Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4380/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4908/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von EUR 630,00 für Kontaktlinsen.
Die 1984 geborene Klägerin war im Jahre 2004 bei der Beklagten als Familienangehörige versichert. Bei ihr besteht die erbliche Erkrankung eines Marfan-Syndroms. Nach der von der Klägerin im Widerspruchsverfahren vorgelegten augenärztlichen Bescheinigung des Dr. A.-S., Augenklinik des K.-hospitals S., vom 15. Mai 2004 hat sich diese Erkrankung an beiden Augen mit einer Dezentrierung (Subluxation) der Augenlinsen manifestiert und es besteht infolge der Linsensubluxation eine beidseitige linsenbedingte hohe Stabsichtigkeit sowie ein beiderseitiger Hornhautastigmatismus und eine Myopie. Prof. Dr. W., K.-hospital S., verordnete am 16. Februar 2004 formstabile Kontaktlinsen. Die Firma Müller-Welt Contactlinsen berechnete der Klägerin für ein Paar Kontaktlinsen (formstabil, hochgaspermeabel BTO, individuelle rück- und vorderflächentorische Flächengeometrie) einen Betrag in Höhe von EUR 630,00 (Rechnung vom 13. März 2004). Die ärztliche Verordnung und die Rechnung übersandte die Klägerin der Beklagten, die den Eingang mit Schreiben vom 19. März 2004 bestätigte. Die Klägerin legte über die Firma Müller-Welt Contactlinsen der Beklagten weiter einen Kostenvoranschlag vom 05. April 2004 für die Anfertigung von einem Paar Spezial-Kontaktlinsen mit einem Betrag von EUR 630,00 vor (Eingang bei der Beklagten am 07. April 2004). Die Beklagte lehnte eine Kostenbeteiligung ab, da die Voraussetzungen, unter denen nach dem Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 01. Dezember 2003 Sehhilfen noch verordnet werden könnten, nicht vorlägen (Bescheid vom 08. April 2004).
Mit ihrem Widerspruch verwies die Klägerin auf die augenärztliche Bescheinigung vom 15. Mai 2004, wonach mit einer Brillenkorrektur des komplexen Brechkraftfehlers einäugig jeweils eine Sehschärfe von 0,6 erreicht werden könne, die jedoch subjektiv nicht verträglich sei. Mit der bestehenden subjektiv verträglichen Brillenkorrektur könne lediglich eine Sehschärfe von rechts 0,2 und links 0,25 erreicht werden. Ein Anpassversuch von bitorischen Kontaktlinsen sei erfolgreich verlaufen. Die Korrektur sei beidäugig verträglich und habe zu einer deutlichen Verbesserung des Visus gegenüber der getragenen Brillenkorrektur geführt. Eine Anhebung des Visus über das Niveau einer Sehbehinderung sei nur mittels Anpassung der speziellen Kontaktlinsen möglich. In der daraufhin veranlassten gutachterlichen Stellungnahme vom 05. Juli 2004 verwies Dr. G., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), auf die seit dem 01. Januar 2004 geltende Regelung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG), wonach Sehhilfen (Brillengläser, Kontaktlinsen, vergrößernde Sehhilfen) zur Verbesserung der Sehschärfe bei einem mit Brille oder Kontaktlinsen bestmöglich korrigierten Visus über 0,3 auf dem besseren Auge für Personen über 18 Jahre nicht mehr verordnungsfähig seien.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. September 2004). Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, bestehe ein Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie auf Grund ihrer Sehschwäche oder Blindheit entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung von mindestens Stufe 1 aufwiesen. Dies liege vor, wenn die Sehschärfe (Visus) auf jedem Auge bei bestmöglicher Korrektur trotz Verwendung von Sehhilfen jeglicher Art (z.B. Brillengläser, Kontaktlinsen, vergrößernde Sehhilfen) maximal 0,3 betrage. Bestehe bei bestmöglicher Korrektur auf einem Auge eine Sehleistung von &8804; 0,3 (kleiner oder gleich 30%), auf dem anderen Auge bei bestmöglicher Korrektur eine Sehleistung von ) 0,3 (größer als 30%), bestehe kein Leistungsanspruch für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten. Eine eingeschränkte Sehfähigkeit von bis zu 0,3 auf einem Auge allein reiche für einen Leistungsanspruch nicht aus. Der Gutachter des MDK sei unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Kostenübernahme für die beantragte Versorgung empfohlen werden könne. Wie durch Dr. A.-S. am 15. Mai 2004 sowie im Kostenvoranschlag der Firma Müller-Welt Contactlinsen bestätigt werde, könne mit einer Kontaktlinsenversorgung auf beiden Augen eine Sehleistung von deutlich mehr als 0,3 erreicht werden.
