L 3 R 3338/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 7341/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 3338/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 1944 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und verrichtete diverse Hilfstätigkeiten. Von 1987 bis 1995 pflegte die Klägerin ihre an zunehmender Demenz erkrankte Mutter. Der Versicherungsverlauf der Klägerin weist zuletzt bis zum 8.9.1983 eine Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit auf, sodann eine Lücke vom 9.9.1983 bis zum 31.3.1995 und vom 1.4.1995 bis zum 8.5.1995 zwei Monate Pflichtbeiträge für Pflegetätigkeit (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 22.7.2004, Blatt 109/110 der Rentenakte, Bezug genommen). Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind längstens bis zu einem am 31.3.1985 eingetretenen Versicherungsfall erfüllt (Blatt 16 der SG-Akte sowie Blatt 17/25 der LSG-Akte).

Ein bereits am 26.11.1984 - formlos - vom Sozialamt der Landeshauptstadt Stuttgart wegen des nach dessen Ansicht auffälligen psychischen Verhaltens der Klägerin gestellter Antrag auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit wurde im Oktober 1986 zurückgenommen, nachdem weder das Sozialamt noch die Beklagte (letztere zum Zwecke der Begutachtung) mit der damals teilweise ohne festen Wohnsitz lebenden Klägerin Kontakt aufnehmen konnten. Ärztliche Unterlagen über die Klägerin sind beim Sozialamt nicht vorhanden (wegen der Einzelheiten Blatt 130/150 der Rentenakte). Seinerzeit stand die Klägerin auch im Leistungsbezug der Arbeitsverwaltung und führte im Jahr 1984 ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) wegen Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Blatt 136 Rückseite der Rentenakte).

Den streitgegenständlichen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung stellte die Klägerin am 16.4.2004.

Nach Durchführung einer internistischen und orthopädischen Begutachtung (die Durchführung einer weiteren psychiatrischen Begutachtung im Hinblick auf Verfolgungswahnvorstellungen der Klägerin scheiterte an deren Mitwirkung) lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 22.7.2004 und der Begründung ab, zwar liege bei der Klägerin seit dem 16.4.2004 Erwerbsminderung vor, die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien jedoch nicht erfüllt.

Im Widerspruchsverfahren stellte die Beklagte fest, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Rentenantrags vom 26.11.1984 noch erfüllt waren und veranlasste vor diesem Hintergrund die psychiatrische Begutachtung der Klägerin zur Abklärung des seinerzeitigen Leistungsvermögens, die mangels deren Mitwirkung aber wiederum nicht zu Stande kam. In seiner für die Beklagte daraufhin nach Aktenlage erstellten Stellungnahme vom 28.7.2005 gelangte der Nervenarzt S. allerdings zu der Einschätzung, dass die bei der Klägerin wahrscheinlich bestehende chronische Psychose anfänglich keine Arbeitsunfähigkeit verursacht haben dürfte. Auch der Umstand, dass die Klägerin zwischen 1987 und 1995 ihre zunehmend demente Mutter gepflegt habe, was sowohl ein gewisses Funktionieren als auch eine Alltagsbelastbarkeit vorausgesetzt habe, spreche hierfür. Aus der Tatsache, dass sich die Klägerin seit 1996 nicht mehr in ärztlicher Betreuung befinde, könne geschlossen werden, dass die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt im Rahmen der psychiatrischen Grunderkrankung erheblich desorganisiert gewesen sei. Spätestens zum Zeitpunkt der jetzigen Rentenantragstellung sei von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen.

Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2005 zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 21.11.2005 beim SG Klage erhoben, mit der sie ihr Rentenbegehren im Wesentlichen mit der Begründung weiterverfolgt hat, sie sei als Opfer staatlicher Willkür und Verfolgung entschädigungsberechtigt und habe vor diesem Hintergrund auch Anspruch auf Anerkennung von Ersatzzeiten. Berufen hat sich die Klägerin auch auf Klage- und Berufungsverfahren wegen Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (Zurückweisung der Berufung durch Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 5.4.2004 im Verfahren L 6 VG 2862/03). Die von der Klägerin - ohne Benennung von Ärzten - vorgenommene Schweigepflichtentbindungserklärung ist von ihr in der Folgezeit widerrufen und trotz Aufforderung durch das SG nicht erneuert worden. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin aber - sinngemäß - erklärt, zum Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch nicht erwerbsgemindert und kaum in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein.

Das SG hat die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vom 22.5.2006 abgewiesen.

