Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 14 SO 53/06 PKH
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 245/06 SO PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin aufgehoben. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und Rechtsanwalt J L, Bstr., Z beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde ist begründet, denn sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe sind erfüllt (§ 73 a Sozialgerichtsgesetz – SGG – i. V. m. §§ 114 ff Zivilprozessordnung – ZPO –). Der Kläger kann die Kosten der Prozessführung aus seiner dem Regelbedarf unterschreitenden Erwerbsunfähigkeitsrente nicht aufbringen, die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist angesichts der komplexen Sach- und Rechtslage erforderlich, und die Rechtsverfolgung hat im Besonderen auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der vom Kläger angefochtene Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 22. Februar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05. April 2006 begegnet in mehrfacher Hinsicht rechtlichen Bedenken. Der Beklagte hat darin die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung nach §§ 41, 42 Sozialgesetzbuch 12. Buch – SGB XII – für die Zeit ab 01. März 2006 auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i. V. m. §§ 60 Abs. 1, 66 SGB I gestützt und sinngemäß damit begründet, dass der Kläger in eheähnlicher Gemeinschaft mit seiner Vermieterin lebe und der daraus folgenden Verpflichtung nicht nachgekommen sei, deren wirtschaftliche Verhältnisse zur Klärung seiner Bedürftigkeit darzulegen. Mit dieser Rücknahmeentscheidung für die Zukunft hat der Beklagte in die Rechte des Klägers eingegriffen, die er ihm mit Bewilligungsbescheid vom 21. Dezember 2006 zuerkannt hatte, nämlich die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung auf der Grundlage des Regelsatzes für einen Alleinstehenden bzw. Haushaltsvorstand für die Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember 2006, ohne ihn zuvor gemäß § 24 Abs. 1 SGB X angehört zu haben. Eine ordnungsgemäße Anhörung nach dieser Vorschrift erfordert, dass dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Dafür reichen floskelhafte Wendungen wie im "Anhörungsschreiben" des Beklagten vom 11. November 2006 ("Es wird davon ausgegangen, dass Sie in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben") nicht aus, vielmehr sind dem Betroffenen die aus der Sicht der Behörde entscheidungserheblichen Tatsachen im Einzelnen konkret mitzuteilen. Ob die Vorsprache des Klägers beim Beklagten am 17. November 2005, über deren Inhalt es lediglich einen Aktenvermerk, nicht aber eine vom Kläger gegengezeichnete Niederschrift gibt, als ordnungsgemäße Anhörung im Sinne des § 24 Abs. 1 SGB X anzusehen sein könnte, bedarf hier keiner Erörterung, weil dem Kläger danach mit Bescheid vom 29. November 2005 Leistungen für Dezember 2005 sowie mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 weitere Leistungen für das gesamte Kalenderjahr 2006 nur unter Berücksichtigung seines Renteneinkommens bewilligt worden sind, er also nicht ohne weiteres damit rechnen musste, dass aus diesem Gespräch später noch negative Schlüsse für seinen Leistungsanspruch gezogen werden würden. Erstmals im Widerspruchsbescheid vom 05. April 2006 hat der Beklagte die aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Umstände umfangreich dargelegt. Um gegebenenfalls eine Heilung des Verfahrensmangels fehlender Anhörung nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X im laufenden Gerichtsverfahren herbeizuführen, wird dem Kläger ausdrücklich im Hinblick auf diese Verfahrensvorschrift Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben sein.
Auch materiell-rechtlich ist der Rücknahmebescheid vom 22. Februar 2006 bedenklich. Soweit der Beklagte die Rücknahme der Leistungsbewilligung auf mangelnde Mitwirkung stützt und diese mit vorsätzlich oder grob fahrlässig unvollständigen Angaben im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gleichgestellt, ist schon nicht ersichtlich, welche Mitwirkungspflicht der Kläger schuldhaft verletzt haben soll, die ihm vorher hätte konkret aufgezeigt werden müssen. Soweit der Beklagte sinngemäß darauf abstellt, dass er den Kläger mit Schreiben vom 11. November 2005 aufgefordert habe, bis zum 23. November 2005 die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner "Lebensgefährtin" darzulegen, können aus dem Umstand, dass der Kläger dem in der Folgezeit nicht nachgekommen ist, schon deshalb keine leistungsrechtlichen Konsequenzen nach §§ 60, 66 SGB I (mehr) gezogen werden, weil der Beklagte dem Kläger trotz des Fristablaufes mit den genannten Bewilligungsbescheiden Leistungen für weitere 13 Monate nur unter Berücksichtigung seines eigenen Einkommens zuerkannt hat.