Die Klägerin hat am 22. Oktober 2004 Klage bei dem Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Es könne eine Sehschärfe von 0,3 auf dem besseren Auge durch eine Brille nicht erreicht werden, sondern nach der Bescheinigung des Dr. A.-S. vom 15. Mai 2004 auf Grund der bestehenden subjektiv verträglichen Brillenkorrektur lediglich eine Sehschärfe von rechts 0,2 und 0,25. Wegen der Bindegewebsschwäche komme nur das Tragen von Kontaktlinsen in Frage. Die vorhandene Sehschwäche könne nicht durch die Verordnung einer Brille ausgeglichen werden. Das Tragen spezieller Kontaktlinsen verlangsame das Fortschreiten der Hornhautverkrümmung, die durch das Tragen einer Brille nicht beeinflusst werden könne, sondern weiter fortschreite. Die speziellen Kontaktlinsen, die das einzige Hilfsmittel seien, um ihren Gesundheitszustand zu verbessern bzw. das derzeitige Sehvermögen zu erhalten, dienten daher als therapeutische Maßnahme. Zu bedenken sei auch, dass die Kosten für finanzielle Aufwendungen wie Blindengeld oder Begleitperson weit höher wären als die Kosten der Kontaktlinsen. Die Klägerin hat eine Abhandlung des Dr. H. vom 05. Juli 2003 über Augenveränderungen beim Marfan-Syndrom vorgelegt.
Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf ihren Widersoruchsbescheid entgegengetreten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. Oktober 2005 abgewiesen. Der Anspruch auf Sehhilfen sei nach § 33 Abs. 1 Satz 5 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) auf Ausnahmen beschränkt, die vorlägen, wenn der Versicherte auf Grund einer Sehschwäche oder Blindheit entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweise, was nach Nr. 53.1 der Hilfsmittel-Richtlinien voraussetze, dass die Sehschärfe bei bestmöglicher Korrektur mit einer Brillen- oder möglichen Kontaktlinsenversorgung auf dem besseren Auge maximal 0,3 betrage. Hieran fehle es, weil sowohl nach den Feststellungen der Firma Müller-Welt Contactlinsen als auch des Dr. A.-S. der Visus bei Versorgung mit Kontaktlinsen oberhalb dieses Grenzwerts liege. Die Kontaktlinsen könnten auch nicht nach Nr. 60.14 der Hilfsmittel-Richtlinien als therapeutische Sehhilfen im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 5 2. Alternative SGB V angesehen werden, weil bei der Klägerin ein ausgeprägtes, fortgeschrittenes Keratokonus mit keratonusbedingten pathologischen Raumhautveränderungen und einem Hornhautradius von weniger als 7 mm zentralen oder im Apex oder nach Hornhauttransplantationen/Keratoplastik nicht vorliege.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 20. Oktober 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17. November 2005 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer Auffassung fest, bei den von ihr beschafften Kontaktlinsen handele es sich um therapeutische Sehhilfen. Die entsprechenden Voraussetzungen lägen vor, weil bei ihr eine hohe Stabsichtigkeit und ein beiderseitiger Hornhautastigmatismus vorliege.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. September 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Kosten für Kontaktlinsen in Höhe von EUR 630,00 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des Sozialgerichts sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die form- und fristgerechte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligter gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben. Der Beschwerdewert von EUR 500,00 ist überschritten, weil die Klägerin die Erstattung eines Betrags von EUR 630,00 begehrt.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung des Betrags von EUR 630,00.
