L 11 KR 2143/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 2985/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2143/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. April 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist nur noch streitig, ob der Kläger bei der Firma H. L. (im Folgenden L.) in der Zeit vom 9. Mai 1994 bis 11. Mai 1996 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.

Der 1941 geborene Kläger wurde am 9. Mai 1994 bei der Beklagten als bei L. beschäftigter Fahrer im Weinhandel angemeldet. Vom 22. Juli bis 23. September 1994 und vom 12. November 1994 bis zu seiner Aussteuerung am 26. Januar 1996 bezog er von der Beklagten Krankengeld. L. kündigte dem Kläger krankheitsbedingt zum 11. Mai 1996 und dieser meldete sich am 13. Mai 1996 bei dem für ihn zuständigen Arbeitsamt R. arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Dem Arbeitsamt gegenüber bescheinigte L., dass der Kläger bei einer tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden in den Abrechnungszeiträumen vom 24. September 1994 bis 10. November 1994 und vom 26. Januar 1996 bis 11. Mai 1996 an 101 Arbeitstagen und in 363 Arbeitsstunden ein Bruttoarbeitsentgelt von 3.420,66 DM erzielt habe.

Beim Arbeitsamt S. erklärte L. am 22. August 1996 bei einer persönlichen Vorsprache, dass der Kläger nach wenigen Tagen Arbeit erkrankt sei und danach sechs Wochen Lohnfortzahlung erhalten habe. Das Weinhandelsgewerbe sei nicht bei der Stadt D. angemeldet worden, er habe durch den Weinhandel auch keine Umsätze erzielt. Er beabsichtige in Zukunft nicht mehr im Weinhandel tätig zu sein. Weitere Arbeitnehmer habe er deswegen nicht gemeldet.

Das Arbeitsamt S. holte 2001 bei der Stadt D. eine Auskunft über den Gewerbetreibenden L. ein. Diese teilte mit, L. habe das zum 1. Oktober 1984 angemeldete Gewerbe "Weinhandel im Nebenberuf" zum 1. Oktober 1988 geändert in "Handel mit Briefmarken im Nebenberuf".

Die Beklagte leitete mit Schreiben vom 3. Januar 2002 das Anhörungsverfahren nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ein. Daraufhin teilte L. mit, ein wirksames Arbeitsverhältnis habe bestanden. Mit Bescheiden vom 14. Februar 2002 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger und L. fest, dass der Kläger bei L. nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen wäre. L. habe keinen Weinhandel bei der Stadt D. angemeldet und hätte auch keine Umsätze aus dem Weinhandel steuerlich zur Anmeldung gebracht. Somit sei die Anmeldung zur Sozialversicherung lediglich erfolgt, um Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu begründen. Hierfür spreche auch, dass L. Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen und somit keine Arbeitgebereigenschaft bestanden habe. Die von L. eingereichten Meldungen seien deswegen storniert worden.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, die versicherungsrechtliche Beurteilung seiner Tätigkeit sei schwachsinnig. Auch das LSG Baden-Württemberg habe rechtskräftig entschieden (Urteil vom 30. Juli 1998, L 12 AL 3106/97), dass er bei L. in einem tatsächlichen Beschäftigungsverhältnis als Kraftfahrer gestanden habe. L. trug weiter vor, er habe den Kläger als Fahrer in einem abhängigen, weisungsgebundenen Beschäftigungsverhältnis beschäftigt und auch entsprechend entlohnt. Die Behauptung, er hätte keinen Weinhandel angemeldet, sei falsch. Richtig sei, dass er während der Beschäftigungszeit des Klägers Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten habe. Er habe seine Tätigkeit ordnungsgemäß dem Arbeitsamt gemeldet und zwar als Existenzgründung bei Arbeitslosigkeit.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 24. Juli 2002 wies die Beklagte die Widersprüche mit der Begründung zurück, nach der vorliegenden Auskunft über einen Gewerbetreibenden habe L. nur vom 1. Oktober 1984 bis 30. September 1988 eine Weinhandlung im Nebenberuf gemeldet. Zum 1. Oktober 1988 sei eine Ummeldung der ausgeübten Tätigkeit (jetzt: Handel mit Briefmarken - im Nebenberuf) erfolgt. Infolgedessen habe das Unternehmen Weinhandlung in den Jahren 1994 bis 1996 tatsächlich gar nicht mehr existiert. Folglich habe der Kläger auch nicht als Fahrer im Weinhandel für L. tätig sein können. Die getroffenen Feststellungen rechtfertigten somit eindeutig die Schlussfolgerung, dass der Kläger ab 9. Mai 1994 in keinem abhängigen, die Sozialversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Die gegenüber L. ergangenen Bescheide wurden bestandskräftig.

