L 25 B 359/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 2209/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 359/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
L 25 B 360/06 AS PKH
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der den Erlass einer Einstweiligen Anordnung ablehnende Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. April 2006 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, für den Zeitraum 10. März bis 30. Juni 2006 vorläufig an die Antragstellerin monatlich Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 742,61 Euro (Regelleistung 345,00 Euro zuzüglich Kosten der Unterkunft 397,61 Euro) zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin 1/3 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 2. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. April 2006 aufgehoben. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren gewährt. Frau Rechtsanwältin Gisela Leppers wird beigeordnet.

Gründe:

I.

Umstritten ist - im Rahmen eines Einstweiligen Rechtsschutzverfahrens - ob es der Antragsgegner zu Recht abgelehnt hat, der am 16. September 1966 in Frankreich geborenen ledigen Antragstellerin französischer Staatsangehörigkeit aufgrund ihres Fortzahlungsantrags vom 12. Januar 2006 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren.

Die Antragstellerin, die sich zunächst aufgrund einer Aufenthaltsgenehmigung vom 9. November 2000 bis zum 11. November 2002 zur Aufnahme einer Beschäftigung bei der Firma Catarina Hagen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hatte, kehrte nach Beendigung dieses und eines weiteren Arbeitsverhältnisses nach Frankreich zurück. Am 14. Oktober 2004 reiste die Antragstellerin wieder ein in der Absicht, eine Arbeitsstelle als Kulturmanagerin für Frau N H anzutreten; diese Arbeitsaufnahme kam jedoch aufgrund der Abreise Frau H in die USA nicht zustande. Nach ihrer Wiedereinreise war die Antragstellerin zunächst arbeitslos. Ausweislich ihres Schreibens vom 14. Juli 2006 hat die Antragstellerin einen Minijob in der Gastronomie inne.

Auf ihren Antrag vom 9. Februar 2006 erteilte die Ausländerbehörde Berlin (Az.: IV A 2124) am 20. Februar 2006 eine erneute unbefristete Freizügigkeitsbescheinigung EU - gemäß § 5 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (verkündet als Art. 2 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern [Zuwanderungsgesetz, Bundesgesetzblatt 2004 I, Seite 1950] -FreizügG/EU). Die von der Antragstellerin unterschriebene Erklärung zur Ausstellung der Freizügigkeitsbescheinigung EU enthielt u. a. folgende Angaben:

Der Antragsgegner versagte mit Bescheid vom 24. Februar 2006 die Leistungen nach dem SGB II ab dem 1. Februar 2006 ganz, nachdem die Antragstellerin die angeforderten Unterlagen/Nachweise (Bestreitung des Lebensunterhaltes aus eigenen Mitteln, Kopie der ersten Aufenthaltsgenehmigung, Kontoauszüge der letzten zwei Monate, Steuerkarte 2005 und 2006, Krankenkassekarte, Sozialversicherungsausweis, polizeiliche Meldung) nicht vollständig überreicht, insbesondere lediglich eine Kopie bezüglich ihres vormaligen Aufenthaltsstatus und keine Erklärung über die (aktuelle) Bestreitung des Lebensunterhaltes eingereicht hatte.

Gegen den Versagungsbescheid legte die Antragstellerin am 27. Februar 2006 Widerspruch ein; dieser ist nach dem Inhalt der Verwaltungsakte bisher nicht entschieden.

Die Antragstellerin hat am 10. März 2006 bei dem Sozialgericht Berlin (SG) den Antrag gestellt, 1. den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren weiter zu gewähren, 2. der Antragstellerin für das Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin G L zu bewilligen.

Zur Begründung trug die Antragstellerin vor, dass sie Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe, da sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe und ihr die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt sei (§ 7 Abs. 1, § 8 Abs. 2 SGB II).

