L 1 R 132/05

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 35 RJ 725/03
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 132/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Streit.

Die heute 53-jährige Klägerin, die keine Berufsausbildung absolviert hat und zuletzt im November 1999 als Pflegehelferin tätig, dann arbeitsunfähig erkrankt war, erhielt von der Beklagten aufgrund Bescheides vom 20. Dezember 2000 für den Zeitraum vom Juni 2000 bis November 2002 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Bei ihr waren durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. ein depressiver Erschöpfungs- und Versagenszustand, Bluthochdruck, Übergewicht und ein Schlafapnoe-Syndrom festgestellt und sie nur noch für in der Lage gehalten worden, leichte Arbeiten halb- bis untervollschichtig zu verrichten.

Am 27. August 2002 beantragte die Klägerin die Weitergewährung dieser Rente, weil es ihr schlechter gehe. Daraufhin veranlasste die Beklagte ihre Untersuchung bei der Ärztin für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. M ... Diese hielt die Versicherte auf ihrem Fachgebiet bei gegebener Wegefähigkeit für vollschichtig einsatzfähig. Sie könne leichte Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, ohne Akkordarbeit verrichten. Der Nervenarzt Dr. A. hielt die Klägerin nach Auswertung des nervenfachärztlichen Befundberichts ihres Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. für vollschichtig belastbar. Leichte Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck und unter Vermeidung von Nachtschichten könnten abverlangt werden. Auch sei die Klägerin in der Lage, etwaige einer Arbeitsaufnahme entgegenstehende Hemmungen mit zumutbarer Willensanspannung zu überwinden. Daraufhin lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag mit Bescheid vom 20. November 2002 ab.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und wies darauf hin, dass ihr Gesundheitszustand sich nicht verbessert, sondern nur verschlechtert habe. Sie sei schnell erschöpft und bekomme rasch Schweißausbrüche. Manchmal habe sie Kopfschmerzen sowie Schmerzen in Armen und Beinen. Auch würden ihre Hände zittern. Es mache sich Vergesslichkeit breit. Sie leide an hohem Blutdruck. Sie sei nicht mehr in der Lage, ihre Hausarbeit zu bewältigen. Lange Strecken könne sie nicht mehr gehen. Sie habe Probleme, in Busse ein- und auszusteigen, weil sie die Stufen aufgrund ihrer Schmerzen in den Knien kaum steigen könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. August 2003 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Daraufhin hat diese fristgerecht Klage erhoben, mit der sie ihr Rentenbegehren weiterverfolgt. Zur Begründung verweist sie auf die Erklärungen ihrer behandelnden Ärzte, aus denen sich ergebe, dass sie erwerbsunfähig sei. Dies werde ein Sachverständigengutachten ergeben.

Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte des Nervenarztes Dr. T., des Orthopäden E., des Internisten Dr. H., des praktischen Arztes G. sowie der Medizinischen Klinik Forschungszentrum B1 eingeholt und die Klägerin alsdann durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. untersuchen und schriftlich begutachten lassen. Dieser hat auf seinem Fachgebiet eine Dysthymie und eine somatoforme Schmerzstörung festgestellt. Er hat die Klägerin insgesamt für in der Lage gehalten, vollschichtig leichte körperliche Tätigkeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung zu verrichten. Diese Arbeiten sollten überwiegend im Sitzen ausgeführt werden. Trage-, Hebe- oder Bückbelastungen sollten ebenso vermieden werden wie Stressoren (erhöhter Zeitdruck, Akkord, Schichtarbeit, Nachtarbeit, Publikumsverkehr). Die Arbeiten sollten unter Witterungsschutz und zu ebener Erde verrichtet werden. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Hemmungen gegenüber der Aufnahme einer leidensgerechten Tätigkeit könne die Klägerin mit zumutbarer Willensanspannung überwinden.

Durch Urteil vom 14. Juni 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nicht erwerbsunfähig im Sinne des nach § 302b Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) noch anzuwendenden § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung. Vielmehr sei diese entsprechend der Einschätzung durch Dr. L. noch vollschichtig leistungsfähig. Dies schließe Erwerbsunfähigkeit aus, ohne dass hierbei die Arbeitsmarktlage zu berücksichtigen wäre. Mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen sei die Klägerin jedenfalls noch in der Lage, leichte Pack-, Montier-, Prüf- und Kontrollarbeiten zu verrichten. Für diese Tätigkeiten bestehe ein offener Arbeitsmarkt. Hierauf sei die Klägerin verweisbar.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. Juli 2005 zugestellte Urteil am 29. Juli 2005 Berufung eingelegt. Sie hält sich weiterhin für erwerbsunfähig und beruft sich hierzu auf die Stellungsnahmen ihrer behandelnden Ärzte sowie ein medizinisches Sachverständigengutachten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Juni 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 20. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 30. November 2002 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt ihren Bescheid. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Das Berufungsgericht hat nach Einholung von Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. ein nervenärztliches Gutachten erstatten lassen. Dieser gelangt nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 29. Juni 2006 und nach Auswertung der eingeholten Befundberichte in seinem schriftlichen Gutachten vom 10. August 2006 zu der Einschätzung, dass sich aus den Befundungen der Behandler keine qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens ergäben. Die Klägerin sei zwar wegen ihres extremen Übergewichts, ihres Wirbelsäulen- und Gelenkverschleißleidens, ihres Bluthochdrucks stark beschwert. Für eine Aufhebung des Leistungsvermögens bezogen auf diejenigen Tätigkeiten, auf die sie das Sozialgericht verwiesen habe, bestehe aber kein Anhaltspunkt. Im Übrigen habe die Klägerin wie schon im Rahmen der Begutachtung durch Dr. L. in der neuerlichen Begutachtungssituation noch einmal mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften um ihre Rente gekämpft. Sie sei aber in der Lage, die ihr verbliebenen Gestaltungsspielräume im Sinne einer Arbeitsaufnahme zu nutzen. Es besehe Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr. L ... Auf das schriftliche Gutachten (Blatt 176 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Der Klägerin steht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem zum 1. Januar 2001 außer Kraft getretenen, in Verbindung mit der Übergangsvorschrift des § 302b Abs. 1 SGB VI auf ihren Anspruch jedoch noch anzuwendenden § 44 SGB VI (§ 44 SGB VI a.F.) nicht zu. Sie ist nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz, Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F. Denn sie besitzt bis heute ein die Rentengewährung ausschließendes vollschichtiges Leistungsvermögen mit bestimmten qualitativen Einschränkungen und ist wegefähig. Dies folgt aus der einhelligen Einschätzung der im gerichtlichen Verfahren tätig gewesenen medizinischen Sachverständigen, die in Übereinstimmung steht mit der Einschätzung der im Verwaltungsverfahren tätig gewesenen Sachverständigen. Der Senat folgt dieser Einschätzung. Bei der Klägerin liegt schließlich auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit führen müsste. Hierunter fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. 10.12. 2003 – B 5 RJ 64/02 R, juris; 19.12.1995 – GS 2/95, SozR 3-2600 § 44 Nr. 8) gerade nicht die "üblichen" Leistungseinschränkungen wie z.B. der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erfordern, die im Akkord- oder Schichtdienst verrichtet werden oder besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- und Konzentrationsvermögen erfordern, von denen die Klägerin aber ausweislich der durchgeführten Begutachtungen ausschließlich betroffen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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