Hiergegen hat (nur) der Kläger am 30. August 2002 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben (Az.: 2251/02), das mit Beschluss vom 26. November 2002 mit dem Verfahren S 4 KR 2985/02 zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung unter dem Aktenzeichen S 4 KR 2251/02 verbunden, dann versehentlich ausgetragen und unter dem Aktenzeichen S 3 KR 2985/02 weitergeführt wurde.

Die nicht begründete Klage wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 3. April 2006 unter Verweis auf die angefochtenen Bescheide mit der Begründung ab, es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger in einem abhängigen und die Sozialversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis bei L. gestanden habe. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass gegenüber L. bestandskräftig festgestellt worden wäre, dass kein Beschäftigungsverhältnis vorläge.

Mit seiner dagegen am 26. April 2006 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, aus der fehlenden Anmeldung des Gewerbes ließen sich keine Rückschlüsse zu seinem Nachteil ziehen. Denn die Verpflichtung zur Anmeldung eines Gewerbes treffe lediglich den Gewerbetreibenden und nicht den abhängig beschäftigten Arbeitnehmer. Dessen ungeachtet sei das Gewerbe tatsächlich angemeldet und betrieben worden. Dem stehe auch nicht entgegen, dass keine Umsätze angemeldet worden wären. Denn erst ab einer Umsatzsumme von DM 32.500,- sei L. zu einer steuerlichen Anmeldung verpflichtet gewesen. Diese Umsätze habe L. jedoch nicht erreicht, so dass eine dementsprechende Verpflichtung nicht bestanden habe. Es sei auch zutreffend, dass L. zu Beginn der Tätigkeit des Kläger arbeitslos gewesen wäre. Doch auch hieraus ließen sich entsprechende Rückschlüsse nicht ziehen. Das Arbeitsamt fördere nämlich die Existenzgründung von arbeitslosen Bürgern. Das LSG habe in seiner Entscheidung vom 30. Juli 1998 (L 12 AL 3106/97) rechtskräftig festgestellt, dass der Kläger bei L. als Kraftfahrer abhängig beschäftigt worden wäre. Dies müsse auch für die AOK gelten. Da der Kläger mittlerweile Mitglied einer anderen gesetzlichen Krankenkasse sei, werde der Antrag, ihn als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten aufzunehmen, nicht weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. April 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2002 aufzuheben und festzustellen, dass er bei der Firma H. L. in einem abhängigen und die Sozialversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis vom 9. Mai 1994 bis 11. Mai 1996 gestanden hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass bestandskräftig feststehe, dass der Kläger bei L. nicht beschäftigt gewesen wäre, so dass es der Berufung am Rechtsschutzbedürfnis fehlen dürfte. Außer den Behauptungen des Klägers und seines angeblichen Arbeitgebers gäbe es keine Hinweise auf das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Ein Weinhandel habe in dem streitbefangenen Zeitraum nicht existiert. Zwar obliege die Verpflichtung zur Anmeldung nur dem Gewerbetreibenden. Der Umstand, dass kein Gewerbe angemeldet worden wäre wie auch keine Umsätze steuerlich angemeldet worden seien, lege jedoch nahe, dass eine Geschäftstätigkeit nicht aufgenommen worden sei. Dabei könne auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass L. zu Beginn der Tätigkeit arbeitslos gewesen wäre. In einem solchen Fall entspreche es der Lebenserfahrung, dass derjenige, welcher ein Gewerbe betreibe, hiermit auch Umsätze zu erzielen versuche und erst dann, wenn eine bestimmte Größe erreicht sei, ein Arbeitnehmer eingestellt werde. Hier sei jedoch der umgekehrte Weg gewählt worden. All dies spreche gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses und dafür, dass es lediglich um die Erschleichung von Sozialleistungen gegangen sei. Aus dem Urteil des LSG 1998 ließe sich nicht ableiten, dass auch rechtskräftig festgestellt worden sei, dass ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Dieses sei vor einem anderen Hintergrund, nämlich der Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe, ergangen.

