L 13 R 17/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 31 RA 1067/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 17/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 590/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 3. April 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger im Hinblick auf die Bewertung beitragfreier Ausbildungsanrechnungszeiten einen Anspruch auf höhere monatliche Altersrente hat.

Der 1935 geborene Kläger bezieht aufgrund eines Antrags vom 03.02.1999 seit 01.05.1999 eine Altersrente für langjährig Versicherte nach § 236 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI - (Bescheid vom 14.04.1999). Der Berechnung des monatlichen Wertes der Rente legte die Beklagte dabei abweichend von in einem früheren Kontenklärungsverfahren (Bescheid vom 19.08.1983) festgestellten Zeiten der Schulausbildung (nach Vollendung des 16. Lebensjahres) vom 25.12.1951 bis 01.03.1956 und Hochschulausbildung (ab Vollendung des 17. Lebensjahres) vom 01.11.1957 bis 06.01.1963 nur die Zeiten der Schulausbildung vom 25.12.1952 bis 01.03.1956 (40 Kalendermonate) und der Hochschulausbildung 01.11.1957 bis 31.07.1959 (21 Kalendermonate) als beitragsfreie Ausbildungsanrechnungszeiten zu Grunde. Die Zeiten der Schulausbildung vom 25.12.1951 bis 24.12.1952 und der Hochschulausbildung vom 01.08.1959 bis 06.01.1963 rechnete die Beklagte nicht mehr an. Im beigefügten Versicherungsverlauf ist die Zeit vom 25.12.1951 bis 24.12.1952 als "Schulausbildung keine Anrechnung" und die Zeit vom 01.08.1959 bis 06.01.1963 als "Hochschulausbildung Höchstdauer überschritten" aufgeführt. Unmittelbar im Anschluss an die Hochschulausbildung legte der Kläger Pflichtbeitragszeiten zurück. Ein weiterer Feststellungsbescheid datiert vom 19.01.1999.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren begehrte der Kläger eine ungekürzte Berücksichtigung der ab Vollendung des 16. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung nach den 1964 geltenden Bestimmungen des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG 1964). Er trug zur Begründung vor, er sei im Januar 1963 im Anschluss an sein Hochschulstudium in ein Beschäftigungsverhältnis eingetreten, das kraft Gesetzes versicherungspflichtig gewesen sei. Damit sei zwischen der Beklagten und ihm gleichsam ein Vertrag mit den im AVG festgelegten Rechten und Pflichten geschlossen worden. Das AVG habe in seiner Fassung von 1963 u.a. festgelegt, dass Beitragszeiten der ersten fünf Kalenderjahre Ausfallzeiten seien und als solche gewertet würden (§ 32 AVG 1963). Dies gelte ebenso für bis zu vier Jahre nachgewiesener Schulausbildung und bis zu fünf Jahre nachgewiesener abgeschlossener Hochschulausbildung, wenn im Anschluss daran innerhalb von zwei Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden und die Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalls mindestens zur Hälfte mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sei (§ 36 AVG 1963). Dies bedeute, dass ihm bereits 1964 durch Gesetz verbindlich die Anerkennung von 108 Monaten schulischer Ausbildung unter der Voraussetzung zugesichert worden sei, dass auch er seine Pflichten nach dem Gesetz erfülle. Das habe er getan. Eine weitere Einschränkung oder Vorbehalte habe das AVG 1964 nicht enthalten. Insbesondere sei nicht geregelt gewesen, dass bereits verbindlich zugesagte Ansprüche rückwirkend zum Nachteil einer Seite verändert werden könnten. Die nachträgliche rückwirkende Änderung von vertraglich verbindlich erworbenen Ansprüchen widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen und sei damit verfassungswidrig.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.1999 zurück. Der Leistungsfall für die Altersrente sei entsprechend dem Antrag am 01.05.1999 eingetreten. Gemäß § 300 Abs. 1 SGB VI sei bei Leistungsfällen ab dem 01.01.1992 das SGB VI in der jeweils gültigen Fassung uneingeschränkt anzuwenden. Für die Rentenberechnung seien die am 01.01.1997 in Kraft getretenen Änderungen des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) anzuwenden. Danach seien Zeiten der schulischen Ausbildung gemäß § 58 Abs.1 S.1 Nr.4 SGB VI erst ab Vollendung des 17. Lebensjahres zu berücksichtigen. Die Höchstdauer von berücksichtungsfähigen Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung sei von 84 Kalendermonaten auf 36 Kalendermonate verkürzt worden. Die Übergangsregelung des § 252 Abs.4 SGB VI bewirke eine gleitende Abschmelzung