L 3 U 183/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 57/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 183/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Mai 2005 geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Folgen einer dem Grunde nach als Berufskrankheit (BK) anerkannten Schwerhörigkeit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Der 1955 geborene Kläger beantragte mit Schreiben vom 24. September 2000 bei der Beklagten die Anerkennung der bei ihm vorliegenden Hörstörung als BK, da er seit 1992 drei Hörstürze erlitten habe. Er sei seit Januar 1973 bis zum Zeitpunkt der Antragstellung als Dachdecker bei verschiedenen Firmen tätig gewesen, und zwar u.a. vom 1. Januar 1973 bis 21. September 1986 bei der Firma J. K GmbH B und zuletzt ab 15. Juli 1993 fortlaufend bei der Firma K u. G. D GmbH. Bei seiner Tätigkeit als Dachdecker sei er Bau- und Maschinenlärm ausgesetzt gewesen. Als lärmverursachende Arbeitsgeräte nannte er Trennschleifer, Nassschneider, Bohrhammer und Bohrmaschinen. Er legte ein von den HNO-Ärzten Dres. R / F am 19. Oktober 2000 erstelltes Audiogramm vor.

In der von der Beklagten veranlassten Stellungnahme von Frau Dr. J, Arbeitsmedizinischer Dienst (AMD) Berlin, vom 28. Dezember 2000 führte diese unter Beifügung der am 25. April 1983 bei dem Kläger im AMD festgestellten Hörverlustwerte für die Luftleitung aus, für eine durch die versicherte Tätigkeit verursachte Lärmschwerhörigkeit bestünden bis auf eine leichte Hörminderung im Hochtonbereich keine Anhaltspunkte. Es liege eine Schallleitungsstörung rechts vor. Der prozentuale Hörverlust betrage rechts 80 % und links 10%. Aus dem zur Prüfung vorgelegten Tonaudiogramm ergebe sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H ... Es werde eine Ablehnung empfohlen.

Der Kläger legte ein für die D K (DKV) erstelltes ärztliches Attest der HNO-Ärztin Dr. med. W Sn vom 21. Juli 1993 vor, aus dem sich eine Arbeitsunfähigkeit für die Zeit 02. September 1992 bis 30. November 1992 wegen eines Hörsturzes rechts, Tinnitus aureum rechts bei normalem Gehör beiderseits ergab.

In der Arbeitgeberauskunft der Firma K. u. G. D GmbH vom 13. Februar 2001 wurde als arbeitsplatzbezogene Lärmeinwirkung ein Impulslärm durch Trennschleifer, Nassschneider, Handkreissägen, Kettensägen, Druckluftnagler, Tisch- und Kappsägen sowie Bohrmaschinen bestätigt. Die Beklagte veranlasste weiterhin eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 27. März 2001, der nach Rücksprache mit dem Kläger und nach Kenntnis vergleichbarer Arbeitsplätze und Tätigkeiten zur Lärmgefährdung mitteilte, der Kläger sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit während seiner Beschäftigung in dem Mitgliedsbetrieb hörgefährdend tätig gewesen () 85 dB).

Zur Abklärung des medizinischen Sachverhaltes veranlasste die Beklagte ein HNO-ärztliches Gutachten von Dr. med. H. B vom 05. Juni 2001. In der abschließenden Stellungnahme führte dieser aus, nach der Anamnese habe der Versicherte von 1973 bis zum Dezember 2000 als Dachdecker in einem personenbezogenen Beurteilungspegel von 87 dB(A) gearbeitet. Dieser Lärm sei durchaus in der Lage, die auf der linken Seite vorliegende Schwerhörigkeit hervorzurufen. Rechts sei die Schwerhörigkeit zum größeren Teil sicher durch die rezidivierenden Hörstürze, die als von den berufsbedingten Hörverlusten unabhängige Erkrankung zu werten seien, ausgelöst worden. Der kausale Zusammenhang zwischen der Hörschädigung links und der vorliegenden Schwerhörigkeit müsse als gegeben angenommen werden. Die Hörschädigung rechts sei als Parallelschädigung anzusehen und entsprechend zu bewerten. Insgesamt sei die Hörminderung nach Feldmann mit einer MdE von 10 v.H. einzuschätzen. Da die Schädigung rechts nicht berufsbedingt sei, werde der berufsbedingte Schadensanteil nach der medizinischen Literatur mit 0 v.H. bewertet.