Mit Beschlüssen vom 26. Oktober 2006 und 5. Dezember 2006 hat der Senat die Sozialversicherungsträger bzw. L. zum Verfahren notwendig beigeladen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt und sich auch nicht geäußert.

Der Bruder des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, deren Richtigkeit von L. bestätigt wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogenen Akten L 12 AL 3106/97 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 3. April 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 14. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2002 festgestellt, dass der Kläger bei L. nicht in einem abhängigen und die Sozialversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis vom 9. Mai 1994 bis 11. Mai 1996 gestanden hat.

In den Jahren 1994 bis 1996, um die es hier geht, unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung -; § 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung -; § 168 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes bis 31. Dezember 1997; ersetzt durch § 25 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung -) und ab 1. Januar 1995 in der Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung -) der Versicherungs- und Beitragspflicht. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. zuletzt BSG SozR 4 - 2400 § 7 Nr. 5), der der erkennende Senat folgt, setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.

Ausgehend davon konnte sich der Senat aufgrund der vorgelegten Unterlagen nicht davon überzeugen, dass der Kläger bei L. in der streitbefangenen Zeit abhängig als Fahrer im Weinhandel beschäftigt war. Hierfür spricht lediglich die Meldung, die aber mangels irgendwelcher Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit damals nicht überprüft wurde, und die unsubstantiierte Behauptung von L. und dem Kläger, er sei sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Weder der Kläger noch L. haben nähere Einzelheiten über die vom Kläger angeblich ausgeübte Tätigkeit, was deren Inhalt, zeitliche Lage der Arbeitszeiten (z.B. Öffnungs- oder Geschäftszeiten des Weinhandels), Kundenliste, Fahrrouten, verwendetes Fahrzeug etc. angeht, angegeben, obwohl dies angesichts der von der Beklagten getroffenen Feststellungen nahe gelegen hätte. Die Behauptung war für den Senat bereits angesichts des Umstandes, dass L. in der Anfangszeit der angeblichen Beschäftigung des Klägers Arbeitslosengeld bezogen hat, nicht glaubhaft. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass das Arbeitsamt zwar die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit fördert und deswegen der Arbeitslosengeldbezug des L. für sich allein genommen nicht gegen seine Arbeitgebereigenschaft spricht. Wenn aber wie vorliegend in der Startphase eines Unternehmens gar keine steuerpflichtigen Umsätze getätigt werden, so sieht dies anders aus. In einem solchen Falle spricht die Lebenserfahrung dagegen, dass sofort ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer eingestellt wird. Das wird weiter dadurch belegt, dass eine selbständige Tätigkeit im Weinhandel ausweislich der vorgelegten Auskunft über einen Gewerbetreibenden der zuständigen Gemeinde gar nicht gemeldet war, was L. auch zunächst am 22. August 1996 eingeräumt hat. Des weiteren hat L. auch damals angegeben, dass keinerlei Umsätze erzielt worden wären, d. h. seine Aussage nicht dahingehend eingeschränkt, dass seine Umsätze lediglich nicht steuerpflichtig gewesen wären. Insofern kann sich der Kläger auch nicht auf das Urteil vom 30. Juli 1998 stützen. Dieses entfaltet Rechtswirksamkeit ohnehin nur zwischen den am Prozess Beteiligten, d.h. nicht gegenüber der Beklagten. Streitgegenstand des Verfahrens war des weiteren allein die Höhe der Leistung. Zwar setzt die Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe voraus, dass der Arbeitslose zuvor in einem sozialversicherten Beschäftigungsverhältnis tätig war. Feststellungen über die Sozialversicherungspflichtigkeit der angeblichen Tätigkeit des Klägers wurden damals aber gerade nicht getroffen, vielmehr aufgrund der ausgestellten Arbeitsbescheinigung unterstellt, dass der Kläger in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat.

Auch aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ergeben sich keine Hinweise. Es mag sein, dass der Kläger seinem Bruder über eine Einstellung bei L. berichtet hat und er diesen zweimalig beobachtet hat, wie er neben oder im Pkw des L. saß, in dem sich auch Weinflaschen befanden. Dies belegt aber weder einen Weinhandel noch ein Beschäftigungsverhältnis bei L ...

Nach der gebotenen Gesamtschau spricht daher vieles dafür, dass lediglich, wie von der Beklagten auch festgestellt wurde, ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis konstruiert werden sollte, um Sozialleistungen zu erhalten.

Nach alldem hat der Senat deswegen die Berufung als unbegründet abgewiesen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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