Die Annahme, dass der Kläger mit seiner Vermieterin in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, ist im Übrigen entgegen der Auffassung des Beklagten wie auch des Sozialgerichts bisher nicht hinreichend begründet. Was der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 05. April 2006 in diesem Zusammenhang anführt, ist eine Gemengelage aus bloßen Vermutungen und Umständen, die für eine eheähnliche Gemeinschaft sprechen können, aber nicht müssen, sondern auch im Rahmen einer bewährten bloßen Freundschaft und Wohngemeinschaft bestehen können, die bei der hier in Rede stehenden Gewährung von Leistungen der Grundsicherung mangels Anwendbarkeit des § 36 Satz 1 SGB XII (§ 43 Abs. 1 letzter Teilsatz SGB XII) unbeachtlich sein dürften. Soweit der Beklagte und das Sozialgericht besonders darauf abstellen, dass in dem nach dem Brand neu errichteten Einfamilienhaus ein getrenntes Wohnen der beiden nicht möglich sei, lässt sich dies aus den in den Akten befindlichen Bauzeichnungen keineswegs mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Danach hat das Haus, für das nicht nur ein Haupteingang, sondern auch zwei Hintertüren eingezeichnet sind, jeweils zwei nebeneinander liegende Zimmer, die durch innen liegende Flure und Nebenräume getrennt sind, wobei der Kläger laut Mietvertrag über zwei Zimmer, einen Korridor sowie – was der Beklagte bisher außer Acht gelassen hat – auch über eine Toilette mit Bad/Dusche verfügt. Für ein getrenntes Wirtschaften ist nicht erforderlich, dass der Kläger in einer "Einliegerwohnung" lebt.
Angesichts dessen erscheint der Sachverhalt, der gleichermaßen für die mit dem weiteren streitbefangenen Bescheid vom 22. Februar 2006 betreffend die Ablehnung der Anerkennung eines Mehrbedarfes nach §§ 30 Abs. 1, 42 Satz 1 Nr. 3 SGB XII von Bedeutung ist, weiterhin aufklärungsbedürftig. Im besonderen dürfte nicht nur der Kläger persönlich anzuhören, sondern auch seine Vermieterin als Zeugin zu vernehmen sein. Sofern dies zu keiner ausreichenden Aufklärung führt, hätte das Sozialgericht auch zu erwägen, sich ein Bild von den örtlichen Verhältnissen durch Augenscheinseinnahme zu machen. Dass das Gericht nach der Begründung in seinem ablehnenden PKH-Beschluss dahingehende weitere Ermittlungen nicht für erforderlich hält, stellt angesichts der dargestellten Sach- und Rechtslage eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde ist begründet, denn sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe sind erfüllt (§ 73 a Sozialgerichtsgesetz – SGG – i. V. m. §§ 114 ff Zivilprozessordnung – ZPO –). Der Kläger kann die Kosten der Prozessführung aus seiner dem Regelbedarf unterschreitenden Erwerbsunfähigkeitsrente nicht aufbringen, die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist angesichts der komplexen Sach- und Rechtslage erforderlich, und die Rechtsverfolgung hat im Besonderen auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der vom Kläger angefochtene Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 22. Februar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05. April 2006 begegnet in mehrfacher Hinsicht rechtlichen Bedenken. Der Beklagte hat darin die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung nach §§ 41, 42 Sozialgesetzbuch 12. Buch – SGB XII – für die Zeit ab 01. März 2006 auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i. V. m. §§ 60 Abs. 1, 66 SGB I gestützt und sinngemäß damit begründet, dass der Kläger in eheähnlicher Gemeinschaft mit seiner Vermieterin lebe und der daraus folgenden Verpflichtung nicht nachgekommen sei, deren wirtschaftliche Verhältnisse zur Klärung seiner Bedürftigkeit darzulegen. Mit dieser Rücknahmeentscheidung für die Zukunft hat der Beklagte in die Rechte des Klägers eingegriffen, die er ihm mit Bewilligungsbescheid vom 21. Dezember 2006 zuerkannt hatte, nämlich die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung auf der Grundlage des Regelsatzes für einen Alleinstehenden bzw. Haushaltsvorstand für die Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember 2006, ohne ihn zuvor gemäß § 24 Abs. 1 SGB X angehört zu haben. Eine ordnungsgemäße Anhörung nach dieser Vorschrift erfordert, dass dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Dafür reichen floskelhafte Wendungen wie im "Anhörungsschreiben" des Beklagten vom 11. November 2006 ("Es wird davon ausgegangen, dass Sie in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben") nicht aus, vielmehr sind dem Betroffenen die aus der Sicht der Behörde entscheidungserheblichen Tatsachen im Einzelnen konkret mitzuteilen. Ob die Vorsprache des Klägers beim Beklagten am 17. November 2005, über deren Inhalt es lediglich einen Aktenvermerk, nicht aber eine vom Kläger gegengezeichnete Niederschrift gibt, als ordnungsgemäße Anhörung im Sinne des § 24 Abs. 1 SGB X anzusehen sein könnte, bedarf hier keiner Erörterung, weil dem Kläger danach mit Bescheid vom 29. November 2005 Leistungen für Dezember 2005 sowie mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 weitere Leistungen für das gesamte Kalenderjahr 2006 nur unter Berücksichtigung seines Renteneinkommens bewilligt worden sind, er also nicht ohne weiteres damit rechnen musste, dass aus diesem Gespräch später noch negative Schlüsse für seinen Leistungsanspruch gezogen werden würden. Erstmals im Widerspruchsbescheid vom 05. April 2006 hat der Beklagte die aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Umstände umfangreich dargelegt. Um gegebenenfalls eine Heilung des Verfahrensmangels fehlender Anhörung nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X im laufenden Gerichtsverfahren herbeizuführen, wird dem Kläger ausdrücklich im Hinblick auf diese Verfahrensvorschrift Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben sein.
