L 2 U 481/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 1749/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 481/04
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit (BK) mit daraus folgender Entschädigungspflicht streitig.

Der am 1944 geborene türkische Kläger war von Januar 1973 - mit Ausnahme einer Tätigkeit als Holzpresser von August 1976 bis August 1978 sowie als Stanzenschneider von Mitte Juli bis Mitte August 1978 - als Zimmermann im Hoch- und Tiefbau bis Ende Januar 1996 versicherungspflichtig beschäftigt.

Im Juni 1987 erfolgte erstmals an die Beklagte von Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Ärztin Dr. Z. unter Vorlage des Audiogramms vom 12. Februar 1987 eine Anzeige wegen des Verdachts auf eine Lärmschwerhörigkeit. Die Beklagte leitete Ermittlungen ein, stellte das Verfahren jedoch ohne förmliche Entscheidung ein, nachdem der Kläger trotz entsprechender Anfragen und mehrmaliger Erinnerung keine Angaben zu seiner beruflichen Lärmbelastung gemacht und der Staatliche Gewerbearzt nach den vorgelegten Unterlagen lediglich eine Hörbeeinträchtigung in nicht rentenrechtlich relevantem Ausmaß angenommen hatte.

Mit Schreiben vom 6. September 1999 teilte HNO-Arzt Dr. B., Gemeinschaftspraxis Dres. B. und B. in L., der Württembergischen Bau-Berufsgenossenschaft (BG) mit, der Kläger, der 23 Jahre auf dem Bau gearbeitet habe, leide an einer hochgradigen an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Die BG leitete dieses Schreiben zuständigkeitshalber an die Beklagte weiter, die zunächst den alten Vorgang aus dem Jahre 1987 beizog und dann weitere Ermittlungen einleitete. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten äußerte sich unter dem 17. März 2000 dahingehend, dass der Kläger von August 1985 bis Februar 1996 typische Zimmererarbeiten auf Hochbaustellen ausgeübt habe; laut Messungen und Erfahrungen der eigenen Messstelle für Lärm und Vibration sowie zahlreicher Untersuchungen des Berufsgenossenschaftlichen Institutes für Arbeitssicherheit (BIA) auf typischen Zimmermannsarbeitsplätzen sei über eine Arbeitswoche betrachtet von einem Beurteilungspegel zwischen 88 und 90 dB(A) auszugehen. Auf Anfrage teilte Dr. B. mit Schreiben vom 31. März 2000 unter Übersendung der Tonaudiogramme vom 17. Oktober und 10. November 1995, 19. März und 19. April 1996, 19. Juni und 16. September 1998 sowie 9. August 1999 mit, der Kläger stehe seit Anfang Oktober 1995 in Behandlung; zwischen März 1996 und September 1998 habe sich bei Kontrollen ein im Wesentlichen unveränderter Befund, dagegen im August 1999 eine deutliche Zunahme der Hörstörung im Vergleich zum Vorbefund gezeigt. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte HNO-Arzt Dr. K., Belegarzt am Kreiskrankenhaus B., das Zusammenhangsgutachten vom 25. September 2000. Auf Grund Untersuchung am 5. Juli 2000 kam er zum Ergebnis, der Kläger leide an einer an Taubheit grenzenden Innenohrschwerhörigkeit sowie einem beiderseitigen Tinnitus zweiten Grades. Der Hörverlust sei wahrscheinlich berufsbedingt und mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 vom Hundert (v.H.) - ab Beginn 1987 mit 20 v.H. - einzuschätzen. Der HNO-Beratungsarzt Dr. N. führte dazu in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 14. Oktober 2000 aus, bereits der Kurvenverlauf im Tonaudiogramm von Februar 1987 sei für eine chronische Lärmschwerhörigkeit untypisch. Nach den vorliegenden Befunden sei der wesentliche Teil der Schwerhörigkeit durch lärmunabhängige Einflüsse verursacht, wobei die chronische Lärmschwerhörigkeit vom lärmunabhängigen Gesamthörschaden nicht abgrenzbar sei. Der Staatliche Gewerbearzt Dr. B. empfahl unter dem 9. November 2000 eine BK nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) nicht anzuerkennen. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Dezember 2000 den geltend gemachten Anspruch ab. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er auf die Beurteilung des Dr. K. verwies, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2001).

Deswegen hat der Kläger am 25. Juli 2001 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Während des Klageverfahrens äußerte sich die Beklagte ergänzend zur Lärmgefährdung im Zeitraum von 1973 bis 1985 und zur Höhe der Beurteilungspegel [Stellungnahmen des TAD vom 24. Januar und 12. Juli 2002: Beurteilungspegel von 87/88 bis 90 dB(A) mit kurzzeitigen Schallpegelspitzen bis 110 dB(A); Stellungnahme der Holz-BG vom 4. Februar 2002: Beurteilungspegel 86 dB(A)]. Die Beklagte legte weitere Stellungnahmen des Dr. N. vom 27. Dezember 2001 sowie 28. März 2002 vor; in Letzterer ist Dr. N. - auch unter Berücksichtigung der neuen Ermittlungsergebnisse - bei seiner Beurteilung geblieben. Mit Urteil vom 9. Oktober 2003 hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen das dem Kläger am 15. Dezember 2003 zugestellte Urteil hat dieser am 9. Januar 2004 Berufung eingelegt. Er hält an seinem bisherigen Klagevortrag und -begehren fest.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. Oktober 2003 sowie den Bescheid vom 8. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2001 aufzuheben und die Beklagte unter Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend, zumal der Sachverständige Dr. B. zu der selben Beurteilung wie Dr. N. gekommen sei.

Der Senat hat Dr. B. zum Sachverständigen bestellt. Auf Grund Untersuchung am 14. Oktober 2004, der übersandten Akten und der Aufzeichnungen in der Karteikarte der - nun - HNO-Gemeinschaftspraxis Dres. B. und Schw. ist der Sachverständige zum Ergebnis gekommen, die beim Kläger vorliegende beiderseitige hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit sei nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Lärmexposition zurückzuführen (Gutachten vom 18. Oktober 2004).

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) zugestimmt.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die beigezogenen Akten des SG (S 6 SB 954/02), die Akte des Landessozialgerichts (L 11 SB 3908/02) sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente unter Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV.

Ob vorliegend noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder die des am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) zur Anwendung kommen, ist nicht entscheidungserheblich, da die hier anzuwendenden Regelungen (§§ 551, 580 ff. RVO; §§ 7, 9, 26 ff. SGB VII) durch das neue Recht keine sich hier auswirkende Änderung erfahren haben; der Einfachheit halber werden deshalb die Vorschriften des SGB VII zitiert.

Nach § 26 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Anspruch auf Leistungen. Grundvoraussetzung für die Gewährung einer Rente ist gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, dass die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus, um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BK en. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BK en Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Bk en bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden; dazu zählt nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV auch eine Lärmschwerhörigkeit.

Voraussetzung für die Anerkennung einer BK ist, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung nachgewiesen sind. Es muss ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 61, 127, 128). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSGE 61, 127, 129). Dies bedeutet, dass nach sachgerechter Abwägung aller medizinischen Gesichtspunkte des Einzelfalls aufgrund der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).

Zwischen den Beteiligten ist nicht umstritten, dass der Kläger als Zimmermann im Hoch- und Tiefbau eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, bei der er einem Beurteilungspegel zwischen 87 und 90 dB(A) - mit gelegentlichen Spitzen bis 110 dB(A) - ausgesetzt war und diese Lärmexposition grundsätzlich geeignet war, eine Lärmschädigung herbeizuführen. Ebenso wie das SG hat aber auch der Senat Zweifel daran, ob vorliegend überhaupt von einem Gesundheitsschaden im Sinne der Nr. 2301 der Anlage zur BKV ausgegangen werden kann. Dessen ungeachtet scheitert der Anspruch des Klägers jedenfalls daran, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen der Lärmexposition und dem bei ihm bestehenden Hörschaden nicht wahrscheinlich zu machen ist. Der Senat stützt seine Entscheidung auf das HNO-ärztliche Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. vom 18. Oktober 2004. Darin hat dieser überzeugend ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der Lärmjahre und der Lärmbelastung eine allerhöchstens geringgradige Schwerhörigkeit mit annähernd normalem Hörvermögen im Tieftonbereich bis 1000 Hz und maximal anschließendem Schrägabfall auf Werte um 40 dB bei 6000 Hz vorliegen dürfte. Ferner hat der Sachverständige dargelegt - und hier stimmt er mit Dr. N. überein, während Dr. K. diesen Gesichtspunkt völlig unberücksichtigt gelassen hat - dass bereits das Tonaudiogramm von Dr. Z. von Februar 1987 mit einem beiderseitigen Tieftonabfall von 35 bis 40 dB darauf hinweist, dass der wesentliche Anteil der Schwerhörigkeit lämunabhängig zu sehen ist, da bei 14 Jahren Lärmbelastung von 85 bis 90 dB ein Tieftonabfall auf Werte unter 20 dB mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist. Darüber hinaus steht anhand der seit 1995 dokumentierten Audiogramme fest, dass es nach Beendigung der Lärmtätigkeit zu einem weiteren Fortschreiten der Hörstörung gekommen ist, was zeigt, dass lärmunabhängige Faktoren für das Fortschreiten der vorhandenen Hörstörung verantwortlich sind, denn nach gesicherter medizinischer Erkenntnis nimmt eine Lärmschwerhörigkeit nach Ende der Lärmexposition nicht zu. Der Sachverständige ist daher für den Senat nachvollziehbar zu der Beurteilung gelangt, es sei zwar nicht völlig auszuschließen, dass in der heute beim Kläger vorliegenden hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit ein lärmbedingter Schadensanteil vorhanden, der lärmunabhängige Anteil aber so groß sei, dass auf ihn die bestehende an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit zurückzuführen ist. Der Senat hat an der Richtigkeit der Beurteilung von Dr. B., der auf S. 10 seines Gutachtens erläutert hat, aus welchen Gründen der Auffassung von Dr. K. nicht gefolgt werden kann, keinen Zweifel, zumal sie auch mit der von Dr. N. übereinstimmt.

Die Berufung des Klägers ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG (Fassung bis 1. Januar 2002).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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