Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 16 RJ 1042/04
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 102/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung so genannter Ghetto-Beitragszeiten im Streit.
Der heute 81-jährige Kläger wurde am X.XXXXXXXXXX 1925 in Krakau/Polen geboren. Er ist Jude, hielt sich seit Dezember 1946 zunächst in Regensburg auf, heiratete dort und wanderte Anfang Dezember 1949 mit seiner Ehefrau in die Vereinigten Staaten von Amerika aus, deren Staatsangehörigkeit er mittlerweile besitzt. Er erhält eine Rente wegen Schadens an Körper und Gesundheit nach dem Bundesentschädigungsgesetz.
Unter dem 24. Juni 2002 begehrte der Kläger von der Beklagten eine Altersrente und verwies hinsichtlich zurückgelegter rentenrechtlicher Zeiten auf seine Entschädigungsakte. Die Beklagte zog die Akten des Bayerischen Landesentschädigungsamtes bei. Dort hatte der Kläger am 7. Oktober 1949 Ansprüche nach dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts geltend gemacht, und zwar wegen Schadens im wirtschaftlichen Fortkommen, an Eigentum und Vermögen, an der Freiheit sowie an Körper und Gesundheit. Hierzu hatte er angegeben, am 10. März 1941 durch SS und Gestapo verhaftet worden zu sein. Hierdurch sei ihm der Schulbesuch unmöglich geworden, sein gesamtes bewegliches Eigentum sei beschlagnahmt worden. Die Anträge wegen des Schadens im wirtschaftlichen Fortkommen sowie an Eigentum und Vermögen hatte der Kläger später zurückgenommen, weil er nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehöre. Wegen des erlittenen Schadens an der Freiheit hatte er in dem entsprechenden Formular unter der Rubrik "Angaben über den Freiheitsentzug" einen Aufenthalt in den Konzentrationslagern Plaszuw, Mauthausen, Gusen II und Gunzkirchen vom 10. März 1941 bis 5. Mai 1945 angegeben. Die Rubrik "Ghetto" hatte er freigelassen. Beigefügt hatte er einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises für ehemalige KZ-Insassen, in dem er ebenfalls Lagerhaft ab 10. März 1941 durchgängig wegen seines Judentums bis zum 5. Mai 1945 angegeben hatte. In der Haft habe er Baracken bauen müssen. In einer im Entschädigungsverfahren am 13. September 1949 abgegebenen eidesstattlichen Versicherung hatte der Kläger erklärt, wegen seiner jüdischen Volkszugehörigkeit am 10. März 1941 verhaftet worden und anschließend durchgehend bis zum 5. Mai 1945 in verschiedenen Lagern, u.a. vom 10. März 1941 bis zum 15. Juni 1944 im Konzentrationslager Plaszow bei Krakau aufhältig gewesen zu sein. In einer weiteren eidesstattlichen Versicherung vom 15. Februar 1956 hatte der Kläger zu der erlittenen Freiheitsentziehung angegeben, dass er ab November 1939 den Judenstern habe tragen und seitdem für deutsche Behörden 3-5 Tage pro Woche habe Zwangsarbeit verrichten müssen. Im März 1940 sei er durch das Arbeitsamt registriert worden. Seitdem habe er täglich Zwangsarbeit verrichten müssen. Im März 1941 sei er dann in das Konzentrationslager Plaszow überstellt worden, wo er zusammen mit anderen Jugendlichen zwangsweise beim Barackenbau eingesetzt worden sei. Wegen des erlittenen Schadens an Körper und Gesundheit hatte der Kläger im Juli 1966 eine weitere eidesstattliche Versicherung abgegeben. Dort heißt es, er habe seit 1939 3-5 Tage wöchentlich Zwangsarbeiten für deutsche Behörden verrichten müssen, sei im März 1940 registriert worden und habe diese Arbeiten dann täglich ausführen müssen. Im März 1941 sei er in das Konzentrationslager Plaszow überstellt worden, wo er mit anderen Jugendlichen habe Baracken bauen müssen. Außerdem habe er die Verstorbenen und Ermordeten aus dem Ghetto Krakau dort beerdigen müssen, da Plaszow früher ein jüdischer Friedhof gewesen sei. Damals sei auch seine gesamte Familie aus dem Ghetto nach Auschwitz deportiert worden. Dies habe allein sein Bruder überlebt. Im Rahmen einer ersten neurologisch-psychiatrischen Begutachtung im Entschädigungsverfahren hatte der Kläger gegenüber dem medizinischen Sachverständigen im Jahre 1967 zu seinem Verfolgungsschicksal angegeben, gleich nach der Besetzung Krakaus durch die deutsche Wehrmacht zu Reinigungsarbeiten am Bahnhof herangezogen worden zu sein. Jedoch habe er jeweils noch nach Hause gehen können. Anfang 1940 sei er dann aufgegriffen und zur Zwangsarbeit nach Plaszow abgestellt worden, wo er die Nummer XXXXX bekommen habe. Er sei beim Barackenbau sowie für alle möglichen anderen Arbeiten eingesetzt worden. Er habe sehr schwer arbeiten müssen, habe aber später gelernt, der schweren Arbeit aus dem Wege zu gehen. So habe er eine zeitlang in der Küche geholfen, wo er bessere Verpflegung bekommen habe. Er habe sogar noch einige Male ins Ghetto gelangen können, um Kontakt mit seinen Eltern zu halten. Nach dessen Liquidation sei er zum Leichenkommando abgestellt worden und habe unter den Erschossenen seinen Vater gefunden. Im Lager Plaszow sei er bis Sommer oder Herbst 1944 geblieben. Im Rahmen einer weiteren neurologisch-psychiatrischen Begutachtung im Entschädigungsverfahren hatte der Kläger gegenüber dem medizinischen Sachverständigen im Jahre 1998 zu seinem Verfolgungsschicksal angegeben, im Alter von 13 Jahren nach Chelm geschickt worden zu sein, um dort zur Arbeit eingesetzt zu werden. Von dort sei er aber mit Hilfe einer anderen Familie zunächst nach Krakau zurückgelangt. Seine eigene Familie habe ihn dann auswärts bei seinem Großvater untergebracht. Erst gegen Ende 1941 sei er nach Krakau zurückgekehrt, um mit seiner Familie in das Ghetto zu gehen, wo er sich alsdann 6 Monate aufgehalten habe. Von dort aus sei er zu täglichen Arbeiten auf den Strassen, Reinigungsarbeiten usw. eingesetzt worden. Danach sei er in das berüchtigte Lager Plaszow gekommen, wo er beim Baracken- und Straßenbau, bei Transportarbeiten usw. eingesetzt worden sei. Als er einmal krank gewesen und nicht zur Arbeit gegangen sei, habe man ihn mit 25 Schlägen auf den Rücken bestraft. Die Verpflegung sei schon damals sehr schlecht gewesen.