der die Höchstdauer von drei Jahren überschreitenden Ausbildungszeiten bei einem Rentenbeginn bis zum 31.12.2000. Soweit der Kläger Zweifel geäußert habe, dass die Rechtsänderungen durch das WFG verfassungskonform seien, werde auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Mai 1995, Az.: 13/4 RA 13/94, verwiesen. Darin habe das BSG entschieden, dass die einschneidenden Rechtsänderungen des am 01.01.1992 in Kraft getretenen SGB VI gegenüber dem bis dahin geltenden AVG verfassungsrechtlich zulässige gesetzgeberische Bestimmungen im Sinne des Art.14 Abs.1 Satz 2 Grundgesetz (GG) seien. Der Gesetzgeber habe nicht nur deswegen eine besonders große Gestaltungsfreiheit, weil bei Rentenanwartschaften die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen bereits von vornherein angelegt sei, sondern auch, weil es lediglich um die Begrenzung von Positionen gehe, die Ausdruck besonderer Vergünstigungen seien, z.B. die Abgeltung der Pflichtbeiträge in den ersten Berufsjahren mit Werten, die nicht der tatsächlichen Beitragsleistung entsprachen und die Abgeltung beitragsfreier Zeiten mit Durchschnittswerten, die Lücken in der Versicherungsbiographie unberücksichtigt ließen. Mit dem WFG sei den Belastungsverschiebungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, z.B. einem früheren Austritt aus dem Erwerbsleben, dadurch bedingten längeren Rentenlaufzeiten, der steigenden Lebenserwartung und der sinkenden Geburtenhäufigkeit, in zulässigem Umfang Rechnung getragen worden.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, der Gesetzgeber habe nach Art.20 GG nicht das Recht, die vertragliche Position von Versicherten rückwirkend zu verschlechtern. Wenn der Gesetzgeber für private Regelungen Vorschriften und Auflagen mache, die er für eigene Regelungen im Rahmen seiner hoheitlichen Aufgaben nicht gelten lasse, sei das mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Die Politik belaste aber seit mehr als 40 Jahren die gesetzliche Rentenversicherung mit versicherungsfremden Leistungen, ohne diese durch den Bundeszuschuss in vollem Umfang auszugleichen. Allein im Jahr 1995 seien mehr als 20 % der Beiträge zur Rentenversicherung für Ausgaben verwendet worden, die eindeutig Aufgaben aller Bürger seien und damit bei sachgerechter Finanzierung aus Steuermitteln aufgebracht werden müssten. Die Eingriffe in ihre Rentenanwartschaften seien auch nicht durch Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt. Wenn der Gesetzgeber jährlich in Milliardenhöhe unsinnige Subventionen tätige und staatliche Stellen in Milliardenhöhe Steuergelder verschwendeten, könne er für die regelmäßige Plünderung der Rentenkassen und die daraus folgenden Finanzierungsschwierigkeiten kein öffentliches Interesse reklamieren. Außerdem sei sein Anspruch nicht nur durch die mit dem In-Kraft-Treten des WFG eingetretenen Änderungen, sondern durch eine Vielzahl weiterer Rechtsänderungen seit 1964 um rund 18 % vermindert worden. Diese Belastung sei übermäßig und unzumutbar. Unter diesen Bedingungen hätte er von der damaligen Möglichkeit der Befreiung Gebrauch gemacht. Er sei aber damals davon ausgegangen, dass für die gesetzliche und die private Altersvorsorge vergleichbare Rechtsgrundlagen gelten würden. Bei der Bewertung der beitragsfreien Ausbildungszeiten sei zu beachten, dass die Berücksichtigung dieser Zeiten von der Zahlung von Beiträgen abhänge. Zum einen habe das AVG die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im Anschluss an die Ausbildung sowie die Belegung des Zeitraums vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles mindestens zur Hälfte mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit gefordert, zum anderen seien die zu zahlenden Beiträge wegen der zusätzlichen Leistungen für beitragsfreie Zeiten höher gewesen, als sie ohne diese Leistungen hätten sein können. Mit der Kürzung der Anwartschaften würden auch nicht Änderungen im Rentenbezug ausgeglichen. Der Gesetzgeber habe im gleichen Maße, wie die vorgezogenen Renten in Anspruch genommen worden seien, die Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung angehoben. Der Anspruch auf vorgezogene Rente sei also durch entsprechende zusätzliche Beitragszahlungen erworben worden. Außerdem trug der Kläger unter Hinweis auf Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vor, nach deren Rechtsprechung sei eine rückwirkende Verschlechterung vertraglich vereinbarter Versicherungsleistungen nicht zulässig.

