Aufrechnung ein. Er habe seine frühere Wohnung im Jahre 2002 gekündigt; die Wohnungseinrichtung habe er teilweise entsorgt bzw. verschenkt. Fotos, CD’s, Bücher und Unterlagen stünden bis heute in Kartons in den Kellern zweier Freundinnen. Er besitze weder Mobiliar noch Hausrat, lediglich persönliche Habseligkeiten. Seit 2002 sei er obdachlos, d.h. er habe keine eigene Wohnung und finde immer wieder Unterschlupf bei Freunden.
Der Antragsteller hat am 23. August 2006 beim Sozialgericht Wiesbaden um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Die beantragten Gegenstände seien im Rahmen einer Erstausstattung als Beihilfe und nicht als Darlehen zu gewähren. Eine Aufrechnung dürfe nicht erfolgen.
Die Antragsgegnerin ist dem Begehren des Antragstellers entgegengetreten. Sie hält den Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig, da der Antragsteller die Möglichkeit habe, die Auszahlung des bewilligten Betrages zu erreichen, indem er den Darlehensvertrag unterschreibe. Die Frage, ob eine Beihilfe oder ein Darlehen zu gewähren sei, könne im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Mit Beschluss vom 16. Oktober 2006 lehnte das Sozialgericht Wiesbaden den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes ab. Der Antragsteller könne ohne gerichtlichen Schutz Leistungen für eine Wohnungserstausstattung erhalten. Ihm sei mit Bescheid vom 16. Juni 2006 ein Darlehen zur Anschaffung von Mobiliar und Haushaltsgeräten gewährt worden. Der Streit um die Frage, ob ihm die Leistung als Darlehen oder Beilhilfe zu gewähren sei, rechtfertige nicht den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diese Frage könne im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Gegen den am 20. Oktober 2006 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 21. Oktober 2006 beim Sozialgericht Wiesbaden Beschwerde erhoben. Die Entscheidung des Sozialgerichts sei unverständlich, da dem Antragsteller nicht zugemutet werden könne, einen Darlehensvertrag zu unterschreiben, wenn er der (richtigen) Überzeugung sei, dass ihm eine Beihilfe zustehe.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 16. Oktober 2006 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den mit Bescheid vom 16. Juni 2006 bewilligten Darlehensbetrag in Höhe von 1.378,84 EUR auszuzahlen und die Tilgung des Darlehens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Frage des Bestehens des Rückzahlungsanspruchs auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Es fehle bereits an einem Anordnungsgrund. Dieser ergebe sich auch nicht aus der Beschwerdebegründung. Die Behauptung, es sei dem Antragsteller nicht zuzumuten, das bewilligte Darlehen durch Unterzeichnung des Darlehensvertrages zunächst anzunehmen und sich damit die Ausstattung seiner Wohnung zu ermöglichen, sei nicht nachvollziehbar. Sollte sich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens herausstellen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet sei, dem Antragsteller die beanspruchte Leistung als Beihilfe zu gewähren, lasse sich dies ohne weiteres rechtlich regeln, ohne dass dem Antragsteller hierdurch ein Nachteil entstehen würde.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (23. Oktober 2006).
Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. November 2006 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nach der Antragstellung im Erörterungstermin noch die Gewährung des Darlehns für die Wohnungserstausstattung und die Zulässigkeit der Tilgung des Darlehns durch monatliche Aufrechnung.
Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruchs) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 S. 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II sind Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung umfasst. Sie werden nach § 23 Abs. 3 S. 2 SGB II gesondert erbracht. Die Leistungen können als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden (§ 23 Abs. 3 S. 4 SGB II). Anders als im Falle des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II, der bei einem von den Regelleistungen umfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes Leistungen als Darlehen vorsieht, besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II ein Anspruch auf zuschussweise Gewährung der Leistungen.
