Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 2402/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1914/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.3.2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Versorgung mit Kontaktlinsen.
Der 1963 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er leidet unter exzessiv hoher Kurzsichtigkeit mit hoher Hornhautverkrümmung sowie extremer Trockenheit der Bindehaut und der Hornhaut auf Grund langjährigen Tragens von Kontaktlinsen.
Am 14. Oktober 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die Kosten für ein Paar spezialangepasste, gasdurchlässige, harte Kontaktlinsen (zumindest anteilig) zu übernehmen. Er legte eine entsprechende Brillenverordnung sowie ein Attest der Augenärztin S.-S. vom 5.10.2004 (extreme Kurzsichtigkeit und hohe Hornhautverkrümmung; Gefährdung der Arbeitsfähigkeit ohne das Tragen spezial angefertigter Kontaktlinsen, da ausreichende Sehschärfe mit Brille nicht erreichbar) und einen Kostenvoranschlag der Firma S.-H. Optik GmbH vom 10.9.2004 über voraussichtliche Kosten in Höhe von 336 EUR vor.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Augenärztin S.-S. unter dem 23.10.2004 ergänzend mit, der Visus (Sehschärfe) betrage ohne Korrektur rechts und links 0,05 und mit bestmöglicher Korrektur rechts und links 0,8.
Die Beklagte holte die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 8.11.2004 ein. Darin ist ausgeführt, Sehhilfen zur Verbesserung der Sehschärfe bei einem mit Brille oder Kontaktlinsen bestmöglich korrigierten Visus über 0,3 auf dem besseren Auge seien ab dem 1.1.2004 für Patienten über 18 Jahren nicht mehr verordnungsfähig; beim Kläger betrage der bestmöglich korrigierte Visus 0,8.
Mit Bescheid vom 9.11.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, eine schwere Sehbeeinträchtigung, die einen Versorgungsanspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse begründen könne, liege nur vor, wenn die Sehschärfe auf jedem Auge bei bestmöglicher Korrektur trotz Verwendung von Sehhilfen jeglicher Art maximal 0,3 betrage. Da der Visus des Klägers bei bestmöglicher Korrektur auf beiden Augen aber 0,8 betrage, könnten die Kosten für Kontaktlinsen nicht übernommen werden.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, der gesetzliche Leistungsausschluss sei sozial ungerecht. Da er wegen seiner von Kindheit an bestehenden Sehbehinderung (ca 25 Dioptrien), zu der eine in Form und Geometrie instabile Hornhaut hinzukomme, ohnehin benachteiligt sei, habe er mindestens eine nach dem Visus prozentual gestaffelte Beteiligung an den Kosten für Sehhilfen zu beanspruchen, nachdem die Krankenkassen auch die Behandlungskosten etwa bei Urlaubs- und Sportverletzungen übernähmen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 1.6.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In den Verwaltungsakten der Beklagten befindet sich kein Nachweis über die Zustellung des Widerspruchsbescheids.
Am 18.7.2005 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Reutlingen. Zur Begründung wiederholte und vertiefte er sein bisheriges Vorbringen. Wegen seiner starken Kurzsichtigkeit sei er aus medizinischen Gründen auf gasdurchlässige torische (harte) Kontaktlinsen angewiesen. Nur damit erreiche er einen Visus von etwa 70 %. Wegen seiner (auch finanziell) schwierigen Lage habe die Krankenkasse in der Vergangenheit hin und wieder Kosten für Kontaktlinsen übernommen. Stark Sehbehinderte wie er würden durch das Gesetz in sozial unvertretbarer Weise benachteiligt, zumal ein stark kurzsichtiges Auge weniger belastbar sei und als krank eingestuft werden müsse. Er werde verglichen mit anderen chronisch Kranken, wie Diabetikern oder Herzkranken, ungleich behandelt, obwohl sein Leiden nicht auf ungesunder Lebensweise beruhe. Außerdem würden privat Krankenversicherte zu Unrecht geschont. Ungerecht sei auch die Erhebung der vollen Mehrwertsteuer auf Kontaktlinsen.
Das Sozialgericht holte die sachverständige Zeugenaussage der Augenärztin S.-S. vom 20.1.2006 ein. Darin ist ausgeführt, der Kläger leide an exzessiv hoher Kurzsichtigkeit und extremer Trockenheit der Bindehaut und der Hornhaut auf Grund langjährigen Tragens von Kontaktlinsen. Deshalb sei er auf speziell angefertigte, hoch sauerstoffdurchlässige Kontaktlinsen angewiesen. Andernfalls stehe seine Arbeitsfähigkeit in Frage. Die Kosten könne der Kläger als Universitätsassistent kaum aufbringen. Bei der letzten Untersuchung am 10.10.2005 habe die Sehschärfe mit der vorhandenen Kontaktlinse für die Ferne rechts 0,2 und für die Ferne links 0,5 betragen.
Die Beklagte trug vor, der Widerspruchsbescheid sei am 1.6.2005 abgesandt worden. Nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinien) sei eine Sehhilfe zur Verbesserung der Sehschärfe bei Versicherten, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, verordnungsfähig, wenn sie auf Grund einer Sehschwäche oder Blindheit, entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufwiesen. Das sei der Fall, wenn die Sehschärfe bei bestmöglicher Korrektur mit einer Brillen- oder Kontaktlinsenverordnung auf dem besseren Auge maximal 0,3 betrage. Diese Voraussetzungen seien auch ausweislich des vom Sozialgericht eingeholten Arztberichts (nach wie vor) nicht erfüllt.
Nachdem das Sozialgericht dem Kläger durch Beschluss vom 22.2.2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist gewährt hatte, wies es die Klage durch Urteil vom 16.3.2006 ab. Zur Begründung führte es aus, die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen (§§ 33 Abs. 1 Satz 1, 5) seien unstreitig nicht erfüllt, da eine schwere Sehbeeinträchtigung der Stufe 1 nicht vorliege; hierfür dürfte die Sehschärfe auf beiden Augen nach der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation auch bei bestmöglicher Korrektur trotz Sehhilfen höchstens 0,3 betragen. Der Kläger erreiche auf dem besseren Auge jedoch eine Sehschärfe von 0,5. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003 (BGBl I S. 2190) eingeführte Leistungseinschränkung für Sehhilfen bestünden nicht, insbesondere seien Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG nicht verletzt. Der Gesetzgeber dürfe die Versicherten über den Krankenkassenbeitrag hinaus grundsätzlich in zumutbarem Maße an der Finanzierung von Kassenleistungen beteiligen. Der Leistungsausschluss bei Sehhilfen für über 18 Jahre alte Versicherte richte sich unter sachgerechter Orientierung an den Klassifikationen der Weltgesundheitsorganisation nach dem Schweregrad der Sehbeeinträchtigung und sei daher verfassungsrechtlich vertretbar, zumal bei schwerer Seebeeinträchtigung nach wie vor Sehhilfen gewährt würden. Der Gesetzgeber habe auch zu Recht darauf abgestellt, dass die Versicherten nicht überfordert würden, nachdem sie über den (bisherigen) Kassenanteil hinaus regelmäßig erhebliche Beträge für medizinisch nicht notwendige Zusatzausstattungen (wie die Entspiegelung oder Tönung von Brillengläsern) ausgeben würden. Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sei ebenfalls nicht verletzt. Insbesondere komme es für die Frage der Leistungsgewährung rechtlich nicht darauf an, worauf eine Erkrankung, etwa Diabetes, beruhe. Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich nicht daran gehindert, aus Gründen der Finanzierung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung Hilfsmittel, wie Sehhilfen, aus der Leistungsgewährung auszuschließen; insoweit sei zusätzlich zu bedenken, dass hier im Unterschied zu anderen Hilfsmitteln ein privatwirtschaftlich organisierter Markt bestehe und ein erhebliches Ausgabenvolumen betroffen sei. Steuerliche Aspekte seien ebenso wenig von Belang wie das Recht der privaten Krankenversicherung. Das Sozialgericht ließ die Berufung gegen sein Urteil zu, weil die Rechtssache angesichts der vom Kläger erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen grundsätzliche Bedeutung habe und insoweit noch keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vorliege.