Mit Beschluss vom 08.03.2002 hat das SG den Streit um die Bewertung der ersten Berufsjahre abgetrennt und gleichzeitig insoweit das Ruhen angeordnet. Der Kläger hat sich insofern mit der Erledigung dieses Verfahrens einverstanden erklärt, weil ihm die Beklagte zusicherte, nach dem Ergebnis des Vorlageverfahrens an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Überprüfung der Rentenberechnung durchzuführen.

Das SG hat die Klage im Übrigen mit Gerichtsbescheid vom 03.04.2002 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Gesetzgeber habe bei Rentenanwartschaften eine besonders große Gestaltungsfreiheit. Soweit es um die Berücksichtigung schulischer Ausbildungszeiten gehe, bestehe diese Gestaltungsfreiheit umso mehr. Denn es gehe hier um Positionen, die Ausdruck besonderer Vergünstigungen seien, weil während der schulischen Ausbildung keine Beiträge gezahlt würden. Die Beschränkungen bezüglich der Ausbildungszeiten würden eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art.14 Abs.1 Satz 2 GG darstellen. Auch ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips des Art.20 Abs.3 GG sei nicht gegeben. Der Gesetzgeber habe in den §§ 300 ff. SGB VI Übergangsregelungen geschaffen, die einen hinreichenden Schutz bereits bestehender Rechtspositionen gewährleisten würden. Eine unzulässige Rückwirkung werde dadurch vermieden, dass die gesetzlichen Neuregelungen nicht laufende Rentenzahlungen tangieren würden. Auch liege mit Blick auf private Versicherungsverträge kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art.3 Abs.1 GG vor, weil die zu beurteilenden Sachverhalte nicht vergleichbar seien. Das SG ist deshalb auch dem Antrag des Klägers nicht gefolgt, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zur Vereinbarkeit der Kürzung ihrer Rentenanwartschaften mit dem GG einzuholen.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und beantragt, seine Ausbildungszeiten nach dem AVG in der 1963 geltenden Fassung zu bewerten und ihm höhere Altersrente zu zahlen. Er hat ergänzend zur Klagebegründung im Wesentlichen vorgetragen, die bisherigen Urteile des BVerfG und des BSG zu Ausbildungszeiten hätten die betreffenden Rechtsänderungen ausschließlich im Zusammenhang mit Art.14 GG, nicht aber im Zusammenhang mit Art.3 und Art.20 GG betrachtet und jeweils nur eine Rechtsänderung bewertet. Er sei jedoch von mehreren Rechtsänderungen (Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 09.06.1965, 20. Rentenanpassungsgesetz vom 27.06.1977 (20. RAG), Haushaltsbegleitgesetz 1983 vom 20.12.1982, Rentenreformgesetz 1992 vom 18.12.1989 und WFG) betroffen, die in ihrer Summe zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung seiner Rentenanwartschaft führten. Dabei gehe es um die Frage, ob ein Gesetz ein geringeres Rechtsgut als ein Vertrag sei. Sei ein Gesetz einem Vertrag gleichwertig, so verstoße jeder rückwirkende Eingriff in bereits erworbene Rechtspositionen gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art.20 GG. Sei ein Gesetz beliebig zu Lasten einer bestimmten Bevölkerungsgruppe manipulierbar, verstoße auch dies gegen das Rechtsstaatsprinzip und zusätzlich gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art.3 GG, denn damit würden diejenigen, die das Privileg hätten, sich nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichern zu müssen (z.B. Mitglieder berufständischer Versorgungssysteme, Mitglieder privater Lebensversicherungen), gegen die Manipulationen des Gesetzgebers geschützt, während den Pflichtversicherten einseitig die Lasten versicherungsfremder Leistungen aufgebürdet würden. Die vom BSG in einer Vorlage an das BVerfG geäußerten Bedenken, ob es mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sei, dass die erworbene Rangstelle von Anwartschaftsrechtsinhabern durch eine Neubewertung der ersten Berufsjahre gemindert werde, müssten im Übrigen auch für die Bewertung der Ausbildungsanrechnungszeiten gelten. Außerdem seien die vom BVerfG im Urteil vom 01.07.1981, Az.: 1 BvR 874/77 (= BVerfGE 58, 81), aufgestellten Bedingungen, unter denen bereits erworbene Rechtspositionen rückwirkend zu Lasten des Versicherten gekürzt werden dürften, bisher nicht hinterfragt worden.

Auf ein Schreiben des Klägers vom 13.10.2005 ist ein nicht datierter Bescheid der Beklagten ergangen, in dem es heißt, der Feststellungsbescheid vom 19.01.1999 werde mit Wirkung für die Zukunft ab 01.12.2005 aufgehoben. Durch gesetzliche Neuregelungen hinsichtlich der Anrechenbarkeit und Berücksichtigungsfähigkeit von Anrechnungszeiten seien wesentliche Änderungen eingetreten. Dies habe zur Folge, dass die Rente für die Zeit vom 01.05.1999 bis 30.11.2005 unter Anrechnung der zusätzlich vorgemerkten Anrechnungszeiten vom 25.12.1951 bis 24.12.1952 und vom 01.08.1959 bis 31.10.1962 neu festzustellen sei. Hierüber ergehe ein gesonderter Bescheid. Mit Bescheid vom 30.12.2005 hat daraufhin die Beklagte die Rente unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 30.03.2004, Az.: B 4 RA 36/02 R = BSGE 78, 138; SozR 4-2600 § 149 Nr.1, B 4 RA 46/02 R) für die Zeit vom 01.05.1999 bis 20.11.2005 unter Zugrundelegung des mit Bescheid vom 19.08.1983 mitgeteilten Versicherungsverlaufs neu festgestellt und für die Rente ab 01.12.2005 einen weiteren Bescheid angekündigt.

