S 16 U 275/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 275/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 237/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten, ob beim Kläger eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt.

Der 1941 geborene Kläger, der den Beruf des Färbers (Textilveredeler) erlernt hat, arbeitete im erlernten Beruf zunächst als Geselle und sodann - ab Februar 1974 - als Färbermeister. Seit dem 01.07.1997 ist er nicht mehr erwerbstätig.

Bei der Beklagten stellte er im Februar 1998 einen Rentenantrag.

Die Beklagte zog daraufhin über den Kläger vorliegende medizinische Unterlagen bei, u.a. einen Bericht der Klinik B über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 29.07. - 04.09.1996, in dem von einer chronischen Bronchitis, einer schlafbezogenen Atemstörung mit Obstruktion der extrathorakalen Atemwege, einer Herzinsuffizienz und einem Zustand nach Tuberkulose in der Kindheit die Rede ist. Ferner einen Entlassungsbericht der T1klinik, T2, in dem die Diagnosen chronisch obstruktive Atemwegserkrankung, arterielle Hypertonie, gestörte Glukosetoleranz, Adipositas, Gicht, Schlafapnoesyndrom, Lumbalsyndrom, chronische Herzinsuffizenz mit diastolischer Funktionsstörung mitgeteilt werden.

Außerdem zog die Beklagte die Leistungskarte der AOK Rheinland bei und hörte ihren technischen Aufsichtsdienst, der eine Überschreitung der MAK-Werte gegenüber chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen verneinte. Daraufhin lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach den Nummern 4301 bzw. 4302 der Anlage zur BKV ab (Bescheid vom 16.06.1999).

Im Widerspruchsverfahren hörte die Beklagte erneut ihren technischen Aufsichtsdienst. Dieser äußerte zu den Angaben des Klägers, bis ca. 1988 an insgesamt 28 sogenannten offenen Jigger-Färberapparaten gearbeitet zu haben, wobei die Exposition oberhalb der gütligen Grenzwerte gelegen habe, Messergebnisse lägen diesbezüglich nicht vor. Es fänden sich lediglich Arbeitsplatzmessungen chemisch-irritativ wirkender Stoffe wie Formaldehyd, Chlorwasserstoff, Bromwasserstoff und Ammoniak an offenen Seilfärbemaschinen aus dem Jahre 1996. Die gemessenen Arbeitsplatzkonzentrationen dieser Stoffe hätte unter den jeweils gültigen Grenzwerten gelegen. Zusammenfassend sei zwar möglich, dass der Kläger bis ca. 1989 an offenen Jigger-Färberapparaten chemisch-irritativ wirkenden Stoffen ausgesetzt gewesen sei, die die MAK-Werte überschritten hätten. Wegen fehlender Messergebnisse sei letztlich jedoch keine Aussage möglich.

Ferner holte die Beklagte ein arbeitsmedizinisches Gutachten von C-H, Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der V E ein. Diese kam unter dem 18.12.2000 zu dem Ergebnis, eine berufsbedingte Atemwegserkrankung sei beim Kläger nicht Wahrscheinlich zu machen. Lungenfunktionsanalytisch sei eine beginnende obstruktive Belüftungsstörung und eine Gasaustauschstörung der Lunge nachweisbar gewesen. Der messbare bronchopulmunale Funktionsausfall sei Ausdruck eines leichtgradigen chronisch-respiratorischen Syndroms, das in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Klägers zu sehen sei.

Auf dieser medizinischen Grundlage wies die Widerspruchsstelle bei der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 08.05.2001).

Im sich daran anschließenden Klageverfahren hörte das Gericht die ehemaligen Arbeitskollegen des Klägers F und I, die angaben, in der Bleicherei der Firma G1, in der der Kläger ab 1980 gearbeitet hatte, sei Natriumchlorid verwendet worden. Dabei äußerte der Zeuge I, etwa bis 1997 seien große Mengen von Umfärbern zunächst mit Hydrosulfit und Soda behandelt worden, um so die Farbe zu zerstören und die Farbreste mit Natriumchlorid auszubleichen.