Auf das ihm am 23.3.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.4.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und bekräftigt er sein bisheriges Vorbringen. Da die Zahl hochgradig Kurzsichtiger relativ gering sei, lohnten sich Investitionen in diesem Bereich nicht. Deshalb werde der Leistungsausschluss den Wettbewerb nicht steigern und für die Patienten auch auf diesem Weg keine Vorteile bringen. Die hierauf bezogenen Erwägungen des Gesetzgebers seien nicht stichhaltig. Er hätte auch nicht auf die angeblichen Ausgaben der Versicherten von durchschnittlich etwa 150 EUR für medizinisch nicht notwendige Leistungen (Entspiegelung oder Tönung von Brillengläsern) abstellen dürfen. Wissenschaftlich korrekte Umfragen hierzu gebe es offenbar nicht; außerdem treffe dies für Kontaktlinsen nicht zu. Der Gesetzgeber hätte auch bedenken müssen, dass es hochgradig kurzsichtige Menschen ohnehin schwer hätten und ihr Einkommen unter dem Durchschnitt liege, weshalb sie durch Ausgaben für Kontaktlinsen stärker belastet seien als andere. Ebenso wenig dürfe nach der Art der Erkrankung - Kurzsichtigkeit oder Diabetes - unterschieden werden. Er habe netto nur 340 EUR zur Verfügung, so dass man von ihm nicht verlangen könne, Kosten für Kontaktlinsen aufzubringen. Die geltende Rechtslage verletze daher die Menschenwürde. Da Augenärzte nur selten harte Kontaktlinsen anpassten, sei er auf seinen Optikermeister angewiesen. Dessen Honorar übernehme die Krankenkasse nicht, was seine Kostenbelastung weiter erhöhe, zumal er wegen ständiger Änderungen in der Krümmung seiner Hornhaut häufiger neue Kontaktlinsen benötige.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.3.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.6.2005 zu verurteilen, ihm 1 Paar harte spezialangepasste 02 Kontaktlinsen nach Maßgabe der entsprechenden Verordnung der Augenärztin S.-S. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung des Klägers ist nach Zulassung durch das Sozialgericht statthaft und auch sonst zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihm die begehrten Sehhilfen (Kontaktlinsen) zu gewähren.
Gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB haben gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, wozu auch Sehhilfen, wie Kontaktlinsen gehören, wenn diese im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen, oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Für die Versorgung mit Sehhilfen gelten weitere Einschränkungen. Hierauf haben grundsätzlich nur Versicherte bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch. Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen nur dann, wenn sie auf Grund ihrer Sehschwäche oder Blindheit, entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung, auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweisen (§ 33 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB V). Das ist der Fall, wenn die Sehschärfe auf jedem Auge bei bestmöglicher Korrektur maximal 0,3 beträgt. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht, wie auch aus der vom Sozialgericht zuletzt eingeholten sachverständigen Zeugenaussage der Augenärztin S.-S. vom 20.1.2006 hervorgeht. Hierüber streiten die Beteiligten nicht. Der Kläger hat daher nach den gesetzlichen Regelungen des § 33 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB V keinen Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Bestimmungen in § 33 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB V sind nach Auffassung des Senats gültig. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht. Das Sozialgericht hat das in seinem Urteil richtig erkannt und auch zutreffend begründet, weshalb der Senat zunächst auf die Darlegungen auf S. 6 2 Absatz bis S. 8 des Entscheidungsabdrucks Bezug nehmen kann (§ 153 Abs. 4 SGG). Ergänzend sei im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten angemerkt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist vorrangiger Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip. Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit schützt den gesetzlich Krankenversicherten vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung. Bei der näheren Bestimmung und Entfaltung der Schutzfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG kommt weiter dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip maßgebliche Bedeutung zu. Der Grundaufgabe des Staates, den Einzelnen in Fällen von Krankheit zu schützen, ist der Gesetzgeber nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung, Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat. In Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips richtet er die Beiträge an der - regelmäßig durch das Arbeitsentgelt oder die Rente bestimmten - wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherten (§ 226 SGB V) und nicht am individuellen Risiko aus, ist ferner auf Stabilität der Beitragssätze bedacht (§ 71 SGB V), wirkt auf Beitragssenkungen hin (§ 220 Abs. 4 SGB V) und nimmt auch bei der Ausgestaltung der Verpflichtung zur Erbringung von Zuzahlungen zu gesetzlichen Leistungen (vgl. § 61 SGB V) auf die soziale Situation des Einzelnen Rücksicht (§ 62 SGB V). Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung sind darüber hinaus auch die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Zwar folgt aus diesen Grundrechten regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen. Die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich jedoch an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Insofern können diese Grundrechte in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten, insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung.