Im Anschluss an den Erörterungstermins vom 31.03.2006 hat die Beklagte ein (Teil-)Anerkenntnis insofern abgegeben, als sie die Rente auch für die Zeit vom 01.12.2005 an unter Anrechnung der mit Bescheid vom 19.08.1983 vorgemerkten Zeiten der schulischen Ausbildung vom 25.12.1951 bis 24.12.1952 sowie vom 01.08.1959 bis 06.01.1963 neu festsetzte (Schreiben vom 29.05.2006). Zur Begründung führte die Beklagte aus, mit der Aufhebung des Bescheids vom 19.01.1999 sei der falsche Vormerkungsbescheid beseitigt worden, weil bereits zuvor mit Bescheid vom 19.08.1983 durch den oben genannten nicht datierten Bescheid eine Entscheidung über die betreffenden Zeiträume getroffen worden sei und die Aufhebung des Bescheids vom 19.08.1983 einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten dürfte.

Der Kläger hat das (Teil-)Anerkenntnis der Beklagten mit Schriftsatz vom 06.06.2006 angenommen und ausgeführt, der Rechtstreit sei damit nicht erledigt, weil das Anerkenntnis nur einen Teilaspekt der Klage bzw. Berufung betreffe. Er suche Antworten auf die Fragen, die er im Klageschriftsatz und Berufungsschriftsatz zur Vereinbarkeit der betreffenden gesetzlichen Regelungen mit dem GG ausgeführt habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 03.04.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.1999 zu verurteilen, seine Ausbildungsanrechnungszeiten nach dem Angestelltenversicherungsgesetz in der 1963 geltenden Fassung zu bewerten und ihm höhere Altersrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 05.04.2002 zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf deren Inhalt und den Inhalt der Akte des LSG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 105 Abs. 2 Satz 1, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet.

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs.2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 14.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.1999, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, die von dem Kläger zurückgelegten Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung bei der Berechnung des monatlichen Wertes der Altersrente ohne die nach dem AVG 1963 neu eingeführten Vorschriften zur Gesamtleistungsbewertung gemäß §§ 71 ff. SGB VI zu berücksichtigen. Das SG hat die dagegen erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 16.05.2005 zu Recht abgewiesen.

Nicht mehr Steitgegenstand ist die Berücksichtigung der geltend gemachten Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung als solche. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 30.12.2005 zunächst nur für die Zeit bis 31.11.2005, später aber mit angenommenen (Teil-) Anerkenntnis vom 29.05.2006 auch für die Zeit danach den Feststellungsbescheid vom 19.08.1983 zugrunde gelegt.

Die Beklagte hat die Ausbildungszeiten des Klägers bei der Berechnung des monatlichen Wertes der Altersrente zu Recht nach den ab 01.01.1992 geltenden Vorschriften des SGB VI im Wege der so genannten Gesamtleistungsbewertung (§§ 71 ff. SGB VI) berücksichtigt.

Gemäß § 300 Abs.1 SGB VI sind die Vorschriften dieses Gesetzes von dem Zeitpunkt ihres In-Kraft-Tretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Ein Ausnahmetatbestand der Absätze 2 ff. des § 300 SGB VI liegt - was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist - hier nicht vor. Die §§ 301 ff. SGB VI enthalten keine gesetzliche Anordnung der vom Kläger begehrten Fortgeltung des AVG auf Rentenansprüche, die - wie hier - erstmals nach In-Kraft-Treten des SGB VI entstanden sind.

Entgegen der Ansicht des Klägers beruht das mit Ausübung der versicherungspflichtigen Beschäftigung nach Abschluss der Hochschulausbildung im Januar 1963 begründete Sozialversicherungsverhältnis nicht auf einem zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen (öffentlich-rechtlichen) Vertrag, sondern auf der einseitig gesetzlich bestimmten Sozialversicherungspflicht des Klägers. Die mit diesem Sozialversicherungsverhältnis verbundenen Rechte und Pflichten ergeben sich aus den hierzu erlassenen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere aus dem Rentenversicherungsrecht, das bis zum 31.12.1991 in der Reichsversicherungsordnung (RVO) und dem AVG und ab 01.01.1992 im SGB VI geregelt wurde. Dieses Recht war und ist auch weiterhin einem stetigen Wandel unterworfen. Maßgebend für die Bestimmung der bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Rechte und Pflichten ist dabei grundsätzlich das zu diesem Zeitpunkt (temporär) geltende Recht. So weit frühere gesetzliche Regelungen durch später in Kraft getretenes Recht ersetzt oder geändert wurden, bedarf es zur Fortgeltung der früheren Regelungen einer besonderen gesetzlichen Anordnung, wie sie insbesondere § 300 Abs.2 ff. SGB VI enthalten.