Anspruchsgrundlage für den von der Kläger geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Danach sind dem Versicherten Kosten einer selbst beschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte.
1. Dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch steht schon entgegen, dass die Klägerin sich die Leistung selbst beschaffte, ohne sich vorher an die Beklagte gewandt zu haben. Denn eine auf die unrechtmäßige Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des BSG regelmäßig aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. § 13 Abs. 3 SGB V gewährt einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung; z.B. BSG, Urteil vom 20. Mai 2003, SozR 4-2500 § 13 Nr. 1 mwN). Auch kann ein Kostenerstattungsanspruch auf die Unfähigkeit der Krankenkasse, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen, nur gestützt werden, wenn es dem Versicherten nicht möglich oder nicht zuzumuten war, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Kasse in Verbindung zu setzen (BSG, Urteil vom 25. September 2000 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 22). Die Klägerin wandte sich nicht an die Beklagte wegen der ärztlichen Verordnung der Kontaktlinsen vom 16. Februar 2004. Sie ließ die Kontaktlinsen zuerst von der Firma Müller-Welt Contactlinsen entsprechend dieser ärztlichen Verordnung anfertigen und reichte anschließend die Rechnung der Firma Müller-Welt Contactlinsen vom 13. März 2004 über den geltend gemachten Betrag von EUR 630,00 bei der Beklagten ein. Die Ablehnung der Kostenbeteiligung erfolgte erst, nachdem die Klägerin Anfang April 2004 der Beklagten noch einen Kostenvoranschlag übersandt hatte. Die Beklagte konnte sich mithin mit der Frage, ob der Klägerin ein Sachleistungsanspruch hinsichtlich der Versorgung mit Kontaktlinsen zusteht, erst befassen, als die Klägerin sich die Leistung bereits selbst beschafft hatte. Es sind keine Gründe erkennbar, die die Klägerin gehindert hätten, nach Erhalt der ärztlichen Verordnung vom 16. Februar 2004 sich wegen eines Sachleistungsanspruchs an die Beklagte zu wenden.
2. Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch besteht auch deshalb nicht, weil die Klägerin keinen Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte auf die durchgeführte Versorgung mit den Kontaktlinsen hatte. Der Anspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung vgl. z.B. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 1/06 R - mwN).
Ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen bestand nicht. Denn die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 5, 1. Alternative SGB V sowie des Abschnitts E Nrn. 53.1 und 60.14 der auf der gesetzlichen Grundlage des § 92 SGB V beruhenden und nach § 91 Abs. 9 SGB V für die Versicherten verbindlichen Hilfsmittel-Richtlinien, die im Widerspruchsbescheid und Gerichtsbescheid zutreffend wiedergegeben sind, sind nicht gegeben. Die Sehschärfe beträgt bei der Korrektur mit der (von der Klägerin selbst beschafften) Kontaktlinsenversorgung auf dem besseren Auge mehr als 0,3. Eine der in Nr. 60.14 der Hilfsmittel-Richtlinien genannten Erkrankungen, die das Sozialgericht im Gerichtsbescheid zutreffend wiedergegeben hat, ist nicht gegeben. Sie lassen sich weder der ärztlichen Verordnung des Prof. Dr. W. vom 16. Februar 2004 noch der Bescheinigung des Dr. A.-S. vom 15. Mai 2004 entnehmen. Die Klägerin leidet an dem Marfan-Syndrom, das sich in einer Subluxation der Augenlinsen manifestiert hat, die zu der Fehlsichtigkeit führt.
Schließlich ergibt sich ein Sachleistungsanspruch für Kontaktlinsen auch nicht daraus, dass die Kontaktlinsen als therapeutische Sehhilfen zur Behandlung einer Augenverletzung oder Augenerkrankung dienten (§ 33 Abs. 1 Satz 5, 2. Alternative SGB V, Nr. 53.2 der Hilfsmittel-Richtlinien). Nach der augenärztlichem Bescheinigung des Dr. A.-S. vom 15. Mai 2004 erfolgte der Anpassversuch von bitorischen Kontaktlinsen zur Verbesserung des Visus (Sehschärfe).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von EUR 630,00 für Kontaktlinsen.
Die 1984 geborene Klägerin war im Jahre 2004 bei der Beklagten als Familienangehörige versichert. Bei ihr besteht die erbliche Erkrankung eines Marfan-Syndroms. Nach der von der Klägerin im Widerspruchsverfahren vorgelegten augenärztlichen Bescheinigung des Dr. A.-S., Augenklinik des K.-hospitals S., vom 15. Mai 2004 hat sich diese Erkrankung an beiden Augen mit einer Dezentrierung (Subluxation) der Augenlinsen manifestiert und es besteht infolge der Linsensubluxation eine beidseitige linsenbedingte hohe Stabsichtigkeit sowie ein beiderseitiger Hornhautastigmatismus und eine Myopie. Prof. Dr. W., K.-hospital S., verordnete am 16. Februar 2004 formstabile Kontaktlinsen. Die Firma Müller-Welt Contactlinsen berechnete der Klägerin für ein Paar Kontaktlinsen (formstabil, hochgaspermeabel BTO, individuelle rück- und vorderflächentorische Flächengeometrie) einen Betrag in Höhe von EUR 630,00 (Rechnung vom 13. März 2004). Die ärztliche Verordnung und die Rechnung übersandte die Klägerin der Beklagten, die den Eingang mit Schreiben vom 19. März 2004 bestätigte. Die Klägerin legte über die Firma Müller-Welt Contactlinsen der Beklagten weiter einen Kostenvoranschlag vom 05. April 2004 für die Anfertigung von einem Paar Spezial-Kontaktlinsen mit einem Betrag von EUR 630,00 vor (Eingang bei der Beklagten am 07. April 2004). Die Beklagte lehnte eine Kostenbeteiligung ab, da die Voraussetzungen, unter denen nach dem Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 01. Dezember 2003 Sehhilfen noch verordnet werden könnten, nicht vorlägen (Bescheid vom 08. April 2004).
Mit ihrem Widerspruch verwies die Klägerin auf die augenärztliche Bescheinigung vom 15. Mai 2004, wonach mit einer Brillenkorrektur des komplexen Brechkraftfehlers einäugig jeweils eine Sehschärfe von 0,6 erreicht werden könne, die jedoch subjektiv nicht verträglich sei. Mit der bestehenden subjektiv verträglichen Brillenkorrektur könne lediglich eine Sehschärfe von rechts 0,2 und links 0,25 erreicht werden. Ein Anpassversuch von bitorischen Kontaktlinsen sei erfolgreich verlaufen. Die Korrektur sei beidäugig verträglich und habe zu einer deutlichen Verbesserung des Visus gegenüber der getragenen Brillenkorrektur geführt. Eine Anhebung des Visus über das Niveau einer Sehbehinderung sei nur mittels Anpassung der speziellen Kontaktlinsen möglich. In der daraufhin veranlassten gutachterlichen Stellungnahme vom 05. Juli 2004 verwies Dr. G., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), auf die seit dem 01. Januar 2004 geltende Regelung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG), wonach Sehhilfen (Brillengläser, Kontaktlinsen, vergrößernde Sehhilfen) zur Verbesserung der Sehschärfe bei einem mit Brille oder Kontaktlinsen bestmöglich korrigierten Visus über 0,3 auf dem besseren Auge für Personen über 18 Jahre nicht mehr verordnungsfähig seien.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. September 2004). Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, bestehe ein Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie auf Grund ihrer Sehschwäche oder Blindheit entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung von mindestens Stufe 1 aufwiesen. Dies liege vor, wenn die Sehschärfe (Visus) auf jedem Auge bei bestmöglicher Korrektur trotz Verwendung von Sehhilfen jeglicher Art (z.B. Brillengläser, Kontaktlinsen, vergrößernde Sehhilfen) maximal 0,3 betrage. Bestehe bei bestmöglicher Korrektur auf einem Auge eine Sehleistung von &8804; 0,3 (kleiner oder gleich 30%), auf dem anderen Auge bei bestmöglicher Korrektur eine Sehleistung von ) 0,3 (größer als 30%), bestehe kein Leistungsanspruch für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten. Eine eingeschränkte Sehfähigkeit von bis zu 0,3 auf einem Auge allein reiche für einen Leistungsanspruch nicht aus. Der Gutachter des MDK sei unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Kostenübernahme für die beantragte Versorgung empfohlen werden könne. Wie durch Dr. A.-S. am 15. Mai 2004 sowie im Kostenvoranschlag der Firma Müller-Welt Contactlinsen bestätigt werde, könne mit einer Kontaktlinsenversorgung auf beiden Augen eine Sehleistung von deutlich mehr als 0,3 erreicht werden.