Verfassungsrechtlich unbedenklich ist, dass die gesetzliche Krankenversicherung den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) nur unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots ( § 12 SGB V ) zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Es steht auch mit dem Grundgesetz im Einklang, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben und nicht das Maß des Notwendigen überschreiten dürfen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung darf schließlich auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht. Dem Gesetzgeber ist es deshalb im Rahmen seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich erlaubt, den Versicherten über den Beitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in der Form von Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen zu beteiligen, jedenfalls, soweit dies dem Einzelnen finanziell zugemutet werden kann. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (zu alledem zusammenfassend und mit weiteren Nachweisen zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung BVerfG, Beschluss vom 6.12.2005 -1 BvR 347/98 -, NZS 2006, 84).
Davon ausgehend sind die in Rede stehenden Gesetzesbestimmungen über den weitgehenden Ausschluss von Sehhilfen für über 18 Jahre alte Versicherte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber durfte sich entgegen der Auffassung des Klägers insbesondere von finanzwirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen und darauf abstellen, dass die gesetzlichen Regelung ins Gewicht fallende Einsparungen für die Krankenkassen bewirken und damit ein Beitrag zur finanziellen Stabilisierung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden kann. Eine unverhältnismäßige Belastung für die Versicherten ist damit nicht verbunden, nachdem Sehhilfen nicht gänzlich aus dem Leistungskatalog gestrichen wurden, für besonders schwere Sehbeeinträchtigungen vielmehr nach wie vor Leistungen gewährt werden. Wenn sich der Gesetzgeber hierfür an den Maßstäben der Weltgesundheitsorganisation orientiert, ist dagegen von Verfassungs wegen nichts einzuwenden, namentlich kann von einer sachwidrigen Regelung keine Rede sein. Entgegen der Auffassung des Klägers durfte der Gesetzgeber auch die regelmäßig nicht unerheblichen Ausgaben der Versicherten für medizinisch nicht notwendige Zusatzleistungen beim Erwerb von Sehhilfen, insbesondere von Brillen, in seine Erwägungen einbeziehen. Der Senat vermag nicht zu erkennen, weshalb dieser Gesichtspunkt vorliegend bei der Bemessung dessen, was den Versicherten als verhältnismäßig abverlangt werden kann, sachwidrig sein sollte. Besondere (zusätzlicher) statistische Erhebungen brauchte der Gesetzgeber nicht durchzuführen. Er war auch berechtigt, seiner gesetzlichen (Neu-)Konzeption des Leistungsumfangs bei der Gewährung von Sehhilfen auf typische Fallgestaltungen abzustellen, weshalb der Kläger eine Unverhältnismäßigkeit des ihn treffenden Leistungsausschlusses nicht mit seinen besonderen (gesundheitlichen oder wirtschaftlichen) Verhältnissen begründen kann. Schließlich ist auch im Hinblick auf das Gleichheitsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Verfassungsverstoß nicht erkennbar. Eine sachwidrige Ungleichbehandlung der unter Sehbeeinträchtigungen leidenden Versicherten etwa mit Diabetikern oder anderen chronisch Kranken liegt nicht vor, wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat.
Besteht damit auf Grund der geltenden und von der Beklagten wie den Sozialgerichten anzuwenden Gesetzesbestimmungen kein Leistungsanspruch des Klägers, kann dieser auch nicht unmittelbar aus den genannten Verfassungsbestimmungen hergeleitet werden. Die ohne Zweifel erhebliche, wenngleich zur Gewährung von Sehhilfen an über 18 Jahre alte Versicherte nicht hinreichend schwere Sehbeeinträchtigung des Klägers ist einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht gleich zu stellen (vgl. insbesondere die Urteile vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R -, - B 1 KR 12/05 R-).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Diese folgt nicht schon daraus, dass verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geltend gemacht werden bzw. hierzu höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht vorliegt.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Versorgung mit Kontaktlinsen.