Das Tatbestandsmerkmal "Erstausstattung" ist erfüllt, wenn der Hilfebedürftige bisher nicht oder jetzt nicht mehr über die notwendige Wohnungsausstattung verfügt. Beispiele für Erstausstattungen enthält die Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift des § 31 SGB XII (im Entwurf § 32), die zwar sprachlich etwas anders gefasst ist, ohne dass aber inhaltlich etwas anderes geregelt werden sollte (Wenzel in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl. 2005, § 23 SGB II Rdnr. 7). Danach kommen Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten z.B. nach einem Wohnungsbrand oder bei Erstanmietung nach einer Haft in Betracht (BT-Drs. 15/1514, S. 60). Als vergleichbare Fälle werden in der rechtswissenschaftlichen Literatur angesehen: die Erstanmietung einer Wohnung im Falle einer Trennung oder Scheidung oder aufgrund eines Auszuges eines Kindes aus dem Haushalt der Eltern, im Falle eines neu gegründeten Haushalts wegen Heirat, nach Zuzug aus dem Ausland oder wenn ein Wohnungsloser eine Wohnung gefunden hat (Hofmann in: LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, § 23 Rdnr. 22). Das Tatbestandsmerkmal "Erstausstattung" ist dabei nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu verstehen (Lang in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl. 2005, § 23 Rdnr. 97). Die Erstausstattung ist inhaltlich abzugrenzen vom Erhaltungs- und Ergänzungsbedarf, der durch die Regelleistung abgegolten ist (SG Braunschweig, Beschluss vom 7. März 2005 – S 18 AS 65/05 ER –; Kalhorn in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: August 2006, § 23 Rdnr. 20). Ist ein Bedarf allein auf eine übliche Abnutzung oder andere Umstände, die vom Berechtigten beeinflussbar sind, zurückzuführen, handelt es sich nicht um eine Erstausstattung. Auch wenn der Hilfebedürftige bereits über einen Hausstand verfügt, kann eine Erstausstattung zu gewähren sein, z. B. wegen der erforderlichen Möblierung eines Kinderzimmers anlässlich der Geburt eines Kindes oder weil ein Umzug von einer Wohnung mit integrierter Einbauküche in eine Wohnung ohne Kücheneinrichtung erfolgt. Zur Erstausstattung gehören alle Gegenstände, die in einem vergleichbaren Haushalt unterer Einkommensgruppen üblicherweise vorhanden sind (Gerenkamp in: Merkler/Zink, SGB II, Stand: Juli 2005, § 23 Rdnr. 18, beispielhafte Aufzählung vgl. Lang s.o. § 23 Rdnr. 99 m.w.N.; Wenzel s.o. § 23 SGB II Rdnr. 8; § 31 SGB XII Rdnr. 4 ).
Nach dem Vortrag des Antragstellers, der auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogen wird, verfügt dieser bereits seit der Aufgabe seiner Wohnung im Jahre 2002 über keine Ausstattungsgegenstände mehr. Für die von dem Antragsteller zum 1. Juni 2006 angemietete Wohnung ist daher eine Wohnungserstausstattung notwendig. Die Notwendigkeit der Erstausstattung einer Wohnung ist nämlich bereits dann zu bejahen, wenn der Hilfesuchende – aus welchen Gründen auch immer – über keine entsprechenden Gegenstände verfügt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Juli 2006 – L 15 B 143/06 SO ER – SAR 2006, 110). Dem Vortrag der Antragsgegnerin und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen kann nicht entnommen werden, aus welchen Gründen die Antragsgegnerin den von dem Antragsteller geltend gemachten Bedarf als von der Regelleistung umfasst angesehen hat. Die Antragsgegnerin beruft sich allein darauf, dass die Frage, ob der Antragsteller einen Anspruch auf zuschussweise Gewährung der Beihilfe oder lediglich auf Gewährung eines Darlehens hat, der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse.
Liegen danach allein die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II, nicht dagegen die des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II, vor, hat der Antragsteller einen Anspruch auf Gewährung der Beihilfe glaubhaft gemacht, ohne dass die Antragsgegnerin zur Tilgung des von ihr bewilligten Darlehens durch monatliche Aufrechnung (§ 23 Abs. 1 S. 3 SGB II) berechtigt wäre. Die Antragsgegnerin war daher zur Gewährung der Leistungen nach Art und Umfang wie im Bescheid vom 16. Juni 2006, d. h. im Hinblick auf die Waschmaschine und den Kühlschrank als Sachleistung und im Übrigen als Geldleistung, zu verpflichten. Die Frage des Bestehens des von der Antragsgegnerin reklamierten Darlehensrückzahlungsanspruchs kann der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats - vgl. Beschlüsse vom 22. September 2005 – L 9 AS 47/05 ER –, vom 7. Juni 2006 – L 9 AS 85/06 ER – und vom 30. August 2006 – L 9 AS 115/06 ER –; zuletzt Beschluss vom 30. Oktober 2006 – L 9 AS 171/06 ER –; Conradis in LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, Anhang Verfahren Rdnr. 117). Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rdnr. 28). Dem Antragsteller ist unter Berücksichtigung der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs die monatliche Aufrechnung mit der zu zahlenden Regelleistung nicht zuzumuten. An die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes sind nämlich dann niedrigere Anforderungen zu stellen, wenn – wie hier – ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller den mit Bescheid vom 16. Juni 2006 bewilligten Darlehensbetrag in Höhe von 1.378,84 EUR zu gewähren und die Tilgung des Darlehens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Frage des Bestehens des Rückzahlungsanspruchs auszusetzen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin Leistungen für eine Wohnungserstausstattung.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2006 beantragte der Antragsteller u. a. eine einmalige Beihilfe zur Erstausstattung seiner zum 1. Juni 2006 angemieteten Wohnung. Mit Bescheid vom 16. Juni 2006 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach § 23 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ein Darlehen in Höhe von 1.378,84 EUR zur Beschaffung von Mobiliar und Hausrat, davon als Sachleistung für einen Elektroherd 157,02 EUR und für einen Kühlschrank 134,27 EUR. Für die Beihilfen zur Anschaffung eines Elektroherdes und eines Kühlschrankes erfolgten weitere Bewilligungsbescheide vom 19. Juni 2006. Der in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin enthaltene Entwurf eines Darlehensvertrages sieht eine Tilgung des Darlehens in monatlichen Raten in Höhe von 80,00 EUR vor.
Mit Schreiben vom 23. Juni 2006 legte der Antragsteller Widerspruch gegen die Bewilligung der Leistungen als Darlehen und gegen die angekündigte Aufrechnung ein. Er habe seine frühere Wohnung im Jahre 2002 gekündigt; die Wohnungseinrichtung habe er teilweise entsorgt bzw. verschenkt. Fotos, CD’s, Bücher und Unterlagen stünden bis heute in Kartons in den Kellern zweier Freundinnen. Er besitze weder Mobiliar noch Hausrat, lediglich persönliche Habseligkeiten. Seit 2002 sei er obdachlos, d.h. er habe keine eigene Wohnung und finde immer wieder Unterschlupf bei Freunden.
Der Antragsteller hat am 23. August 2006 beim Sozialgericht Wiesbaden um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Die beantragten Gegenstände seien im Rahmen einer Erstausstattung als Beihilfe und nicht als Darlehen zu gewähren. Eine Aufrechnung dürfe nicht erfolgen.
