Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 575/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 B 776/05 AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.11.2005 aufgehoben.
II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
III. Der Antragstellerin wird für das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr Rechtsanwalt G. G. (N.) beigeordnet. Ratenzahlungen hat die Antragstellerin nicht zu erbringen.
Gründe:
I.
Die polnische Staatsangehörige (ASt) erhob am 16.08.2004 gegen die Verweigerung einer Arbeitsberechtigung (AB) durch die Antragsgegnerin (Ag) Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) - Az: S 8 AL 780/04. In der mündlichen Verhandlung vom 15.06.2005 verkündete das SG das Urteil, mit dem die Ag unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide ab 07.05.2004 zur Erteilung einer AB verurteilt wurde. Lt. Niederschrift teilte der Kammervorsitzende den wesentlichen Inhalt der Urteilsgründe mit. Auf Antrag wurde den Prozessbevollmächtigten der ASt die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 15.06.2005 am 27.07.2005 vorab zugesandt. Das schriftliche Urteil wurde der Ag am 16.09.2005 und den Prozessbevollmächtigten der ASt am 20.09.2005 zugestellt.
Am 15.09.2005 beantragte die ASt bis zur Rechtskraft des Urteils vom 15.06.2005 beim SG gemäß § 86b Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das SG sei als Hauptsachegericht für den Antrag zuständig. Trotz Verurteilung und Übersendung der Sitzungsniederschrift vom 15.06.2005 weigere sich die Ag, die AB zu erteilen. Es sei ihr nicht zuzumuten, den Ausgang eines eventuellen Berufungs- und Revisionsverfahrens abzuwarten. Gleichzeitig beantragte die ASt für das Antragsverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).
Mit Schreiben vom 22.09.2005 - beim SG eingegangen am 26.09.2005 - erklärte sich die Ag bereit, das Urteil vom 15.06.2005 zu vollziehen. Berufung werde nicht eingelegt. Sie beantragte, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen und zu entscheiden, dass Kosten nicht zu erstatten seien. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entbehre jeder Grundlage, denn zum Zeitpunkt der Antragstellung habe das SG bereits in der Hauptsache entschieden.
Die ASt erklärte am 07.10.2005 den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz für erledigt und beantragte, der Ag die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Erst nach dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz habe ihr die Ag am 27.09.2005 für die Dauer des Rechtsstreits eine AB ausgestellt. Allein durch diesen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz sei die Ag veranlasst worden, ihr die AB - wenngleich nur vorläufig - zu erteilen. Die schriftlichen Urteilsgründe seien hierfür nicht maßgebend gewesen.
Mit Beschluss vom 17.11.2005 hat das SG entschieden, dass die Ag der ASt außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten habe. Den Antrag der ASt auf Gewährung von PKH lehnte es ab. Zur Begründung führte das SG aus, es fehle für das Antragsverfahren an seiner Zuständigkeit, denn das Hauptsacheverfahren sei im Zeitpunkt der Antragstellung auf vorläufigen Rechtsschutz bei ihm nicht mehr anhängig gewesen. Der Antrag vom 15.09.2005 hätte daher als unzulässig abgewiesen werden müssen. Darüber hinaus habe die Ag keinen Anlass für den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegeben, denn diese habe die schriftlichen Urteilsgründe abwarten dürfen. Mangels hinreichender Erfolgsaussicht habe daher auch der PKH-Antrag abgelehnt werden müssen.
Dagegen hat die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt. Das SG hätte seine Zuständigkeit als Gericht der Hauptsache im ersten Rechtszug gemäß § 86b Abs 2 Satz 3 SGG bejahen müssen. Es bestehe auch ein Bedürfnis, den Anspruch auf Zugang zum Arbeitsmarkt im Zeitraum zwischen Erlass des Urteils und einer möglichen Rechtsmitteleinlegung vorläufig durchzusetzen. Selbst im Falle seiner Unzuständigkeit hätte das SG den Antrag nicht als unzulässig abweisen dürfen, sondern an das zuständige Gericht verweisen müssen. Es könne ferner keine Rede davon sein, dass die Ag keinen Anlass für den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegeben habe. Diese habe sich seit Verkündung des Urteils (15.06.2005) und in Kenntnis der mündlichen Urteilsgründe grundlos geweigert, ihr wenigstens vorläufig die bereits zugesprochene AB zu erteilen. Erst nach dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 15.09.2005 habe die Ag am 27.09.2005 eine AB ausgestellt, die inhaltlich vollkommen ihrem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gestellten Antrag entsprochen habe. So sei die AB nicht - wie im Tenor des Urteils vom 15.06.2005 festgelegt - ab 07.05.2004, sondern erst ab 27.09.2005 erteilt worden. Außerdem habe sie den Zusatz enthalten, dass die AB zunächst nur für die Dauer des Rechtsstreits gelten solle und wegfalle, wenn das Urteil im Rechtsmittelverfahren keinen Bestand habe. Dieser Bedingung habe man entnehmen müssen, dass sich die Ag eine Berufungseinlegung weiterhin offen gelassen habe. Erst am 31.10.2005 habe die Ag die AB nach Maßgabe des Urteils vom 15.06.2005 ab 07.05.2004 erteilt.
Die ASt beantragt sinngemäß, den Beschluss des SG Nürnberg vom 17.11.2005 aufzuheben, der Ag die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens aufzuerlegen und ihr für das Antragsverfahren PKH unter Beiordnung des Rechtsanwalts G. G. (N.) zu gewähren.
Die Ag beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung des Kammervorsitzenden vom 23.12.2005) und diese dem BayLSG zur Entscheidung vorgelegt (§ 174 SGG).
II.
Die form- und fristgerecht (§ 172, 173 SGG) eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Ag hat der ASt die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
Wenn das gerichtliche Verfahren anders als durch Urteil endet, hat das Gericht nach § 193 Abs 1 SGG auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Nach welchen Kriterien sich eine solche Kostenentscheidung zu richten hat, ist im SGG nicht näher bestimmt. Nach herrschender Meinung ist jedoch nach sachgemäßem Ermessen zu entscheiden, wobei der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Erledigung zu berücksichtigen ist (Meyer-Ladewig/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 193 Rdnr 12 ff, 13). Danach ist in erster Linie die Erfolgsaussicht zum Zeitpunkt der Erledigung entscheidend (Rechtsgedanke des § 91a Zivilprozessordnung -ZPO-). Bei Klagerücknahme kann es für die Kostenentscheidung darauf ankommen, ob der Kläger aus freien Stücken auf die Weiterführung des Rechtsstreits verzichtet hat oder ob die Beklagte durch Erfüllung des Klagebegehrens die Erledigung herbeigeführt hat (Meyer-Ladewig aaO Rdnr 13b). Die einseitige Erledigungserklärung führt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im sozialgerichtlichen Verfahren anders als im Zivil- und Verwaltungsprozess zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Zumindest dann, wenn entweder der Kläger oder der Beklagte zum Kreis des § 183 SGG gehören, ist eine einseitige Erledigungserklärung wie eine Klagerücknahme mit der Kostenfolge nach §§ 103 Satz 3, 193 Abs 1 Satz 3 SGG anzusehen (BSG Beschluss vom 29.12.2005 - B 7a AL 192/05 B -).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in Ziffer I. des Tenors, denn die Ag hat der ASt die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wäre für die ASt voraussichtlich erfolgreich gewesen.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Vornahmesachen ist § 86b Abs 1 SGG, der mit Wirkung zum 02.01.2002 in das SGG eingefügt wurde (Art 1 Nr 35, Art 19 Satz 3 des 6.Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes - 6.SGG-ÄndG - vom 17.08.2001 - BGBl I S 2144). Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Vorliegend begehrte die ASt eine solche Regelungsanordnung, denn sie begehrte etwas, was ihr von der Ag bestritten wurde, nämlich die Erteilung einer AB.
Entgegen der Ansicht des SG wäre dieses für die Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung zuständig gewesen.
Zwar hat das SG bei der Abfassung des Urteils vom 15.06.2005 § 134 Abs 2 Satz 1 SGG nicht beachtet. Nach dieser Bestimmung soll das Urteil vor Ablauf eines Monats vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle übergeben werden. Vorliegend erfolgte die Übergabe an die Geschäftsstelle erst am 14.09.2005. Dieser Verstoß gegen die Sollvorschrift des § 134 Abs 2 Satz 1 SGG ist jedoch unschädlich. Die vom Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes festgelegte Fünfmonatsfrist hat das SG jedenfalls eingehalten (vgl. GemS NJW 93, 2603).