Auch materiell-rechtlich ist der Rücknahmebescheid vom 22. Februar 2006 bedenklich. Soweit der Beklagte die Rücknahme der Leistungsbewilligung auf mangelnde Mitwirkung stützt und diese mit vorsätzlich oder grob fahrlässig unvollständigen Angaben im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gleichgestellt, ist schon nicht ersichtlich, welche Mitwirkungspflicht der Kläger schuldhaft verletzt haben soll, die ihm vorher hätte konkret aufgezeigt werden müssen. Soweit der Beklagte sinngemäß darauf abstellt, dass er den Kläger mit Schreiben vom 11. November 2005 aufgefordert habe, bis zum 23. November 2005 die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner "Lebensgefährtin" darzulegen, können aus dem Umstand, dass der Kläger dem in der Folgezeit nicht nachgekommen ist, schon deshalb keine leistungsrechtlichen Konsequenzen nach §§ 60, 66 SGB I (mehr) gezogen werden, weil der Beklagte dem Kläger trotz des Fristablaufes mit den genannten Bewilligungsbescheiden Leistungen für weitere 13 Monate nur unter Berücksichtigung seines eigenen Einkommens zuerkannt hat.
Die Annahme, dass der Kläger mit seiner Vermieterin in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, ist im Übrigen entgegen der Auffassung des Beklagten wie auch des Sozialgerichts bisher nicht hinreichend begründet. Was der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 05. April 2006 in diesem Zusammenhang anführt, ist eine Gemengelage aus bloßen Vermutungen und Umständen, die für eine eheähnliche Gemeinschaft sprechen können, aber nicht müssen, sondern auch im Rahmen einer bewährten bloßen Freundschaft und Wohngemeinschaft bestehen können, die bei der hier in Rede stehenden Gewährung von Leistungen der Grundsicherung mangels Anwendbarkeit des § 36 Satz 1 SGB XII (§ 43 Abs. 1 letzter Teilsatz SGB XII) unbeachtlich sein dürften. Soweit der Beklagte und das Sozialgericht besonders darauf abstellen, dass in dem nach dem Brand neu errichteten Einfamilienhaus ein getrenntes Wohnen der beiden nicht möglich sei, lässt sich dies aus den in den Akten befindlichen Bauzeichnungen keineswegs mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Danach hat das Haus, für das nicht nur ein Haupteingang, sondern auch zwei Hintertüren eingezeichnet sind, jeweils zwei nebeneinander liegende Zimmer, die durch innen liegende Flure und Nebenräume getrennt sind, wobei der Kläger laut Mietvertrag über zwei Zimmer, einen Korridor sowie – was der Beklagte bisher außer Acht gelassen hat – auch über eine Toilette mit Bad/Dusche verfügt. Für ein getrenntes Wirtschaften ist nicht erforderlich, dass der Kläger in einer "Einliegerwohnung" lebt.
Angesichts dessen erscheint der Sachverhalt, der gleichermaßen für die mit dem weiteren streitbefangenen Bescheid vom 22. Februar 2006 betreffend die Ablehnung der Anerkennung eines Mehrbedarfes nach §§ 30 Abs. 1, 42 Satz 1 Nr. 3 SGB XII von Bedeutung ist, weiterhin aufklärungsbedürftig. Im besonderen dürfte nicht nur der Kläger persönlich anzuhören, sondern auch seine Vermieterin als Zeugin zu vernehmen sein. Sofern dies zu keiner ausreichenden Aufklärung führt, hätte das Sozialgericht auch zu erwägen, sich ein Bild von den örtlichen Verhältnissen durch Augenscheinseinnahme zu machen. Dass das Gericht nach der Begründung in seinem ablehnenden PKH-Beschluss dahingehende weitere Ermittlungen nicht für erforderlich hält, stellt angesichts der dargestellten Sach- und Rechtslage eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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