In der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 12. Juli 2001 führte Frau Dr. J, AMD, aus, sie stimme der Einschätzung von Dr. B im Hinblick auf die Gesamt-MdE von 10 v.H. und dem lärmbedingten Anteil der MdE von unter 10 v.H. weitgehend zu.

In der von der Beklagten veranlassten gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 06. August 2001 gab Frau Dipl. Med. R. T, Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Potsdam, an, es liege ein Zustand nach mehrfachem Hörsturz rechts bei Normalhörigkeit links vor. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung der Erkrankung als BK nach Nr. 2301 seien nicht erfüllt. Zur Bewertung des berufsbedingten Hörschadens sei das linke Ohr maßgeblich. Die Anerkennung einer BK Nr. 2301 könne nicht empfohlen werden.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 2001 erkannte die Beklagte das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV an. Als Folge des Versicherungsfalles liege eine annähernde Normalhörigkeit links vor, die sich jedoch wegen der hochgradigen berufskrankheitsunabhängigen Schwerhörigkeit rechts stärker auswirke als bei einem symmetrischen Hörschaden. Als Folge des Versicherungsfalles wurde nicht anerkannt: Hochgradige Schwerhörigkeit nach mehrfachen Hörstürzen rechts. Die Gewährung einer Rente wurde mangels rentenberechtigender MdE abgelehnt.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, das Gutachten enthalte Fehler, da er den ersten Hörsturz am 01. September 1992 während seiner Arbeit erlitten habe. Alle Hörstürze seien während der Arbeit passiert, so dass er davon ausgehe, dass die Schwerhörigkeit rechts, die durch die Hörstürze verursacht worden sei, auch berufsbedingt sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, auch die hochgradige Schwerhörigkeit rechts sei als Berufskrankheit anzuerkennen. Sie liege seit mindestens 1992 vor und beruhe im Wesentlichen auf den Hörstürzen, die er während der Arbeitszeit erlitten habe. Er habe in den 70iger bis Ende der 80iger Jahre mit Druckluftnagel- bzw. Bolzenschussgeräten gearbeitet, mit denen Stahlnägel in Beton geschlagen worden seien. Neben erheblichem Lärm habe auch eine erhebliche Druckbelastung auf die Ohren eingewirkt. Dies und der dadurch auftretende Stress seien verantwortlich für die Hörstürze, die möglicherweise zur fast vollständigen Taubheit auf dem rechten Ohr geführt hätten.

Das Sozialgericht hat zur Abklärung des medizinischen Sachverhalts ein HNO-ärztliches Gutachten von Privatdozent Dr. med. G. A vom 18. Mai 2003 veranlasst. Der Sachverständige hat eine hochgradige bis an Taubheit grenzende Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts und annähernde normale Hörfähigkeit links mit Hochtonsenke festgestellt. Die linksseitige Hochtonstörung sei im Sinne der erstmaligen Entstehung ursächlich auf die berufliche Tätigkeit als Dachdecker zurückzuführen. Die auf dem rechten Ohr bestehende hochgradige bis an Taubheit grenzende Schallempfindungsschwerhörigkeit beruhe ebenfalls auf der beruflichen Lärmbelastung. Die zentrale Gleichgewichtsstörung sei nicht durch die berufliche Tätigkeit ausgelöst. Die genannten Hörstörungen erfüllten die medizinischen Voraussetzungen der BK Nr. 2301, da am Arbeitsplatz eine Lärmgefährdung bestanden habe. Die Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr lasse im Hochtonbereich das typische Bild einer Lärmschwerhörigkeit erkennen. Die Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr sei als Folge von Knalltraumen anzusehen. Auf beiden Ohren sei der Nachweis von Recruitment vorhanden. Für die vorliegende Schwerhörigkeit (rechts Hörverlust 80% und links 0%), komme nach den Tabellen von Boenninghaus und Röser eine MdE von 15 zum Tragen. Er weiche von den Vorgutachten insofern ab, als er die rechtsseitige Schwerhörigkeit als berufsbedingt einschätze.

Der Kläger hat zum Sachverhalt ergänzend vorgetragen, er habe in dem Zeitraum von 1973 bis 1986 als Angestellter im Betrieb seines Bruders J K mit den genannten Bolzenschussgeräten gearbeitet.

Die Beklagte hat eine ergänzende Stellungnahme des TAD vom 16. Februar 2004 vorgelegt, nach der Bolzensetzwerkzeuge, Bolzenschub- und Bolzentreibwerkzeuge ab 01. April 1990 nicht mehr eingesetzt werden durften. Der Kläger habe Umgang mit Bolzenschussgeräten, Baustellenkreissägen, Trennschleifern und Bohrmaschinen bis 21. September 1986 gehabt. Unter Berücksichtigung dieser neuerlichen Angaben sei er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit während seiner Tätigkeit in den Mitgliedsbetrieben einem Beurteilungspegel von ) 85 dB ausgesetzt gewesen. Die Beklagte hat unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage von Dr. W K. P vom 19. März 2003 sich den gutachterlichen Feststellungen von Dr. A nicht anzuschließen vermocht. Dr. P hat zu dem Gutachten ausgeführt, es sei unbestritten, dass auch im rechtsseitigen Hörverlust ein anteiliger beruflich bedingter Hörverlust enthalten sein könne, der jedoch nicht über das Ausmaß des linksseitigen Hörverlustes mit lediglich einer Hochtonsenke bei 4000 Hz hinausgehen könne. Entgegen der von Dr. A vertretenen Auffassung beruhe der erhöhte Hörverlust des rechten Ohres auf den außerberuflich verursachten Hörstürzen. Es sei zwar zutreffend, dass der Kläger als Rechtshänder möglicherweise bei der Bedienung des Bolzenschussgerätes auf dem rechten Ohr einer erhöhten Impulslärmbelastung ausgesetzt gewesen sei. Dies jedoch ändere nichts an der Tatsache, dass diese schalltraumatischen Ereignisse Jahre vor dem Eintreten der Hörstürze beendet worden seien, sodass das Argument, es handele sich hier um Hörstürze unter Lärmbelastung, nicht nachvollziehbar sei. Um hier überhaupt einen Zusammenhang begründen zu können, habe zumindest eine deutliche zeitliche Nähe zwischen den lärmtraumatischen Ereignissen und den Hörstürzen bestehen müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall, da der Kläger noch im Rahmen der Behandlung der Hörstürze im Jahre 1992 ein nahezu unbeeinträchtigtes symmetrisches Hörvermögen nachgewiesen habe. Außerdem habe der Kläger bei seiner Tätigkeit regelmäßig persönlichen Gehörschutz in Form von Schallschutzkappen benutzt, sodass die Möglichkeit einer Gehörschädigung geringer eingeschätzt werden müsse. Eine beruflich bedingte MdE von 15 v.H. liege auf keinen Fall vor.

Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 20. Mai 2005 den Dachdeckermeister J K als Zeugen vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. Mai 2005 verwiesen.

Durch Urteil vom 20. Mai 2005 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Änderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, eine hochgradige bis an Taubheit grenzende Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts als Folge der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV anzuerkennen und die Klage, soweit Verletztenrente begehrt worden ist, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem überzeugenden Gutachten von Dr. A stehe fest, dass auch die Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts wesentlich durch die versicherte Tätigkeit als Dachdecker verursacht worden sei. Dies gelte deshalb, weil die Hörstürze des Klägers durch Einwirkung von Lärm zu erklären seien, aus denen sich dann schließlich die bleibende Schwerhörigkeit entwickelt habe. Die Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr sei als Folge von Knalltraumen anzusehen. Dieser Auffassung stehe nicht entgegen, dass die Tätigkeit mit Bolzenschussgeräten bereits im Wesentlichen 1986 beendet worden sei. Dr. A habe dazu ausgeführt, die Einwirkung von Lärm, dem der Kläger auch in seiner weiteren Tätigkeit als Dachdecker ausgesetzt gewesen sei, habe ausgereicht, um die Hörstürze herbeizuführen. Dr. P verkenne in seiner Stellungnahme, dass es sich bei der Einwirkung nicht nur um Impulsschall gehandelt habe, der die Hörstürze ausgelöst habe. Schüsse von Bolzenschussgeräten stellten typische Knallereignisse dar, die oft nur das Ohr, das der Schallquelle zugewandt sei, beträfen. In Einzelfällen könne es nach den Ausführungen von Dr. A auch später zu einer progredienten Schwerhörigkeit auf dem stärker betroffenen Ohr kommen. Allerdings habe der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Verletztenrente, da keine rentenberechtigende MdE vorliege.

Gegen das am 08. Juni 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 16. Juni 2005 eingelegte Berufung der Beklagten. Die gegen das am 02. Juni 2005 zugestellte Urteil eingelegte Berufung des Klägers vom 01. Juli 2005 ist am 11. Juli 2006 zurückgenommen worden.

Die Beklagte macht unter Berufung auf eine vorgelegte HNO-ärztliche Stellungnahme nach Aktenlage von Prof. Dr. B, Chefarzt der Klinik für HNO-Heilkunde, Krankenhaus H, Kliniken der Stadt K/ Dr. vom 30. Juli 2005 geltend, das Urteil des Sozialgerichts sei rechtsfehlerhaft, da die Anerkennung des Hörsturzes beim Kläger als Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit medizinisch- wissenschaftlich nicht haltbar sei. Prof. Dr. B Dr. P haben darin ausgeführt, die These eines so genannten Hörsturzes im Lärm sei nicht bewiesen, da weder eine Überrepräsentanz von Hörstürzen bei Lärmarbeitern vorliege noch bei Hörstürzen überwiegend lärmbelastete Personen repräsentiert seien. Die Existenz eines so genannten Hörsturzes im Lärm sei bisher nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der medizinischen Wissenschaft nachgewiesen worden. Die These werde von einer kleinen Minderheit von Wissenschaftlern geteilt und stelle in keiner Weise einen Konsens in der HNO-Heilkunde dar. Die Ätiologie eines Hörsturzes sei nach wie vor nicht schlüssig geklärt. Bei der Vielzahl der Hörstürze in Deutschland von ca. 50.000 pro Jahr sei die überwiegende Anzahl bei Personen erfolgt, die nie einer nennenswerten Lärmbelastung ausgesetzt gewesen seien. Ein Hörsturz erfolge üblicherweise aus innerer, in der Konstitution liegender Ursache. Nach neuesten Untersuchungen würden viral-entzündliche oder Autoimmunprozesse für das Auftreten eines plötzlichen Hörverlustes verantwortlich gemacht. Die von dem Gutachter Dr. A angeführte Theorie beschreibe daher nicht die Wahrscheinlichkeit, sondern sei als spekulative Äußerung anzusehen.

Der Senat hat eine ergänzende schriftliche Stellungnahme von Priv. Doz. Dr. med. A vom 14. Mai 2006 veranlasst. Dieser hat zu den gutachterlichen Darlegungen von Prof. Dr. B / Dr. P ausgeführt, er könne dieser auf wissenschaftlicher Erhebung basierenden Argumentation nichts entgegensetzen, da seine im Gutachten niedergelegte Einschätzung nur auf eigener Facherfahrung und Kenntnis der einschlägigen Literatur beruhe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Mai 2005 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05. Oktober 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2001 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung der hochgradigen bis an Taubheit grenzenden Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts als Folge einer BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 05. Oktober 2001 hat die Beklagte zu Recht das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV anerkannt und hierbei die Anerkennung der hochgradigen Schwerhörigkeit rechts nach mehrfachen Hörstürzen als Folge des Versicherungsfalles abgelehnt. Diese Entscheidung ist nach Auffassung des Senats nicht zu beanstanden.

Für die Beurteilung des Zusammenhanges zwischen versicherter Einwirkung und einer Erkrankung gilt bei einer BK ebenso wie bei einem Arbeitsunfall die Theorie der wesentlichen Bedingung, denn der Ursachenbegriff ist im Berufskrankheitenrecht kein anderer als im allgemeinen Recht des Arbeitsunfalls (vgl. st. Rspr. BSG Urteil vom 07. September 2004, Aktenzeichen B 2 U 34/03 R m.w.N.). Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und im Sozialrecht erheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Gesundheitsschaden zu dessen Eintritt "wesentlich" beigetragen haben. D.h., dass nicht jeder Gesundheitsschaden, der durch ein Ereignis naturwissenschaftlich verursacht wird, im Sozialrecht als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer BK anerkannt wird, sondern nur derjenige, der "wesentlich" durch das Ereignis verursacht wurde. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (Urteil des BSG a.a.O.).

Das Sozialgericht hat in Anwendung dieser Grundsätze festgestellt, dass auch die Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts wesentlich durch die versicherte Tätigkeit des Klägers als Dachdecker verursacht worden sei. Hierbei hat es sich auf das Gutachten von Dr. A gestützt, der ausgeführt hat, die Hörstürze des Klägers seien durch Einwirkungen von Lärm bei seiner beruflichen Tätigkeit zu erklären. Aus diesen Hörstürzen habe sich dann schließlich die bleibende Schwerhörigkeit rechts entwickelt. Hierbei ist er davon ausgegangen, dass die Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr als Folge von Knalltraumen anzusehen sei, die im wesentlichen auf die Tätigkeiten mit Bolzenschussgeräten in der Zeit von 1973 bis 1986 zurückzuführen seien, da es sich hierbei um typische Knallereignisse gehandelt habe. Die Tatsache, dass es erst ab 1992 zu den Hörstürzen gekommen sei, steht nach Auffassung von Dr. A einem Ursachenzusammenhang nicht entgegen, da die durch ein oder mehrere Knalltraumen ausgelöste Hörminderung oft nur das Ohr betreffe, das der Schallquelle zugewandt sei. In Einzelfällen könne es nach seinen Ausführungen auch später zu einer progredienten Schwerhörigkeit auf dem stärker betroffenen Ohr kommen. Die späteren Einwirkungen müssten hierbei nicht die Lärmintensität von Bolzenschussgeräten haben.