Sie sei auch ihrer Mitwirkungspflicht nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nachgekommen und habe insbesondere die erforderlichen Nachweise über ihren Aufenthaltsstatus, nämlich Freizügigkeitsbescheinigungen vom 18. Januar 2005 und vom 20. Februar 2006, vorgelegt. Einen anderen Nachweis über ihren Aufenthaltsstatus habe sie nicht. Die genannte Freizügigkeitsbescheinigung sei das einzige Aufenthaltsdokument für französische Staatsbürger, da der Aufenthaltstitel für Bürger eines Staates der Europäischen Union durch das Ausländergesetz vom 30. Juli 2004 abgeschafft worden sei. Bezüglich ihrer Krankenversicherung füge sie eine Bescheinigung der BKK vom 24. Februar 2006 bei, die den Fortbestand ihrer Krankenversicherung belege. Auch sonst habe sich in ihren Verhältnissen nichts geändert, so dass sie nicht verstehe, weshalb die Leistungen nunmehr eingestellt worden seien. Sie wisse nicht, wie sie zurzeit ihren Lebensunterhalt, insbesondere auch die Miete (407,00 Euro), zahlen solle.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, dem Antrag des Antragsgegners folgend, sowie das Prozesskostenhilfegesuch mit Beschluss vom 5. April 2006 abgelehnt, da es an der Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit fehle. Es sei der Antragstellerin nicht zu glauben, wenn sie einerseits gegenüber dem Antragsgegner angebe, einkommenslos zu sein, und andererseits gegenüber der Ausländerbehörde unter dem 9. Februar 2006 erkläre, als Arbeitnehmerin, selbstständig Erwerbstätige, Verbleibeberechtigte oder Nicht-Erwerbstätige mit ausreichenden Existenzmitteln (mindestens 600,00 Euro/Monat) und Krankenversicherungsschutz freizügigkeitsberechtigt zu sein.

Mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung sei auch keine Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Gegen den ihr am 11. April 2006 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 3. Mai 2006 beim SG Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, dass sie bis heute bedürftig sei und mittlerweile über keine Krankenversicherung mehr verfüge.

Sie habe zur Erteilung der Freizügigkeitsbescheinigung nicht angegeben, über eigenen Erwerb und Mittel zum Leben von 600,00 Euro monatlich zu verfügen. Bei dem Freizügigkeitspapier vom Februar 2006 habe es sich um eine Kopie ihrer Freizügigkeitsbescheinigung vom 15. Oktober 2004 gehandelt, die ihr von der Ausländerbehörde ausgehändigt worden sei, als sie im Februar 2006 um neuerliche Bescheinigung ihres Aufenthaltsstatus ersucht habe. Bei der Beantragung der Freizügigkeit im Oktober 2004 habe sie beabsichtigt, eine Arbeitsstelle bei Frau N H anzutreten, die sie jedoch nicht erhalten habe. Sie sei daher unfreiwillig arbeitslos geworden (§ 2 Abs. 3 FreizügG). Mittlerweile habe sie einen Minijob in der Gastronomie gefunden und wolle als Arbeitnehmerin bei dem JobCenter einen Neuantrag stellen, um Teilbezüge zu erhalten.

Zum Nachweis ihrer Hilfebedürftigkeit hat die Antragstellerin u. a. ein Schreiben der DEGEWO vom 24. April 2006 mit der fristlosen Kündigung (Mietrückstand: 1.101,15 Euro), eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 8. bis 20 Februar 2006, einen Beleg über die Zahlung gemäß § 28 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für das erste Quartal 2006 bei der BKK Gesundheit/West, eine Bescheinigung über dringenden medizinischen Behandlungsbedarf der Ärzte M S, P D und die Notwendigkeit eines Krankenversicherungsschutzes ab April 2006 sowie diverse Bewerbungsnachweise (aus Oktober, November 2005, Januar 2006) vorgelegt.

Der Senat geht davon aus, die Antragstellerin wolle im hiesigen Verfahren beantragen,

1. den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2006 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der Einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Vorbehalt einer Regelung zur Hauptsache vorläufig auszuzahlen, 2. den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2006 aufzuheben und der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin G L zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen,

und trägt vor: Da die Antragstellerin ihren früheren Aufenthaltsstatus (vor Freizügigkeitsbescheinigung) nicht nachgewiesen habe, sei nicht zu ermitteln gewesen, ob sie anspruchsberechtigt im Sinne des SGB II sei. Freizügigkeitsberechtigt nach § 5 FreizügG/EU seien Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten der EU, die die Voraussetzungen des § 2 FreizügG/EU erfüllten, dies sei nicht der Fall. Freizügigkeitberechtigt seien auch nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU (bei Nachweis ausreichenden Krankenversicherungsschutzes und ausreichender Existenzmittel [keine staatlichen Leistungen]) oder wenn sie sich seit fünf Jahren selbstständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hätten (§ 2 Abs. 5 FreizügG/EU). Nach den Ermittlungen bei der Ausländerbehörde scheide ein Recht auf Aufenthalt nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU aus, da sich die Antragstellerin von 2002 bis 2004 in Frankreich aufgehalten habe. Da die Antragstellerin zum Zweck der Arbeitssuche nach Deutschland eingereist sei, habe sie auch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II n. F. keinen Anspruch auf Leistungen.

Bei der Antragstellerin bestehe auch keine Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II, weil nach ihrer Erklärung ausreichende Existenzmittel vorhanden seien. Im Übrigen bestreite die Antragstellerin seit Februar 2006 ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Hilfe.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akten des einstweiligen Verfahren einschließlich der Verwaltungsunterlagen des Antragsgegners (Gz.: ) sowie der Kopien aus der Ausländerakte verwiesen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.

II.

Die Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Nach § 86 Abs. 2 Satz 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint.

Diese Voraussetzungen liegen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang vor. Hinsichtlich des Zeitraumes 10. März 2006 (Eingang des Antrags auf einstweilige Anordnung bei dem SG) bis 30. Juni 2006 ist der Antragsgegner aus den unten zu a) und b) dargelegten Gründen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu erbringen, im übrigen scheitert der Anspruch aus den zu c) dargelegten Gründen.

Im Einzelnen: a) Die Antragstellerin ist erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II und hat auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Vorbehaltlich weiterer Ermittlungen war die Antragstellerin in diesem Zeitraum auch hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II. Leistungen könnten der Antragstellerin daher nur unter Berufung auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 24. März 2006, [Bundesgesetzblatt 1, Seite 558], i. F. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II n. F.) verweigert werden. Dieses Gesetz gilt jedoch erst ab dem 1. April 2006 (Art. 5 Abs. 1 des vorgenannten Gesetzes). Für den davor liegenden Zeitraum (10. bis 31. März 2006) verbleibt es bei der damaligen Rechtslage.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II a. F. erhielten Ausländer mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland Leistungen, wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 SGB II vorgelegen haben. Nach § 8 Abs. 2 können Ausländer im Sinne von Abs. 1 nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Dies ist bei der Antragstellerin als einer freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin - im Ausgangspunkt - ohne weiteres der Fall (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet [Aufenthaltsgesetz - AufenthG). Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 des FreizügG/EU sind - in Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben - freizügigkeitsberechtigt u. a. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen. Die Antragstellerin ist damit freizügigkeitsberechtigt unabhängig davon, ob sie in der sicheren Erwartung einer Arbeitsaufnahme in Deutschland eingereist ist (Arbeit als Kulturmanagerin für Frau Hagen) oder ob es sich insoweit nur um eine vage Erwartung gehandelt hat und die Antragstellerin daher als Arbeit suchende Unionsbürgerin anzusehen wäre. Die Antragstellerin wäre daher für den Zeitraum bis zur Gesetzesänderung per 1. April 2006 als erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 SGB II a. F. zu behandeln, da ihr die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist und sie genehmigungsfreien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG). Dahinstehen kann, ob materiell-rechtlich die Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchende nach einem Zeitraum von mindestens 6 Monaten endete und nach einer Beschäftigungsdauer von mindestens einem Jahr unbegrenzt bestünde (so Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8. Auflage, 2005 u. H. a. Art. 7 III Buchstaben b und c FreizügigG-Richtlinie) Jedenfalls hat die Ausländerbehörde nach dem Inhalt der Akten, den Verlust des Rechts auf Aufenthalt (§ 6 FreizügigG/EU) der Ast. bislang nicht festgestellt. Von daher bleibt bei summarischer Prüfung eine Folgerung für den Zeitraum bis 31. März 2006 ohne Anhalt, die Ast. sei als Nichterwerbstätige i. S. des § 4 Satz 1 FreizügigG/EU anzusehen und könne darauf verwiesen werden, sie habe erklärt, über ausreichend Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz zu verfügen.

b) Für den Zeitraum ab dem 1. April 2006 gilt Folgendes: Ausgenommen von der Leistung nach dem SGB II sind solche Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II n. F.). Mit dieser Neufassung hat der Gesetzgeber Art. 24 Abs. 2 i. V. m. Art. 14 Abs. 4 b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Amtsblatt der Europäischen Union vom 30. April 2004 L 158/77 ff.) umgesetzt (vgl. Bundestagsdrucksache [BT-Drs.] 16/688, S. 13). Nach der Richtlinie 2004/38/EG haben Unionsbürger und ihre Familienangehörigen für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten das Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat ohne jegliche Bedingungen oder Formalitäten außer der Pflicht, im Besitz eines gültigen Reispasses oder Personalausweises zu sein. Ein Recht auf Aufenthalt von mehr als drei Monaten in einem anderen Mitgliedstaat haben Unionsbürger nach Art. 7 EU-Richtlinie insbesondere, wenn sie 1. Arbeitnehmer oder Selbstständige im Aufnahmemitgliedstaats sind oder 2. wenn sie nicht Arbeitnehmer oder selbstständig Erwerbstätige sind, für sich über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat haben. Nach Art. 8 Abs. 4 EU-Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, sondern sie müssen die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Der Betrag, der als ausreichende Existenzmittel anzusehen ist, darf jedoch keinesfalls über dem Schwellenbetrag liegen, unter dem der Aufnahmemitgliedstaat seinen Staatsangehörigen Sozialhilfe gewährt.

In Umsetzung der EU-Richtlinie bestimmt § 2 Abs. 2 FreizügG/EU, dass Unionsbürger u. a. dann gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind, wenn sie sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG).

Aus dem Recht auf Einreise und Aufenthalt folgt jedoch noch nicht der ungehinderte Zugang zu Sozial(hilfe)leistungen. Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, sollen nämlich während dieses Aufenthalts, jedenfalls während der ersten drei Monate, die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates "nicht unangemessen in Anspruch nehmen" (vgl. Art. 14 Abs. 4 EU-Richtlinie sowie die diesbezüglichen Erwägungsgründe, vgl. Amtsblatt der EU vom 30. April 2004, L 158/81, Rdn. 10). Nach Art. 24 Abs. 2 EU-Richtlinie ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen und Personen, denen dieser Status erhalten bleibt und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder ggf. während des längeren Zeitraumes - bei Arbeitssuche mit Erfolgsaussicht nach Art. 14 Abs. 4 b - einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren.

Mit dem Wortlaut der Neufassung schließt der Bundesgesetzgeber aber erwerbslose Unionsbürger (und ihre Familienangehörigen) vom Zugang zu Sozialhilfeleistungen nicht nur für die ersten drei Monate des Aufenthalts im Bundesgebiet, sondern ohne eine zeitliche Begrenzung aus.

Andererseits ergeben die Materialien des Gesetzgebungsverfahrens: Nicht ausgeschlossen vom Leistungsbezug seien EU-Bürger, bei denen ein anderer Grund nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG greife, etwa Personen, die durch eine Vorbeschäftigung in Deutschland bereits Arbeitnehmerstatus erlangt haben (so ausdrücklich Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales - 11. Ausschuss - zu der neuen Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, BT-Drs. 16/1688, Seite 13).

Das Recht der Antragstellerin, Leistungen nach dem SGB II zu beziehen, ist nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II n. F. für Zeiten nach dem 1. April 2006 jedenfalls zweifelhaft, falls sich ihr Aufenthaltsrecht "allein aus dem Zweck der Arbeitssuche" ergeben sollte.

Der Senat lässt im einstweiligen Verfahren offen, ob er sich der vom SG Osnabrück, (Beschluss vom 27. April 2006, Aktenzeichen S 22 AS 263/06 ER) vertretenen Auffassung anschließen könnte, dass der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II n. F. im Rahmen einer teleologischen Reduktion dahingehend auszulegen sei, dass von der Neuregelung nur Ausländer betroffen sind, die sich erstmalig zum Zweck der Arbeitsuche in das Bundesgebiet begeben haben und dort unmittelbar mit dem Zuzug Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Diese Auffassung wird mit dem Gebot Richtlinien konformer Auslegung begründet (vgl. hierzu Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 10. April 1984 – 14/83 = Entscheidungssammlungen des Europäischen Gerichtshofes [EUGHE] 1984, 1891, 1909, zitiert nach Juris, Leitsatz 3). Hiernach sollen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union bei Erlass der Richtlinie 2004/38 EG davon ausgegangen sein, dass von dieser Regelung nur die EU-Bürger erfasst seien, die ihren Aufenthalt zum ersten mal in einem anderen Mitgliedstaat nehmen. Begründet wird dies auch mit der Formulierung der Ausschussbegründung: Auch die Familienangehörigen eines erstmals in Deutschland Arbeit suchenden EU-Bürgers sollten vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sein (BT-Drs. 16/688, Seite 13).

Ob die Antragstellerin unter diesen Personenkreis fällt, lässt sich derzeit nicht sicher feststellen. Hierzu bedarf es weiterer Ermittlungen, insbesondere dahingehend, ob die Antragstellerin bereits mit einem Arbeitsvertrag oder einem Vorvertrag, jedenfalls aber einer sicheren Zusage auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses bei der Firma H eingereist und daher als Erwerbstätige einzustufen ist oder ob sie - schlicht - als Arbeit suchend eingereist ist. In diesem Fall wäre sie nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II n. F. von Leistungen des SGB II ausgenommen. In diesem Zusammenhang wäre allerdings auch zu prüfen, inwieweit sich der Umstand, dass die Antragstellerin nicht zum ersten Mal in das Bundesgebiet eingereist ist, sondern sich bereits in den Jahren 2000 und 2001 als Arbeitnehmerin in der Bundesrepublik aufgehalten hat (hiervon zwei Monate bei der Firma H und knapp fünf Monate bei der SECURITAS GmbH/P) auf ihren Anspruch zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II auswirken würde.

Unter Berücksichtigung der Unwägbarkeiten in der Sachverhaltsermittlung stellt sich die Entscheidung des Senats daher als eine Abwägung der Folgen von Leistung oder Nichtleistung dar, die an den Maßstäben ausgerichtet ist, die das Bundesverfassungsgericht ([BVerfG], Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05) entwickelt hat. Eine Entscheidung anhand der Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit mit einer für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ausreichenden Gewissheit (§ 920 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG) - ist hier nicht möglich. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das einstweilige Verfahren im Streit um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose, deren Lebensbedarf für die schwer absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt wäre, oft die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, um das Existenzminimum durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose zu sichern.

Nicht anschließen konnte der Senat sich der vom Antragsgegner und dem SG vertretenen Auffassung, die Hilfebedürftigkeit für Zeiten seit 01. April 2006 sei bereits deswegen zu verneinen, weil die Antragstellerin in der Erklärung gemäß § 5 FreizügigG angegeben hat, über ausreichende Existenzmittel zu verfügen. Ohne nähere Sachaufklärung erscheint es jedenfalls denkbar, dass die Antragstellerin diese Erklärung über ausreichende Existenzmittel nur auf Nichterwerbstätige bezogen, sich selbst aber als Arbeitnehmerin angesehen hat. Hätte sie aber eine falsche Angaben gemacht, so könnte gleichwohl aus einer deklaratorischen Erklärung nicht ohne weiteres auf mangelnde Hilfebedürftigkeit geschlossen werden.

c) Allerdings kann die Antragstellerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens für den Zeitraum ab Juli 2006 keine (weiteren) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beanspruchen, weil sie dem Gericht mit Schreiben vom 14. Juli 2006 mitgeteilt hat, dass sie "mittlerweile" eine Arbeit habe (Minijob in der Gastronomie). Die Antragstellerin hat auf diesbezügliche Anfrage des Gerichts (Schreiben vom 30. Oktober 2006) nicht mitgeteilt, welchen Lohn sie aus dem Minijob bezieht und wie überhaupt ihre wirtschaftlichen Verhältnisse sich derzeit gestalten. Das Gericht kann daher nicht prüfen, ob die Antragstellerin hilfebedürftig ist. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass gerade in der Gastronomie neben einem - möglicherweise geringen - Lohn auch Trinkgelder vereinnahmt werden, die ebenfalls dem Einkommen der Antragstellerin zuzurechnen wären. Das Gericht geht daher - insoweit zu Gunsten der Antragstellerin - davon aus, dass sie diesen "mittlerweile" angenommenen Minijob erst seit Juli 2006 inne hat, da ihr diesbezügliches Mitteilungsschreiben vom 14. Juli 2006 datiert. Jedenfalls ab Juli 2006 ergibt die Folgenabwägung daher, dass seitdem eine Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Positionen der Ast. nicht zu besorgen ist. Dafür, dass derzeit kein dringendes Bedürfnis besteht, den Antragsgegner vorläufig zur Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II zu verpflichten, spricht auch, dass die Antragstellerin - entgegen ihrer Ankündigung im Schriftsatz vom 14. Juli 2006 - bisher keinen Neuantrag bei dem Antragsgegner gestellt hat.

2. Die Beschwerde gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) ablehnenden Beschluss des SG vom 5. April 2006 hat Erfolg. Die Antragstellerin kann für die Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens PKH unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten in Anspruch nehmen.

Nach 73 a Abs. 1 Satz 1 gelten die Vorschriften der ZPO über die PKH entsprechend. Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die Bejahung einer Erfolgsaussicht ist keine Erfolgsgewissheit erforderlich, es genügt eine Erfolgswahrscheinlichkeit, wobei die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden dürfen.

Aus den dargelegten Gründen bestand bis zur Entscheidung des SG eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit, d. h. der Rechtsstandpunkt der Antragstellerin war zumindest vertretbar. Dies gilt unabhängig davon, wie das Ergebnis einer jedenfalls in einem etwaigen Hauptsacheverfahren notwendig werdenden weiteren Sachverhaltsaufklärung vom Gericht letztendlich gewürdigt wird.

Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung liegen vor.

Die Frage nach einer Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren stellt sich demgegenüber nicht, da die Antragstellerin einen derartigen Antrag nicht gestellt hat.

Gegen diese Entscheidung sieht das Gericht einen ordentlichen Rechtsbehelf nicht vor (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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