S 16 U 66/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 66/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 265/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten die Bewilligung von Rente.

Der 1949 geb. Kläger erlitt am 30.04.1999 einen Arbeitsunfall als ein Reifen des von ihm gefahrenen LKW platzte, der LKW in die Leitplanken schleuderte und umkippte. Der Kläger wurde das in das Krankenhaus T1 eingeliefert. Ausweislich des Durchgangsarztberichts war er wach und orientiert. Es fanden sich keine Anhaltspunkte für ein Schädel-Hirn-Trauma. An seiner rechten Stirnseite war eine Prellmarke mit leichter Schwellung und ein Druckschmerz feststellbar. Die linksseitige Halswirbelsäulen-Muskulatur war durchschmerzhaft verspannt, in der Beweglichkeit jedoch frei. Periphere Störungen der Sensibilität, der Durchblutung oder Motorik fanden sich ebensowenig wie eine Fraktur des Schädels oder der Halswirbelsäule. Es wurden die Diagnosen "Schädelprellung, HWS-Zerrung" gestellt; der Kläger wurde mit einer Schanz schen Krawatte versorgt.

Die Nachbehandlung erfolgte in S1 durch die G1 und U. Diese bestätigten unter dem 03.05.1999 die Diagnose und veranlassten die Abnahme der Schanz schen Krawatte, da der Kläger nur noch über geringe Beschwerden klagte und die Beweglichkeit der Halswirbelsäule fast frei war. Am 06.05.1999 stellte sich der Kläger erneut bei den G und U vor. Er beklagte nächtliche Alpträume, die sich jedoch besserten. Zudem träten nachts Schmerzen im Kreuzbein links auf. Klinisch konnten die G1 und U keinen Befund erheben, röntgenologisch keine knöcherne Verletzung feststellen. Sie beschrieben eine unfallunabhängige Coxarthrose sowie einen Verschleiß der Ileosacralfuge. Bereits zuvor, am 03.05.1999, hatte der Kläger den Arzt für Innere Medizin N1 aufgesucht, der unter dem 15.08.2001 der Beklagten berichtete, die Beschwerden seien bei der Untersuchung am 03.05.1999 so geringfügig gewesen, dass keine Behandlung notwendig geworden sei. Der Kläger sei bis zum 07.05.1999 als arbeitsunfähig befunden worden. Wegen anhaltender Beschwerden von Seiten der Hals- und Lendenwirbelsäule ließ sich der Kläger ab dem 05.10.1999 von G2 mittels Infusionen nach manualtherapeutischen Gesichtspunkten behandeln. Ab dem 04.11.1999 ließ sich der Kläger auch durch den Praktischen Arzt N2 behandeln. Dieser äußerte unter dem 29.11.2001, seit November 1999 habe der Kläger unter anderem Schmerzen im Analbereich. Außerdem träten verstärkt psychische Probleme, Depressionen und Angststörungen auf. Behandlungen hätten bei Orthopäden, Radiologen, Neurologen, Urologen und Proktologen stattgefunden. Außerdem sei eine Psychotherapie durchgeführt worden. Die Beschwerden im Analbereich seien von Ärzten verschiedener Fachrichtungen als urologische Erkrankung gedeutet und im Zusammenhang mit einem Hämorroidal-Leiden gesehen worden. Am 26.10.2001 ließ sich der Kläger eine transphinktäre Analfistel mit alter Abszesshöhle. operativ entfernen. Zuvor hatte er sich wegen eine Somatisierungsstörung in der Zeit vom 23.03. bis 04.05.2000 einem stationärem Heilverfahren in der Fklinik N3 unterzogen.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie T2, bei dem sich der Kläger ab dem 19.12.2000 in ambulanter Behandlung befand, teilte der Beklagten mit, der Kläger wirke in psychischer Hinsicht mäßig depressiv und antriebsgemindert. Formale oder inhaltliche Denkstörungen seien nicht nachweisbar, Wahrnehmungsstörungen ebenfalls nicht vorhanden.

