L 11 B 41/05 SB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 39 SB 2613/02 -48
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 B 41/05 SB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Februar 2005 abgeändert. Der Beklagte hat der Klägerin die entstandenen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, frist- und formgemäß eingelegte Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet.

Bei der nach § 193 Abs. 1, 2. Halbsatz SGG zu treffenden Kostenentscheidung hat das Gericht nach sachgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei ist einerseits der vermutliche Verfahrensausgang zu beachten, wobei von dem im Zeitpunkt der Erledigung vorliegenden Sach- und Streitstand auszugehen ist. Andererseits sind auch andere sich aus der Prozessgeschichte ergebende Umstände zu berücksichtigen, die für eine sachgerechte Kostenentscheidung von Bedeutung sein können. Zu prüfen sind hierbei die Gründe für die Klageerhebung, also die Frage, ob der Beklagte Veranlassung zur Klage gegeben und auf im Laufe des Rechtsstreits eingetretene Veränderungen angemessen reagiert hat. Es entspricht billigem Ermessen, den Beklagten dann nicht mit Kosten zu belasten, wenn die Klage bei der Einlegung unbegründet war und erst aufgrund einer im Laufe des Rechtsstreits eingetretenen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ganz oder teilweise erfolgreich geworden ist, sofern der Beklagte den Klageanspruch dann sofort anerkannt hat.

Das Sozialgericht hat auf der Grundlage von Billigkeitserwägungen es für angemessen gehalten, dem Beklagten die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen, da die Klage zum Zeitpunkt ihrer Erhebung hinsichtlich des begehrten Merkzeichens "aG" ohne Aussicht auf Erfolg gewesen sei. Bezüglich der Feststellung des zutreffenden GdB habe der Beklagte jedoch Veranlassung gehabt, weitere Ermittlungen anzustellen, bei denen nicht habe ausgeschlossen werden können, dass bereits zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ein höherer GdB als 50 gerechtfertigt gewesen sei. Das sofortige Anerkenntnis des Beklagten habe daher nach dem Veranlassungsprinzip nur bezüglich des streitigen Nachteilsausgleiches eine Kostenentlastung des Beklagten im tenorierten Umfang gerechtfertigt.

Der Senat hat sich dieser Beurteilung nicht anzuschließen vermocht. Es ist nach der Aktenlage vielmehr ungewiss, wann eine sowohl die Erhöhung des GdB als auch die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" rechtfertigende Verschlimmerung eingetreten ist. Diese Ungewissheit ist jedoch nach Auffassung des Senats dem Beklagten anzulasten, da er weder im vorausgegangenen Verwaltungs- noch im Widerspruchsverfahren eine auf dem Ergebnis einer Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beruhende Entscheidung getroffen hat, obwohl sich ihm diese Notwendigkeit hätte aufdrängen müssen. Spätestens im Zeitpunkt der gutachterlichen Stellungnahme des Arztes T B vom 29. Oktober 2002 hätte unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes Anlass bestanden, eine auf einer Untersuchung beruhende Begutachtung der Klägerin zur Feststellung der Höhe des GdB und des Merkzeichens "aG" durchzuführen. Herr B hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, das von der Klägerin vorgelegte Attest des Facharztes für Orthopädie R K vom 27. September 2002 sei nicht nachvollziehbar und stehe in deutlichem Widerspruch zu dem Befundbericht vom 13. Juni 2002, in dem er bezüglich der Frage des Gangbildes lediglich eine Verkürzung desselben mit Standphasen angegeben habe. Der Gutachter hat die Angaben im Attest vom 27. September 2002 als unplausibel gerügt, in denen der behandelnde Orthopäde mitgeteilt hatte, die Klägerin sei für die Bewältigung längerer Gehstrecken auf einen Rollstuhl angewiesen und könne nur kürzere Gehstrecken unter Zuhilfenahme von Unterarmgehstützen bewältigen. Obwohl der Orthopäde K angesichts "der komplexen Problematik" mit dem im Vordergrund stehenden Lymph- und Lipödem die Gewährung des Merkzeichens "aG" aus orthopädischer Sicht dringend unterstützt und eine entsprechende fachärztliche Begutachtung für erforderlich gehalten hat, ist der Beklagte der Anregung nicht gefolgt, sondern hat lediglich eine fachfremde ärztliche Stellungnahme nach Lage der Akten eingeholt.

Bereits aufgrund der in den Akten befindlichen Befundunterlagen des Erstantrages und der dort ärztlicherseits getroffenen Wortwahl – z.B. der Seeklinik Z Fachklinik für Lymphologie und Ödemkrankheiten, vom 26. Februar 2001 – bei der Befundkennzeichnung als "gigantische Lipohypertrophie im Becken- und Beinbereich, der Oberschenkel als gigantisch lipohypertroph mit massiven medialen Wulstungen und nässender Superinfektion in den Falten sowie der Unterschenkel als ebenfalls gigantisch lipohypertroph, prall, massiv ödematisiert und dellbar" hätte Anlass bestanden, sich der Auswirkungen der Befunde auf das Gehvermögen sowie der Feststellung des GdB durch ein Gutachten zu vergewissern.

Gleichwohl hat der Beklagte auch im Widerspruchsverfahren lediglich aufgrund der Aktenlage entschieden. Damit hat er seine Amtsermittlungspflicht verletzt, die in Fällen wie dem vorliegenden nur durch eine Untersuchung und Begutachtung des Betroffenen gewährleistet ist. Er hat die von dem ärztlichen Sachverständigen H M in seinem Gutachten vom 17. Dezember 2003 konstatierte "Ungewissheit" über den Zeitpunkt der Verschlimmerung des Gesundheitszustandes sowohl bezüglich der Höhe des GdB wie auch hinsichtlich der Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichen "aG" zu vertreten und Anlass zur Klage gegeben.

Angesichts dieser Gesamtumstände erscheint es angemessen, dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved