L 9 AS 212/06 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 283/06 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 212/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für die Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist auf den örtlichen Mietspiegel abzustellen, soweit ein solcher vorliegt.
2. Bei der Berechung der höchstens vom Hilfeträger zu übernehmenden Netto-Kaltmiete sind die Preise im unteren Segment aus allen Baualtersklassen mit Ausnahme der Neubauten heranzuziehen.
3. Es ist nicht die Aufgabe des Hilfeträgers, den Bezug von Neubauten zu finanzieren (Fortführung von Hess. VGH, Beschluss vom 6. August 1997 – 9 TG 2222/97 -).
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. August 2006 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die statthafte (§ 172 SGG) sowie form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin, der vom Sozialgericht nicht abgeholfen wurde, hat Erfolg.

Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin mit dem angegriffenen Beschluss im Ergebnis zu Unrecht verpflichtet, vom 1. Juli 2006 bis einschließlich 30. September 2006 weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von 50,00 Euro monatlich zu gewähren.

Zwar war die Antragsgegnerin bereits in einem vorangegangenen Eilverfahren durch Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. Juni 2006 (S 16 AS 222/06 ER) verpflichtet worden, zugunsten der Antragsteller die Zusicherung zu einer Netto-Kaltmiete in Höhe von 650,00 Euro zuzüglich 150,00 Euro Betriebskosten, also insgesamt 800,00 Euro, zu erteilen, die für die Anmietung einer 79 Quadratmeter großen Wohnung in der A-Straße in A-Stadt erforderlich war. Diese Wohnung war von den Antragstellern ab 1. Juli 2006 bezogen worden, nachdem die zuvor bewohnte Wohnung mit ca. 67 Quadratmetern für die Antragstellerin zu 1. und ihre drei Kinder zu klein geworden war. Die neue Wohnung umfasst neben drei Zimmern, Küche, Bad und WC auch einen Tiefgaragenplatz, der ausweislich des Mietvertrags im Netto-Mietzins enthalten ist. Das diesbezügliche Beschwerdeverfahren hatte sich erledigt, nachdem die Antragsteller tatsächlich in die Wohnung eingezogen waren und eine Mietkostenzusage daher obsolet geworden war.

In der Folgezeit überwies die Antragsgegnerin jedoch ab Juli 2006 lediglich 750,00 Euro an die Antragsteller. Der Abzug von 50,00 Euro wurde damit begründet, dass nach telefonischer Auskunft der Vermieterin der Tiefgaragenplatz im Rahmen der Nettomiete mit 50,00 Euro einkalkuliert worden sei.

Gegen diesen Abzug wandten sich die Antragsteller in dem dem vorliegenden Beschwerdeverfahren zugrunde liegenden Eilverfahren.

Die Beschwerde hat deshalb Erfolg, weil unabhängig von der zwischen den Beteiligten umstrittenen Frage, ob der von der Netto-Kaltmiete mit umfasste Tiefgaragenplatz von der Antragsgegnerin mit zu finanzieren sei oder ob ein fiktiver Abzug erfolgen dürfe, ein Anordnungsanspruch der Antragsteller bereits deshalb zu verneinen ist, weil kein Anspruch auf einen höheren Quadratmeterpreis als 6,97 Euro besteht. Demgegenüber hatte das Sozialgericht bei der Berechnung der im vorliegenden Fall angemessenen Nettomiete einen Quadratmeterpreis von 7,72 Euro zugrunde gelegt und war von einer hilferechtlich angemessenen Obergrenze für die Wohnung von 85 Quadratmetern ausgegangen. Dies ist nicht zutreffend.

Die absoluten Aufwendungen für die Unterkunft werden wesentlich durch die Wohnfläche der Unterkunft geprägt. Dabei kann die berücksichtigungsfähige Wohnfläche anhand der Kriterien der Förderungswürdigkeit im sozialen Wohnungsbau nach den hierfür geltenden Vorschriften (§ 5 Wohnungsbindungsgesetz i.V.m. § 27 Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz entsprechend) beantwortet werden. Nach Nr. 4.2.1 der Richtlinien zur Sozialen Wohnraumförderung vom 20. Februar 2003 (StAnz. S. 1346), geändert durch die Richtlinien vom 19. Januar 2004 (StAnz. S. 628), ist eine Wohnungsgröße für eine Person bis 45 m², für zwei Personen bis 60 m² und für jede weitere Person 12 m² angemessen (Beschluss des Senats vom 13. Dezember 2005 m.w.N. L 9 AS 48/05 ER). Für die aus vier Personen bestehende Haushaltsgemeinschaft der Antragsteller ist somit eine Wohnfläche bis 84 qm als angemessen anzusehen.

Dadurch errechnet sich schon bei Zugrundelegung des vom Sozialgericht für angemessen gehaltenen Quadratmeterpreises von 7,72 Euro nur eine zulässige Netto-Kaltmiete von 648,48 Euro gegenüber laut Vertrag zu zahlenden 650,00 Euro. Tatsächlich kann der Wert von 7,72 Euro aber nicht zugrunde gelegt werden, weil er zu hoch ist. Zu übernehmen sind vom Hilfeträger grundsätzlich die tatsächlichen Kosten der Unterkunft, soweit sie angemessen sind. Angemessen in diesem Sinne ist grundsätzlich eine Wohnung von einer im sozialen Wohnungsbau förderfähigen Größe in bescheidenem Ausstattungsstandard, deren Kaltmietzins im unteren Bereich der marktüblichen Wohnungsmieten angesiedelt ist (vgl. so schon zur alten Rechtslage nach dem BSHG, BVerwGE 98, 110). Zieht man – wie dies das Sozialgericht zutreffend getan hat – im vorliegenden Fall den A. Mietspiegel für die Ermittlung des angemessenen Mietpreises heran, so zeigt sich, dass der vom Sozialgericht zugrunde gelegte Wert für eine Wohnung der Gruppe IV mit Heizung und Bad in mittlerer Wohnlage gilt. Diese Gruppe umfasst jedoch nur Neubauwohnungen nach dem 01.01.1994. Demgegenüber bleibt unberücksichtigt, dass sich der Großteil der vorhandenen Wohnungen auf die Gruppen I, II und III verteilt, die einerseits Altbauwohnungen bis zum 31.12.1960 umfassen und andererseits sich auf Baujahre bis zum 31.12.1993 erstrecken. Nach den genannten Grundsätzen, nach denen ein Leistungsempfänger nur Anspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten im unteren Segment hat, können daher nicht die älteren Wohnungen mit Heizung und Bad und bis zu mittlerer Wohnlage unberücksichtigt bleiben. Sowohl in der Gruppe I (Baujahr der Wohnungen bis 31.12.1960) als auch der Gruppe II (Baujahr der Wohnungen vom 01.01.1961 bis 31.12.1979) und der Gruppe III (Baujahr der Wohnungen vom 01.01.1980 bis 31.12.1993) beläuft sich der mittlere Quadratmeterpreis für eine Wohnung mit Heizung und Bad in einfacher und mittlerer Wohnlage bis zu 6,97 Euro. Daraus ergibt sich, dass ein Betrag oberhalb von diesen 6,97 Euro jedenfalls hilferechtlich nicht angemessen ist, da es nicht die Aufgabe des Hilfeträgers ist, den Bezug von Neubauten zu finanzieren (so schon Hess. VGH, Beschluss vom 6. August 1997 – 9 TG 2222/07 –).

Weil vorliegend streitbefangen ein Betrag oberhalb von 6,97 Euro pro Quadratmeter ist, kann es hier auch dahingestellt bleiben, ob möglicherweise ein geringerer Betrag als 6,97 Euro pro Quadratmeter hilferechtlich angemessen sein könnte.

Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die Antragsgegnerin den Anteil der in die Netto-Kaltmiete einkalkulierten Tiefgaragenkosten im Rahmen der Unterkunftskosten mit übernehmen müsste, denn die von der Antragsgegnerin bewilligte Netto-Kaltmiete in Höhe von 600,00 Euro übersteigt jedenfalls den sich aus der zulässigen Wohnungshöchstgrenze von 84 Quadratmetern multipliziert mit dem oben genannten Quadratmeterpreis von 6,97 Euro errechnenden jedenfalls nicht zu niedrigen Unterkunftsbetrag von 585,48 Euro netto. Da die Antragsgegnerin den Antragstellern gegenwärtig 750,00 Euro monatlich zahlt, unter Berücksichtigung der anfallenden Nebenkosten für die mit 79 Quadratmetern angemessen großen Wohnung sich jedoch ein angemessener Unterkunftsbetrag in Höhe von jedenfalls nicht mehr als 735,48 Euro errechnet, erhalten die Antragsteller bereits mehr, als sie eigentlich höchstens geltend machen könnten, weshalb der Beschwerde der Antragsgegnerin im Ergebnis stattzugeben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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