Das SG blieb als Gericht des ersten Rechtszugs weiterhin das Gericht der Hauptsache im Sinne § 86b Abs 2 Satz 1, 3 SGG. Damit blieb es für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig bis zur Einlegung einer eventuellen Berufung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b Rdnr 37).
Auch kann davon ausgegangen werden, dass ein Anordnungsanspruch vorgelegen hat. Insoweit ist auf die mit Urteil vom 15.06.2005 erfolgte Verurteilung der Beklagten zur Erteilung einer AB für die ASt ab 07.05.2004 zu verweisen.
Der ASt stand aber auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Bei einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit zur Abwehr wesentlicher Nachteile. Dieser fehlte nicht bereits deshalb, weil das Urteil vom 15.06.2005 schon verkündet war. Die ASt hätte nämlich aus diesem Urteil nicht vollstrecken können (Keller aaO § 86b Rdrn 27a, LSG Niedersachsen-Bremen NZJ 2002, 672). Unabhängig davon, dass noch nicht klar war, ob das Urteil mit Berufung angefochten werden sollte (Leitherer aaO § 199 Rdnr 3a), fehlte es auch an der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils (Leitherer aaO § 199 Rdnr 4).
Die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr wesentlicher Nachteile hat die ASt damit begründet, dass es ihr trotz eines der Klage stattgebenden Urteils nicht möglich sei, eine reguläre Beschäftigung als Arbeitnehmerin aufzunehmen und sie daher darauf angewiesen sei, ihren Lebensunterhalt durch freiberufliche Gelegenheitstätigkeiten im Rahmen der für Studenten zulässigen Höchstbeschäftigungszeiten sicherzustellen. Die angesichts des bevorstehenden Endes der Semesterferien und des Beginns des Wintersemesters nunmehr dringend erforderliche Suche einer regulären Beschäftigung zur Finanzierung ihres Studiums werde ihr durch das Verhalten der Ag erheblich erschwert bzw. unmöglich gemacht. Im Hinblick darauf, dass der Anspruch auf Erteilung einer AB vom SG im Urteil vom 15.06.2005 bereits festgestellt worden sei, sei es ihr nicht mehr zuzumuten, auf unbestimmte Zeit, ggf. auch für die Dauer eines folgenden Berufungs- und Revisionsverfahrens, weiterhin den arbeitsgenehmigungsrechtlichen Beschränkungen unterworfen zu sein, gegen die sich ihre erfolgreiche Klage im Hauptsacheverfahren gerade gerichtet habe.
Eine Folgenabwägung wie sie bei einem noch offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens hätte vorgenommen werden müssen (Keller aaO Rdnr 29a), konnte angesichts des bereits verkündeten Urteils entfallen. Zweck des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz war es, die Zeit bis zur Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils zu überbrücken. Dieser Zeitraum umfasste die Zeit bis zur Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe, der Zustellung des schriftlichen Urteils sowie eines eventuellen Berufungs- und Revisionsverfahrens. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wäre daher zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts unter Berücksichtigung der bestehenden Sach- und Rechtslage wahrscheinlich für die ASt posititv entschieden worden. Dies zeigt auch die am 27.09.2005 erfolgte Ausstellung einer AB durch die Ag für die Dauer des Rechtsstreits. Die Ag hat daher der ASt die Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
Aus den genannten Gründen ist der ASt für das Antragsverfahren auch PKH unter Beiordnung des Rechtsanwalts G.G. (N.) zu bewilligen. Die hierfür erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO) lag vor. Auch kann unter Zugrundelegung der Angaben der ASt zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen von Bedürftigkeit (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 115 ZPO) ausgegangen werden. Bei den vorliegenden wirtschaftlichen Verhältnissen sind Ratenzahlungen nicht zu erbringen.
Auf die Beschwerde der ASt ist daher der Beschluss des SG Nürnberg vom 17.11.2005 aufzuheben. Der Ag sind die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens aufzuerlegen und der ASt für das Antragsverfahren PKH unter Beiordnung des Rechtsanwalts G.G. (N.) zu gewähren.
Die Entscheidung ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
III. Der Antragstellerin wird für das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr Rechtsanwalt G. G. (N.) beigeordnet. Ratenzahlungen hat die Antragstellerin nicht zu erbringen.
Gründe:
I.
Die polnische Staatsangehörige (ASt) erhob am 16.08.2004 gegen die Verweigerung einer Arbeitsberechtigung (AB) durch die Antragsgegnerin (Ag) Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) - Az: S 8 AL 780/04. In der mündlichen Verhandlung vom 15.06.2005 verkündete das SG das Urteil, mit dem die Ag unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide ab 07.05.2004 zur Erteilung einer AB verurteilt wurde. Lt. Niederschrift teilte der Kammervorsitzende den wesentlichen Inhalt der Urteilsgründe mit. Auf Antrag wurde den Prozessbevollmächtigten der ASt die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 15.06.2005 am 27.07.2005 vorab zugesandt. Das schriftliche Urteil wurde der Ag am 16.09.2005 und den Prozessbevollmächtigten der ASt am 20.09.2005 zugestellt.
Am 15.09.2005 beantragte die ASt bis zur Rechtskraft des Urteils vom 15.06.2005 beim SG gemäß § 86b Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das SG sei als Hauptsachegericht für den Antrag zuständig. Trotz Verurteilung und Übersendung der Sitzungsniederschrift vom 15.06.2005 weigere sich die Ag, die AB zu erteilen. Es sei ihr nicht zuzumuten, den Ausgang eines eventuellen Berufungs- und Revisionsverfahrens abzuwarten. Gleichzeitig beantragte die ASt für das Antragsverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).
Mit Schreiben vom 22.09.2005 - beim SG eingegangen am 26.09.2005 - erklärte sich die Ag bereit, das Urteil vom 15.06.2005 zu vollziehen. Berufung werde nicht eingelegt. Sie beantragte, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen und zu entscheiden, dass Kosten nicht zu erstatten seien. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entbehre jeder Grundlage, denn zum Zeitpunkt der Antragstellung habe das SG bereits in der Hauptsache entschieden.
Die ASt erklärte am 07.10.2005 den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz für erledigt und beantragte, der Ag die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Erst nach dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz habe ihr die Ag am 27.09.2005 für die Dauer des Rechtsstreits eine AB ausgestellt. Allein durch diesen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz sei die Ag veranlasst worden, ihr die AB - wenngleich nur vorläufig - zu erteilen. Die schriftlichen Urteilsgründe seien hierfür nicht maßgebend gewesen.
Mit Beschluss vom 17.11.2005 hat das SG entschieden, dass die Ag der ASt außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten habe. Den Antrag der ASt auf Gewährung von PKH lehnte es ab. Zur Begründung führte das SG aus, es fehle für das Antragsverfahren an seiner Zuständigkeit, denn das Hauptsacheverfahren sei im Zeitpunkt der Antragstellung auf vorläufigen Rechtsschutz bei ihm nicht mehr anhängig gewesen. Der Antrag vom 15.09.2005 hätte daher als unzulässig abgewiesen werden müssen. Darüber hinaus habe die Ag keinen Anlass für den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegeben, denn diese habe die schriftlichen Urteilsgründe abwarten dürfen. Mangels hinreichender Erfolgsaussicht habe daher auch der PKH-Antrag abgelehnt werden müssen.
