L 8 SB 2640/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 7881/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2640/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. April 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Untätigkeit des Beklagten wegen der Entscheidung über die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "G" vorliegt.

Die am 1951 geborene Klägerin stellte am 18.12.2002 beim Versorgungsamt Stuttgart (VA) einen "Erstantrag nach den Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX)". Nach Beiziehung medizinischer Befundunterlagen und deren versorgungsärztlicher Auswertung stellte das VA mit Bescheid vom 07.03.2003 bei der Klägerin den GdB mit 30 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit jeweils seit 18.12.2002 fest. Gesundheitliche Merkmale (Merkzeichen) als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen könnten, da die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliege, nicht festgestellt werden. Ihr gegen diesen Bescheid erhobener Widerspruch vom 01.04.2003 wurde nach Beiziehung weiterer medizinischer Befundunterlagen und versorgungsärztlicher Auswertung mit Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Baden-Württemberg vom 18.09.2003 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 07.10.2003 vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage (S 7 SB 5311/03). In der Klageschrift wurde zunächst ausgeführt, dass Anträge und Begründung einem weiteren Schriftsatz vorbehalten blieben. Mit Schriftsatz vom 24.11.2003, eingegangen beim SG am 26.11.2003, stellte die Klägerin folgenden Antrag: "1. Der Bescheid der Bekl. vom 07.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2003 wird abgeändert. 2. Es wird festgestellt, dass bei der Kl. seit dem 18.12.2002 ein Grad der Behinderung in Höhe von mindestens 50 v. H. vorliegt." Das SG hörte behandelnde Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen, zog medizinische Befundunterlagen bei und holte von Amts wegen das internistisch-rheumatologische Gutachten des Dr. H., Klinik im H. B. W., vom 27.10.2004 ein. Der Sachverständige gelangte in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, bei der Klägerin betrage der Gesamt-GdB 50 und sah darüber hinaus die Voraussetzungen für die Zubilligung des Merkzeichens "G" als erfüllt an.

Der Beklagte trat der Bewertung des Dr. H. entgegen, erklärte sich jedoch bereit, den GdB ab 18.02.2002 auf 40 anzuheben.

Nach weiterem Schriftwechsel der Beteiligten und Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Dr. H. vom 06.06.2005 zu seinem Gutachten erweiterte die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.10.2005 - gestützt auf das Gutachten des Dr. H. - ihren Klageantrag und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, festzustellen, dass bei ihr ab dem 18.12.2002 eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen "G") vorliege.

Der Beklagte trat der Erweiterung der Klage entgegen. Die begehrte Feststellung des Merkzeichens "G" sei nicht Gegenstand des anhängigen Rechtsstreites. Gleichwohl bestehe aus prozess- wie verwaltungsökonomischen Gründen Bereitschaft, das Begehren nach dem Merkzeichen "G" in die Prüfung der Ansprüche der Klägerin mit einzubeziehen, was kursorisch auch schon geschehen sei.

Mit Schreiben vom 02.12.2005 wies das SG die Beteiligten - unter anderem - darauf hin, dass das Gericht von der Unzulässigkeit der Klageerweiterung ausgehe, da eine Verwaltungsentscheidung über die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht getroffen worden sei. Die Klageerweiterung dürfte als entsprechender Antrag an die Beklagte auszulegen sein.

Am 09.12.2005 erhob die Klägerin daraufhin beim SG die vorliegend streitgegenständliche Untätigkeitsklage. Sie machte zur Begründung geltend, sie habe am 06.12.2002 beim VA einen Antrag auf Feststellungen nach dem SGB IX gestellt. Der Beklagte sei gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX gehalten, nicht nur Feststellungen zur Höhe des GdB sondern auch zum Vorliegen der Merkmale zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen zu treffen. Der Antrag auf die Zuerkennung des Merkzeichens sei spätestens mit der Vorlage des Gerichtsgutachtens im November 2004 entscheidungsreif gewesen. Nach dem eingeholten Gutachten von Dr. H. hätten die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" bereits seit Antragstellung vorgelegen. Damit habe kein zureichender Grund für eine verzögerte Bescheidung des Antrages auf Zuerkennung eines Merkzeichens vorgelegen. Der Beklagte sei seiner Verpflichtung gemäß § 88 SGG, den Antrag innerhalb von sechs Monaten zu verbescheiden, nicht nachgekommen. Für die Beurteilung der Untätigkeit sei ausschließlich die Antragstellung maßgeblich. Wenn der Beklagte vortrage, von den entsprechenden medizinischen Umständen erst im Oktober 2005 erfahren zu haben, sei dies ein Indiz für eine unzureichende Sachverhaltsermittlung während des Vorverfahrens. Soweit der Beklagte die Zuerkennung des Merkzeichens "G" aufgrund des Umstandes verneine, dass ein GdB von 50 nicht vorliege, habe er dies in einem Ablehnungsbescheid zu begründen.

Der Beklagte trat der Untätigkeitsklage entgegen. Sie gehe ins Leere. Von einer Untätigkeit der Verwaltung könne bei der gegebenen Sachlage keine Rede sein. Die in § 88 SGG normierte Sechsmonatsfrist sei noch nicht verstrichen. Die Klägerin möge sich äußern, ob sie vorab bezüglich des Merkzeichens "G" eine bescheidmäßige Entscheidung wünsche.