Mit Bescheid 19. August 2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Der Kläger habe die erforderliche Wartezeit von 5 Jahren mit anrechenbaren Zeiten nicht erfüllt. Dem Kläger fehle bereits die Versicherteneigenschaft, für ihn seien nämlich keine Beitragszeiten zu berücksichtigen. Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto (ZRBG) könnten nicht anerkannt werden, weil sich der Kläger in einem Zwangsarbeitslager bzw. Konzentrationslager aufgehalten habe. Diese Zeiten stünden den Zeiten zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto nicht gleich. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und wies darauf hin, dass er seit dem Tage der Errichtung des Krakauer Ghettos im Jahre 1941 bis zum Tage von dessen Liquidierung am 14. März 1943 dort gelebt habe. Er habe sich in dem Teil des Ghettos aufgehalten, welcher der arbeitenden Bevölkerung vorbehalten gewesen sei. Dort habe er bei verschiedenen Unternehmen gearbeitet, unter anderem für die Firma M. und das Warenlager B ... Aufgrund seiner Arbeitspapiere habe er Lebensmittelrationen erhalten. Erst bei Liquidierung des Ghettos sei er dann nach Plaszow gekommen. Von Ghetto aus sei er auch zum Barackenbau nach Ulack und Plaszow verbracht worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Aus den Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren sei zu entnehmen, dass er sich in einem Zwangsarbeitslager oder Konzentrationslager in Plaszow aufgehalten habe. Ein zwangsweiser Ghettoaufenthalt liege demgegenüber nicht vor.
Zur Begründung seiner daraufhin fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger erneut angegeben, von März 1941 bis März 1943 im Ghetto Krakau gelebt und gearbeitet zu haben. Dieses sei um sein Haus in der Straße L. herum entstanden. Aufgrund eigener Bemühungen habe er zunächst eine Arbeit bei der Firma M. und anschließend im Warenlager B. gefunden. Seine Arbeit sei in Naturalien entlohnt worden sowie durch den Umstand, dass er hierdurch einen Abtransport in ein Todeslager habe verhindern können. Durch seine Bevollmächtigten hat er weiter vortragen lassen, er habe mit seinen Eltern in dem jüdisch geprägten Krakauer Stadtteil Podgorze gelebt. Dieser Stadtteil liege südlich der Weichsel. Das Haus der Familie habe in der Nähe der Grenze des Ghettos gelegen, sodass die Familie nach der Gründung des Ghettos habe dorthin umziehen müssen. Errichtung, Existenz und Liquidation des Ghettos dürften nicht zu bezweifeln sein. Dem Umstand, dass sich der Kläger vom ersten bis zum letzten Tagen der Existenz des Ghettos Krakau in dem selben zwangsweise aufgehalten habe, stünden auch nicht seine früheren Erklärungen aus dem Entschädigungsverfahren entgegen. Diese dürften ihm ohnehin nicht entgegengehalten werden, weil sich die Bundesregierung, die Regierung des Staates Israel und die Vertreter der Conferenz on Jewish Material Claims against Germany (Claims Conference) darüber verständigt hätten, dass Angaben in früheren Erklärungen im Entschädigungsverfahren kein hinreichender Grund seien, um die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Rentenanspruch nach dem ZRBG zu verneinen. Ungeachtet dessen stünden seine Erklärungen im Entschädigungsverfahren dem Rentenanspruch auch deswegen nicht entgegen, weil er seinerzeit weder nach einem Ghetto-Aufenthalt noch nach Ghetto-Arbeit im Sinne der späteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des ZRBG gefragt worden sei. Seine Erklärungen aus dem Jahre 1949 seien auch noch von den unmittelbaren Ereignissen überlagert gewesen und müssten vor dem Hintergrund der erlittenen Verfolgung bewertet werden. Es sei auch so gewesen, dass er im Ghetto gewohnt und lediglich tagsüber auf die jeweiligen, nahe gelegenen Bau- und Lagerplätze geführt worden sei. Es sei kaum verwunderlich, dass er diese Arbeiten als Freiheitsentziehung empfunden und demgemäß als Aufenthalt im Konzentrationslager angegeben habe. Gleichwohl habe es sich bei diesen Arbeiten um eine freiwillige Beschäftigung gehandelt, die gegen Entgelt ausgeübt worden sei. Er habe nämlich hierfür nicht nur Lebensmittel zum unmittelbaren Verzehr am Arbeitsplatz erhalten, sondern auch Coupons als Gegenleistung für seine Arbeit. Dieses Entgelt sei auch nicht nur geringfügig gewesen. Das ihm für die Tätigkeit bei den Firmen M. und B. gewährte Entgelt habe vielmehr selbst über der Geringfügigkeitsgrenze von einem Drittel des Ortslohnes gelegen. Die Beschäftigung bei diesen Firmen sei deswegen sehr begehrt gewesen. Das