Die Klägerin hat am 22. Oktober 2004 Klage bei dem Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Es könne eine Sehschärfe von 0,3 auf dem besseren Auge durch eine Brille nicht erreicht werden, sondern nach der Bescheinigung des Dr. A.-S. vom 15. Mai 2004 auf Grund der bestehenden subjektiv verträglichen Brillenkorrektur lediglich eine Sehschärfe von rechts 0,2 und 0,25. Wegen der Bindegewebsschwäche komme nur das Tragen von Kontaktlinsen in Frage. Die vorhandene Sehschwäche könne nicht durch die Verordnung einer Brille ausgeglichen werden. Das Tragen spezieller Kontaktlinsen verlangsame das Fortschreiten der Hornhautverkrümmung, die durch das Tragen einer Brille nicht beeinflusst werden könne, sondern weiter fortschreite. Die speziellen Kontaktlinsen, die das einzige Hilfsmittel seien, um ihren Gesundheitszustand zu verbessern bzw. das derzeitige Sehvermögen zu erhalten, dienten daher als therapeutische Maßnahme. Zu bedenken sei auch, dass die Kosten für finanzielle Aufwendungen wie Blindengeld oder Begleitperson weit höher wären als die Kosten der Kontaktlinsen. Die Klägerin hat eine Abhandlung des Dr. H. vom 05. Juli 2003 über Augenveränderungen beim Marfan-Syndrom vorgelegt.
Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf ihren Widersoruchsbescheid entgegengetreten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. Oktober 2005 abgewiesen. Der Anspruch auf Sehhilfen sei nach § 33 Abs. 1 Satz 5 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) auf Ausnahmen beschränkt, die vorlägen, wenn der Versicherte auf Grund einer Sehschwäche oder Blindheit entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweise, was nach Nr. 53.1 der Hilfsmittel-Richtlinien voraussetze, dass die Sehschärfe bei bestmöglicher Korrektur mit einer Brillen- oder möglichen Kontaktlinsenversorgung auf dem besseren Auge maximal 0,3 betrage. Hieran fehle es, weil sowohl nach den Feststellungen der Firma Müller-Welt Contactlinsen als auch des Dr. A.-S. der Visus bei Versorgung mit Kontaktlinsen oberhalb dieses Grenzwerts liege. Die Kontaktlinsen könnten auch nicht nach Nr. 60.14 der Hilfsmittel-Richtlinien als therapeutische Sehhilfen im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 5 2. Alternative SGB V angesehen werden, weil bei der Klägerin ein ausgeprägtes, fortgeschrittenes Keratokonus mit keratonusbedingten pathologischen Raumhautveränderungen und einem Hornhautradius von weniger als 7 mm zentralen oder im Apex oder nach Hornhauttransplantationen/Keratoplastik nicht vorliege.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 20. Oktober 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17. November 2005 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer Auffassung fest, bei den von ihr beschafften Kontaktlinsen handele es sich um therapeutische Sehhilfen. Die entsprechenden Voraussetzungen lägen vor, weil bei ihr eine hohe Stabsichtigkeit und ein beiderseitiger Hornhautastigmatismus vorliege.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. September 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Kosten für Kontaktlinsen in Höhe von EUR 630,00 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des Sozialgerichts sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die form- und fristgerechte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligter gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben. Der Beschwerdewert von EUR 500,00 ist überschritten, weil die Klägerin die Erstattung eines Betrags von EUR 630,00 begehrt.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung des Betrags von EUR 630,00.
Anspruchsgrundlage für den von der Kläger geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Danach sind dem Versicherten Kosten einer selbst beschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte.
1. Dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch steht schon entgegen, dass die Klägerin sich die Leistung selbst beschaffte, ohne sich vorher an die Beklagte gewandt zu haben. Denn eine auf die unrechtmäßige Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des BSG regelmäßig aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. § 13 Abs. 3 SGB V gewährt einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung; z.B. BSG, Urteil vom 20. Mai 2003, SozR 4-2500 § 13 Nr. 1 mwN). Auch kann ein Kostenerstattungsanspruch auf die Unfähigkeit der Krankenkasse, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen, nur gestützt werden, wenn es dem Versicherten nicht möglich oder nicht zuzumuten war, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Kasse in Verbindung zu setzen (BSG, Urteil vom 25. September 2000 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 22). Die Klägerin wandte sich nicht an die Beklagte wegen der ärztlichen Verordnung der Kontaktlinsen vom 16. Februar 2004. Sie ließ die Kontaktlinsen zuerst von der Firma Müller-Welt Contactlinsen entsprechend dieser ärztlichen Verordnung anfertigen und reichte anschließend die Rechnung der Firma Müller-Welt Contactlinsen vom 13. März 2004 über den geltend gemachten Betrag von EUR 630,00 bei der Beklagten ein. Die Ablehnung der Kostenbeteiligung erfolgte erst, nachdem die Klägerin Anfang April 2004 der Beklagten noch einen Kostenvoranschlag übersandt hatte. Die Beklagte konnte sich mithin mit der Frage, ob der Klägerin ein Sachleistungsanspruch hinsichtlich der Versorgung mit Kontaktlinsen zusteht, erst befassen, als die Klägerin sich die Leistung bereits selbst beschafft hatte. Es sind keine Gründe erkennbar, die die Klägerin gehindert hätten, nach Erhalt der ärztlichen Verordnung vom 16. Februar 2004 sich wegen eines Sachleistungsanspruchs an die Beklagte zu wenden.
2. Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch besteht auch deshalb nicht, weil die Klägerin keinen Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte auf die durchgeführte Versorgung mit den Kontaktlinsen hatte. Der Anspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung vgl. z.B. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 1/06 R - mwN).
Ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen bestand nicht. Denn die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 5, 1. Alternative SGB V sowie des Abschnitts E Nrn. 53.1 und 60.14 der auf der gesetzlichen Grundlage des § 92 SGB V beruhenden und nach § 91 Abs. 9 SGB V für die Versicherten verbindlichen Hilfsmittel-Richtlinien, die im Widerspruchsbescheid und Gerichtsbescheid zutreffend wiedergegeben sind, sind nicht gegeben. Die Sehschärfe beträgt bei der Korrektur mit der (von der Klägerin selbst beschafften) Kontaktlinsenversorgung auf dem besseren Auge mehr als 0,3. Eine der in Nr. 60.14 der Hilfsmittel-Richtlinien genannten Erkrankungen, die das Sozialgericht im Gerichtsbescheid zutreffend wiedergegeben hat, ist nicht gegeben. Sie lassen sich weder der ärztlichen Verordnung des Prof. Dr. W. vom 16. Februar 2004 noch der Bescheinigung des Dr. A.-S. vom 15. Mai 2004 entnehmen. Die Klägerin leidet an dem Marfan-Syndrom, das sich in einer Subluxation der Augenlinsen manifestiert hat, die zu der Fehlsichtigkeit führt.
Schließlich ergibt sich ein Sachleistungsanspruch für Kontaktlinsen auch nicht daraus, dass die Kontaktlinsen als therapeutische Sehhilfen zur Behandlung einer Augenverletzung oder Augenerkrankung dienten (§ 33 Abs. 1 Satz 5, 2. Alternative SGB V, Nr. 53.2 der Hilfsmittel-Richtlinien). Nach der augenärztlichem Bescheinigung des Dr. A.-S. vom 15. Mai 2004 erfolgte der Anpassversuch von bitorischen Kontaktlinsen zur Verbesserung des Visus (Sehschärfe).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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