Die Antragsgegnerin ist dem Begehren des Antragstellers entgegengetreten. Sie hält den Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig, da der Antragsteller die Möglichkeit habe, die Auszahlung des bewilligten Betrages zu erreichen, indem er den Darlehensvertrag unterschreibe. Die Frage, ob eine Beihilfe oder ein Darlehen zu gewähren sei, könne im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Mit Beschluss vom 16. Oktober 2006 lehnte das Sozialgericht Wiesbaden den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes ab. Der Antragsteller könne ohne gerichtlichen Schutz Leistungen für eine Wohnungserstausstattung erhalten. Ihm sei mit Bescheid vom 16. Juni 2006 ein Darlehen zur Anschaffung von Mobiliar und Haushaltsgeräten gewährt worden. Der Streit um die Frage, ob ihm die Leistung als Darlehen oder Beilhilfe zu gewähren sei, rechtfertige nicht den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diese Frage könne im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Gegen den am 20. Oktober 2006 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 21. Oktober 2006 beim Sozialgericht Wiesbaden Beschwerde erhoben. Die Entscheidung des Sozialgerichts sei unverständlich, da dem Antragsteller nicht zugemutet werden könne, einen Darlehensvertrag zu unterschreiben, wenn er der (richtigen) Überzeugung sei, dass ihm eine Beihilfe zustehe.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 16. Oktober 2006 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den mit Bescheid vom 16. Juni 2006 bewilligten Darlehensbetrag in Höhe von 1.378,84 EUR auszuzahlen und die Tilgung des Darlehens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Frage des Bestehens des Rückzahlungsanspruchs auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Es fehle bereits an einem Anordnungsgrund. Dieser ergebe sich auch nicht aus der Beschwerdebegründung. Die Behauptung, es sei dem Antragsteller nicht zuzumuten, das bewilligte Darlehen durch Unterzeichnung des Darlehensvertrages zunächst anzunehmen und sich damit die Ausstattung seiner Wohnung zu ermöglichen, sei nicht nachvollziehbar. Sollte sich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens herausstellen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet sei, dem Antragsteller die beanspruchte Leistung als Beihilfe zu gewähren, lasse sich dies ohne weiteres rechtlich regeln, ohne dass dem Antragsteller hierdurch ein Nachteil entstehen würde.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (23. Oktober 2006).
Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. November 2006 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nach der Antragstellung im Erörterungstermin noch die Gewährung des Darlehns für die Wohnungserstausstattung und die Zulässigkeit der Tilgung des Darlehns durch monatliche Aufrechnung.
Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruchs) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 S. 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II sind Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung umfasst. Sie werden nach § 23 Abs. 3 S. 2 SGB II gesondert erbracht. Die Leistungen können als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden (§ 23 Abs. 3 S. 4 SGB II). Anders als im Falle des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II, der bei einem von den Regelleistungen umfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes Leistungen als Darlehen vorsieht, besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II ein Anspruch auf zuschussweise Gewährung der Leistungen.
Das Tatbestandsmerkmal "Erstausstattung" ist erfüllt, wenn der Hilfebedürftige bisher nicht oder jetzt nicht mehr über die notwendige Wohnungsausstattung verfügt. Beispiele für Erstausstattungen enthält die Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift des § 31 SGB XII (im Entwurf § 32), die zwar sprachlich etwas anders gefasst ist, ohne dass aber inhaltlich etwas anderes geregelt werden sollte (Wenzel in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl. 2005, § 23 SGB II Rdnr. 7). Danach kommen Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten z.B. nach einem Wohnungsbrand oder bei Erstanmietung nach einer Haft in Betracht (BT-Drs. 15/1514, S. 60). Als vergleichbare Fälle werden in der rechtswissenschaftlichen Literatur angesehen: die Erstanmietung