Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 96 AS 7935/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 1086/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2006 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, war in Anwendung des § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) allein deshalb zurückzuweisen, weil der Senat die Tat¬sachen¬lage im einstweiligen Ver¬fahren nicht vollständig durchdringen kann und eine Folgenab¬wägung (Leistung/Nichtleistung) zugunsten des Antragstellers (Ast) zu treffen ist. Die folgende Begründung ist an den Maßstäben ausgerichtet, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum einstweiligen Rechtsschutz in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitslose entwickelt hat (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - 3. Kammer des Ersten Senats).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung ((vorläufige und möglicherweise teilweise) Zuerkennung/aktuelle Versagung des Anspruchs) – 1. Alternative - als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - 2. Alternative – ge¬stützt werden, wobei Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) besondere Anforderungen an die Ausge¬staltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Haupt¬sache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechts¬lage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Ver¬fahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine end¬gül¬tige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsache¬ver¬fahrens bei ab¬lehnen¬der Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenz¬minimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grund¬gesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne, da die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip folgt.
Hier ist im Rahmen einer Folgenabwägung zugunsten des Ast. zu entschei¬den, da der im Ver¬fahren vor dem SG erreichte Sachstand jedenfalls nicht positiv die Feststellung rechtfertigt, es bestehe eine ehe¬ähnliche Gemeinschaft.
Das SG ist, was den rechtlichen Ausgangspunkt betrifft, zutreffend von Folgendem ausge¬gan¬gen: Der Anspruch des Antragstellers nach § 19 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II) besteht, wenn der Ast hilfebe¬dürftig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 Nr. 3 iVm 9 SGB II ist. Dies hängt vorliegend davon ab, ob er mit Frau C C (C) eine Bedarfs¬ge¬mein¬schaft bildet. Ist dies der Fall, schließt nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II das Partner¬ein¬kommen die Hilfebe¬dürftig¬keit des Ast (ggfs. teilweise) aus. Besteht keine Bedarfsgemein¬schaft, ist der Ast hilfe¬bedürftig, da er ohne Einkommen und Vermögen ist. Eine Bedarfs¬gemein¬schaft besteht, wenn C als Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürfti¬gen in eheähn¬licher Gemeinschaft lebt (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst c SGB II), anzusehen ist. Als eheähn¬liche Gemein¬schaft ist eine Lebens¬ge¬mein¬schaft zwischen einem Mann und einer Frau anzu¬sehen, die auf Dauer angelegt ist, da¬neben keine weitere Lebens¬gemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung einer reinen Haus- und Wirtschafts¬gemeinschaft hinaus¬gehen (BVerwGE 98, 195 ff unter Bezug¬nahme auf BVerfGE 87, 234; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 26). Dieser Sachverhalt ist im Streitfall durch die Gesamtwürdi¬gung der den Einzelfall kennzeichnenden Hinweis¬tat¬sachen festzu¬stellen, wobei der Senat den wohlbegründeten An¬satz des SG teilt, dass die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II ("länger als ein Jahr zusammenleben") erst dann greift, wenn eine Haushalts- und Wirt¬schafts¬¬gemeinschaft positiv festgestellt ist (S 5 aE des angefochtenen Beschlusses). Zu würdigen ist die konkrete Lebenssituation der Partner, "die - nach außen erkennbare - Intensität der gelebten Gemein¬schaft (BVerwG aaO), sowie die Befugnis über Einkommen und Ver¬mögensgegen¬stände des anderen Partners tatsächlich verfügen zu können, wobei es hier auf das tat¬säch¬liche Erscheinungsbild ankommt, also darauf, ob Haushalts¬gegen¬stände (Pkw) und Wohnraum des anderen Partners unbeschadet der Eigen¬tumsverhältnisse ge¬nutzt werden können (Satorius in Rothkegel, Sozialhilferecht, Kapitel 13 RdNr 15).