Dagegen hat die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt. Das SG hätte seine Zuständigkeit als Gericht der Hauptsache im ersten Rechtszug gemäß § 86b Abs 2 Satz 3 SGG bejahen müssen. Es bestehe auch ein Bedürfnis, den Anspruch auf Zugang zum Arbeitsmarkt im Zeitraum zwischen Erlass des Urteils und einer möglichen Rechtsmitteleinlegung vorläufig durchzusetzen. Selbst im Falle seiner Unzuständigkeit hätte das SG den Antrag nicht als unzulässig abweisen dürfen, sondern an das zuständige Gericht verweisen müssen. Es könne ferner keine Rede davon sein, dass die Ag keinen Anlass für den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegeben habe. Diese habe sich seit Verkündung des Urteils (15.06.2005) und in Kenntnis der mündlichen Urteilsgründe grundlos geweigert, ihr wenigstens vorläufig die bereits zugesprochene AB zu erteilen. Erst nach dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 15.09.2005 habe die Ag am 27.09.2005 eine AB ausgestellt, die inhaltlich vollkommen ihrem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gestellten Antrag entsprochen habe. So sei die AB nicht - wie im Tenor des Urteils vom 15.06.2005 festgelegt - ab 07.05.2004, sondern erst ab 27.09.2005 erteilt worden. Außerdem habe sie den Zusatz enthalten, dass die AB zunächst nur für die Dauer des Rechtsstreits gelten solle und wegfalle, wenn das Urteil im Rechtsmittelverfahren keinen Bestand habe. Dieser Bedingung habe man entnehmen müssen, dass sich die Ag eine Berufungseinlegung weiterhin offen gelassen habe. Erst am 31.10.2005 habe die Ag die AB nach Maßgabe des Urteils vom 15.06.2005 ab 07.05.2004 erteilt.
Die ASt beantragt sinngemäß, den Beschluss des SG Nürnberg vom 17.11.2005 aufzuheben, der Ag die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens aufzuerlegen und ihr für das Antragsverfahren PKH unter Beiordnung des Rechtsanwalts G. G. (N.) zu gewähren.
Die Ag beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung des Kammervorsitzenden vom 23.12.2005) und diese dem BayLSG zur Entscheidung vorgelegt (§ 174 SGG).
II.
Die form- und fristgerecht (§ 172, 173 SGG) eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Ag hat der ASt die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
Wenn das gerichtliche Verfahren anders als durch Urteil endet, hat das Gericht nach § 193 Abs 1 SGG auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Nach welchen Kriterien sich eine solche Kostenentscheidung zu richten hat, ist im SGG nicht näher bestimmt. Nach herrschender Meinung ist jedoch nach sachgemäßem Ermessen zu entscheiden, wobei der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Erledigung zu berücksichtigen ist (Meyer-Ladewig/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 193 Rdnr 12 ff, 13). Danach ist in erster Linie die Erfolgsaussicht zum Zeitpunkt der Erledigung entscheidend (Rechtsgedanke des § 91a Zivilprozessordnung -ZPO-). Bei Klagerücknahme kann es für die Kostenentscheidung darauf ankommen, ob der Kläger aus freien Stücken auf die Weiterführung des Rechtsstreits verzichtet hat oder ob die Beklagte durch Erfüllung des Klagebegehrens die Erledigung herbeigeführt hat (Meyer-Ladewig aaO Rdnr 13b). Die einseitige Erledigungserklärung führt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im sozialgerichtlichen Verfahren anders als im Zivil- und Verwaltungsprozess zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Zumindest dann, wenn entweder der Kläger oder der Beklagte zum Kreis des § 183 SGG gehören, ist eine einseitige Erledigungserklärung wie eine Klagerücknahme mit der Kostenfolge nach §§ 103 Satz 3, 193 Abs 1 Satz 3 SGG anzusehen (BSG Beschluss vom 29.12.2005 - B 7a AL 192/05 B -).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in Ziffer I. des Tenors, denn die Ag hat der ASt die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wäre für die ASt voraussichtlich erfolgreich gewesen.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Vornahmesachen ist § 86b Abs 1 SGG, der mit Wirkung zum 02.01.2002 in das SGG eingefügt wurde (Art 1 Nr 35, Art 19 Satz 3 des 6.Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes - 6.SGG-ÄndG - vom 17.08.2001 - BGBl I S 2144). Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Vorliegend begehrte die ASt eine solche Regelungsanordnung, denn sie begehrte etwas, was ihr von der Ag bestritten wurde, nämlich die Erteilung einer AB.
Entgegen der Ansicht des SG wäre dieses für die Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung zuständig gewesen.
Zwar hat das SG bei der Abfassung des Urteils vom 15.06.2005 § 134 Abs 2 Satz 1 SGG nicht beachtet. Nach dieser Bestimmung soll das Urteil vor Ablauf eines Monats vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle übergeben werden. Vorliegend erfolgte die Übergabe an die Geschäftsstelle erst am 14.09.2005. Dieser Verstoß gegen die Sollvorschrift des § 134 Abs 2 Satz 1 SGG ist jedoch unschädlich. Die vom Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes festgelegte Fünfmonatsfrist hat das SG jedenfalls eingehalten (vgl. GemS NJW 93, 2603).
Das SG blieb als Gericht des ersten Rechtszugs weiterhin das Gericht der Hauptsache im Sinne § 86b Abs 2 Satz 1, 3 SGG. Damit blieb es für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig bis zur Einlegung einer eventuellen Berufung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b Rdnr 37).
Auch kann davon ausgegangen werden, dass ein Anordnungsanspruch vorgelegen hat. Insoweit ist auf die mit Urteil vom 15.06.2005 erfolgte Verurteilung der Beklagten zur Erteilung einer AB für die ASt ab 07.05.2004 zu verweisen.
Der ASt stand aber auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Bei einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit zur Abwehr wesentlicher Nachteile. Dieser fehlte nicht bereits deshalb, weil das Urteil vom 15.06.2005 schon verkündet war. Die ASt hätte nämlich aus diesem Urteil nicht vollstrecken können (Keller aaO § 86b Rdrn 27a, LSG Niedersachsen-Bremen NZJ 2002, 672). Unabhängig davon, dass noch nicht klar war, ob das Urteil mit Berufung angefochten werden sollte (Leitherer aaO § 199 Rdnr 3a), fehlte es auch an der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils (Leitherer aaO § 199 Rdnr 4).
Die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr wesentlicher Nachteile hat die ASt damit begründet, dass es ihr trotz eines der Klage stattgebenden Urteils nicht möglich sei, eine reguläre Beschäftigung als Arbeitnehmerin aufzunehmen und sie daher darauf angewiesen sei, ihren Lebensunterhalt durch freiberufliche Gelegenheitstätigkeiten im Rahmen der für Studenten zulässigen Höchstbeschäftigungszeiten sicherzustellen. Die angesichts des bevorstehenden Endes der Semesterferien und des Beginns des Wintersemesters nunmehr dringend erforderliche Suche einer regulären Beschäftigung zur Finanzierung ihres Studiums werde ihr durch das Verhalten der Ag erheblich erschwert bzw. unmöglich gemacht. Im Hinblick darauf, dass der Anspruch auf Erteilung einer AB vom SG im Urteil vom 15.06.2005 bereits festgestellt worden sei, sei es ihr nicht mehr zuzumuten, auf unbestimmte Zeit, ggf. auch für die Dauer eines folgenden Berufungs- und Revisionsverfahrens, weiterhin den arbeitsgenehmigungsrechtlichen Beschränkungen unterworfen zu sein, gegen die sich ihre erfolgreiche Klage im Hauptsacheverfahren gerade gerichtet habe.
Eine Folgenabwägung wie sie bei einem noch offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens hätte vorgenommen werden müssen (Keller aaO Rdnr 29a), konnte angesichts des bereits verkündeten Urteils entfallen. Zweck des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz war es, die Zeit bis zur Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils zu überbrücken. Dieser Zeitraum umfasste die Zeit bis zur Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe, der Zustellung des schriftlichen Urteils sowie eines eventuellen Berufungs- und Revisionsverfahrens. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wäre daher zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts unter Berücksichtigung der bestehenden Sach- und Rechtslage wahrscheinlich für die ASt posititv entschieden worden. Dies zeigt auch die am 27.09.2005 erfolgte Ausstellung einer AB durch die Ag für die Dauer des Rechtsstreits. Die Ag hat daher der ASt die Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
Aus den genannten Gründen ist der ASt für das Antragsverfahren auch PKH unter Beiordnung des Rechtsanwalts G.G. (N.) zu bewilligen. Die hierfür erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO) lag vor. Auch kann unter Zugrundelegung der Angaben der ASt zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen von Bedürftigkeit (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 115 ZPO) ausgegangen werden. Bei den vorliegenden wirtschaftlichen Verhältnissen sind Ratenzahlungen nicht zu erbringen.
Auf die Beschwerde der ASt ist daher der Beschluss des SG Nürnberg vom 17.11.2005 aufzuheben. Der Ag sind die außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens aufzuerlegen und der ASt für das Antragsverfahren PKH unter Beiordnung des Rechtsanwalts G.G. (N.) zu gewähren.
Die Entscheidung ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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