L 14 R 865/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 1844/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 865/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5a/5 R 542/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 7. November 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1955 in Serbien geborene Klägerin, die seit 1972 in Deutschland lebt, war hier als Stationshilfe und Reinigungskraft versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Juli 1999 besteht Arbeitsunfähigkeit bzw. Arbeitslosigkeit.

Ein erster im Juli 2000 wegen "Knochenschmerzen, Depressionen, Gehörsturz, Kopfschmerzen" gestellter Rentenantrag blieb erfolglos (ablehnender Bescheid vom 10.11.2000, zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 01.02.2001, klageabweisendes Urteil des Sozialgerichts München vom 17.12.2002 nach Einholung von Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischem und orthopädischem Gebiet, Zurückweisung der Berufung mit Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 29.06.2004 nach erneuter Beweisaufnahme durch Begutachtung auf internistisch-rheumatologischem Gebiet). Die Klägerin wurde übereinstimmend für in der Lage gehalten, einer vollschichtigen leichteren körperlichen Tätigkeit ohne besondere psychische Belastung nachzugehen.

Den streitbefangenen zweiten Rentenantrag stellte die Klägerin am 30.07.2004. Die Beklagte lehnte auch diesen Antrag mit Bescheid vom 22.09.2004 ab mit der Begründung, es bestehe noch ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Zugrunde lagen erneute Begutachtungen auf nervenärztlichem und internistischem Gebiet durch Dr.G. und Dr.M. im August und September 2004. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2004 zurückgewiesen.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht erhob dieses nach Beiziehung aktueller ärztlicher Befunde und Unterlagen sowie der Schwerbehindertenakte des Amts für Versorgung und Familienförderung M. Beweis durch Einholung von Gutachten auf drei verschiedenen Fachgebieten. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.R. diagnostizierte im nervenfachärztlichem Gutachten vom 18.06.2005 bei der Klägerin ein chronisches Schmerzsyndrom bei einer Persönlichkeit mit histrionischen Zügen und konversionsneurotischen Anteilen, daneben arterielle Hypertonie, Tinnitus und Hörminderung beidseits. Die Gutachterin, die eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit der letzten Untersuchung im vorangegangenen Verfahren nicht feststellen konnte, beurteilte das Leistungsvermögen der Klägerin mit vollschichtig für leichte Arbeiten im Wechsel von Gehen und Sitzen, nur vorübergehend im Stehen, überwiegend in geschlossenen Räumen, ohne Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten, ohne Schichtarbeit und ohne Zeitdruck. Der Orthopäde Dr.S. hielt in seinem Gutachten vom 26.07.2005 wegen der Beschwerden auf seinem Fachgebiet ("degeneratives und fehlstatisches Wirbelsäulensyndrom mit linkskonvexer Lendenwirbelsäulenskoliose bei insgesamt nicht aus dem Lot fallendem Achsorgan, beginnenden Bandscheibenschäden der Lendenwirbelsäule, Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke der Halswirbelsäule ohne nachweisbares nervenwurzelbezogenes neurologisches Defizit; posttraumatischer Ellenbogengelenksverschleiß linksseitig nach operativer Versorgung einer Olecranonfraktur 1980 und nur geringfügiger funktioneller Beeinträchtigung, beginnender Hüftgelenksverschleiß beidseits, beginnende degenerative Veränderung beider Kniegelenke") ebenfalls leichte Arbeiten ohne ständiges Gehen und Stehen, ohne ständiges Knien und Zwangshaltungen in vornüber geneigter Haltung vollschichtig für zumutbar. Der Internist und Rheumatologe Dr.A. erhob in seinem Gutachten vom 24.08.2005 bei der Klägerin auf seinem Gebiet ein Fibromyalgiesyndrom, einen Zustand nach Hörsturz, einen medikamentenpflichtigen Diabetes mellitus sowie eine arterielle Hypertonie und erwähnte daneben ein depressives Syndrom, ein Angstsyndrom, einen Zustand nach Suizidversuchen und eine histrionische Persönlichkeit sowie die orthopädischen Beschwerden der HWS, LWS und Arthrosen des linken Ellenbogens, der Knie und Hüften beidseits. Nach seinen Ausführungen dazu standen ausgeprägte Weichteilschmerzen mit begleitenden Myogelosen der Nccken-Schulter-Muskulatur und diversen vegetativen Begleitsymptomen im Vordergrund. Bei Berücksichtigung aller aufgeführten Gesundheitsstörungen sah der Gutachter leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen, ohne Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg, ohne häufiges Bücken und Arbeiten am Fließband weiterhin vollschichtig als möglich an.