Im Gegensatz zu vertraglichen Vereinbarungen, für die in der Regel der Grundsatz der Vertragstreue gilt, unterliegen Anwartschaften und Ansprüche in der gesetzlichen Sozialversicherung nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich der einseitigen Gestaltungsmacht des Gesetzgebers. Soweit er dabei die von der Verfassung gegebenen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit einhält, kann er Anwartschaften und Ansprüche sowohl inhaltlich als auch in ihrem absoluten oder relativen Wert verändern (vgl. BVerfGE 58, 81; 64, 87). Ein Pflichtversicherter kann daher nicht darauf vertrauen, dass bei einer Veränderung der für die Ausgestaltung der gesetzlichen Sozialversicherung maßgebenden Verhältnisse, insbesondere der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung, die gesetzlichen Vorschriften über Leistungen während seines gesamten Versicherungslebens bis zum Eintritt des Leistungsfalles unverändert fortbestehen (vgl. BSGE 78, 138 m.w.N.; BVerfGE 70, 101). Anwartschaften und Ansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung unterliegen somit dem Eigentumsschutz des Art.14 Abs.1 GG nur mit dem Inhalt und Umfang, wie er sich aus der jeweils aktuellen - verfassungsgemäßen - Gesetzeslage ergibt. Die von dem Kläger zitierte Rechtsprechung des BGH und des BAG betrifft dagegen vertraglich vereinbarte Rechtspositionen und daher keinen mit einem gesetzlichen Sozialversicherungsverhältnis vergleichbaren Sachverhalt.

Wie das BSG bereits entschieden hat, hat der Gesetzgeber mit der Einführung der (begrenzten) Gesamtleistungsbewertung die verfassungsmäßigen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht verletzt (vgl. BSGE 78, 138; SozR 4-2600 § 149 Nr.1). Die Rentenanwartschaft des Klägers unterlag am 31.12.1991 dem Eigentumsschutz des Art.14 Abs.1 GG. Der Gesetzgeber hat zum 01.01.1992 in diese Rentenanwartschaft eingegriffen, indem er den beitragsfreien Ausbildungszeiten anstelle der bis dahin vorgesehenen festen Werteinheiten (jetzt Entgeltpunkte) einen variablen, aus der Gesamtheit der Beitragsleistung des Versicherten in seinem Versicherungsleben (belegungsfähiger Zeitraum) errechneten Wert zugeordnet hat. Dieser wertmindernde Eingriff stellt eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art.14 Abs.1 GG dar. Wie des BSG dazu ausgeführt hat, diente die mit dem Rentenreformgesetz 1992 angestrebte Konsolidierung der gesetzlichen Rentenversicherung und die Stärkung des so genannten Äquivalenzprinzips der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung. Zur Begrenzung des Beitragssatzes wurde im Rahmen eines Gesamtpakets u.a. der Bundeszuschuss erhöht, eine Rentenanpassung auf der Grundlage der Bruttolöhne des Vorjahres eingeführt und eine am Versicherungsprinzip orientierte Neuordnung der beitragsfreien Zeiten unter Wegfall der so genannten Halbbelegung (§ 36 Abs.3 AVG) als Voraussetzung für die Anrechnung von Ausfallzeiten sowie eine neue Bewertung der ersten vier (statt fünf) Pflichtbeitragsjahre normiert. Gleichzeitig wurde das so genannte Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung durch Einführung der Gesamtleistungsbewertung betont und eine größere Beitragsgerechtigkeit herbeigeführt. Damit wurden diejenigen Pflichtversicherten begünstigt, die während ihres gesamten Erwerbs- und Versicherungslebens der Gemeinschaft durch Entrichtung einkommensbezogener Pflichtbeiträge solidarisch verbunden waren und damit auch Schwankungen in den Leistungen der gesetzlichen Versicherungssysteme nicht ausweichen konnten. Das BSG hat sowohl die Geeignetheit und Erforderlichkeit dieser Maßnahmen, als auch deren Verhältnismäßigkeit ausdrücklich bejaht und dabei zu Recht betont, dass mit der Einführung der Gesamtleistungsbewertung beitragsfreie Zeiten bei der Berechnung des monatlichen Wertes einer Rente nicht unberücksichtigt bleiben, sondern ihr Wert lediglich dem Wert der Gesamtbeitragsleistung des Versicherten angepasst wird, so dass im typischen Fall eines Durchschnittsverdieners ohne Versicherungslücken keine wesentliche Verschlechterung gegenüber den Regelungen des AVG zu erwarten ist (vgl. BVerfGE 78, 138). Das BSG sah auch im Hinblick auf die von ihm dargelegte Entwicklung der Bewertung beitragsfreier Ausbildungszeiten keinen Anlass, die Einführung der (begrenzten) Gesamtleistungsbewertung verfassungsrechtlich zu beanstanden.