einer Wohnung im Falle einer Trennung oder Scheidung oder aufgrund eines Auszuges eines Kindes aus dem Haushalt der Eltern, im Falle eines neu gegründeten Haushalts wegen Heirat, nach Zuzug aus dem Ausland oder wenn ein Wohnungsloser eine Wohnung gefunden hat (Hofmann in: LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, § 23 Rdnr. 22). Das Tatbestandsmerkmal "Erstausstattung" ist dabei nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu verstehen (Lang in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl. 2005, § 23 Rdnr. 97). Die Erstausstattung ist inhaltlich abzugrenzen vom Erhaltungs- und Ergänzungsbedarf, der durch die Regelleistung abgegolten ist (SG Braunschweig, Beschluss vom 7. März 2005 – S 18 AS 65/05 ER –; Kalhorn in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: August 2006, § 23 Rdnr. 20). Ist ein Bedarf allein auf eine übliche Abnutzung oder andere Umstände, die vom Berechtigten beeinflussbar sind, zurückzuführen, handelt es sich nicht um eine Erstausstattung. Auch wenn der Hilfebedürftige bereits über einen Hausstand verfügt, kann eine Erstausstattung zu gewähren sein, z. B. wegen der erforderlichen Möblierung eines Kinderzimmers anlässlich der Geburt eines Kindes oder weil ein Umzug von einer Wohnung mit integrierter Einbauküche in eine Wohnung ohne Kücheneinrichtung erfolgt. Zur Erstausstattung gehören alle Gegenstände, die in einem vergleichbaren Haushalt unterer Einkommensgruppen üblicherweise vorhanden sind (Gerenkamp in: Merkler/Zink, SGB II, Stand: Juli 2005, § 23 Rdnr. 18, beispielhafte Aufzählung vgl. Lang s.o. § 23 Rdnr. 99 m.w.N.; Wenzel s.o. § 23 SGB II Rdnr. 8; § 31 SGB XII Rdnr. 4 ).
Nach dem Vortrag des Antragstellers, der auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogen wird, verfügt dieser bereits seit der Aufgabe seiner Wohnung im Jahre 2002 über keine Ausstattungsgegenstände mehr. Für die von dem Antragsteller zum 1. Juni 2006 angemietete Wohnung ist daher eine Wohnungserstausstattung notwendig. Die Notwendigkeit der Erstausstattung einer Wohnung ist nämlich bereits dann zu bejahen, wenn der Hilfesuchende – aus welchen Gründen auch immer – über keine entsprechenden Gegenstände verfügt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Juli 2006 – L 15 B 143/06 SO ER – SAR 2006, 110). Dem Vortrag der Antragsgegnerin und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen kann nicht entnommen werden, aus welchen Gründen die Antragsgegnerin den von dem Antragsteller geltend gemachten Bedarf als von der Regelleistung umfasst angesehen hat. Die Antragsgegnerin beruft sich allein darauf, dass die Frage, ob der Antragsteller einen Anspruch auf zuschussweise Gewährung der Beihilfe oder lediglich auf Gewährung eines Darlehens hat, der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse.
Liegen danach allein die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II, nicht dagegen die des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II, vor, hat der Antragsteller einen Anspruch auf Gewährung der Beihilfe glaubhaft gemacht, ohne dass die Antragsgegnerin zur Tilgung des von ihr bewilligten Darlehens durch monatliche Aufrechnung (§ 23 Abs. 1 S. 3 SGB II) berechtigt wäre. Die Antragsgegnerin war daher zur Gewährung der Leistungen nach Art und Umfang wie im Bescheid vom 16. Juni 2006, d. h. im Hinblick auf die Waschmaschine und den Kühlschrank als Sachleistung und im Übrigen als Geldleistung, zu verpflichten. Die Frage des Bestehens des von der Antragsgegnerin reklamierten Darlehensrückzahlungsanspruchs kann der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats - vgl. Beschlüsse vom 22. September 2005 – L 9 AS 47/05 ER –, vom 7. Juni 2006 – L 9 AS 85/06 ER – und vom 30. August 2006 – L 9 AS 115/06 ER –; zuletzt Beschluss vom 30. Oktober 2006 – L 9 AS 171/06 ER –; Conradis in LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, Anhang Verfahren Rdnr. 117). Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rdnr. 28). Dem Antragsteller ist unter Berücksichtigung der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs die monatliche Aufrechnung mit der zu zahlenden Regelleistung nicht zuzumuten. An die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes sind nämlich dann niedrigere Anforderungen zu stellen, wenn – wie hier – ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved