Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AS 34/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 08.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2006 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 einen Mehrbedarfszuschlag wegen Alleinerziehung zu bewilligen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag für allein Erziehende hat.
Die 1958 geborene Klägerin beantragte am 18.10.2004 Leistungen nach dem SGB II. In dem Antragsformular gab sie an, dass sie allein erziehend sei und in ihrem Haushalt zudem die Söhne R. N. (geboren 1984) und S. N. (geboren 1990) wohnen würden. Aufgrund des Antrags wurden der Klägerin durch die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 bewilligt. Obwohl aktenkundig ein Anspruch auf einen Mehrbedarf für allein erziehende Hilfebedürftige vorlag, wurde dieser fälschlicherweise nicht in die Bewilligung eingeschlossen.
Mit Schriftsatz vom 07.11.2005 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, dass sie für ihr Kind S. einen Anspruch auf Alleinerziehendenzuschlag nach § 21 Absatz 3 Nr. 2 SGB II habe. Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin rückwirkend ab dem 01.07.2005 einen Mehrbedarf für allein Erziehende.
Mit weiterem Schriftsatz vom 14.11.2005 beantragte die Klägerin sodann die rückwirkende Auszahlung des Alleinerziehendenzuschlags auch für die Monate Januar bis Juni 2005.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.12.2005 lehnte die Beklagte die rückwirkende Auszahlung ab und führte hierzu unter anderem aus, dass sich aus der Vorschrift des § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB II herleiten lasse, dass der bisherige Grundsatz der Sozialhilfe, wonach keine Leistungen für die Vergangenheit erbracht würden, anzuwenden sei. Nach dieser Vorschrift würden Leistungen erst ab Antragstellung und nicht rückwirkend bewilligt. Daraus folge, dass der § 44 SGB X hinsichtlich der Bewilligung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II keine Anwendung finden könne.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2006 zurück und begründete dies ergänzend damit, dass das in der Sozialhilfe anerkannte Bedarfsdeckungsprinzip auf das SGB II übertragen worden sei. Danach erfolge die weitergehende Pauschalisierung der Regelleistungen des Alg II und des Sozialgeldes unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes. Auch die Tatsache, dass das SGB II hierzu keine Ausführungen enthalte, ändere nichts daran, dass sich auch die neue Leistung Alg II im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende am Bedarfsdeckungsgrundsatz messen lassen müsse. Da es unterhalb des SGB II kein Auffangnetz der Sozialhilfe mehr gebe, müsse das SGB II selbst armutsfest sein. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz leite sich ab aus der Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde (Artikel 1 Absatz 1 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 1 GG). Nach diesen Verfassungsnormen sei der Staat verpflichtet, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein, erforderlichenfalls durch Sozialleistungen, zu sichern. Dies gehöre zu den unabänderlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Auch aus der Vorschrift des § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB II sei herzuleiten, dass der bisherige Grundsatz der Sozialhilfe, wonach keine Leistungen für die Vergangenheit erbracht würden, anzuwenden sei. Nach dieser Vorschrift würden Leistungen erst ab
Antragstellung und nicht rückwirkend bewilligt. Daraus folge, dass § 44 SGB X hinsichtlich der Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II keine Anwendung finden könne.
Hiergegen richtet sich die am 24.02.2006 erhobene Klage, mit der die Klägerin weiterhin die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlags wegen Alleinerziehung für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 begehrt.
Sie trägt hierzu vor, die Beklagte habe es versäumt, den Alleinerziehendenzuschlag zu bewilligen. Aus diesem Grund habe sie dies mit Schreiben vom 07.11.2005 gegenüber der Beklagten moniert. Daraufhin habe die Beklagte rückwirkend ab dem 01.07.2005 den Mehrbedarf für allein Erziehende ab 01.07.2005 bewilligt, da der Antrag offensichtlich in dem laufenden Bewilligungsabschnitt von Juli bis November 2005 gestellt worden sei. Sie habe sich jedoch zu Unrecht geweigert, den Mehrbedarfszuschlag ab Januar 2005 zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei § 44 SGB X nämlich auch im SGB II anwendbar. Da das SGB II ein Teil der Sozialgesetzbücher sei, müsse § 44 SGB X auch auf dieses Gesetz anwendbar sein. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu der Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Rahmen des ehemaligen BSHG spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle. Sie habe deshalb Anspruch auf eine rückwirkende Zahlung von 41,00 EUR für 6 Monate.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2006 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 einen Mehrbedarfszuschlag wegen Alleinerziehung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass § 44 SGB X im SGB II nicht anzuwenden sei und verweist insoweit auf die Ausführungen im Bescheid vom 08.12.2005 sowie im Widerspruchsbescheid vom 27.01.2006.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den in der Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 08.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2006 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 54 Absatz 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, den Bewilligungsbescheid, der dem Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 zugrunde lag, abzuändern und zusätzlich einen Mehrbedarf wegen Alleinerziehung zu bewilligen.
Die Voraussetzungen des § 44 Absatz 1 SGB X sind insoweit erfüllt.
Die Vorschrift ist auch entgegen der Auffassung der Beklagten im SGB II anwendbar. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht (BverwG) entschieden (vgl. BverwGE 68, 285), dass § 44 SGB X auf das Leistungsrecht des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) nicht anwendbar ist. Dies ist damit begründet worden, dass nach dem BSHG Sozialhilfe Nothilfe ist und ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen grundsätzlich einen gegenwärtigen Bedarf voraussetzt, so dass grundsätzlich kein Anspruch auf Hilfe für die Vergangenheit besteht. Im SGB II ist demgegenüber jedenfalls § 40 Absatz 1 SGB II zu beachten. Diese Vorschrift bestimmt in seinem Satz 1, dass -was wegen § 1 Satz 2 SGB X bei Ausführung des SGB II durch Arbeitsgemeinschaften besonders geregelt werden musste- für das Verfahren nach dem SGB II das SGB X gilt. In Satz 2 Nr. 1 dieser Vorschrift wird außerdem § 330 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) für entsprechend anwendbar erklärt. Dies hat zur Folge, dass für die Fälle der nachträglichen Unvereinbarkeit einer Rechtsnorm mit dem Grundgesetz (GG) durch das Bundesverfassungsgericht (BverfG) oder einer anderweitigen Auslegung in ständiger Rechtsprechung § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X nur mit einer Modifizierung anzuwenden ist. Aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben dürfte außer Frage stehen, dass § 44 Absatz 1 Satz 2 SGB X grundsätzlich auch für das regelmäßig für 6 Monate im Voraus zu bewilligende Alg II gelten soll (ebenso Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 40 Randzeichen 3f; Conradis in LPK-SGB II § 40 Randzeichen 4). Der von der Beklagten angeführte Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" wurde wesentlich bestimmt durch den den Bedarfsdeckungsgrundsatz konkretisierenden Individualisierungsgrundsatz (Berlitinfo also 2003, 195, 203). Mit dem SGB XII hat das Sozialhilferecht jedoch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ein Paradigmenwechsel erlebt (Rothkegel zfSh/SGB 2003, 643 ff.; Bundestagsdrucksache 15/1514, S 1 und S 52), in dem der Individualisierungsgrundsatz durch die Pauschalisierung von Leistungen (siehe Bundestagsdrucksache 15/1514, S 1 und S 49 zu § 29) weitgehend aufgeweicht wurde. Durch diese Pauschalierungen ist der Bedürftige gezwungen, vergangenheits- und zukunftsorientiert zu haushalten. Dem widerspräche es, Hilfe zum Lebensunterhalt für die Vergangenheit unter Ausschluss des § 44 SGB X zu verweigern und ihr einen Dauercharakter abzusprechen.
Nach § 44 SGB X ist ein eine Sozialleistung ablehnender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Diese Bestimmung ermöglicht damit ein Abweichen von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte.
Der dem Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 zugrunde liegende Bewilligungsbescheid ist insofern zu beanstanden, als ein Mehrbedarf nach § 21 Absatz 3 Nr. 2 SGB II für das 15-jährige Kind S. nicht berücksichtigt wurde. Nach dieser Vorschrift ist ein Mehrbedarf in Höhe von 12 vom Hundert der nach § 20 Absatz 2 SGB II maßgebenden Regelleistung für jedes Kind anzuerkennen bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen. Dass die allein erziehende Klägerin unter Berücksichtigung ihres 15-jährigen Kindes S. die Voraussetzungen erfüllt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig, was sich auch darin dokumentiert, dass die Beklagte den Mehrbedarf für allein Erziehende ab 01.07.2005 anerkannt hat.
Liegen mithin die Voraussetzungen des § 44 Absatz 1 SGB X vor, hat die Beklagte den den Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 betreffenden Bewilligungsbescheid abzuändern und auch für diesen Zeitraum einen Mehrbedarf für die Alleinerziehung zu gewähren.