Zu den danach rechtserheblichen Fragen hat das SG umfänglich Beweis erhoben und die Er¬geb¬¬nisse ausführlich gewürdigt. Unabhängig von der Frage, ob man die Beweiswürdigung für überzeugend hält (wozu der Senat – ohne abschließende Willensbildung - auch in An¬sehung der mit der Beschwerde erhobenen Einwände neigt), für nur vertretbar oder für gerade noch diskutabel, ist damit im Verfahren vor dem SG jedenfalls ein Sachstand erreicht worden, ange¬sichts dessen nicht mit einem für eine Entscheidung in der Hauptsache erforderlichen Grad von Gewissheit der erhobene Anspruch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen versagt werden könnte.
Ob Leistungen vorläufig zu gewähren sind, hängt damit von der Folgenabwägung (dazu oben, 1. Alternative) ab, die zugunsten des Ast zu treffen ist, dem zur Zeit kein eigenes Einkommen oder Vermögen zur Verfügung steht, um elementare Bedürf¬nisse zu befriedigen. Einer mög¬lichen Verletzung der Rechte des Ast durch ein Vorenthalten der Leistung für die Dauer des Ver¬fahrens stehen, abgesehen vom Ausfall¬risiko im Falle einer not¬wendig werdenden Rück¬forderung, keine darstellbaren Interessen der Antragsgegnerin gegen¬über. Allein der fiskalische Gesichtspunkt überwiegt die grundrechtlich gestützte Position des Ast nicht.
Da nach dem vom SG ermittelten und gewürdigten Sachstand für eine Durchsetzbarkeit eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld II im Hauptsacheverfahren eine günstige Prognose besteht, bestand kein Anlass zu einer weitergehenden Begrenzung der vorläufig zuzusprechenden Leistung im Vergleich zum Tenor des angefochtenen Beschlusses, den dass SG wie geschehen als "Grundbeschluss" (zum Grundurteil (§ 130 SGG) auf Leistungsklage im Vollstreckungs¬zusammenhang s BSG SozR 3-1500 § 199 Nr. 1) fassen konnte.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus der entsprechenden Anwen¬dung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG). Einer Entscheidung über den Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG bedarf es nicht mehr, da in der Sache abschließend entschieden ist.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, war in Anwendung des § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) allein deshalb zurückzuweisen, weil der Senat die Tat¬sachen¬lage im einstweiligen Ver¬fahren nicht vollständig durchdringen kann und eine Folgenab¬wägung (Leistung/Nichtleistung) zugunsten des Antragstellers (Ast) zu treffen ist. Die folgende Begründung ist an den Maßstäben ausgerichtet, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum einstweiligen Rechtsschutz in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitslose entwickelt hat (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - 3. Kammer des Ersten Senats).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung ((vorläufige und möglicherweise teilweise) Zuerkennung/aktuelle Versagung des Anspruchs) – 1. Alternative - als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - 2. Alternative – ge¬stützt werden, wobei Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) besondere Anforderungen an die Ausge¬staltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Haupt¬sache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechts¬lage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Ver¬fahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine end¬gül¬tige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsache¬ver¬fahrens bei ab¬lehnen¬der Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenz¬minimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grund¬gesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne, da die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip folgt.
Hier ist im Rahmen einer Folgenabwägung zugunsten des Ast. zu entschei¬den, da der im Ver¬fahren vor dem SG erreichte Sachstand jedenfalls nicht positiv die Feststellung rechtfertigt, es bestehe eine ehe¬ähnliche Gemeinschaft.
Das SG ist, was den rechtlichen Ausgangspunkt betrifft, zutreffend von Folgendem ausge¬gan¬gen: Der Anspruch des Antragstellers nach § 19 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II) besteht, wenn der Ast hilfebe¬dürftig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 Nr. 3 iVm 9 SGB II ist. Dies hängt vorliegend davon ab, ob er mit Frau C C (C) eine Bedarfs¬ge¬mein¬schaft bildet. Ist dies der Fall, schließt nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II das Partner¬ein¬kommen die Hilfebe¬dürftig¬keit des Ast (ggfs. teilweise) aus. Besteht keine Bedarfsgemein¬schaft, ist der Ast hilfe¬bedürftig, da er ohne Einkommen und Vermögen ist. Eine Bedarfs¬gemein¬schaft besteht, wenn C als Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürfti¬gen in eheähn¬licher Gemeinschaft lebt (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst c SGB II), anzusehen ist. Als eheähn¬liche Gemein¬schaft ist eine Lebens¬ge¬mein¬schaft zwischen einem Mann und einer Frau anzu¬sehen, die auf Dauer angelegt ist, da¬neben keine weitere Lebens¬gemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung einer reinen Haus- und Wirtschafts¬gemeinschaft hinaus¬gehen (BVerwGE 98, 195 ff unter Bezug¬nahme auf BVerfGE 87, 234; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 26). Dieser Sachverhalt ist im Streitfall durch die Gesamtwürdi¬gung der den Einzelfall kennzeichnenden Hinweis¬tat¬sachen festzu¬stellen, wobei der Senat den wohlbegründeten An¬satz des SG teilt, dass die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II ("länger als ein Jahr zusammenleben") erst dann greift, wenn eine Haushalts- und Wirt¬schafts¬¬gemeinschaft positiv festgestellt ist (S 5 aE des angefochtenen Beschlusses). Zu würdigen ist die konkrete Lebenssituation der Partner, "die - nach außen erkennbare - Intensität der gelebten Gemein¬schaft (BVerwG aaO), sowie die Befugnis über Einkommen und Ver¬mögensgegen¬stände des anderen Partners tatsächlich verfügen zu können, wobei es hier auf das tat¬säch¬liche Erscheinungsbild ankommt, also darauf, ob Haushalts¬gegen¬stände (Pkw) und Wohnraum des anderen Partners unbeschadet der Eigen¬tumsverhältnisse ge¬nutzt werden können (Satorius in Rothkegel, Sozialhilferecht, Kapitel 13 RdNr 15).
Zu den danach rechtserheblichen Fragen hat das SG umfänglich Beweis erhoben und die Er¬geb¬¬nisse ausführlich gewürdigt. Unabhängig von der Frage, ob man die Beweiswürdigung für überzeugend hält (wozu der Senat – ohne abschließende Willensbildung - auch in An¬sehung der mit der Beschwerde erhobenen Einwände neigt), für nur vertretbar oder für gerade noch diskutabel, ist damit im Verfahren vor dem SG jedenfalls ein Sachstand erreicht worden, ange¬sichts dessen nicht mit einem für eine Entscheidung in der Hauptsache erforderlichen Grad von Gewissheit der erhobene Anspruch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen versagt werden könnte.
Ob Leistungen vorläufig zu gewähren sind, hängt damit von der Folgenabwägung (dazu oben, 1. Alternative) ab, die zugunsten des Ast zu treffen ist, dem zur Zeit kein eigenes Einkommen oder Vermögen zur Verfügung steht, um elementare Bedürf¬nisse zu befriedigen. Einer mög¬lichen Verletzung der Rechte des Ast durch ein Vorenthalten der Leistung für die Dauer des Ver¬fahrens stehen, abgesehen vom Ausfall¬risiko im Falle einer not¬wendig werdenden Rück¬forderung, keine darstellbaren Interessen der Antragsgegnerin gegen¬über. Allein der fiskalische Gesichtspunkt überwiegt die grundrechtlich gestützte Position des Ast nicht.
Da nach dem vom SG ermittelten und gewürdigten Sachstand für eine Durchsetzbarkeit eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld II im Hauptsacheverfahren eine günstige Prognose besteht, bestand kein Anlass zu einer weitergehenden Begrenzung der vorläufig zuzusprechenden Leistung im Vergleich zum Tenor des angefochtenen Beschlusses, den dass SG wie geschehen als "Grundbeschluss" (zum Grundurteil (§ 130 SGG) auf Leistungsklage im Vollstreckungs¬zusammenhang s BSG SozR 3-1500 § 199 Nr. 1) fassen konnte.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus der entsprechenden Anwen¬dung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG). Einer Entscheidung über den Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG bedarf es nicht mehr, da in der Sache abschließend entschieden ist.
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