Der 1963 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er leidet unter exzessiv hoher Kurzsichtigkeit mit hoher Hornhautverkrümmung sowie extremer Trockenheit der Bindehaut und der Hornhaut auf Grund langjährigen Tragens von Kontaktlinsen.
Am 14. Oktober 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die Kosten für ein Paar spezialangepasste, gasdurchlässige, harte Kontaktlinsen (zumindest anteilig) zu übernehmen. Er legte eine entsprechende Brillenverordnung sowie ein Attest der Augenärztin S.-S. vom 5.10.2004 (extreme Kurzsichtigkeit und hohe Hornhautverkrümmung; Gefährdung der Arbeitsfähigkeit ohne das Tragen spezial angefertigter Kontaktlinsen, da ausreichende Sehschärfe mit Brille nicht erreichbar) und einen Kostenvoranschlag der Firma S.-H. Optik GmbH vom 10.9.2004 über voraussichtliche Kosten in Höhe von 336 EUR vor.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Augenärztin S.-S. unter dem 23.10.2004 ergänzend mit, der Visus (Sehschärfe) betrage ohne Korrektur rechts und links 0,05 und mit bestmöglicher Korrektur rechts und links 0,8.
Die Beklagte holte die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 8.11.2004 ein. Darin ist ausgeführt, Sehhilfen zur Verbesserung der Sehschärfe bei einem mit Brille oder Kontaktlinsen bestmöglich korrigierten Visus über 0,3 auf dem besseren Auge seien ab dem 1.1.2004 für Patienten über 18 Jahren nicht mehr verordnungsfähig; beim Kläger betrage der bestmöglich korrigierte Visus 0,8.
Mit Bescheid vom 9.11.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, eine schwere Sehbeeinträchtigung, die einen Versorgungsanspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse begründen könne, liege nur vor, wenn die Sehschärfe auf jedem Auge bei bestmöglicher Korrektur trotz Verwendung von Sehhilfen jeglicher Art maximal 0,3 betrage. Da der Visus des Klägers bei bestmöglicher Korrektur auf beiden Augen aber 0,8 betrage, könnten die Kosten für Kontaktlinsen nicht übernommen werden.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, der gesetzliche Leistungsausschluss sei sozial ungerecht. Da er wegen seiner von Kindheit an bestehenden Sehbehinderung (ca 25 Dioptrien), zu der eine in Form und Geometrie instabile Hornhaut hinzukomme, ohnehin benachteiligt sei, habe er mindestens eine nach dem Visus prozentual gestaffelte Beteiligung an den Kosten für Sehhilfen zu beanspruchen, nachdem die Krankenkassen auch die Behandlungskosten etwa bei Urlaubs- und Sportverletzungen übernähmen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 1.6.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In den Verwaltungsakten der Beklagten befindet sich kein Nachweis über die Zustellung des Widerspruchsbescheids.
Am 18.7.2005 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Reutlingen. Zur Begründung wiederholte und vertiefte er sein bisheriges Vorbringen. Wegen seiner starken Kurzsichtigkeit sei er aus medizinischen Gründen auf gasdurchlässige torische (harte) Kontaktlinsen angewiesen. Nur damit erreiche er einen Visus von etwa 70 %. Wegen seiner (auch finanziell) schwierigen Lage habe die Krankenkasse in der Vergangenheit hin und wieder Kosten für Kontaktlinsen übernommen. Stark Sehbehinderte wie er würden durch das Gesetz in sozial unvertretbarer Weise benachteiligt, zumal ein stark kurzsichtiges Auge weniger belastbar sei und als krank eingestuft werden müsse. Er werde verglichen mit anderen chronisch Kranken, wie Diabetikern oder Herzkranken, ungleich behandelt, obwohl sein Leiden nicht auf ungesunder Lebensweise beruhe. Außerdem würden privat Krankenversicherte zu Unrecht geschont. Ungerecht sei auch die Erhebung der vollen Mehrwertsteuer auf Kontaktlinsen.