Bei alledem war der Klage in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag für allein Erziehende hat.
Die 1958 geborene Klägerin beantragte am 18.10.2004 Leistungen nach dem SGB II. In dem Antragsformular gab sie an, dass sie allein erziehend sei und in ihrem Haushalt zudem die Söhne R. N. (geboren 1984) und S. N. (geboren 1990) wohnen würden. Aufgrund des Antrags wurden der Klägerin durch die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 bewilligt. Obwohl aktenkundig ein Anspruch auf einen Mehrbedarf für allein erziehende Hilfebedürftige vorlag, wurde dieser fälschlicherweise nicht in die Bewilligung eingeschlossen.
Mit Schriftsatz vom 07.11.2005 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, dass sie für ihr Kind S. einen Anspruch auf Alleinerziehendenzuschlag nach § 21 Absatz 3 Nr. 2 SGB II habe. Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin rückwirkend ab dem 01.07.2005 einen Mehrbedarf für allein Erziehende.
Mit weiterem Schriftsatz vom 14.11.2005 beantragte die Klägerin sodann die rückwirkende Auszahlung des Alleinerziehendenzuschlags auch für die Monate Januar bis Juni 2005.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.12.2005 lehnte die Beklagte die rückwirkende Auszahlung ab und führte hierzu unter anderem aus, dass sich aus der Vorschrift des § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB II herleiten lasse, dass der bisherige Grundsatz der Sozialhilfe, wonach keine Leistungen für die Vergangenheit erbracht würden, anzuwenden sei. Nach dieser Vorschrift würden Leistungen erst ab Antragstellung und nicht rückwirkend bewilligt. Daraus folge, dass der § 44 SGB X hinsichtlich der Bewilligung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II keine Anwendung finden könne.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2006 zurück und begründete dies ergänzend damit, dass das in der Sozialhilfe anerkannte Bedarfsdeckungsprinzip auf das SGB II übertragen worden sei. Danach erfolge die weitergehende Pauschalisierung der Regelleistungen des Alg II und des Sozialgeldes unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes. Auch die Tatsache, dass das SGB II hierzu keine Ausführungen enthalte, ändere nichts daran, dass sich auch die neue Leistung Alg II im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende am Bedarfsdeckungsgrundsatz messen lassen müsse. Da es unterhalb des SGB II kein Auffangnetz der Sozialhilfe mehr gebe, müsse das SGB II selbst armutsfest sein. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz leite sich ab aus der Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde (Artikel 1 Absatz 1 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 1 GG). Nach diesen Verfassungsnormen sei der Staat verpflichtet, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein, erforderlichenfalls durch Sozialleistungen, zu sichern. Dies gehöre zu den unabänderlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Auch aus der Vorschrift des § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB II sei herzuleiten, dass der bisherige Grundsatz der Sozialhilfe, wonach keine Leistungen für die Vergangenheit erbracht würden, anzuwenden sei. Nach dieser Vorschrift würden Leistungen erst ab
Antragstellung und nicht rückwirkend bewilligt. Daraus folge, dass § 44 SGB X hinsichtlich der Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II keine Anwendung finden könne.
Hiergegen richtet sich die am 24.02.2006 erhobene Klage, mit der die Klägerin weiterhin die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlags wegen Alleinerziehung für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 begehrt.
Sie trägt hierzu vor, die Beklagte habe es versäumt, den Alleinerziehendenzuschlag zu bewilligen. Aus diesem Grund habe sie dies mit Schreiben vom 07.11.2005 gegenüber der Beklagten moniert. Daraufhin habe die Beklagte rückwirkend ab dem 01.07.2005 den Mehrbedarf für allein Erziehende ab 01.07.2005 bewilligt, da der Antrag offensichtlich in dem laufenden Bewilligungsabschnitt von Juli bis November 2005 gestellt worden sei. Sie habe sich jedoch zu Unrecht geweigert, den Mehrbedarfszuschlag ab Januar 2005 zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei § 44 SGB X nämlich auch im SGB II anwendbar. Da das SGB II ein Teil der Sozialgesetzbücher sei, müsse § 44 SGB X auch auf dieses Gesetz anwendbar sein. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu der Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Rahmen des ehemaligen BSHG spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle. Sie habe deshalb Anspruch auf eine rückwirkende Zahlung von 41,00 EUR für 6 Monate.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2006 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 einen Mehrbedarfszuschlag wegen Alleinerziehung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass § 44 SGB X im SGB II nicht anzuwenden sei und verweist insoweit auf die Ausführungen im Bescheid vom 08.12.2005 sowie im Widerspruchsbescheid vom 27.01.2006.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den in der Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 08.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2006 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 54 Absatz 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, den Bewilligungsbescheid, der dem Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 zugrunde lag, abzuändern und zusätzlich einen Mehrbedarf wegen Alleinerziehung zu bewilligen.
Die Voraussetzungen des § 44 Absatz 1 SGB X sind insoweit erfüllt.
Die Vorschrift ist auch entgegen der Auffassung der Beklagten im SGB II anwendbar. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht (BverwG) entschieden (vgl. BverwGE 68, 285), dass § 44 SGB X auf das Leistungsrecht des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) nicht anwendbar ist. Dies ist damit begründet worden, dass nach dem BSHG Sozialhilfe Nothilfe ist und ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen grundsätzlich einen gegenwärtigen Bedarf voraussetzt, so dass grundsätzlich kein Anspruch auf Hilfe für die Vergangenheit besteht. Im SGB II ist demgegenüber jedenfalls § 40 Absatz 1 SGB II zu beachten. Diese Vorschrift bestimmt in seinem Satz 1, dass -was wegen § 1 Satz 2 SGB X bei Ausführung des SGB II durch Arbeitsgemeinschaften besonders geregelt werden musste- für das Verfahren nach dem SGB II das SGB X gilt. In Satz 2 Nr. 1 dieser Vorschrift wird außerdem § 330 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) für entsprechend anwendbar erklärt. Dies hat zur Folge, dass für die Fälle der nachträglichen Unvereinbarkeit einer Rechtsnorm mit dem Grundgesetz (GG) durch das Bundesverfassungsgericht (BverfG) oder einer anderweitigen Auslegung in ständiger Rechtsprechung § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X nur mit einer Modifizierung anzuwenden ist. Aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben dürfte außer Frage stehen, dass § 44 Absatz 1 Satz 2 SGB X grundsätzlich auch für das regelmäßig für 6 Monate im Voraus zu bewilligende Alg II gelten soll (ebenso Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 40 Randzeichen 3f; Conradis in LPK-SGB II § 40 Randzeichen 4). Der von der Beklagten angeführte Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" wurde wesentlich bestimmt durch den den Bedarfsdeckungsgrundsatz konkretisierenden Individualisierungsgrundsatz (Berlitinfo also 2003, 195, 203). Mit dem SGB XII hat das Sozialhilferecht jedoch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ein Paradigmenwechsel erlebt (Rothkegel zfSh/SGB 2003, 643 ff.; Bundestagsdrucksache 15/1514, S 1 und S 52), in dem der Individualisierungsgrundsatz durch die Pauschalisierung von Leistungen (siehe Bundestagsdrucksache 15/1514, S 1 und S 49 zu § 29) weitgehend aufgeweicht wurde. Durch diese Pauschalierungen ist der Bedürftige gezwungen, vergangenheits- und zukunftsorientiert zu haushalten. Dem widerspräche es, Hilfe zum Lebensunterhalt für die Vergangenheit unter Ausschluss des § 44 SGB X zu verweigern und ihr einen Dauercharakter abzusprechen.
Nach § 44 SGB X ist ein eine Sozialleistung ablehnender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Diese Bestimmung ermöglicht damit ein Abweichen von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte.
Der dem Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 zugrunde liegende Bewilligungsbescheid ist insofern zu beanstanden, als ein Mehrbedarf nach § 21 Absatz 3 Nr. 2 SGB II für das 15-jährige Kind S. nicht berücksichtigt wurde. Nach dieser Vorschrift ist ein Mehrbedarf in Höhe von 12 vom Hundert der nach § 20 Absatz 2 SGB II maßgebenden Regelleistung für jedes Kind anzuerkennen bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen. Dass die allein erziehende Klägerin unter Berücksichtigung ihres 15-jährigen Kindes S. die Voraussetzungen erfüllt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig, was sich auch darin dokumentiert, dass die Beklagte den Mehrbedarf für allein Erziehende ab 01.07.2005 anerkannt hat.
Liegen mithin die Voraussetzungen des § 44 Absatz 1 SGB X vor, hat die Beklagte den den Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 betreffenden Bewilligungsbescheid abzuändern und auch für diesen Zeitraum einen Mehrbedarf für die Alleinerziehung zu gewähren.
Bei alledem war der Klage in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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