Auf der Grundlage dieser Auskünfte beendeten die Beteiligten das Klageverfahren im Wege eines Vergleichs, durch den die Beklagte sich verpflichtete, das Anliegen des Klägers erneut zu bescheiden. Die Beklagte ließ daraufhin die Zeugenaussagen durch ihren technischen Aufsichtsdienst auswerten, der äußerte, die Belastung durch Farbstäube sei weit unterhalb des allgemeinen Staubgrenzwerts erfolgt. Ob dadurch überhaupt eine Berufskrankheit entstehen könne, müsse ärztlicherseits beantwortet werden. Beim Zerstören der Farbe mit Hydrosulfit und Soda sei es möglich, dass technologiebedingt Schwefeldioxid freigesetzt werde. Bei einer Arbeitsplatzmessung in einem anderen Betrieb sei im Jahre 1998 bei diesem Verfahren eine Schwefeldioxidkonzentration festgestellt worden, die den Arbeitsplatzgrenzwert nicht erreicht habe. Aufgrund der vom Zeugen I beschriebenen Technologie zur Zerstörung der Farbe mit Hydrosulfit könne davon ausgegangen werden, dass zwar in der Regel der Schichtmittelwert bezüglich Schwefeldioxid unterschritten worden sei, andererseits aber Expositionsspitzen oberhalb des derzeit gültigen Grenzwerts aufgetreten seien und damit die Bedingungen zur Kurzzeitbelastung nicht immer eingehalten worden seien. Beide Zeuge hätten darüber hinaus ausgeführt, dass mit Natriumchlorid gebleicht worden sei. Beim Bleichen mit Natriumchlorid könne technologiebedingt Chlordioxid und Chlorwasserstoff durch Zersetzung des Bleichmittels freigesetzt werden. Arbeitsplatzmessungen zu diesem, heute selten eingesetzten Bleichverfahren, aus vergleichbaren Arbeitsplätzen lägen nicht vor. Es könne aber mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass bei der Durchführung des Bleichverfahrens kurzzeitig Arbeitsplatzkonzentrationen oberhalb der derzeitig gültigen Grenzwerte aufgetreten seien, und damit die Spitzenbegrenzung nicht immer eingehalten worden sei.

Nach Anhörung ihres beratenden Arztes, der die Meinung vertreten hatte, eine Exposition in mit Wahrscheinlichkeit krankheitsauslösender Konzentration gegenüber den ermittelten Schadstoffen (auch in Kombination miteinander) hätte nicht vorgelegen, lehnte die Beklagte erneut die Feststellung einer Berufskrankheit nach den Nummern 4301 bzw. 4302 der Anlage zur BKV ab.

Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.11.2003).

Mit seiner am 11.12.2003 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er meint, aufgrund der Zeugenaussagen stehe fest, dass die Schadstoffbelastung bei der Firma G1 ausreichend gewesen sei, die bei ihm vorliegende Atemwegsstörung zu verursachen. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass es im Zeitraum 1990 und 2000 zu einem Unfall mit einer Chlorid-Dampfwolke gekommen sei. Damals habe der Verdacht auf eine Chloridvergiftung bestanden. Der Unfall sei seinerzeit gemeldet und protokolliert worden. Die Beklagte sei damit verpflichtet, diese Information des Zeugen I aufzugreifen und bei ihren Erhebungen zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2003 zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen einer Berufskrankheit nach den Nummern 4301, 4302 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat zur Klärung der Zusammenhangsfrage Privatdozent G2, Lungenklinik I2, gehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie wegen des sonstigen Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten, die Akten der Beklagten, sowie die Vorprozessakten S 0 (00) U 00/00, S 00 SB 000/00 und S 00 RA 00/00 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 18.08.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2003 ist rechtmäßig. Eine Berufskrankheit nach den Nummern 4301 und 4302 der Anlage zur BKV lässt sich nicht feststellen.

Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt grundsätzlich voraus, dass zum Einen in der Person des Versicherten zunächst die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d.h., dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der streitigen Berufskrankheit ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen - wie das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden hat - die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht reicht dagegen grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit aus.

Legt man diese rechtlichen Voraussetzungen zugrunde, können aufgrund der Stellungnahmen des technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten die arbeitstechnischen Voraussetzungen der hier streitigen Berufskrankheiten nicht als nachgewiesen angesehen werden.

Nach den Ausführungen des technischen Aufsichtsdienstes liegen Messergebnisse über Arbeitsplatzkonzentrationen von chemisch-irritativ wirkenden Stokken für den Bereich offene Jigger-Färbemaschinen nicht vor. Die zu Vergleichszwecken herangezogenen Messungen chemisch-irritativ wirkender Stoffe wie Formaldehyd, Chlorwasserstoff, Bromwasserstoff und Ammoniak an offenen Seilfärbemaschinen aus dem Jahr 1996 ergaben Arbeitsplatzkonzentrationen unter den jeweils gütigen Grenzwerten. Eine Überschreitung der MK-Werte durch diese Arbeitsstoffe ist damit nicht nachgewiesen.

Darüber hinaus hat der technische Aufsichtsdienst auch die Erklärungen der Zeugen F und I1 ausgewertet. Danach ist davon auszugehen, dass durch die Belastung mit Farbstäuben die allgemeinen Grenzwerte nicht erreicht wurden. Auch war der Kläger Schwefeldioxidkonzentrationen lediglich unterhalb des Arbeitsplatzgrenzwertes ausgesetzt. Möglich sind lediglich Expositionsspitzen, die den Grenzwert kurzzeitig überschritten haben. Dies gilt auch für die Belastung mit Natriumchlorid, auch hier ist davon auszugehen, dass die Spitzenbegrenzung nicht immer eingehalten worden ist. Festzuhalten bleibt damit, dass die Arbeitsplatzbelastung des Klägers durch atemwegsbelastende Stoffe im Regelfall unterhalb der Grenzwertbelastung gelegen hat, lediglich kurzzeitige Überschreitungen der Grenzwerte möglich gewesen sind. Damit bleibt festzuhalten, dass mit der erforderlichen Sicherheit die erforderliche Grenzwertüberschreitung nicht nachgewiesen ist.

Der Aussage des Zeugen I1 lässt sich darüber hinaus nicht entnehmen, dass der Kläger an einem Unfall durch eine Chloriddampfwolke beteiligt gewesen ist. Der Zeuge konnte sich nur daran erinnern, dass er an diesem Unfall beteiligt war. Im Übrigen ist die Frage einer Chloridvergiftung nicht Gegenstand der Bescheidung gewesen, so dass sie vom Gericht auch nicht zu überprüfen ist.

Mit dem Sachverständigen Priv.-Dozent G2 sieht sich die Kammer deshalb außer Stande, aufgrund der Zeugenaussagen die arbeitstechnischen Voraussetzungen der hier streitigen Berufskrankheiten anzunehmen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Auswertung der Zeugenaussagen durch den technischen Aufsichtsdienst unvollständig gewesen ist. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bereits im Vorverfahren unter Beteiligung des von der Beklagten eingeschalteten Gutachters eine Arbeitsplatzbesichtigung erfolgt ist, die an den verschiedenen Arbeitsplätzen der Firma G1, auch für den Bereich der Farbküche, keine relevante inhalative Belastung ergab (vgl. Gutachten C-H vom 18.12.2000).

Zwar liegt beim Kläger - wie der Sachverständige dargelegt hat - eine leichtgradige chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung vor, der bei fehlender Abweichung in den Blutgasen sowie nur leichter Abweichung im Rahmen des Atemwegswiderstandes mit fehlender Blutgasveränderungen unter Belastung lediglich eine MdE von maximal 10 v.H. und damit keine rentenberechtigende MdE i.H.v. 20 v.H. zugeordnet werden kann. Diese obstruktive Atemwegserkrankung lässt sich jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf inhalative Belastungen am ehemaligen Arbeitsplatz des Klägers zurückführen, da nicht nachgewiesen ist, dass diese Belastung die gültigen Grenzwerte überschritten hat.

Soweit der Kläger nach wie vor meint, seine Atemwegsstörungen seien auf seine berufliche Tätigkeit als Färbermeister zurückzuführen, hat sich die Richtigkeit seiner Behauptung trotz umfassender, von Amts wegen durchgeführter Sachaufklärung nicht beweisen lassen. Die Last des nicht erbrachten Beweises von anspruchsbegründenden Tatsachen hat aber auch im sozialgerichtlichen Verfahren stets derjenige zu tragen, der aus der behaupteten, aber nicht erweislichen Tatsache Rechte herleiten will. Das ist hier der Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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