Das Sozialgericht holte die sachverständige Zeugenaussage der Augenärztin S.-S. vom 20.1.2006 ein. Darin ist ausgeführt, der Kläger leide an exzessiv hoher Kurzsichtigkeit und extremer Trockenheit der Bindehaut und der Hornhaut auf Grund langjährigen Tragens von Kontaktlinsen. Deshalb sei er auf speziell angefertigte, hoch sauerstoffdurchlässige Kontaktlinsen angewiesen. Andernfalls stehe seine Arbeitsfähigkeit in Frage. Die Kosten könne der Kläger als Universitätsassistent kaum aufbringen. Bei der letzten Untersuchung am 10.10.2005 habe die Sehschärfe mit der vorhandenen Kontaktlinse für die Ferne rechts 0,2 und für die Ferne links 0,5 betragen.
Die Beklagte trug vor, der Widerspruchsbescheid sei am 1.6.2005 abgesandt worden. Nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinien) sei eine Sehhilfe zur Verbesserung der Sehschärfe bei Versicherten, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, verordnungsfähig, wenn sie auf Grund einer Sehschwäche oder Blindheit, entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufwiesen. Das sei der Fall, wenn die Sehschärfe bei bestmöglicher Korrektur mit einer Brillen- oder Kontaktlinsenverordnung auf dem besseren Auge maximal 0,3 betrage. Diese Voraussetzungen seien auch ausweislich des vom Sozialgericht eingeholten Arztberichts (nach wie vor) nicht erfüllt.
Nachdem das Sozialgericht dem Kläger durch Beschluss vom 22.2.2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist gewährt hatte, wies es die Klage durch Urteil vom 16.3.2006 ab. Zur Begründung führte es aus, die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen (§§ 33 Abs. 1 Satz 1, 5) seien unstreitig nicht erfüllt, da eine schwere Sehbeeinträchtigung der Stufe 1 nicht vorliege; hierfür dürfte die Sehschärfe auf beiden Augen nach der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation auch bei bestmöglicher Korrektur trotz Sehhilfen höchstens 0,3 betragen. Der Kläger erreiche auf dem besseren Auge jedoch eine Sehschärfe von 0,5. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003 (BGBl I S. 2190) eingeführte Leistungseinschränkung für Sehhilfen bestünden nicht, insbesondere seien Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG nicht verletzt. Der Gesetzgeber dürfe die Versicherten über den Krankenkassenbeitrag hinaus grundsätzlich in zumutbarem Maße an der Finanzierung von Kassenleistungen beteiligen. Der Leistungsausschluss bei Sehhilfen für über 18 Jahre alte Versicherte richte sich unter sachgerechter Orientierung an den Klassifikationen der Weltgesundheitsorganisation nach dem Schweregrad der Sehbeeinträchtigung und sei daher verfassungsrechtlich vertretbar, zumal bei schwerer Seebeeinträchtigung nach wie vor Sehhilfen gewährt würden. Der Gesetzgeber habe auch zu Recht darauf abgestellt, dass die Versicherten nicht überfordert würden, nachdem sie über den (bisherigen) Kassenanteil hinaus regelmäßig erhebliche Beträge für medizinisch nicht notwendige Zusatzausstattungen (wie die Entspiegelung oder Tönung von Brillengläsern) ausgeben würden. Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sei ebenfalls nicht verletzt. Insbesondere komme es für die Frage der Leistungsgewährung rechtlich nicht darauf an, worauf eine Erkrankung, etwa Diabetes, beruhe. Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich nicht daran gehindert, aus Gründen der Finanzierung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung Hilfsmittel, wie Sehhilfen, aus der Leistungsgewährung auszuschließen; insoweit sei zusätzlich zu bedenken, dass hier im Unterschied zu anderen Hilfsmitteln ein privatwirtschaftlich organisierter Markt bestehe und ein erhebliches Ausgabenvolumen betroffen sei. Steuerliche Aspekte seien ebenso wenig von Belang wie das Recht der privaten Krankenversicherung. Das Sozialgericht ließ die Berufung gegen sein Urteil zu, weil die Rechtssache angesichts der vom Kläger erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen grundsätzliche Bedeutung habe und insoweit noch keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vorliege.