Soweit durch die gesetzliche Neuregelung der Bewertung beitragsfreier Ausbildungszeiten die Erwartung des Klägers auf den Fortbestand der Regelungen des AVG enttäuscht wurde, ist auch hierfür Prüfungsmaßstab allein Art.14 Abs.1 GG, in dem der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes für vermögenswerte Güter eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren hat (vgl. BVerfGE 58, 81 m.w.N.). Ein Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes aus Art.20 GG kommt daher nicht in Betracht, wenn eine anwartschaftsmindernde Regelung - wie hier - den Anforderungen des Art.14 Abs.1 GG genügt. Auch der Einwand des Klägers, er hätte bei Kenntnis der zwischenzeitlich eingetretenen, den Wert ihrer Rentenanwartschaft mindernden Rechtsänderungen von der Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht Gebrauch gemacht, ist lediglich Ausdruck einer enttäuschten Zukunftserwartung, die keine abweichende verfassungsrechtliche Beurteilung rechtfertigt.

Die Argumentation des Klägers, die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung könne den Eingriff in seine Rentenanwartschaft nicht legitimieren, weil diese Leistungsfähigkeit durch versicherungsfremde Leistungen gefährdet sei, die in verfassungswidriger Weise nur den in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten aufgebürdet würden, überzeugt nicht. Wie das BVerfG (vgl. SozR 3-2600 § 158 Nr.2) ausgeführt hat, bestehen gegen die Finanzierung so genannter versicherungsfremder Leistungen - zu denen auch die vom Kläger beanspruchte Zahlung von Renten aus beitragslosen Zeiten zählt (vgl. BSGE 81, 276) - aus Beiträgen der gesetzlichen Rentenversicherung keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es hat insoweit auf die ausführlichen Gründe des angefochtenen Urteils des BSG (BSGE 81, 276) Bezug genommen, denen sich auch der Senat ausdrücklich anschließt.

Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art.3 Abs.1 GG) oder das Rechtsstaatsgebot (Art.20 GG) liegt danach nicht vor. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die weiteren Alterssicherungsformen wie Beamtenversorgung, berufsständische Versorgung oder private Altersversorgung keine der solidarischen gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren Systeme sind. Sie beruhen auf völlig anderen Prinzipien (z.B. Prinzip der Alimentation in der Beamtenversorgung und Versicherungsprinzip in der privaten Altersversorgung) und unterliegen bei privatrechtlicher Ausgestaltung nicht der einseitigen gesetzlichen Gestaltungsmacht des Gesetzgebers (z.B. die berufsständische, die betriebliche und die private Altersvorsorge). Schon deshalb ist es verfassungsrechtlich weder aus Gründen der Gleichbehandlung noch der Rechtsstaatlichkeit geboten, gesetzlich einheitliche Bedingungen für diese unterschiedlichen Alterssicherungsformen zu schaffen oder gesetzlich Rentenversicherte nicht schlechter zu stellen, als Mitglieder anderer Alterssicherungsformen, die nicht dem Prinzip der Solidarität verpflichtet sind (vgl. BVerfGE 58, 81; 64, 87; 70, 101).

Die Ansicht des Klägers, seine beitragsfreien Zeiten beruhten - zumindest indirekt - auf einer eigenen Beitragsleistung, teilt der Senat nicht. Er hat zur Begründung vorgetragen, das AVG habe die Anerkennung solcher Zeiten an eine langfristige Zahlung von Pflichtbeiträgen gebunden und die Leistungen für beitragsfreie Zeiten seien in die Beitragsberechnung eingeflossen, so dass er höhere Beiträge gezahlt habe, als ohne Berücksichtigung beitragsfreier Zeiten. Weder das Erfordernis einer bestimmten Vorversicherungszeit (§ 36 Abs.3 AVG), noch die Berücksichtigung der Aufwendungen für beitragsfreie Zeiten (für die aktuellen Leistungsempfänger) bei der Beitragsberechnung (für die aktuellen Beitragszahler) ändert den Charakter der beitragslosen Versicherungszeiten. Beitragszeiten sind ausschließlich Zeiten, für die Beiträge gezahlt wurden oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs.1 SGB VI). Ausbildungszeiten, für die Beiträge weder gezahlt wurden noch als gezahlt gelten, sind daher unabhängig von weiteren Voraussetzungen für ihre Anrechenbarkeit im Leistungsfall und der Finanzierung der für diese Zeiten erbrachten Leistungen keine auf einer Beitragsleistung beruhende Zeiten (vgl. BVerfGE 58, 81; zur Bewertung beitragsloser Ausbildungszeiten vgl. BSG SozR 4-2600 § 149 Nr.1).

Der Einwand des Klägers, seine Rentenanwartschaft sei durch eine Vielzahl von Rechtsänderungen gemindert worden, die in ihrer Gesamtheit eine übermäßige und unzumutbare Belastung darstellten, hat der Kläger nicht näher begründet. Er hat insbesondere nicht dargelegt, durch welche Rechtsänderungen und in welcher Höhe seine Rentenanwartschaft gemindert worden ist. Doch selbst wenn die pauschale Behauptung des Klägers, seine Rentenanwartschaft habe sich zwischenzeitlich um 18 % vermindert, als wahr unterstellt wird, ergibt sich hieraus angesichts der langen Zeitdauer und der erheblichen wirtschaftlichen und demographischen Veränderungen, die Grundlage für wiederholte Eingriffe in das System der gesetzlichen Rentenversicherung waren, noch keine Verfassungswidrigkeit der zu Grunde liegenden Rechtsänderungen. Ohne substantiierte Angaben des Klägers zu beanstandeten Rechtsänderungen sieht sich der Senat daher nicht zu einer pauschalen verfassungsrechtlichen Prüfung der erfolgten Rechtsänderungen veranlasst.

Aufgrund der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BSG und des BVerfG hält der Senat auch eine von dem Kläger beantragte Vorlage an das BVerfG nicht für erforderlich.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die bei der Berechnung des monatlichen Wertes der Altersrente des Klägers anzuwendenden Vorschriften des SGB VI über die Bewertung beitragsfreier Ausbildungszeiten fehlerhaft angewandt hat, sind weder ersichtlich, noch vom Kläger geltend gemacht worden.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 03.04.2002 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG folgt aus der Erwägung, dass der Kläger mit seiner Klage auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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