S 7 KR 530/04 KO

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 530/04 KO
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Beschluss:

Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.10.2005 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten war streitig, ob dem Kläger ein Sonderkündigungsrecht zustand.

Der Kläger war Mitglied der beklagten Krankenkasse. Er hatte die Mitgliedschaft bei der Beklagten schriftlich zum 31.05.2004 gekündigt. Mit Bescheid vom 13.04.2004 entschied die Beklagte, dass dem Kläger ein Sonderkündigungsrecht nicht zustand. Der form- und fristgerecht hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 23.08.2004 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtete sich die am 22.09.2004 bei Gericht eingegangene Klage. Nach Vorliegen der Entscheidungen des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 02.12.2004 zum Sonderkündigungsrecht (Az.: B 12 KR 23/04 u. a.) wies die Beklagte mit den Schriftsätzen vom 07.12.2004 und 02.02.2005 auf das Ergebnis der Musterverfahren hin und auf eine von ihr im Verfahren vor dem BSG abgegebene Erklärung. Diese Erklärung hatte zum Inhalt, dass die Beklagte bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Differenz zwischen den tatsächlich gezahlten Beiträgen und den aufgrund des Beitragssatzes der neu gewählten Krankenkasse geschuldeten Beiträge für die Zeit ab Wirksamkeit der Wahl erstatten werde. Mit der Abgabe dieser Erklärungen werde darum gebeten, "das Verfahren abzuschließen". In ihrem Schriftsatz zum 02.02.2005 vertrat die Beklagte die Auffassung, dass nach Ausstellung der Kündigungsbestätigung durch sie zum 30.11.2004 und dem vollzogenen Kassenwechsel kein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers mehr bestanden habe. An dieser Auffassung hielt die Beklagte auch in ihrem Schriftsatz vom 17.02.2005 fest. Mit Schriftsatz vom 15.03.2005 wurde seitens des Prozessbevollmächtigten des Klägers der Rechtsstreit für erledigt erklärt. Dieser Erledigterklärung stimmte die Beklagte zu. Darüber hinaus erklärte sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 28.04.2005 bereit, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers machte in seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 22.06.2005 für das Widerspruchsverfahren eine Gebühr gemäß § 116 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) in Höhe von 177,50 EUR geltend. Für das Klageverfahren wurden im Kostenfestsetzungsantrag Gebühren nach Nr. 1006 Vergütungsverzeichnis (VV) nach Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und Nr. 3102 VV geltend gemacht. Insgesamt ermittelte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Einschluss der Auslagenpauschale und der gesetzlichen Mehrwertsteuer für das Widerspruchsverfahren einen Betrag von 229,10 EUR und für das Klageverfahren einen Betrag von 533,60 EUR. Dagegen wandte sich die Beklagte mit ihrem Schriftsatz vom 26.09.2005. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes sei für das Widerspruchsverfahren, insbesondere im Hinblick auf die veröffentlichten Mustertexte, weder nötig noch notwendig gewesen. Im Klageverfahren sei eine Erledigungsgebühr nicht entstanden. Es sei nur eine Verfahrensgebühr angemessen, wobei eine Mittelgebühr überhöht und unbillig sei.

Im Beschluss vom 10.10.2005 durch die Urkundsbeamtin der Geschäftstelle wurden die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf insgesamt 669,90 EUR festgesetzt. Die Gebühren für das Widerspruchsverfahren wurden antragsgemäß festgesetzt. Für das Klageverfahren wurde auf der Basis der Mittelgebühr sowohl eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV als auch eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV angesetzt.

Hiergegen wurde mit Schriftsatz vom 12.10.2005 seitens der Beklagten Erinnerung erhoben. Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Ansatz einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV im vorliegenden Fall nicht möglich ist. Für den Ansatz einer solchen Gebühr müsse der Anwalt bei der Erledigung mitwirken. Dabei genüge seine Mitwirkung bei der formellen Beendigung des Verfahrens z. B. durch eine Erledigterklärung oder eine Klagerücknahme nicht. Diese Tätigkeiten seien bereits mit der Verfahrensgebühr abgegolten. Mit Ausstellung der Kündigungsbestätigung zum 30.11.2004 habe das Verfahren sein Rechtsschutzbedürfnis verloren.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers nahm keine Stellung und stellte keinen Antrag.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

Die mit Telefax vom 14.10.2005 erhobene Erinnerung der Beklagten ist zulässig, hat aber keinen Erfolg.

Das von der Beklagten mit Schriftsatz vom 28.04.2005 abgegebene Kostenanerkenntnis wurde mit dem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers gestellten Kostenfestsetzungsantrag sinngemäß angenommen. Daraufhin waren nach Antragstellung die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens festzusetzen. Für die Bestimmung der Vergütung im gerichtlichen Verfahren ist im vorliegenden Fall das RVG anzuwenden. Dabei sind Betragsrahmengebühren angefallen (§ 3 RVG). Bei den Betragsrahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG).

Die Entstehung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Die Erinnerungsführerin wendet sich mit der Erinnerung insoweit auch nicht gegen den Ansatz einer Mittelgebühr. Die Mittelgebühr umfasst die Fälle, in denen sämtliche vor allem nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind. Die Mittelgebühr errechnet sich durch die Addition von Mindest- und Höchstgebühr und der Division des Ergebnisses durch Zwei. Für die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV beträgt sie daher 170,00 EUR. Es ist nicht möglich, unabhängig vom konkreten Ablauf des Verfahrens auf die Vielzahl anderer anhängiger Verfahren zum Sonderkündigungsrecht zu verweisen. Vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses hat die Beklagte etwa darauf hingewiesen, dass ca. 80 % all der anderen Kläger vor sämtlichen Sozialgerichten in Deutschland sich keiner juristischen Hilfe bedient hätten. Selbst wenn dem so wäre, hätte dies keine Auswirkungen darauf, ob eine Mittelgebühr anzusetzen ist. Im konkreten Verfahren hat die Beklagte nach den bereits erwähnten Grundsatzentscheidungen des BSG Erklärungen abgegeben, deren Auslegung durchaus juristischen Sachverstand erforderte. Als die Beklagte schließlich noch während des anhängigen Verfahrens die Auffassung vertrat, dass das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen sei, konnte nicht mehr von einer einfachen Sach- und Rechtslage ausgegangen werden. Umstände, die gegen die Durchschnittlichkeit auch der anderen Kriterien im vorliegenden Verfahren sprechen, sind nicht ersichtlich. Insoweit ist auch für die Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV die Mittelgebühr anzusetzen.

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Erinnerung allerdings dagegen, dass überhaupt eine Einigungs-/Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV angefallen ist. Ob der Gebührentatbestand der Nr. 1006 VV vorliegt, ist nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Falles zu entscheiden. Die kostenrechtliche Bewältigung dieses Rechtsstreites gestaltet sich deshalb schwierig, weil die Beklagte davon abgesehen hat, nach Vorliegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung dem Grunde nach ein Anerkenntnis abzugeben. Wäre entsprechend verfahren worden und - regelhaft - von Seiten des Prozessbevollmächtigten des Versicherten das Anerkenntnis angenommen worden, wäre nach Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV eine Terminsgebühr angefallen. In den Rechtsstreitigkeiten zum Sonderkündigungsrecht ist allerdings eine Fachkammer des Sozialgerichtes Nürnberg davon ausgegangen, dass ein Anerkenntnis bereits im - standardisierten - Schriftsatz vom 07.12.2004 der Beklagten zu sehen war und hat jeweils mit Beschluss festgestellt, dass sich das jeweilige Verfahren durch das angenommene Anerkenntnis erledigt habe. Da diese Beschlüsse nicht angefochten wurden, war von Seiten des Kostenrichters in diesen Fällen vom Anfall einer Gebühr nach Nr. 3106 VV ausgegangen worden. Im vorliegenden Fall ist dies nicht möglich. Richtig ist, dass in einer Anerkenntniserklärung die Bezeichnung "Anerkenntnis" bzw. "anerkennen" nicht ausdrücklich enthalten sein muss. Ob ein Anerkenntnis vorliegt, ist, soweit Zweifel vorliegen, durch Auslegung zu ermitteln (vgl. Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, VII Rdnr. 177). Die Beklagte hat keine einseitige Erklärung abgegeben, die eine Prozess- und materiell-rechtliche Verfügung über den Streitgegenstand darstellen sollte. Sie war vielmehr der Auffassung, dass sich das Verfahren erledigt habe (so zumindest im Schriftsatz vom 02.02.2005). Allerdings hätte die Anerkennung des Sonderkündigungsrechtes dem Grunde nach ein klares und für die Klägerseite nachvollziehbares Vorgehen dargestellt. Mit den Schriftsätzen vom 07.12.2004 und 02.02.2005 sowie 27.02.2005 wurden Erklärungen abgegeben, die in erheblichem Umfang auslegungsbedürftig waren. Die Beklagte hat eine Verfahrenssituation eintreten lassen, bei der die Erklärung eines Anerkenntnisses überflüssig wurde.

Der Prozessbevollmächtigte hat mit seiner Erledigterklärung dieser besonderen prozessualen Lage Rechnung getragen. Insbesondere darin ist die erforderliche Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Sinne der Nr. 1006 VV zu sehen. Im vorliegenden Fall kann somit nicht von einer Erledigung ohne Zutun des Rechtsanwaltes ausgegangen werden. Andernfalls würde ein Wertungswiderspruch entstehen. Die Beklagte hätte nämlich ein Anerkenntnis abgeben können. Bei der von ihr auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes erkannten Rechtslage wäre die Abgabe einer prozessualen Erklärung dem Gericht gegenüber auch angezeigt gewesen. Wäre ein solches Anerkenntnis vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angenommen worden, wovon regelhaft auszugehen ist, wäre die Gebühr Nr. 3106 VV auch angefallen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat es aber nicht in der Hand, ob die Beklagte ein Anerkenntnis als prozessuale Erklärung abgibt oder nicht. Daher fällt zwar der Gebührentatbestand der Nr. 3106 VV im vorliegenden Fall nicht an, wohl aber der Tatbestand der Nr. 1006 i. V. m. Nrn. 1005, 1002 VV. Die Mitwirkungshandlung ist in der ordnungsgemäßen Bewältigung der von der Beklagten geschaffenen außergewöhnlichen prozessualen Situation zu sehen, die durch die Erklärung der Erledigung des Rechtsstreites erfolgte. Erst durch eine solche Erklärung hat sich auch im vorliegenden Fall der Rechtsstreit erledigt.

Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Die Kosten werden nicht erstattet.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 197 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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