Auf das ihm am 23.3.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.4.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und bekräftigt er sein bisheriges Vorbringen. Da die Zahl hochgradig Kurzsichtiger relativ gering sei, lohnten sich Investitionen in diesem Bereich nicht. Deshalb werde der Leistungsausschluss den Wettbewerb nicht steigern und für die Patienten auch auf diesem Weg keine Vorteile bringen. Die hierauf bezogenen Erwägungen des Gesetzgebers seien nicht stichhaltig. Er hätte auch nicht auf die angeblichen Ausgaben der Versicherten von durchschnittlich etwa 150 EUR für medizinisch nicht notwendige Leistungen (Entspiegelung oder Tönung von Brillengläsern) abstellen dürfen. Wissenschaftlich korrekte Umfragen hierzu gebe es offenbar nicht; außerdem treffe dies für Kontaktlinsen nicht zu. Der Gesetzgeber hätte auch bedenken müssen, dass es hochgradig kurzsichtige Menschen ohnehin schwer hätten und ihr Einkommen unter dem Durchschnitt liege, weshalb sie durch Ausgaben für Kontaktlinsen stärker belastet seien als andere. Ebenso wenig dürfe nach der Art der Erkrankung - Kurzsichtigkeit oder Diabetes - unterschieden werden. Er habe netto nur 340 EUR zur Verfügung, so dass man von ihm nicht verlangen könne, Kosten für Kontaktlinsen aufzubringen. Die geltende Rechtslage verletze daher die Menschenwürde. Da Augenärzte nur selten harte Kontaktlinsen anpassten, sei er auf seinen Optikermeister angewiesen. Dessen Honorar übernehme die Krankenkasse nicht, was seine Kostenbelastung weiter erhöhe, zumal er wegen ständiger Änderungen in der Krümmung seiner Hornhaut häufiger neue Kontaktlinsen benötige.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.3.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.6.2005 zu verurteilen, ihm 1 Paar harte spezialangepasste 02 Kontaktlinsen nach Maßgabe der entsprechenden Verordnung der Augenärztin S.-S. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung des Klägers ist nach Zulassung durch das Sozialgericht statthaft und auch sonst zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihm die begehrten Sehhilfen (Kontaktlinsen) zu gewähren.
Gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB haben gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, wozu auch Sehhilfen, wie Kontaktlinsen gehören, wenn diese im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen, oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Für die Versorgung mit Sehhilfen gelten weitere Einschränkungen. Hierauf haben grundsätzlich nur Versicherte bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch. Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen nur dann, wenn sie auf Grund ihrer Sehschwäche oder Blindheit, entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung, auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweisen (§ 33 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB V). Das ist der Fall, wenn die Sehschärfe auf jedem Auge bei bestmöglicher Korrektur maximal 0,3 beträgt. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht, wie auch aus der vom Sozialgericht zuletzt eingeholten sachverständigen Zeugenaussage der Augenärztin S.-S. vom 20.1.2006 hervorgeht. Hierüber streiten die Beteiligten nicht. Der Kläger hat daher nach den gesetzlichen Regelungen des § 33 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB V keinen Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Bestimmungen in § 33 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB V sind nach Auffassung des Senats gültig. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht. Das Sozialgericht hat das in seinem Urteil richtig erkannt und auch zutreffend begründet, weshalb der Senat zunächst auf die Darlegungen auf S. 6 2 Absatz bis S. 8 des Entscheidungsabdrucks Bezug nehmen kann (§ 153 Abs. 4 SGG). Ergänzend sei im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten angemerkt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist vorrangiger Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip. Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit schützt den gesetzlich Krankenversicherten vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung. Bei der näheren Bestimmung und Entfaltung der Schutzfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG kommt weiter dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip maßgebliche Bedeutung zu. Der Grundaufgabe des Staates, den Einzelnen in Fällen von Krankheit zu schützen, ist der Gesetzgeber nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung, Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat. In Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips richtet er die Beiträge an der - regelmäßig durch das Arbeitsentgelt oder die Rente bestimmten - wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherten (§ 226 SGB V) und nicht am individuellen Risiko aus, ist ferner auf Stabilität der Beitragssätze bedacht (§ 71 SGB V), wirkt auf Beitragssenkungen hin (§ 220 Abs. 4 SGB V) und nimmt auch bei der Ausgestaltung der Verpflichtung zur Erbringung von Zuzahlungen zu gesetzlichen Leistungen (vgl. § 61 SGB V) auf die soziale Situation des Einzelnen Rücksicht (§ 62 SGB V). Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung sind darüber hinaus auch die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Zwar folgt aus diesen Grundrechten regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen. Die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich jedoch an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Insofern können diese Grundrechte in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten, insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung.