Der Senat vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen. Laut Auflistung der Tätigkeiten des Klägers zur Ermittlung der beruflichen Lärmeinwirkung durch den TAD vom 16. Februar 2004 erreichte lediglich die Arbeit mit dem Bolzenschussgerät einen Lärmpegel von 109 dB, während alle anderen Arbeiten überwiegend bei einem Beurteilungspegel von 86 bis 89 dB lagen. Bei dieser Sachlage bleibt Dr. A in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. Mai 2006 die Erklärung schuldig, warum die belastende Einwirkung dann erst ab September 1992 zu Hörstürzen geführt hat, also zu einer Zeit, in der der Einsatz der Bolzenschussgeräte auch nach Angaben des Klägers nicht mehr vorgenommen wurde. Nach den Ausführungen von Dr. A ist die rechtsseitige Schwerhörigkeit allerdings nicht direkt auf die berufliche Lärmeinwirkung zurückzuführen, sondern auf die Hörstürze. Dass diese selbst durch beruflich bedingten Lärm verursacht worden sind, wie Dr. A ausführt, stellt jedoch eine medizinische Ansicht dar, bei der es sich nicht um eine gesicherte wissenschaftliche Lehrmeinung handelt, wie sich aus den Darlegungen von Prof. Dr. B / Dr. P ergibt, sondern um eine Mindermeinung. Eine Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges zwischen einer beruflichen Einwirkung und einem Gesundheitsschaden ( Hörsturz) ist jedoch nur dann zu bejahen, wenn medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die von der überwiegenden Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem genannten Fachgebiet über spezielle Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, geteilt werden. Nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnis die einhellige Meinung aller Fachmediziner ist ( vgl. BSG Beschluss vom 26. Februar 1997 – 9 BV 221/96).

Nach den Ausführungen von Prof. Dr. B / Dr. P wird die Existenz einer Hörsturzauslösung durch beruflichen Lärm in der HNO-Heilkunde nahezu ausschließlich abgelehnt. Prof. B verweist darauf, dass bei der Vielzahl der Hörstürze in Deutschland von ca. 50.000 pro Jahr sich die überwiegende Anzahl der Hörstürze bei Personen ereignet, die nie einer nennenswerten Lärmbelastung ausgesetzt gewesen sind. Nach den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie sei hinsichtlich der Ätiologie des Hörsturzes nachzulesen, dass dieser üblicherweise aus einer inneren in der Konstitution liegenden Ursache erfolge. Die Möglichkeit eines so genannten Hörsturzes im Lärm könne als Vermutung einer Gruppe von Wissenschaftler angesehen werden, die durch die Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft inzwischen widerlegt worden sei. Nach neuesten Untersuchungen würden viral-entzündliche oder auch Autoimmunprozesse für das Auftreten eines plötzlichen Hörsturzes verantwortlich gemacht. Die These einer vegetativen Dysregulation durch berufliche Lärmbelastung als Ursache sei abzulehnen, da die hierfür erforderliche Überrepräsentanz von Lärmarbeitern bei den Hörsturzpatienten nicht vorliege.

Angesichts dieser wissenschaftlich begründeten und nachvollziehbaren Einwendungen von Prof. Dr. B gegen die gutachterlichen Feststellungen von Dr. A vermag sich der Senat seinen Schlussfolgerungen nicht anzuschliessen. Dr. A hat sich in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. Mai 2006 zur Begründung seiner Auffassung auch nicht auf eine gesicherte wissenschaftliche Lehrmeinung, sondern lediglich auf seine eigene fachärztliche Erfahrung und Kenntnis der einschlägigen Literatur berufen. Dies kann jedoch im vorliegenden Fall nicht dazu führen, den ursächlichen Zusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung und Hörsturz als überwiegend wahrscheinlich im Sinne der Rechtsprechung anzusehen, sodass auch die als Folge des Hörsturzes eingetretene Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts nicht als Folge der BK Nr. 2301 angesehen werden kann.

Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Mai 2005 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved