L 25 B 697/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 5803/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 697/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (Ast.) bezog im Jahr 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2006 wurden der Ast. mit Bescheid der Antraggegnerin (Agg.) vom 22. Dezember 2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 655,17 EUR bewilligt.

Aufgrund einer Mitteilung der Mutter der Ast. am 7. September 2005 erhielt die Agg. davon Kenntnis, dass die Ast. in stationärer Behandlung auf der forensischen Station der CKlinik in S/Österreich sei. Nach Auskunft der Klinik vom 30. Dezember 2005/2. Januar 2006 war die Ast. am 23. Juli 2005 für unbestimmte Zeit aufgenommen worden. Mit Schreiben vom 13. Juni 2006 teilte die Landesklinik M, AÖsterreich, der Agg. mit, dass die Ast. sich nunmehr dort in psychiatrischer Behandlung im Maßnahmenvollzug nach österreichischem Strafrecht befinde.

Die Agg. erließ am 26. Juni 2006 drei Bescheide, in denen sie 1. die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit Wirkung vom 1. Februar 2006 aufhob, da sich die Ast. länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung befunden habe (§ 7 Abs. 1, § 8, § 9 Abs. 1 SGB II, § 48 Abs. 1 Satz 2 10. Buch Sozialgesetzbuch [ SGB X] i. V. m. § 40 Abs. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 3. Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]), 2. den Antrag auf Fortzahlung von Leistungen vom 20. Juni 2006 für die Zeit ab 1. Juli 2006 ablehnte, da die Ast. nicht erwerbsfähig sei und mithin die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch nicht vorlägen (§ 8 Abs. 2 SGB II), 3. die darlehensweise Übernahme von Mietschulden für die von der Ast. bei der D gemietete Wohnung ablehnte (§ 22 Abs. 5 SGB II), da der Vermieter zur Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht bereit sei und daher Rechtfertigung und Notwendigkeit für eine Mietschuldübernahme nicht gegeben seien.

Mit ihrem Widerspruch trug die Ast. vor, dass sie erwerbsfähig sei, im Krankenhaus acht Stunden täglich arbeite und nur durch das österreichische Strafrecht daran gehindert sei, zur Agg. zu kommen. Sie beantrage, die Mietschulden bei der D (2.119,43 EUR) auszugleichen.

Die Agg. wies den Widerspruch mit Bescheid vom 18. August 2006 als unbegründet zurück, da die Ast. aus den genannten Gründen keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe und sich auch nicht im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalte (§§ 8, 19, 24 SGB II).

Die Ast. hat im Rahmen ihres wegen der Leistungen nach dem SGB II von Januar bis Juni 2005 geführten Berufungsverfahrens bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ([LSG] Az.: L 5 AS 240/06) zugleich am 8. Juni 2006 einen "Antrag auf einstweilige Anordnung" gestellt und mitgeteilt, dass sie sich seit dem 6. Februar 2006 im Landesklinikum M/Niederösterreich befinde und ihre Überstellung nach Berlin beantragt habe. Im Krankenhaus nehme sie an einer Arbeitstherapie teil und erhalte eine kleine Entschädigung von 20,00 EUR im Monat. Im Rahmen der "einstweiligen Anordnung" beantrage sie:

- Bewerbungskostenpauschale für 2004 und 2005 von 520,00 EUR - Fortzahlung des Arbeitslosengeldes II ab Januar 2006 in Höhe von 345,00 EUR monatlich - Nachzahlung des Leistungsbetrages für September 2005 in Höhe von 345,00 EUR - Fortzahlung der Miete ihrer Wohnung, damit diese erhalten bleibe.

Außerdem habe die Agg. ihr eine Zeit lang nur 342,00 EUR anstatt 345,00 EUR angewiesen.

Das Sozialgericht Berlin (SG) hat mit Beschluss vom 19. Juli 2006 den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und ausgeführt, dass gegenüber der Agg. Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien (§ 7 Abs. 4 SGB II). Da aber im Hinblick auf den ungeklärten Versicherungsschutz der Ast. bei der Techniker Krankenkasse eine besondere Eilbedürftigkeit bestehe und ein Anspruch auf Krankenhilfe nach § 48 SGB XII in Betracht komme, habe das Gericht einen Eilantrag bei einer für SGB XII-Ansprüche zuständigen Kammer eintragen lassen.

Mit ihrer hiergegen erhobenen, bei dem LSG am 11. August 2006 eingegangenen Beschwerde trägt die Ast. ergänzend vor: Die Krankenversicherung dürfe nicht so lange ausgesetzt bleiben, der Schutz der Versicherten müsse bewahrt werden. Sie benötige ihre alte Krankenversicherung, um zu jeder von ihr gewünschten Zeit gehen zu können. Im Übrigen sei sie erwerbsfähig, da sie im Krankenhaus täglich sieben Stunden arbeite. Das JobCenter habe ihr mit Bescheid vom 22. Dezember 2005 die Grundsicherung von Lebensunterhalt und Krankenkasse für ein weiteres halbes Jahr bis 30. Juni 2006 zugesprochen und sich dadurch verpflichtet, für ihren Unterhalt aufzukommen. Unerwähnt geblieben sei auch die von ihr beantragte Bewerbungskostenpauschale für 2004 und 2005 von je 260,00 EUR.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Das Gericht legt das Vorbringen der Ast. so aus, dass diese beantragen wolle, unter Aufhebung des Beschlusses des SG vom 19. Juli 2006

1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 3. Juli 2006 gegen den Aufhebungsbescheid vom 26. Juni 2006 und der Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 18. August 2006 anzuordnen,

2. die Agg. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr, der Ast.,

a) vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für September 2005 in Höhe der Regelleistung von 345,00 EUR zu gewähren,

b) Bewerbungskosten für 2004 und 2005 in Höhe von insgesamt 520,00 EUR einstweilen auszuzahlen,

c) vorläufig weitere Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 1. Juli 2006 in Form der Übernahme der Miete für die Wohnung M Straße zu gewähren.

d) Leistungen in Form der Übernahme der Mietschulden für die Wohnung M Straße zu gewähren.

Die Agg. beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen,

bezieht sich auf sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor: Bewerbungskosten könnten bei Nachweis der Bewerbungen erstattet werden, eine Überweisung des Pauschalbetrages sei nicht möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Agg. (94402BG0009613) sowie auf die Streitakten verwiesen. Die genannten Unterlagen haben dem Senat zu seiner Entscheidung vorgelegen.

II.

Die zulässige Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz – SGG -), ist im Ergebnis nicht begründet.

1. Hinsichtlich des Bescheides vom 26. Juni 2006, mit welchem die Agg. die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit Wirkung vom 1. Februar 2006 aufgehoben hat, ist das Begehren der Ast. formal als Antrag nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage anzusehen.

Das Begehren hat indes keinen Erfolg. Es fehlt an der Voraussetzung der gegen den Widerspruchsbescheid vom 18. August 2006 erhobenen Anfechtungsklage. Wie durch entsprechende Anfrage bei dem SG Berlin ermittelt wurde, ist dort kein Hauptsacheverfahren anhängig. Damit ist der Widerspruchsbescheid vom 18. August 2006, der die Ast. ausweislich ihres an das SG gerichteten Schreibens, dort eingegangen am 1. September 2006, auch erreicht hat, bestandskräftig geworden. Vorläufiger Rechtsschutz kann jedoch gegen einen bestandskräftigen Verwaltungsakt nicht gewährt werden.

2. Auch die weiteren Begehren der Ast. haben keinen Erfolg.

Nach § 86 Abs. 2 Satz 1, 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen, dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist. Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor.

a) b) Es besteht hinsichtlich des für den Zeitraum September 2005 geltend gemachten Begehrens auf vorläufige Gewährung der Regelleistung von 345,00 EUR und der Kosten für Bewerbungen in den Jahren 2004 und 2005 in Höhe von insgesamt 520,00 EUR kein Rechtsschutzbedürfnis und damit auch kein Bedürfnis für eine Regelung im einstweiligen Verfahren im Sinne eines Anordnungsgrundes. Die Auszahlung von Leistungen für abgelaufene Zeiträume kommt nicht in Betracht, da dies nicht der Abwehr einer gegenwärtig drohenden Notlage dienen würde. Im einstweiligen Rechtschutzverfahren können nur Leistungen bewilligt werden, die zur Sicherung des aktuellen Lebensbedarfes unabdingbar sind.

c) Der Antrag auf vorläufige Gewährung weiterer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 1. Juli 2006 hat ebenfalls keinen Erfolg, da die Astin. bereits seit Juli 2005 für seinerzeit unbestimmte Dauer außerhalb des Geltungsbereichs des SGB II ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hatte (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II), nämlich in der Republik Österreich im dortigen Maßregelvollzug. Seit ihrer Wiedereinreise in den Geltungsbereich des SGB II – Bundesrepublik Deutschland - ist die Astin. als nicht erwerbsfähig i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 8 Abs. 1 SGB II anzusehen. Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hierunter ist auch das rechtliche Dürfen und Können der Eingehung und Durchführung eines "freien" Arbeitsverhältnisses am allgemeinen Arbeitsmarkt zu verstehen.

Da die Astin. ihrem eigenen Vortrag nach ihren Aufenthalt in B in einem Krankenhaus des Maßregelvollzugs hat, fehlt es an dieser grundlegenden Voraussetzung, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als Anbieterin ihrer Arbeitsleistung aufzutreten. Im Übrigen dürfte im Rahmen des Maßregelvollzugs ihr gegenwärtiger Bedarf an Lebensunterhalt und Unterkunft gedeckt sein.

d) Die Ast. hat auch keinen Anspruch auf Übernahme bestehender Mietschulden für die Wohnung M Straße. Rechtsgrundlage für die begehrte Schuldübernahme ist § 22 Abs. 5 SGB II in der ab dem 1. April 2006 geltenden Fassung. Hiernach kommt die Übernahme von Schulden in Betracht, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist, wobei Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Das Gericht geht – zumindest im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – zwar davon aus, dass unter § 22 Abs. 5 n. F. SGB II auch diejenigen Schulden fallen, die vor Inkrafttreten der geänderten Vorschrift per 1. April 2006 entstanden sind, denn sonst würde sich die Vorschrift erst mit Zeitverzug auswirken können, nämlich dann, wenn nach dem 1. April 2006 Schulden angefallen sind. Auch ergibt sich aus den gesetzgeberischen Motiven das Bestreben, mit der Regelung unmittelbar im SGB II eine Grundlage für die Übernahme von Mietschulden zu schaffen und hierfür nicht mehr auf § 34 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu verweisen, um die Leistungen aus einer Hand zu gewähren und Doppelzuständigkeiten zu vermeiden.

Die Schuldübernahme scheitert indes daran, dass diese nicht mehr der Sicherung der Unterkunft oder der Behebung einer vergleichbaren Notlage dienen würde. Die Vermieterin, die D, hat das Mietverhältnis mit Schreiben vom 24. Mai 2006 fristlos gekündigt und einer Fortsetzung des Mietverhältnisses auch bei Begleichung der Mietschulden ausdrücklich widersprochen. Das Gericht verweist ergänzend auf die Ausführungen in den der Ast. bekannt gegebenen Beschlüssen des SG Berlin vom 7. August 2006 (Az.: S 90 SO 1540/06 ER) und des LSG vom 6. Oktober 2006 (L 23 B 207/06 SO ER), in denen das dort von der Ast. geltend gemachte identische Begehren auf Übernahme der Mietschulden abgelehnt worden ist, da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 SGB XII nicht gegeben waren.

Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung erfolgt nach § 193 SGG analog.

Gegen diese Entscheidung sieht das Gesetz einen ordentlichen Rechtsbehelf nicht vor (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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