Zur Feststellung der verbliebenen Unfallfolgen holte die Beklagte ein chirurgisches Gutachten von G1 ein. Dieser äußerte unter dem 05.03.2002, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten nur bis zum 09.05.1999 bestanden. Danach seien alle notwendigen Behandlungsmaßnahmen wegen der unfallunabhängigen schicksalhaft vorbestimmenden Erkrankungen des Klägers notwendig geworden. Insbesondere bestehe hier eine unfallunabhängige, erhebliche degenerative Verschleißerkrankung der Hals- und der Lendenwirbelsäule, eine unfallunabhängige hämorrhoidale Erkrankung sowie eine unfallunabhängige neurologische Erkrankung des depressiven Formenkreises.

Ferner hörte die Beklagte neurologisch-psychiatrischerseits W1, Kliniken St. B, X. Dieser kam unter dem 28.03.2002 zu dem Ergebnis, neurologische oder psychische Störungen, die mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 30.04.1999 zurückzuführen seien, lägen nicht vor. Die beim Kläger bestehende depressive Entwicklung sei unfallunabhängig: Die Depression des Klägers sei auf seine Persönlichkeitsstruktur sowie auf persönliche Konfliktsituationen, zu denen tiefergehende Eheprobleme und die unklare Versorgungssituation gehörten zurückzuführen. Die Berufsaufgabe des Klägers sei nicht durch Verletzungsfolgen verursacht worden. Der Kläger habe nach relativ kurzer Zeit seine Tätigkeit als Kraftfahrer wieder aufgenommen und sei wenige Monate später offensichtlich wegen schließlich operativ behandelter Probleme im Darmausgang mit Schwierigkeiten beim Sitzen arbeitsunfähig geschrieben worden. Es gebe keinen Anhalt dafür, dass die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigtende Symptome einer traumatischen Belastungsreaktion oder gar einer posttraumatischen Belastungsstörung eingetreten seien. Die vom Kläger angegebenen Ängste beim LKW-Fahren könnten nicht besonders ausgeprägt gewesen sein, sonst hätte er nicht kurze Zeit nach dem Unfall wieder seine Tätigkeit als Kraftfahrer aufgenommen.

Ausweislich der Leistungskarte der IKK Nordrhein war der Kläger nach dem Unfall in der Zeit vom 08.05.1999 bis zum 04.10.1999 nicht arbeitsunfähig krankgeschrieben worden.

Mit Bescheid vom 15.07.2002 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Rente ab.

Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20.02.2003). Mit seiner, am 25.03.2003 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Bewilligung von Rente. Er hat ein Attest des Praktischen Arztes N2 (vom 20.07.2006) vorgelegt, in dem es u. a. heißt, bei dem Unfall am 30.04.1999 habe sich der Kläger Verletzungen der Schulter und Prellungen im Analbereich zugezogen. Seitdem habe er dauernd Schmerzen der Schulter, der Halswirbelsäule und im Analbereich. Insgesamt gesehen sei für alle Erkrankungen der Unfall als Ursache anzunehmen. Die ihn behandelnde Dipl.-Psychologin L bescheinigte dem Kläger unter dem 11.07.2006, die bei ihm bestehende anhaltende depressive Symptomatik sowie die Zukunfts- und Krankheitsängste seien ohne den Unfall nicht aufgetreten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. Juli 2002 in Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 20.02.2003 zu verurteilen, eine Unfallrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat gem. § 106 SGG orthopädischerseits W2, S2 und neurologischerseits C, E sowie - gem. § 109 SGG - chirurgischerseits Q1 und neurologisch-psychiatrischerseits Q2 gehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie wegen der sonstigen Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 15.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2003 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente: Er ist über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall vom 13.04.1999 hinaus in seiner Erwerbsfähigkeit nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert (vgl. § 56 Abs. 1 SGB VII). Zwar sind die im vorliegenden Rechtsstreit gem. § 109 gehörten Sachverständigen Q1 und Q2 gegenteiliger Auffassung. Chirurgischerseits hat Q1 die Analbeschwerden des Klägers den Unfallfolgen zugeordnet und eine Einzel-MdE von 20 v. H. angenommen. Neurologisch-psychiatrischerseits hat Q2 das somatoforme Schmerzsyndrom des Klägers als Unfallfolge beschrieben, mit einer Einzel-MdE von 20 bewertet und die unfallbedingte Gesamt-MdE mit 30 v. H. veranschlagt. Diesen Vorschlägen kann jedoch nicht gefolgt werden. Davon hat sich die Kammer insbesondere auf Grund der Darlegungen von W2 und C überzeugt. Danach können die Analbeschwerden des Klägers nicht den Unfallfolgen zugerechnet werden, da eine unfallbedingte Verletzung im Analbereich nicht dokumentiert ist. In dem Durchgangsarztbericht vom 30.04.1999 ist lediglich von einer Schädelprellung und einer Halswirbelsäulenzerrung die Rede. Darüber hinaus bleibt festzuhalten, das nach den Ausführungen des den Kläger behandelnden Praktischen Arztes N2 (vom 29.11.2001) die Beschwerden des Klägers von Ärzten verschiedener Fachrichtungen im Zusammenhang mit einem Hämorrhoidal-Leiden gesehen worden sind. Bei diesem Leiden handele es sich um eine unfallunabhängige Gesundheitsstörung, die durch den Unfall vom 30.04.1999 auch nicht wesentlich verschlimmert worden sein kann, da eine Verletzung im Analbereich nicht belegt ist. Die Annahme von Q1, der Kläger habe bei dem Arbeitsunfall vom 30.04.1999 auch Traumata im Analbereich erlitten, ist deshalb nicht bewiesen. Letztlich hält auch Q1 einen unfallbedingten Zusammenhang der Analfistel lediglich für "denkbar". Die vom Kläger beklagten Beschwerden von Seiten der Halswirbelsäule können den Unfallfolgen ebenfalls nicht zugerechnet werden. W2 hat darauf hingewiesen, dass Verletzungsfolgen an der Halswirbelsäule bisher nicht ermittelt werden konnten. Hinweise für eine Verletzungsfolge, die über eine leichte Zerrung der Halswirbelsäule hinausgingen fanden sich nicht. Gegen einen Unfallzusammenhang spricht insbesondere, das rasche Abklingen der HWS-Beschwerden, die dann in der Folgezeit erneut aufgetreten sind. Dies ist für Verletzungsfolgen der Halswirbelsäule untypisch, typisch jedoch für körpereigene schicksalhafte Veränderungen. Als einziger verletzungsspezifischer Befund bleibt die Feststellung einer Prellmarke am Schädel, die auf eine leichte Schädelprellung hinweist. Dieser Verletzungsfolge kann jedoch das beim Kläger beschriebene depressive Syndrom und die von ihm geäußerten Somatisierungsbeschwerden nicht erklären. Mit C geht die Kammer vielmehr davon aus, dass die wesentliche Ursache dieser Beschwerden in unfallunabhängigen Belastungen und in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers zu sehen sind. Bereits in dem Entlassungsbericht über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 23.03. bis zum 04.05.2000 in der Fklinik in N3 ist davon die Rede, die Beschwerden des Klägers seien erstmals zu Beginn seiner Militärdienstzeit aufgetreten, später sei eine gastrale Symptomatik und Depression hinzugekommen nach Eheschluss sowie zunehmender beruflicher Belastungen, möglicherweise auch im Zusammenhang mit den Kriegshandlungen in Jugoslawien.

Eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge des Unfalls vom 30.04.1999 ist bereits deshalb zu verneinen, weil der Kläger nach kurzer Arbeitsunfähigkeitszeit wieder Lastkraftwagen fuhr und diese Tätigkeit später, anscheinend wegen anhaltender (unfallunabhängiger) Analbeschwerden aufgegeben hat.

Soweit der Kläger nach wie vor meint, seine Analbeschwerden sowie seine psychischen Veränderungen seien auf den Arbeitsunfall vom 30.04.1999 zurückzuführen, hat sich die Richtigkeit seiner Behauptungen trotz umfassender, von Amts wegen durchgeführter Sachaufklärung nicht beweisen lassen. Die Last des nicht erbrachten Beweises und anspruchsbegründenden Tatsachen hat aber auch im sozialgerichtlichen Verfahren stets derjenige zu tragen, der aus der behaupteten, aber nicht erweislichen Tatsache Rechte herleiten will. Das ist hier der Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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