Das SG wies die Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 07.11.2005, gestützt auf die eingeholten Gutachten, ab. Die Klägerin sei weder berufsunfähig noch voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne von §§ 43 Abs.1 und 2, 240 Abs.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung. Für die Anwendung des bis 31.12.2000 geltenden Rechts (§§ 43, 44 SGB VI a.F.) bestehe angesichts der Rentenantragstellung im Jahre 2004 kein Rechtsgrund. Das SG führte im Einzelnen aus, nach den überzeugenden Gutachten von Dr.R. , Dr.S. und Dr.A. sei die Klägerin noch in der Lage, leichte Frauenarbeiten im Gehen, Stehen und überwiegendem Sitzen in geschlossenen Räumen auszuüben. Lediglich ständige Arbeiten in vornübergeneigter Zwangshaltung, ständiges Knien, Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg, häufiges Bücken und Arbeiten am Fließband seien zu vermeiden. Eine zeitliche Leistungseinschränkung werde durch die festgestellten Gesundheitsstörungen nicht begründet. Eine solche könne auch nicht aus dem bei der Klägerin anerkannten Grad der Behinderung von 60 geschlossen werden. Die Klägerin sei nach ihrem Berufsbild dem Bereich der ungelernten Arbeiter zuzuordnen und damit auf den gesamten Bereich des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen. Hier gebe es eine ausreichende Anzahl von leichten Tätigkeiten, die dem verbliebenen Leistungsvermögen der Klägerin entsprächen. Der Benennung einer konkreten Tätigkeit bedürfe es nicht, insbesondere liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bei ihr vor, welche nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das Aufzeigen einer bestimmten Tätigkeit erforderlich machen würde. Die von den Gutachtern genannten qualitativen Einschränkungen bewegten sich im Rahmen der körperlich leichten Arbeiten und schränkten diese nicht zusätzlich ein.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie verweist auf im Laufe des Verfahrens vorgelegte ärztliche Bescheinigungen des Dr.R. vom 23.08.2004 und des Dr.L. vom 11.10.2004, wonach Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert nicht mehr möglich seien. Sie vertritt die Auffassung, das Gutachten des Dr.A. vom 24.08.2005 stütze den geltend gemachten Rentenanspruch, da er die Einsatzmöglichkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als nur mehr "theoretischer Natur" bezeichne und auf die massive Einnahme von Schmerzmitteln und Antidepressiva hingewiesen habe. Weiter vertritt sie - ohne jegliche Begründung - die Auffassung, es müsse vorliegend noch das alte Recht (§§ 43, 44 SGB VI in der vor dem 01.01.2001 geltenden Fassung) zur Anwendung kommen. Im Übrigen sei die Klägerin der Gruppe mit dem Leitbild der angelernten Arbeitnehmer zuzuordnen; wegen ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen hätte zudem die Notwendigkeit bestanden, ihr eine noch in Betracht kommende Verweisungstätigkeit zu benennen.

Die Klägerin beantragte die gutachtliche Anhörung der Ärzte Dr. A. und Dr.L. gemäß § 109 SGG auf nervenärztlichem und orthopädischem Gebiet.

Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. erhob in ihrem Gutachten vom 10.06.2006 die Diagnosen "chronisches Schmerzsyndrom, Anpassungsstörung mit ängstlich-depressivem Verhalten, Somatisierung bei Persönlichkeit mit histrionischen Zügen". Die Gutachterin setzte sich mit der Vorgeschichte und den bisherigen ärztlichen Befunden und Gutachten auseinander, wobei sie vor allem das vorangegangene nervenärztliche Gutachten der Dr.R. vom 18.06.2005 als von hoher Fachkompetenz getragen und gut verständlich und nachvollziehbar bezeichnete. Sie äußerte Übereinstimmung mit diesem und den übrigen Vorgutachten. Im Vordergrund stehe die bestehende chronische Ganzkörper-Schmerzsymptomatik mit schweren Schmerzen und Bewegungschmerz. Das subjektiv empfundene Ausmaß dieser Schmerzen sei nur im Rahmen einer somatisierten Depression oder Anpassungsstörung bei akzentuierter Persönlichkeit nachvollziehbar. Insgesamt zeige sich das Bild einer "Jammerdepression" mit Logorrhoe, monotoner Stimme und Fixierung auf die multiplen Beschwerden sowie Funktionsbehinderungen. Auch sprächen Schlafstörungen, Grübelzwang, quälende Gedanken, Verlust von Lebensfreude, Libido und Motivation für die Depression, zusätzlich bestehe ausgeprägte Ängstlichkeit. Der appellative Charakter der Beschwerden habe sich bei der Untersuchung nicht verleugnen lassen. In ihrer sozialmedizinischen Begutachtung hielt die Gutachterin die Klägerin für nicht mehr in der Lage, ihrer letzten Tätigkeit als Reinigungskraft nachzugehen, wohl aber sah sie ein verbliebenes Leistungsvermögen für leichte und kurzfristig auch mittelschwere Arbeiten vorwiegend im Sitzen in geschlossen Räumen noch mindestens sechs Stunden täglich. Zu vermeiden seien dabei Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an gefährdenden Maschinen, Akkord- oder Nachtarbeiten, Einfluss von Kälte und Nässe, Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten sowie vornübergeneigte Zwangshaltungen. Die Umstellungsfähigkeit der Klägerin auf andere Erwerbstätigkeiten bejahte die Gutachterin, die Einholung weiterer Gutachten hielt sie nicht für erforderlich.

Die Klägerin, die Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zum Ausdruck brachte und den Antrag auf weitere Begutachtung nach § 109 SGG nicht mehr verfolgte, beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom 07.11.2005 und des Bescheides vom 22.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2004 zu verpflichten, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, weiterhin hilfsweise Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Beklagtenakten und die Akte L 5 RJ 68/03 des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), sie erweist sich aber nicht als begründet.

Zutreffend hat das Erstgericht den geltend gemachten Rentenanspruch verneint. Die Klägerin hat weiterhin keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Im Hinblick auf den am 30.07.2004 gestellten Rentenantrag ist Prüfungsmaßstab allein § 43 Abs.1 und 2 i.V.m. § 240 Abs.1 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (vgl. § 300 Abs.1 und 2 SGB VI). Die Klägerin ist seit der Antragstellung weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne dieser Vorschriften, noch besteht teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Abs.2 SGB VI. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften, die das SG im Einzelnen dargelegt hat, liegen auch nach den Feststellungen des Senats in diesem durch umfangreichste gutachtliche Ermittlungen gekennzeichneten Fall nicht vor.

Bei der Klägerin besteht nach der ausführlichen Beweisaufnahme der ersten Instanz trotz der Vielzahl der bei ihr zu konstatierenden Gesundheitsstörungen durchaus noch ein mindestens sechsstündiges tägliches Leistungsvermögen für leichte, gelegentlich wohl auch mittelschwere Arbeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen. Diese vom Erstgericht ausführlich dargelegten einschränkenden Merkmale (keine schweren und mittelschweren Tätigkeiten, kein Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg, häufiges Knien und Bücken, keine Arbeiten am Fließband, Schicht, Zeitdruck etc.) können auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Berücksichtigung finden. Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens liegt dagegen nach Aussage aller Gutachter nicht vor. Dieses Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird durch die erneute Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz im Wege eines Gutachtens nach § 109 SGG bestätigt. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. erklärt in ihrem Gutachten vom 10.06.2006 ihre Übereinstimmung mit den bisherigen Gutachten, insbesondere mit dem vorangegangenen nervenärztlichen Gutachten der Dr.R ... Auch Dr. A. sieht aufgrund eigener Prüfung und der Untersuchung der Klägerin noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichtere, kurzfristig auch mittelschwere Arbeiten, vorwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen mit den von den Vorgutachtern genannten qualitativen Einschränkungen (keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an gefährdenden Maschinen, unter Einfluss von Kälte und Nässe, keine Akkord- oder Nachtarbeiten, keine vornübergeneigten Zwangshaltungen).

Der Senat hält auch dieses Gutachten für schlüssig und nachvollziehbar und legt es seiner Entscheidungsfindung zugrunde.

Die Klägerin ist - wie das Erstgericht weiter zutreffend festgestellt hat - nach ihren bisherigen ungelernten Tätigkeiten breit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Den Ausführungen des Erstgerichts, auf die gemäß § 153 Abs.2 SGG Bezug genommen wird, ist nichts hinzuzufügen.

Bei dieser Sachlage kann die Berufung keinen Erfolg haben. Sie ist mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Die Entscheidung konnte entsprechend den Anträgen der Beteiligten gemäß § 126 SGG nach Lage der Akten ergehen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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