L 7 SO 5368/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 1706/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 5368/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 11. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher der Antragsgegner verpflichtet werden soll, ihm höhere Leistungen der Hilfe zur Pflege und zusätzlich Leistungen der Eingliederungshilfe in einer Gesamthöhe von 1.003,81 EUR monatlich vorläufig zu gewähren.

Der am 1937 geborene Antragsteller war als Ingenieur (Statiker) selbstständig tätig. Er ist geschieden. Zu den beiden Kindern aus der Ehe hat er keinen Kontakt. Nach seinen Angaben hat er keine Alterssicherung, kein Einkommen und kein Vermögen. Im Oktober 2003 erlitt er einen Schlaganfall, durch dessen Folgen er blind und schwerbehindert ist (Grad der Behinderung 100). Nach Abschluss der akuten Behandlung wandte er sich über seine Betreuerin an den Antragsgegner und begehrte die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen. Wegen der Blindheit wurde ihm vom damals noch existierenden Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern (LWV) mit Bescheid vom 19. April 2004 Landesblindengeld unter Anrechnung des vom Träger der Pflegeversicherung bezahlten Pflegegeldes in einer Höhe von 286,03 EUR bewilligt. Derzeit bezieht der Antragsteller Pflegegeld nach der Pflegestufe II (410,00 EUR), Landesblindenhilfe (245,03 EUR), Hilfe zur Pflege (477,85 EUR) und Grundsicherung (783,48 EUR), insgesamt also 1.916,36 EUR. Am 11. Januar 2005 wandte er sich über seinen Bevollmächtigten an den Antragsgegner und stellte Antrag auf Hilfe zur Pflege, hauswirtschaftliche Versorgung, Eingliederungshilfe und Pflegegeld. Hierzu erging der Bescheid vom 26. Juli 2005, mit dem Hilfe zur Pflege gemäß § 65 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) von monatlich 477,85 EUR festgesetzt wurde. Derselbe Betrag wurde durch Bescheid vom 20. Dezember 2005 neben der bewilligten Grundsicherung in Höhe von 783,48 EUR für das Jahr 2006 bis einschließlich 31. Dezember 2006 bewilligt. Gegen den genannten Bescheid vom 26. Juli 2005 erhob der Antragsteller Widerspruch, nicht jedoch gegen den Folgebescheid vom 20. Dezember 2005. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2006 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück und stützte sich darauf, die Berücksichtigung der Wünsche des Antragstellers nach der individuellen Pflege durch die von ihm in Anspruch genommene Pflegeperson verursache unverhältnismäßige Mehrkosten im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB XII. Zwar gingen nach § 13 Abs. 1 SGB XII ambulante Leistungen einer stationären Pflege vor. Dies gelte jedoch nicht, wenn die ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Dies sei hier der Fall. Im Wohnort des Antragstellers existierten mehrere Heime, die geeignet und bereit seien, die Pflege zu übernehmen. Ein Kostenvergleich falle dahingehend aus, dass bei einer stationären Unterbringung nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse zu Lasten des Sozialhilfeträgers 1.261,33 EUR monatlich verblieben. Davon müsse die jetzt bewilligte Leistung in Höhe von 783,48 EUR abgezogen werden, woraus sich ein Mehraufwand von 477,85 EUR errechne. Demgegenüber führe die ambulante Betreuung zu einem Mehraufwand von bis zu 3.341,07 EUR. Die mit Bescheid vom 26. Juli 2005 bewilligte Leistung entspreche dem errechneten Mehraufwand für den Sozialhilfeträger, wenn eine stationäre Pflege durchgeführt werde. Auf eine höhere Leistung habe der Antragsteller keinen Anspruch.

Hiergegen hat der Antragsteller am 19. April 2006 Klage erhoben mit dem Antrag, den Antragsgegner zu einer höheren Leistung von 1.522,15 EUR zu verurteilen. Über diese Klage ist noch nicht entschieden (S 4 SO 1500/06). Am 8. Mai 2006 hat er um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht und geltend gemacht, er benötige durchschnittlich monatlich 2.000,00 EUR abzüglich vorrangiger Leistungen der Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 410,00 EUR, abzüglich vorrangiger Blindenhilfe in Höhe von monatlich 245,00 EUR und abzüglich zuerkannter Leistungen in Höhe von monatlich 487,85 EUR zuzüglich eines gekürzten Pflegegeldes in Höhe von monatlich 136,66 EUR. Dieser Antrag beläuft sich auf eine monatliche Mehrleistung von 1.003,81 EUR.

Mit Beschluss vom 11. Oktober 2006 hat das Sozialgericht Heilbronn (SG) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Beschluss stützt sich auf das Fehlen eines Anordnungsanspruches. Der Antragsgegner habe zutreffend ausgeführt, dass durch die gewünschte ambulante Betreuung unverhältnismäßig hohe Mehrkosten entstünden. Eine stationäre Betreuung erscheine zumutbar. Das SG geht in seiner Berechnung davon aus, dass nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse im Falle einer stationären Betreuung 1.261,33 EUR zu Lasten des Sozialhilfeträgers offen seien, während bei einer ambulanten Versorgung mit der gewünschten Pauschale von 2.000,00 EUR ein Aufwand des Hilfeträgers von 2.783,48 EUR entstehe. Damit sei eindeutig, dass die gewünschte Betreuung unverhältnismäßige Mehrkosten zur Folge habe. Der Leistungsanspruch des Antragstellers sei auf den sozialhilferechtlichen Bedarf beschränkt.

Hiergegen richtet sich die am 26. Oktober 2006 beim SG eingegangene Beschwerde, mit welcher der Antragsteller geltend macht, er bestehe auf dem Vorrang der ambulanten Betreuung vor der stationären Pflege. Er benötige insbesondere für den notwendigen Kontakt nach außen die gewünschte ambulante Betreuung, die wesentlich umfangreicher auf seine Bedürfnisse eingehen könne, als dies in einer stationären Einrichtung möglich sei. Es handelt sich hierbei um einen völlig normalen Bedarf eines Menschen, der zum Ausgleich seiner Defizite auf Begleitung angewiesen sei.

II.

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde (§ 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), der das SG nicht abgeholfen hat (§ 177 SGG), ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angefochtene Beschluss des SG ist nicht zu beanstanden.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Der Erlass einer hier allein in Frage kommenden Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 m.w.N.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen um so niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutz verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1997, 479/480; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BVR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung.

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung nicht vor. Für die Zeit ab Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim SG im Mai 2006 regelt nach derzeitigem Sachstand ein bestandskräftiger Bescheid den Hilfebedarf des Antragstellers. Insoweit ist eine "vorläufige" gerichtliche Entscheidung nicht mehr möglich.

Selbst wenn man jedoch den Anspruch wegen Zweifeln an der Bestandskraft in der Sache prüft, fehlt es bei der in diesem Verfahren möglichen und zulässigen summarischen Prüfung der Sachlage bereits an dem Vorliegen eines zu sichernden Anspruchs. Der Antragsteller ist pflegebedürftig, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist und sich aus den Akten ohne Zweifel ergibt. Er hat deshalb Anspruch auf Leistungen nach § 61 SGB XII und insbesondere aus § 63 SGB XII (häusliche Pflege). In diesem Zusammenhang sind nach § 65 Abs. 1 SGB XII u.a. die Aufwendungen für eine Pflegeperson zu erstatten. Ein Anspruch auf all diese Leistungen steht aber unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit der entsprechenden Pflegeverrichtungen. Zwar geht der Pflegebegriff des § 61 Abs. 1 SGB XII - insbesondere durch die Erwähnung "anderer Verrichtungen" in Satz 2 über den in § 14 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) hinaus und umfasst über die Bereiche der Grundpflege und Haushaltsführung hinaus auch allgemeine Anleitung und Beaufsichtigung und Orientierung im häuslichen wie außerhäuslichen Bereich sowie die Herstellung von Beziehungen zur Umwelt (vgl. Krahmer in LPK-SGB XII, 7. Aufl. § 61 Rdnr. 7). Gleichwohl bedarf es auch für die Anerkennung dieser erweiterten Hilfen - die im Wesentlichen hier zwischen den Beteiligten streitig sind - als sozialhilferechtlicher Bedarf der Feststellung der Notwendigkeit der Verrichtungen auch und gerade im begehrten Umfang.

Der Antragsteller macht geltend, er benötige die Pflegeperson rund um die Uhr, damit er - wie ein Nichtbehinderter - jederzeit Beziehungen zur Umwelt aufnehmen, Kontakte pflegen oder sonstigen Bedürfnissen nachgehen kann. Für die behauptete Notwendigkeit einer solchen Betreuung fehlt aber ein schlüssiger und nachvollziehbarer Beleg. Die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg im November 2004 ergab mit Blick auf die Pflege im engeren Sinn des § 14 SGB XI einen Aufwand von 125 Minuten pro Tag für die Grundpflege und 60 Minuten für die Hauswirtschaft. Damit steht fest, dass der Antragsteller die täglichen Verrichtungen der Körperpflege, der Nahrungsaufnahme und des Haushalts nicht selbstständig durchführen kann und hierzu Hilfe und Unterstützung benötigt. Wegen der ebenfalls festgestellten Orientierungsschwierigkeiten ist weiter davon auszugehen, dass Hilfeleistungen auch nachts notwendig sind. Nicht belegt ist aber die behauptete Notwendigkeit einer Rund-um-die-Uhr-Präsenz der Pflegeperson im persönlichen Umfeld des Antragstellers. Das Gesundheitsamt des Landratsamtes hat im Gegensatz zu dieser Forderung aufgrund eines Hausbesuches durch Dr. S. ausdrücklich geäußert, die Anwesenheit einer Pflege- oder Betreuungskraft rund um die Uhr sei nicht erforderlich. Der Antragsteller könne stundenweise allein gelassen werden. Ein weiterer Hilfebedarf sei nicht zu erkennen. Diese sachverständige Äußerung ist für den Senat jedenfalls in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren ausreichender Beleg dafür, dass der Bedarf nicht im behaupteten Umfang glaubhaft gemacht ist. Damit fehlt es aber an der ausreichenden Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs. Dass mit dieser Reduzierung eine unzumutbare Benachteiligung eines pflegebedürftigen gegenüber einem nichtbehinderten Menschen verbunden sei, ist nicht nachvollziehbar. Auch ein nicht pflegebedürftiger Mensch kann nicht gewissermaßen jederzeit jedem Bedürfnis nach Kontakt oder Betätigung nachgehen. Er kann durch zahlreiche und notwendige Verrichtungen des täglichen Lebens daran gehindert und damit gezwungen sein, seine Aktivitäten den Möglichkeiten anzupassen.

Bei dieser Sachlage erscheint die gewünschte Übernahme von Kosten für eine Rund-um-die Uhr-Betreuung durch die bislang aktive Pflegekraft und Bekannte des Antragstellers zwar wünschenswert und auch "optimal" - wie es in der Stellungnahme des Gesundheitsamtes heißt -, sie ist aber nicht im sozialhilferechtlichen Sinne notwendig.

Eine solche Notwendigkeit ergibt sich auch nicht, wenn man den geltend gemachten Bedarf unter dem Aspekt der Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 SGB XII betrachtet. Denn auch dann ist vorab klarzustellen, in welchem Umfang die Betreuung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens (§ 1 Satz 1 SGB XII) notwendig ist. Hier gilt nichts anderes als das oben zur Hilfe zur Pflege Gesagte. Sollte sich tatsächlich ein unabweisbarer Bedarf nach einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung ergeben, stößt eine ambulante Versorgung - noch dazu durch eine einzige Person - ohnehin an ihre Grenzen. Auch dies ist in der Stellungnahme des Gesundheitsamtes zu entnehmen.

Außerdem bestehen nach wie vor Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Der Antragsteller hat in letzter Zeit - wie die Begutachtungen gezeigt haben - eine ausreichende Pflege erhalten. Die Behauptung, die bisher in Anspruch genommene Pflegeperson könne und werde die entsprechende Leistung in Zukunft nicht mehr erbringen, ist nicht belegt. Sie ist auch deshalb nicht plausibel, weil der Antragsteller derzeit durchaus Leistungen bezieht, mit denen er jedenfalls einen maßgeblichen Teil der Aufwendungen abdecken kann, die der Pflegekraft entstehen. Da der Antragsteller gerade kein professionelles Pflegeangebot eines Pflegedienstes in Anspruch nimmt, sondern von der Möglichkeit des § 65 SGB XII Gebrauch machen will, kann er nicht gleichwohl eine quasi normale Entlohnung verlangen.

Dass der Antragsteller trotz des Hinweises in dem Bescheid des LWV vom 24. März 2004 bis heute nicht die Aufstockung der Blindenhilfeleistungen beantragt hat, ist ein weiterer Beleg für das Nichtvorliegen einer besonderen Dringlichkeit einer gerichtlichen Eilentscheidung. Jedenfalls kann durch die rasche Beantragung die wirtschaftliche Situation verbessert werden, was ein gerichtliches Eingreifen ebenfalls als entbehrlich erscheinen lässt.

Bei dieser Sachlage kommt es auf die Frage des tatsächlichen Mehraufwandes im Falle der begehrten Kostenübernahme für die Entscheidung des Senats nicht an. Es muss allerdings angemerkt werden, dass der im Rahmen des Wunschrechtes nach §§ 9 Abs. 2 Satz 3, 13 Abs. 1 SGB XII anzustellende Kostenvergleich sich auf die Aufwendungen des Trägers der Sozialhilfe bezieht (vgl. Bundesverwaltungsgericht FEVS 31, 221 und Hessischer Verwaltungsgerichtshof FEVS 43, 118).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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