Mit Gerichtsbescheid vom 21.02.2006 verurteilte das SG im Verfahren S 7 SB 5311/03 den Beklagten, bei der Klägerin den GdB mit 40 ab dem 18.12.2002 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Klage vom 18.10.2005 auf die Feststellung, dass bei der Klägerin eine erhebliche Beeinträchtigung der Beweglichkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen "G") vorliege, sei unzulässig. Es handele sich um eine nachträgliche objektive Klagehäufung, da die Klage auf das Merkzeichen "G" einen neuen Streitgegenstand darstelle. Diese nachträglich erhobene Klage müsse nach den allgemeinen Grundsätzen zulässig sein. Dies sei nicht der Fall, da die Behörde weder durch Erst- noch durch Widerspruchsbescheid über den Streitgegenstand entschieden habe.

Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Gerichtsbescheid vom 04.04.2006 wies das SG außerdem die Untätigkeitsklage der Klägerin ab. Die Klage sei unzulässig. Es fehle bereits an einem Antrag auf die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" bzw. dem Ablauf der sechsmonatigen Frist des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG. Auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides wird verwiesen.

Gegen diesen am 25.04.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19.05.2006 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzt. Das SG habe die Untätigkeitsklage zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen. Sie verfolge mit ihrer Berufung ihren Anspruch gegen den Beklagten weiter, dass ihr umfassend gestellter Antrag vom 18.12.2002 auf Zuerkennung eines Merkzeichens beschieden werde. Das SG stelle in den beiden Klageverfahren einen einheitlichen Lebenssachverhalt zum Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" unterschiedlich dar.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. April 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen den Widerspruch der Klägerin vom 1. April 2003 gegen den Bescheid vom 7. März 2003 auf Zuerkennung des Merkzeichens G zu verbescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Außerdem hatte die Klägerin bereits am 10.03.2006 gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 21.02.2006 Berufung eingelegt (L 8 SB 1239/06), mit dem Ziel, den Beklagten zu verurteilen, bei ihr ab 18.12.2002 einen GdB in Höhe von mindestens 50 und eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen "G") festzustellen, über die noch nicht entschieden ist. Sie hat zur Begründung u. a. ausgeführt, aus dem angefochtenen Bescheid ergebe sich, dass der Beklagte das von ihr begehrte Merkzeichen "G" wie auch sonstige Merkzeichen nicht zuerkannt habe. Ihr Widerspruch sei nicht auf die Höhe des GdB beschränkt gewesen. Er habe auch die Nichtanerkennung von Nachteilsausgleichen erfasst.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, die Akte des SG 7 SB 5311/03 und des Senats L 8 SB 1239/06 sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Eine Untätigkeit des Beklagten bezüglich der Entscheidung über die Zuerkennung des von der Klägerin begehrten Merkzeichens "G" liegt nicht vor.

Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur-Reformgesetz - VRG -) vom 01.07.2004 (GBI S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.

Die Zulässigkeit und Begründetheit der Untätigkeitsklage der Klägerin beurteilt sich nach § 88 SGG. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden wurde, die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift gilt das gleiche, wenn über einem Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt.

Danach kann die Untätigkeitsklage der Klägerin keinen Erfolg haben. Dabei kann offen bleiben, ob der Ansicht des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zu folgen ist, die Klage sei unzulässig, da es an einem Antrag der Klägerin auf die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" bzw. dem Ablauf der sechsmonatigen Frist des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG fehle. Denn selbst dann, wenn mit der Klägerin davon ausgegangen wird, dass ihr Antrag vom 18.12.2002 gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX neben der Feststellung des GdB auch die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (Merkzeichen) beinhaltete, ist ihre Untätigkeitsklage unzulässig. Denn der Beklagte hat im Bescheid vom 07.03.2002, mit dem über den Antrag der Klägerin vom 18.12.2002 entschieden wurde, ausdrücklich auch sachlich dazu entschieden, dass gesundheitliche Merkmale (Merkzeichen) als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen im Sinne des § 69 Abs. 4 SGB nicht festgestellt werden könnten, da die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliege. Dies gilt auch für den Widerspruchsbescheid vom 18.09.2003, mit dem der Widerspruch der Klägerin insgesamt, also auch hinsichtlich des Vorliegens von Merkzeichen zurückgewiesen wurde. Dem entspricht im Übrigen auch das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren L 8 SB 1239/06, wo sie zur Begründung u. a. vorgetragen hat, der Beklagte habe das von ihr begehrte Merkzeichen "G" im angefochtenen Bescheid (Bescheid vom 07.03.2003) nicht zuerkannt und ihr Widerspruch habe auch die Nichtanerkennung von Nachteilsausgleichen umfasst. Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Untätigkeitsklage ist - unter anderem - aber, dass die Klägerin sachlich nicht beschieden ist (Leither in Meyer-Ladewig/Keller/Leither, SGG, Kommentar, 8. Aufl., § 88 Rdnr. 4). Damit geht die erst am 09.12.2005 erhobene Untätigkeitsklage ins Leere.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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