Unterbleiben einer Beitragsentrichtung habe allein auf Verfolgungsmaßnahmen beruht. Auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten des Klägers vom 22. April 2005 (Blatt 62 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 10. Mai 2005 als unbegründet abgewiesen. Für den Kläger könnten Beschäftigungszeiten in einem Ghetto nicht fingiert werden, weil nicht glaubhaft gemacht sei, dass er im Ghetto Krakau in der Zeit von März 1941 bis März 1943 dort ein freiwilliges entgeltliches Beschäftigungsverhältnis innegehabt habe. Angesichts der vorliegenden Unterlagen sei schon nicht überwiegend wahrscheinlich dass sich der Kläger in diesem Zeitraum überhaupt im Ghetto Krakau aufgehalten habe. Die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren stünden im Widerspruch zu seinen späteren Angaben. Insbesondere ließen sich die detaillierten Angaben zu den Beschäftigungen bei den Firmen M. und B. nicht mit den übrigen Angaben in Einklang bringen. Auf die Entscheidung (Blatt 95 ff. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen. Sie wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 17. Mai 2005 zugestellt.
Der Kläger hat am 17. Juni 2005 Berufung eingelegt, mit der er sein Rentenbegehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiterverfolgt. Das Sozialgericht habe nicht hinreichend gewürdigt, dass sich Hinweise auf einem Ghettoaufenthalt nicht erst im Rentenverfahren, sondern bereits in früheren Angaben in den alten Entschädigungsakten fänden. Jedenfalls habe sich der Kläger während seiner freiwilligen Tätigkeit bei den Unternehmen M. und B. zwangsweise im Ghetto Krakau aufgehalten. Den Aufenthalt im Ghetto könne der Zeuge W. Z. D. bestätigen. Soweit das sozialgerichtliche Urteil ihm Widersprüche in seinen Aussagen anlaste, so würden hierfür mögliche Ursachen außer Acht gelassen. Alle Aussagen enthielten aber einen Tatsachenkern, der sowohl mit den geltend gemachten Beschäftigungsverhältnissen als auch mit dem objektiv feststellbaren historischen Umständen übereinstimme. Schließlich sei – wie bereits dargelegt – die Berufung auf widersprüchliche Aussagen im Entschädigungsverfahren rechtlich unzulässig. Auf die Berufungsbegründung vom 17. Juni 2005 (Blatt 128 ff. der Gerichtsakte) und die diese ergänzenden Schriftsätze vom 1. September und 10. Oktober 2005 (Blatt 160 ff. der Gerichtsakte) sowie vom 12. Juli 2006 (Blatt 195 f. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2004 zu verurteilen, dem Kläger Regelaltersrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung und ihren Bescheid. Die im Verfahren zutage getretenen Widersprüche stünden einer Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für eine Beschäftigung nach dem ZRBG entgegen. Auf die Berufungserwiderung vom 15. August 2005 (Blatt 147 ff. der Gerichtsakte) und den diese ergänzenden Schriftsatz vom 23. Januar 2006 (Blatt 181 ff. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Das Berufungsgericht hat die Rentenakte und die beim Bayerischen Landesentschädigungsamt geführte Entschädigungsakte des am XX.XXXXX 1926 geborenen W. Z. D. beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung am 15. November 2006 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger kann die begehrte Rente nicht beanspruchen.
Auf den Rechtsstreit finden die am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Vorschriften des SGB VI über die Regelaltersrente und nicht diejenigen der Reichsversicherungsordnung (RVO) über das Altersruhegeld Anwendung, weil der Anspruch erst nach Ablauf von mehr als drei Monaten nach Aufhebung der für das Altersruhegeld geltenden Vorschriften der RVO bei der Beklagten geltend gemacht wurde (§ 300 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI).
Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren rentenrechtlicher Zeiten (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) erfüllt haben. Auf diese allgemeine Wartezeit werden Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 SGB VI).
Hiernach hat der Kläger keinen Rentenanspruch. Er hat Pflichtbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nicht zurückgelegt. Er mag Ersatzzeiten zurückgelegt haben. Nur mit Ersatzzeiten besteht jedoch kein Rentenanspruch, weil nach § 250 Abs. 1 SGB VI nur Versicherte rentenrechtliche Zeiten als Ersatzzeiten haben können. Versichert im Sinne dieser Vorschrift ist aber nur derjenige, für den wenigstens ein Beitrag vor Beginn der Rente wirksam gezahlt worden ist oder als entrichtet gilt. Hieran fehlt es.
Allerdings können nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 ZRBG Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung ausnahmsweise dann fingiert werden, wenn ein Verfolgter sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, dort aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung aufgenommen hat, diese Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder in dieses eingegliedert war. Diese Voraussetzungen für die Fiktion einer Beitragsentrichtung müssen lediglich glaubhaft gemacht werden. Dies folgt aus § 1 Abs. 2 ZRBG, wonach die Vorschriften des ZRBG die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (Gesetz vom 22. Dezember 1970, BGBl. I, S. 1846, WGSVG) ergänzen. Sonach finden die Vorschriften der Glaubhaftmachung des WGSVG im Rahmen der Anerkennung von Beitragszeiten nach dem ZRBG unmittelbar Anwendung. Nach § 3 Abs. 2 WGSVG ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.
Der Kläger hat jedoch nicht in diesem Sinne glaubhaft gemacht, dass er so genannte Ghetto-Beitragszeiten zurückgelegt hat. Mit dem Sozialgericht, auf dessen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird, ist der Senat nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 SGG) gewonnenen Überzeugung der Auffassung, dass schon der Glaubhaftmachung des Aufenthalts im Ghetto Krakau die gravierenden Widersprüche zu den Angaben entgegenstehen, die der Kläger seit dem 7. Oktober 1949 bis zum heutigen Tage zu seinem angeblichen Verfolgungsschicksal und hier namentlich zu demselben Zeitraum gemacht hat. Diese Widersprüche stehen der Glaubhaftmachung auch dann entgegen, wenn – wofür es indessen keinerlei Anhaltspunkte gibt – Bundesregierung, israelische Regierung und die Claims Conference vereinbart haben sollten, dass frühere Angaben im Entschädigungsverfahren auch dann nicht zuungunsten jüdischer Rentenantragsteller gewertet werden dürften, wenn diese von den späteren Angaben abwichen. Denn eine solche Vereinbarung könnte im gerichtlichen Verfahren schon deshalb keine Berücksichtigung finden, weil sie keine Gesetzeskraft hätte und nach Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz der Senat unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen ist.
Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Zwar weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass sich Hinweise auf einen Ghetto-Aufenthalt bereits in der 1998 durchgeführten neurologisch-psychiatrischen Begutachtung finden. Bereits die dort gemachten Angaben zu dem angeblichen Ghetto-Aufenthalt stehen jedoch in so offenkundigem Widerspruch zu allen bis dahin gemachten Angaben, dass ihnen das erkennende Gericht keinen Glauben schenkt. Hierfür ist auch maßgeblich, dass der Kläger die Angabe Lagerhaft durchgängig für einen Zeitraum seit März 1941 bis Mai 1945 nicht nur einmal, sondern bei mehreren Gelegenheiten gemacht bzw. schriftlich niedergelegt hat. Auch war ihm ausweislich des im Entschädigungsverfahren verwandten Fragebogens sehr wohl – und zwar alternativ – die Frage nach zwangsweisem Ghetto-Aufenthalt oder Lagerhaft gestellt worden. Die daraufhin eindeutig gemachte Angabe "Aufenthalt im Konzentrationslager vom 10. März 1941 bis zum 5. Mai 1945" hindert den Senat daran, dem Kläger sein neuerliches Vorbringen zu glauben. Beide Vorbringen lassen sich auch nicht auf einen gemeinsamen Kern zurückführen. Vielmehr hat der Kläger zu unterschiedlichen Zeiten zwei unterschiedliche Versionen seines Verfolgungsschicksals geschildert, die im Ergebnis einander ausschließen. Ebenso plastisch, wie er nämlich zunächst seine heimlichen Besuche im Ghetto bei seinen Eltern vor dem Hintergrund seiner bereits seit März 1941 bestehenden Internierung im Zwangsarbeitslager Plaszow, welches bereits im August 1940 (vgl. www.keom.de/denkmal/lager) eingerichtet und 1944 in das Konzentrationslager Plaszow überführt worden war, und schließlich sogar das Auffinden seines toten Vaters während des Leichenkommandos geschildert hat, gibt er nunmehr an, in demselben Zeitraum im Ghetto gelebt und nur zur Arbeit in das Lager geführt und zudem noch von dem Zeugen D. dort besucht worden zu sein. Damit schildert er zwei mögliche Varianten seines Schicksals. Die bloße Möglichkeit, dass sich der Kläger auch im Ghetto aufgehalten hat, reicht für eine Glaubhaftmachung jedoch nicht aus. Vor diesem Hintergrund vermag auch die Erklärung des Zeugen D. nicht zur Glaubhaftmachung führen. Sie ist überdies schon deshalb zu bezweifeln, weil der Kläger den Zeugen D. – wie aus dessen Rentenakte ersichtlich und dort von dem Kläger an Eides statt versichert – erst im Jahre 1949 kennen gelernt hat. Angesichts der mit großer Sorgfalt und Genauigkeit abgegebenen übrigen Erklärungen des Klägers nimmt ihm der Senat nicht ab, dass es sich hierbei lediglich um eine sprachliche Ungenauigkeit handelt. Schließlich führt angesichts der aufgezeigten Widersprüche auch die Bescheinigung des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes vom 24. November 1960 (Blatt 39 der Entschädigungsakte) nicht zur Glaubhaftmachung. Ihr ist nur zu entnehmen, dass ein S. O. (nicht O1) am "1.1943" durch den "SS und Polizeiführer Krakau" in das Konzentrationslager Plaszow eingewiesen wurde. Ungeachtet der Namensverschiedenheit schließt ihr Inhalt nicht aus, dass sich der Kläger – wie angegeben – zuvor im Zwangsarbeitslager Plaszow aufgehalten hat, aus welchem das Konzentrationslager Plaszow (allerdings erst zum Januar 1944) hervorgegangen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung so genannter Ghetto-Beitragszeiten im Streit.
Der heute 81-jährige Kläger wurde am X.XXXXXXXXXX 1925 in Krakau/Polen geboren. Er ist Jude, hielt sich seit Dezember 1946 zunächst in Regensburg auf, heiratete dort und wanderte Anfang Dezember 1949 mit seiner Ehefrau in die Vereinigten Staaten von Amerika aus, deren Staatsangehörigkeit er mittlerweile besitzt. Er erhält eine Rente wegen Schadens an Körper und Gesundheit nach dem Bundesentschädigungsgesetz.
Unter dem 24. Juni 2002 begehrte der Kläger von der Beklagten eine Altersrente und verwies hinsichtlich zurückgelegter rentenrechtlicher Zeiten auf seine Entschädigungsakte. Die Beklagte zog die Akten des Bayerischen Landesentschädigungsamtes bei. Dort hatte der Kläger am 7. Oktober 1949 Ansprüche nach dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts geltend gemacht, und zwar wegen Schadens im wirtschaftlichen Fortkommen, an Eigentum und Vermögen, an der Freiheit sowie an Körper und Gesundheit. Hierzu hatte er angegeben, am 10. März 1941 durch SS und Gestapo verhaftet worden zu sein. Hierdurch sei ihm der Schulbesuch unmöglich geworden, sein gesamtes bewegliches Eigentum sei beschlagnahmt worden. Die Anträge wegen des Schadens im wirtschaftlichen Fortkommen sowie an Eigentum und Vermögen hatte der Kläger später zurückgenommen, weil er nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehöre. Wegen des erlittenen Schadens an der Freiheit hatte er in dem entsprechenden Formular unter der Rubrik "Angaben über den Freiheitsentzug" einen Aufenthalt in den Konzentrationslagern Plaszuw, Mauthausen, Gusen II und Gunzkirchen vom 10. März 1941 bis 5. Mai 1945 angegeben. Die Rubrik "Ghetto" hatte er freigelassen. Beigefügt hatte er einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises für ehemalige KZ-Insassen, in dem er ebenfalls Lagerhaft ab 10. März 1941 durchgängig wegen seines Judentums bis zum 5. Mai 1945 angegeben hatte. In der Haft habe er Baracken bauen müssen. In einer im Entschädigungsverfahren am 13. September 1949 abgegebenen eidesstattlichen Versicherung hatte der Kläger erklärt, wegen seiner jüdischen Volkszugehörigkeit am 10. März 1941 verhaftet worden und anschließend durchgehend bis zum 5. Mai 1945 in verschiedenen Lagern, u.a. vom 10. März 1941 bis zum 15. Juni 1944 im Konzentrationslager Plaszow bei Krakau aufhältig gewesen zu sein. In einer weiteren eidesstattlichen Versicherung vom 15. Februar 1956 hatte der Kläger zu der erlittenen Freiheitsentziehung angegeben, dass er ab November 1939 den Judenstern habe tragen und seitdem für deutsche Behörden 3-5 Tage pro Woche habe Zwangsarbeit verrichten müssen. Im März 1940 sei er durch das Arbeitsamt registriert worden. Seitdem habe er täglich Zwangsarbeit verrichten müssen. Im März 1941 sei er dann in das Konzentrationslager Plaszow überstellt worden, wo er zusammen mit anderen Jugendlichen zwangsweise beim Barackenbau eingesetzt worden sei. Wegen des erlittenen Schadens an Körper und Gesundheit hatte der Kläger im Juli 1966 eine weitere eidesstattliche Versicherung abgegeben. Dort heißt es, er habe seit 1939 3-5 Tage wöchentlich Zwangsarbeiten für deutsche Behörden verrichten müssen, sei im März 1940 registriert worden und habe diese Arbeiten dann täglich ausführen müssen. Im März 1941 sei er in das Konzentrationslager Plaszow überstellt worden, wo er mit anderen Jugendlichen habe Baracken bauen müssen. Außerdem habe er die Verstorbenen und Ermordeten aus dem Ghetto Krakau dort beerdigen müssen, da Plaszow früher ein jüdischer Friedhof gewesen sei. Damals sei auch seine gesamte Familie aus dem Ghetto nach Auschwitz deportiert worden. Dies habe allein sein Bruder überlebt. Im Rahmen einer ersten neurologisch-psychiatrischen Begutachtung im Entschädigungsverfahren hatte der Kläger gegenüber dem medizinischen Sachverständigen im Jahre 1967 zu seinem Verfolgungsschicksal angegeben, gleich nach der Besetzung Krakaus durch die deutsche Wehrmacht zu Reinigungsarbeiten am Bahnhof herangezogen worden zu sein. Jedoch habe er jeweils noch nach Hause gehen können. Anfang 1940 sei er dann aufgegriffen und zur Zwangsarbeit nach Plaszow abgestellt worden, wo er die Nummer XXXXX bekommen habe. Er sei beim Barackenbau sowie für alle möglichen anderen Arbeiten eingesetzt worden. Er habe sehr schwer arbeiten müssen, habe aber später gelernt, der schweren Arbeit aus dem Wege zu gehen. So habe er eine zeitlang in der Küche geholfen, wo er bessere Verpflegung bekommen habe. Er habe sogar noch einige Male ins Ghetto gelangen können, um Kontakt mit seinen Eltern zu halten. Nach dessen Liquidation sei er zum Leichenkommando abgestellt worden und habe unter den Erschossenen seinen Vater gefunden. Im Lager Plaszow sei er bis Sommer oder Herbst 1944 geblieben. Im Rahmen einer weiteren neurologisch-psychiatrischen Begutachtung im Entschädigungsverfahren hatte der Kläger gegenüber dem medizinischen Sachverständigen im Jahre 1998 zu seinem Verfolgungsschicksal angegeben, im Alter von 13 Jahren nach Chelm geschickt worden zu sein, um dort zur Arbeit eingesetzt zu werden. Von dort sei er aber mit Hilfe einer anderen Familie zunächst nach Krakau zurückgelangt. Seine eigene Familie habe ihn dann auswärts bei seinem Großvater untergebracht. Erst gegen Ende 1941 sei er nach Krakau zurückgekehrt, um mit seiner Familie in das Ghetto zu gehen, wo er sich alsdann 6 Monate aufgehalten habe. Von dort aus sei er zu täglichen Arbeiten auf den Strassen, Reinigungsarbeiten usw. eingesetzt worden. Danach sei er in das berüchtigte Lager Plaszow gekommen, wo er beim Baracken- und Straßenbau, bei Transportarbeiten usw. eingesetzt worden sei. Als er einmal krank gewesen und nicht zur Arbeit gegangen sei, habe man ihn mit 25 Schlägen auf den Rücken bestraft. Die Verpflegung sei schon damals sehr schlecht gewesen.
Mit Bescheid 19. August 2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Der Kläger habe die erforderliche Wartezeit von 5 Jahren mit anrechenbaren Zeiten nicht erfüllt. Dem Kläger fehle bereits die Versicherteneigenschaft, für ihn seien nämlich keine Beitragszeiten zu berücksichtigen. Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto (ZRBG) könnten nicht anerkannt werden, weil sich der Kläger in einem Zwangsarbeitslager bzw. Konzentrationslager aufgehalten habe. Diese Zeiten stünden den Zeiten zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto nicht gleich. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und wies darauf hin, dass er seit dem Tage der Errichtung des Krakauer Ghettos im Jahre 1941 bis zum Tage von dessen Liquidierung am 14. März 1943 dort gelebt habe. Er habe sich in dem Teil des Ghettos aufgehalten, welcher der arbeitenden Bevölkerung vorbehalten gewesen sei. Dort habe er bei verschiedenen Unternehmen gearbeitet, unter anderem für die Firma M. und das Warenlager B ... Aufgrund seiner Arbeitspapiere habe er Lebensmittelrationen erhalten. Erst bei Liquidierung des Ghettos sei er dann nach Plaszow gekommen. Von Ghetto aus sei er auch zum Barackenbau nach Ulack und Plaszow verbracht worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Aus den Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren sei zu entnehmen, dass er sich in einem Zwangsarbeitslager oder Konzentrationslager in Plaszow aufgehalten habe. Ein zwangsweiser Ghettoaufenthalt liege demgegenüber nicht vor.
Zur Begründung seiner daraufhin fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger erneut angegeben, von März 1941 bis März 1943 im Ghetto Krakau gelebt und gearbeitet zu haben. Dieses sei um sein Haus in der Straße L. herum entstanden. Aufgrund eigener Bemühungen habe er zunächst eine Arbeit bei der Firma M. und anschließend im Warenlager B. gefunden. Seine Arbeit sei in Naturalien entlohnt worden sowie durch den Umstand, dass er hierdurch einen Abtransport in ein Todeslager habe verhindern können. Durch seine Bevollmächtigten hat er weiter vortragen lassen, er habe mit seinen Eltern in dem jüdisch geprägten Krakauer Stadtteil Podgorze gelebt. Dieser Stadtteil liege südlich der Weichsel. Das Haus der Familie habe in der Nähe der Grenze des Ghettos gelegen, sodass die Familie nach der Gründung des Ghettos habe dorthin umziehen müssen. Errichtung, Existenz und Liquidation des Ghettos dürften nicht zu bezweifeln sein. Dem Umstand, dass sich der Kläger vom ersten bis zum letzten Tagen der Existenz des Ghettos Krakau in dem selben zwangsweise aufgehalten habe, stünden auch nicht seine früheren Erklärungen aus dem Entschädigungsverfahren entgegen. Diese dürften ihm ohnehin nicht entgegengehalten werden, weil sich die Bundesregierung, die Regierung des Staates Israel und die Vertreter der Conferenz on Jewish Material Claims against Germany (Claims Conference) darüber verständigt hätten, dass Angaben in früheren Erklärungen im Entschädigungsverfahren kein hinreichender Grund seien, um die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Rentenanspruch nach dem ZRBG zu verneinen. Ungeachtet dessen stünden seine Erklärungen im Entschädigungsverfahren dem Rentenanspruch auch deswegen nicht entgegen, weil er seinerzeit weder nach einem Ghetto-Aufenthalt noch nach Ghetto-Arbeit im Sinne der späteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des ZRBG gefragt worden sei. Seine Erklärungen aus dem Jahre 1949 seien auch noch von den unmittelbaren Ereignissen überlagert gewesen und müssten vor dem Hintergrund der erlittenen Verfolgung bewertet werden. Es sei auch so gewesen, dass er im Ghetto gewohnt und lediglich tagsüber auf die jeweiligen, nahe gelegenen Bau- und Lagerplätze geführt worden sei. Es sei kaum verwunderlich, dass er diese Arbeiten als Freiheitsentziehung empfunden und demgemäß als Aufenthalt im Konzentrationslager angegeben habe. Gleichwohl habe es sich bei diesen Arbeiten um eine freiwillige Beschäftigung gehandelt, die gegen Entgelt ausgeübt worden sei. Er habe nämlich hierfür nicht nur Lebensmittel zum unmittelbaren Verzehr am Arbeitsplatz erhalten, sondern auch Coupons als Gegenleistung für seine Arbeit. Dieses Entgelt sei auch nicht nur geringfügig gewesen. Das ihm für die Tätigkeit bei den Firmen M. und B. gewährte Entgelt habe vielmehr selbst über der Geringfügigkeitsgrenze von einem Drittel des Ortslohnes gelegen. Die Beschäftigung bei diesen Firmen sei deswegen sehr begehrt gewesen. Das Unterbleiben einer Beitragsentrichtung habe allein auf Verfolgungsmaßnahmen beruht. Auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten des Klägers vom 22. April 2005 (Blatt 62 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 10. Mai 2005 als unbegründet abgewiesen. Für den Kläger könnten Beschäftigungszeiten in einem Ghetto nicht fingiert werden, weil nicht glaubhaft gemacht sei, dass er im Ghetto Krakau in der Zeit von März 1941 bis März 1943 dort ein freiwilliges entgeltliches Beschäftigungsverhältnis innegehabt habe. Angesichts der vorliegenden Unterlagen sei schon nicht überwiegend wahrscheinlich dass sich der Kläger in diesem Zeitraum überhaupt im Ghetto Krakau aufgehalten habe. Die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren stünden im Widerspruch zu seinen späteren Angaben. Insbesondere ließen sich die detaillierten Angaben zu den Beschäftigungen bei den Firmen M. und B. nicht mit den übrigen Angaben in Einklang bringen. Auf die Entscheidung (Blatt 95 ff. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen. Sie wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 17. Mai 2005 zugestellt.
Der Kläger hat am 17. Juni 2005 Berufung eingelegt, mit der er sein Rentenbegehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiterverfolgt. Das Sozialgericht habe nicht hinreichend gewürdigt, dass sich Hinweise auf einem Ghettoaufenthalt nicht erst im Rentenverfahren, sondern bereits in früheren Angaben in den alten Entschädigungsakten fänden. Jedenfalls habe sich der Kläger während seiner freiwilligen Tätigkeit bei den Unternehmen M. und B. zwangsweise im Ghetto Krakau aufgehalten. Den Aufenthalt im Ghetto könne der Zeuge W. Z. D. bestätigen. Soweit das sozialgerichtliche Urteil ihm Widersprüche in seinen Aussagen anlaste, so würden hierfür mögliche Ursachen außer Acht gelassen. Alle Aussagen enthielten aber einen Tatsachenkern, der sowohl mit den geltend gemachten Beschäftigungsverhältnissen als auch mit dem objektiv feststellbaren historischen Umständen übereinstimme. Schließlich sei – wie bereits dargelegt – die Berufung auf widersprüchliche Aussagen im Entschädigungsverfahren rechtlich unzulässig. Auf die Berufungsbegründung vom 17. Juni 2005 (Blatt 128 ff. der Gerichtsakte) und die diese ergänzenden Schriftsätze vom 1. September und 10. Oktober 2005 (Blatt 160 ff. der Gerichtsakte) sowie vom 12. Juli 2006 (Blatt 195 f. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2004 zu verurteilen, dem Kläger Regelaltersrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung und ihren Bescheid. Die im Verfahren zutage getretenen Widersprüche stünden einer Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für eine Beschäftigung nach dem ZRBG entgegen. Auf die Berufungserwiderung vom 15. August 2005 (Blatt 147 ff. der Gerichtsakte) und den diese ergänzenden Schriftsatz vom 23. Januar 2006 (Blatt 181 ff. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Das Berufungsgericht hat die Rentenakte und die beim Bayerischen Landesentschädigungsamt geführte Entschädigungsakte des am XX.XXXXX 1926 geborenen W. Z. D. beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung am 15. November 2006 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger kann die begehrte Rente nicht beanspruchen.
Auf den Rechtsstreit finden die am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Vorschriften des SGB VI über die Regelaltersrente und nicht diejenigen der Reichsversicherungsordnung (RVO) über das Altersruhegeld Anwendung, weil der Anspruch erst nach Ablauf von mehr als drei Monaten nach Aufhebung der für das Altersruhegeld geltenden Vorschriften der RVO bei der Beklagten geltend gemacht wurde (§ 300 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI).
Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren rentenrechtlicher Zeiten (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) erfüllt haben. Auf diese allgemeine Wartezeit werden Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 SGB VI).
Hiernach hat der Kläger keinen Rentenanspruch. Er hat Pflichtbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nicht zurückgelegt. Er mag Ersatzzeiten zurückgelegt haben. Nur mit Ersatzzeiten besteht jedoch kein Rentenanspruch, weil nach § 250 Abs. 1 SGB VI nur Versicherte rentenrechtliche Zeiten als Ersatzzeiten haben können. Versichert im Sinne dieser Vorschrift ist aber nur derjenige, für den wenigstens ein Beitrag vor Beginn der Rente wirksam gezahlt worden ist oder als entrichtet gilt. Hieran fehlt es.
Allerdings können nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 ZRBG Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung ausnahmsweise dann fingiert werden, wenn ein Verfolgter sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, dort aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung aufgenommen hat, diese Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder in dieses eingegliedert war. Diese Voraussetzungen für die Fiktion einer Beitragsentrichtung müssen lediglich glaubhaft gemacht werden. Dies folgt aus § 1 Abs. 2 ZRBG, wonach die Vorschriften des ZRBG die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (Gesetz vom 22. Dezember 1970, BGBl. I, S. 1846, WGSVG) ergänzen. Sonach finden die Vorschriften der Glaubhaftmachung des WGSVG im Rahmen der Anerkennung von Beitragszeiten nach dem ZRBG unmittelbar Anwendung. Nach § 3 Abs. 2 WGSVG ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.
Der Kläger hat jedoch nicht in diesem Sinne glaubhaft gemacht, dass er so genannte Ghetto-Beitragszeiten zurückgelegt hat. Mit dem Sozialgericht, auf dessen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird, ist der Senat nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 SGG) gewonnenen Überzeugung der Auffassung, dass schon der Glaubhaftmachung des Aufenthalts im Ghetto Krakau die gravierenden Widersprüche zu den Angaben entgegenstehen, die der Kläger seit dem 7. Oktober 1949 bis zum heutigen Tage zu seinem angeblichen Verfolgungsschicksal und hier namentlich zu demselben Zeitraum gemacht hat. Diese Widersprüche stehen der Glaubhaftmachung auch dann entgegen, wenn – wofür es indessen keinerlei Anhaltspunkte gibt – Bundesregierung, israelische Regierung und die Claims Conference vereinbart haben sollten, dass frühere Angaben im Entschädigungsverfahren auch dann nicht zuungunsten jüdischer Rentenantragsteller gewertet werden dürften, wenn diese von den späteren Angaben abwichen. Denn eine solche Vereinbarung könnte im gerichtlichen Verfahren schon deshalb keine Berücksichtigung finden, weil sie keine Gesetzeskraft hätte und nach Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz der Senat unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen ist.
Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Zwar weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass sich Hinweise auf einen Ghetto-Aufenthalt bereits in der 1998 durchgeführten neurologisch-psychiatrischen Begutachtung finden. Bereits die dort gemachten Angaben zu dem angeblichen Ghetto-Aufenthalt stehen jedoch in so offenkundigem Widerspruch zu allen bis dahin gemachten Angaben, dass ihnen das erkennende Gericht keinen Glauben schenkt. Hierfür ist auch maßgeblich, dass der Kläger die Angabe Lagerhaft durchgängig für einen Zeitraum seit März 1941 bis Mai 1945 nicht nur einmal, sondern bei mehreren Gelegenheiten gemacht bzw. schriftlich niedergelegt hat. Auch war ihm ausweislich des im Entschädigungsverfahren verwandten Fragebogens sehr wohl – und zwar alternativ – die Frage nach zwangsweisem Ghetto-Aufenthalt oder Lagerhaft gestellt worden. Die daraufhin eindeutig gemachte Angabe "Aufenthalt im Konzentrationslager vom 10. März 1941 bis zum 5. Mai 1945" hindert den Senat daran, dem Kläger sein neuerliches Vorbringen zu glauben. Beide Vorbringen lassen sich auch nicht auf einen gemeinsamen Kern zurückführen. Vielmehr hat der Kläger zu unterschiedlichen Zeiten zwei unterschiedliche Versionen seines Verfolgungsschicksals geschildert, die im Ergebnis einander ausschließen. Ebenso plastisch, wie er nämlich zunächst seine heimlichen Besuche im Ghetto bei seinen Eltern vor dem Hintergrund seiner bereits seit März 1941 bestehenden Internierung im Zwangsarbeitslager Plaszow, welches bereits im August 1940 (vgl. www.keom.de/denkmal/lager) eingerichtet und 1944 in das Konzentrationslager Plaszow überführt worden war, und schließlich sogar das Auffinden seines toten Vaters während des Leichenkommandos geschildert hat, gibt er nunmehr an, in demselben Zeitraum im Ghetto gelebt und nur zur Arbeit in das Lager geführt und zudem noch von dem Zeugen D. dort besucht worden zu sein. Damit schildert er zwei mögliche Varianten seines Schicksals. Die bloße Möglichkeit, dass sich der Kläger auch im Ghetto aufgehalten hat, reicht für eine Glaubhaftmachung jedoch nicht aus. Vor diesem Hintergrund vermag auch die Erklärung des Zeugen D. nicht zur Glaubhaftmachung führen. Sie ist überdies schon deshalb zu bezweifeln, weil der Kläger den Zeugen D. – wie aus dessen Rentenakte ersichtlich und dort von dem Kläger an Eides statt versichert – erst im Jahre 1949 kennen gelernt hat. Angesichts der mit großer Sorgfalt und Genauigkeit abgegebenen übrigen Erklärungen des Klägers nimmt ihm der Senat nicht ab, dass es sich hierbei lediglich um eine sprachliche Ungenauigkeit handelt. Schließlich führt angesichts der aufgezeigten Widersprüche auch die Bescheinigung des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes vom 24. November 1960 (Blatt 39 der Entschädigungsakte) nicht zur Glaubhaftmachung. Ihr ist nur zu entnehmen, dass ein S. O. (nicht O1) am "1.1943" durch den "SS und Polizeiführer Krakau" in das Konzentrationslager Plaszow eingewiesen wurde. Ungeachtet der Namensverschiedenheit schließt ihr Inhalt nicht aus, dass sich der Kläger – wie angegeben – zuvor im Zwangsarbeitslager Plaszow aufgehalten hat, aus welchem das Konzentrationslager Plaszow (allerdings erst zum Januar 1944) hervorgegangen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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HAM
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