Es hat unter Darstellung der für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften entschieden, dass bei der Klägerin zwar wegen einer chronischen Psychose derzeit Erwerbsunfähigkeit vorliege, es jedoch nicht nachgewiesen sei, dass der entsprechende Leistungsfall bereits spätestens am 31.3.1985 (dem Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen) eingetreten sei. Insoweit sei einerseits maßgeblich, dass die Klägerin im Verfahren selbst angegeben habe, dass zum fraglichen Zeitpunkt ein Rentenfall ihrer Ansicht nach noch nicht gegeben gewesen sei. Ferner habe die Klägerin mitgeteilt, in der entsprechenden Zeit kaum bei Ärzten in Behandlung gewesen zu sein. Da die Klägerin weder die behandelnden Ärzte benannt noch - nach dem Widerruf der selben - eine Schweigepflichtentbindungserklärung vorgelegen habe, seien weitere medizinische Ermittlungen nicht möglich gewesen. Die Feststellungslast liege aber bei der Klägerin. Immerhin könne aus dem Umstand, dass die Klägerin von 1987 bis 1995 ihre zunehmend demente Mutter gepflegt habe, hergeleitet werden, dass noch während dieser Zeit ein gewisses Funktionieren und eine Alltagsbelastbarkeit gegeben gewesen seien. Im Übrigen enthielten die Regelungen des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) keine Tatbestände, die im Falle einer Verfolgung durch Dritte das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen entbehrlich machten oder zur Zuerkennung weiterer versicherungsrechtlicher Voraussetzungen führen könnten. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den ihr am 31.5.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 30.6.2006 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Rentenbegehren im Wesentlichen mit der bisherigen Begründung weiterverfolgt.

Der Aufforderung des Senats, eine Schweigepflichtentbindungserklärung vorzulegen und die sie bis April 1985 behandelnden Ärzte zu benennen, ist die Klägerin nicht nachgekommen. Ihrem Vortrag ist jedoch zu entnehmen, dass sie sich im Wesentlichen im Jahr 1979 in ärztlicher Behandlung befunden habe und dann erst wieder etwa ab 1990.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2005 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, weil nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen ist, dass bei der Klägerin spätestens zum Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen am 31.3.1985 der Leistungsfall einer verminderten Erwerbsfähigkeit eingetreten ist und fortbestanden hat.

Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung und der Begründung der streitgegenständlichen Bescheide folgend als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).

Nachdem das Sozialamt der Landeshauptstadt Stuttgart der Beklagten bereits zum damaligen Zeitpunkt keine weiteren - insbesondere ärztlichen - Unterlagen über die Klägerin vorlegen konnte und für das vorliegende Verfahren keine wirksame Schweigepflichtentbindungserklärung vorliegt, sodass der Senat daran gehindert gewesen ist, beispielsweise gegebenenfalls bei der Arbeitsverwaltung vorliegende arbeitsamtsärztliche Gutachten oder gerichtliche Vorakten mit darin enthaltenen ärztlichen Äußerungen (im Hinblick auf Blatt 136 Rückseite der Rentenakten) bzw. entsprechende Behördenunterlagen (z. B. bei einer bestimmten Krankenkasse) beizuziehen, waren dem Senat weitere medizinische Ermittlungen (z. B. die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens - wegen des in der Vergangenheit nachzuweisenden Leistungsfalls - nach Aktenlage) verwehrt. Dem Vortrag der Klägerin folgend (wegen der Einzelheiten Blatt 15/16 der LSG-Akte) dürften allerdings ärztliche Behandlungsunterlagen gerade aus der Zeit der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Jahr 1985 ohnehin nicht vorliegen, vielmehr dürfte die Klägerin danach im Wesentlichen im Jahr 1979 und dann erst wieder ab 1990 ärztliche Behandlungen in Anspruch genommen haben. Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht der damit übereinstimmende Vortrag der Klägerin im Klageverfahren, wonach sie zum Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch nicht erwerbsgemindert und kaum in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Zureichende Ermittlungsansätze bestehen daher ohnehin nicht. Es hat somit im Ergebnis bei der vom SG zutreffend vorgenommenen Würdigung zu verbleiben. Die Nichterweislichkeit geht nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin.

Indes stellt ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme eines bereits im März 1985 eingetretenen und in der Folgezeit nicht wieder entfallenen Leistungsfalls in der Tat der Umstand dar, dass die Klägerin von 1987 bis 1995 ihre zunehmend an Demenz erkrankte Mutter gepflegt hat. Damit wird ein quantitatives und qualitatives Leistungsvermögen unter Beweis gestellt, welches erfahrungsgemäß jedenfalls auch zur Durchführung einer sechsstündigen, körperlich leichten und unbenannten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf die es hier maßgebend ankommt, ausreichte. Auch der Senat folgt insoweit im Ergebnis der schlüssigen und nachvollziehbaren Einschätzung des Nervenarztes S ... Dementsprechend ist dem klägerischen Vortrag auch immer wieder zu entnehmen, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt noch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorgelegen habe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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