Verfassungsrechtlich unbedenklich ist, dass die gesetzliche Krankenversicherung den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) nur unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots ( § 12 SGB V ) zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Es steht auch mit dem Grundgesetz im Einklang, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben und nicht das Maß des Notwendigen überschreiten dürfen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung darf schließlich auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht. Dem Gesetzgeber ist es deshalb im Rahmen seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich erlaubt, den Versicherten über den Beitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in der Form von Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen zu beteiligen, jedenfalls, soweit dies dem Einzelnen finanziell zugemutet werden kann. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (zu alledem zusammenfassend und mit weiteren Nachweisen zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung BVerfG, Beschluss vom 6.12.2005 -1 BvR 347/98 -, NZS 2006, 84).
Davon ausgehend sind die in Rede stehenden Gesetzesbestimmungen über den weitgehenden Ausschluss von Sehhilfen für über 18 Jahre alte Versicherte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber durfte sich entgegen der Auffassung des Klägers insbesondere von finanzwirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen und darauf abstellen, dass die gesetzlichen Regelung ins Gewicht fallende Einsparungen für die Krankenkassen bewirken und damit ein Beitrag zur finanziellen Stabilisierung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden kann. Eine unverhältnismäßige Belastung für die Versicherten ist damit nicht verbunden, nachdem Sehhilfen nicht gänzlich aus dem Leistungskatalog gestrichen wurden, für besonders schwere Sehbeeinträchtigungen vielmehr nach wie vor Leistungen gewährt werden. Wenn sich der Gesetzgeber hierfür an den Maßstäben der Weltgesundheitsorganisation orientiert, ist dagegen von Verfassungs wegen nichts einzuwenden, namentlich kann von einer sachwidrigen Regelung keine Rede sein. Entgegen der Auffassung des Klägers durfte der Gesetzgeber auch die regelmäßig nicht unerheblichen Ausgaben der Versicherten für medizinisch nicht notwendige Zusatzleistungen beim Erwerb von Sehhilfen, insbesondere von Brillen, in seine Erwägungen einbeziehen. Der Senat vermag nicht zu erkennen, weshalb dieser Gesichtspunkt vorliegend bei der Bemessung dessen, was den Versicherten als verhältnismäßig abverlangt werden kann, sachwidrig sein sollte. Besondere (zusätzlicher) statistische Erhebungen brauchte der Gesetzgeber nicht durchzuführen. Er war auch berechtigt, seiner gesetzlichen (Neu-)Konzeption des Leistungsumfangs bei der Gewährung von Sehhilfen auf typische Fallgestaltungen abzustellen, weshalb der Kläger eine Unverhältnismäßigkeit des ihn treffenden Leistungsausschlusses nicht mit seinen besonderen (gesundheitlichen oder wirtschaftlichen) Verhältnissen begründen kann. Schließlich ist auch im Hinblick auf das Gleichheitsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Verfassungsverstoß nicht erkennbar. Eine sachwidrige Ungleichbehandlung der unter Sehbeeinträchtigungen leidenden Versicherten etwa mit Diabetikern oder anderen chronisch Kranken liegt nicht vor, wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat.
Besteht damit auf Grund der geltenden und von der Beklagten wie den Sozialgerichten anzuwenden Gesetzesbestimmungen kein Leistungsanspruch des Klägers, kann dieser auch nicht unmittelbar aus den genannten Verfassungsbestimmungen hergeleitet werden. Die ohne Zweifel erhebliche, wenngleich zur Gewährung von Sehhilfen an über 18 Jahre alte Versicherte nicht hinreichend schwere Sehbeeinträchtigung des Klägers ist einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht gleich zu stellen (vgl. insbesondere die Urteile vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R -, - B 1 KR 12/05 R-).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Diese folgt nicht schon daraus, dass verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geltend gemacht werden bzw. hierzu höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht vorliegt.
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