L 3 AL 82/05

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 13 AL 165/03
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 82/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 20. Mai 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die teilweise Rückforderung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 27. Januar bis 30. Juni 2002 wegen fehlerhafter Leistungsberechnung durch die Beklagte, die ein als DM-Betrag zutreffendes Bemessungsentgelt versehentlich in EUR zugrunde gelegt hatte.

Der 1968 geborene Kläger ist verheiratet und hat eine 1999 geborene Tochter. Er bezog bis zum 28. Oktober 2001 Unterhaltsgeld (Uhg). Auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von zunächst 452,80 DM (gerundet 450,00 DM) und ab 1. Oktober 2001 von 459,05 DM (gerundet 460,00 DM) betrug die Höhe der Leistung zuletzt in Anwendung der Leistungsgruppe A (Kindermerkmal 1) 237,02 DM wöchentlich bzw. 33,86 DM täglich. Ab 29. Oktober 2001 bezog der Kläger Anschluss-Uhg (AUhg) in zunächst derselben Höhe. Aufgrund eines Steuerklassenwechsels wegen Erziehungsurlaubs der Ehefrau des Klägers erging am 22. November 2001 ein Änderungsbescheid. Danach betrug die Höhe des Uhg ab 1. Januar 2001 bei ansonsten unveränderten Berechnungsgrundlagen in der Leistungsgruppe C 239,89 DM wöchentlich bzw. 34,27 DM täglich; für die Zeit vom 1. bis 28. Oktober 2001 betrug die Höhe dieser Leistung wöchentlich 245,21 DM bzw. 35,03 DM täglich. Die Höhe des AUhg wurde ebenfalls auf wöchentlich 245,21 DM bzw. täglich 35,03 DM geändert. Ab 1. Januar 2002 – dem Zeitpunkt der Einführung des Euro - gewährte die Beklagte dem Kläger AUhg in Höhe von 125,44 EUR wöchentlich bzw. 17,92 EUR täglich. Dieser Leistungsberechnung lag ausweislich des bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Zahlungsnachweises ein gerundetes Bemessungsentgelt von 235,00 EUR zugrunde; im Übrigen waren die Berechnungsgrundlagen unverändert. Nach Erschöpfung des Anspruchs auf AUhg gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 31. Januar 2002 Alhi ab 27. Januar 2002. Dabei legte sie – wiederum ausweislich des bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Zahlungsnachweises - ein gerundetes Bemessungsentgelt von 415,00 EUR zugrunde. Die Leistungshöhe betrug danach in der Leistungsgruppe C, Kindermerkmal 1, 185,92 EUR wöchentlich bzw. 26,56 EUR täglich. Die Leistung gelangte in dieser Höhe bis zu einer Arbeitsaufnahme des Klägers ab 1. Juli 2002 zur Auszahlung.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2002 hörte die Beklagte den Kläger dazu an, dass er aufgrund eines Bearbeitungsfehlers für die Zeit vom 27. Januar bis 30. Juni 2002 Alhi in Höhe von wöchentlich 185,92 EUR erhalten habe, obwohl ihm nur wöchentlich 97,51 EUR zugestanden hätten. Hierdurch sei eine Überzahlung von 1.957,65 EUR eingetreten. Der Fehler sei dadurch entstanden, dass die der Leistung zugrunde liegenden Berechnungsdaten nicht von DM-Beträgen in EUR-Beträge umgerechnet worden seien.

In seiner Stellungnahme vom 18. Dezember 2002 wies der Kläger darauf hin, dass er gleich nach Erhalt des neuen Leistungsbescheides bei der Leistungsabteilung angerufen habe. Dort sei ihm mitgeteilt worden, dass die Berechnung der Leistungshöhe korrekt sei. Seinerzeit habe er auch ergänzend Sozialhilfe bezogen; den Leistungsbescheid der Beklagten habe er seinerzeit bei der zuständigen Behörde (Sachbearbeiter: Herr T ) vorlegen müssen. Bei Erhalt der Neuberechnung der ergänzenden Sozialhilfe sei ihm auch diese Summe "komisch" vorgekommen, so dass er um Nachberechnung gebeten habe. Herr T habe am 19. Februar 2002 schriftlich mitgeteilt, dass eine korrekte Berechnung erfolgt sei. Mündlich habe Herr T den Kläger wissen lassen, er solle nicht seine – T s – Arbeiten sowie diejenigen des Arbeitsamts in Zweifel ziehen.

Mit Bescheid vom 20. Januar 2003 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung für den im Anhörungsschreiben genannten Zeitraum teilweise auf. Zur Begründung dieser auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gestützten Entscheidung wiederholte sie sinngemäß den Inhalt ihrer Mitteilung vom 11. Dezember 2002 und führte aus, dass die Aufhebung der Entscheidung den Umständen nach auch für die Vergangenheit vorzunehmen gewesen sei. Die Beklagte forderte den Kläger auf, die eingetretene Überzahlung von 1.957,65 EUR gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Mit Schreiben vom 26. Januar 2003 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 20. Januar 2003 Widerspruch ein. Zur Begründung nahm er Bezug auf sein Vorbringen im Anhörungsverfahren und führte sinngemäß aus, dass er aus der eingetretenen Überzahlung keine wirtschaftlichen Vorteile gehabt habe, weil die Leistungshöhe zur Kürzung seiner zuvor gewährten ergänzenden Sozialhilfe geführt habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2003 als unbegründet zurück. Eine Änderung des Ausgangsbescheides nahm sie nur insoweit vor, als sie die Entscheidung nunmehr auf § 45 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III stützte. Im Übrigen wiederholte die Beklagte sinngemäß die Gründe des angefochtenen Bescheides und führte aus, dass anstelle des der Alhi-Gewährung zugrunde gelegten Bemessungsentgelts von 417,32 EUR (gerundet 415,00 EUR) ein Bemessungsentgelt von gerundet 215,00 EUR zur Grundlage der Alhi-Berechnung hätte gemacht werden müssen. Hieraus hätte sich ein wöchentlicher Leistungssatz von 97,51 EUR anstelle tatsächlich gewährter 185,92 EUR ergeben. Zwar treffe den Kläger an dem Berechnungsfehler kein Verschulden; dies bedeute aber nicht automatisch, dass dem Kläger Vertrauensschutz zustehe. Im Hinblick auf seine Leistungshöhe in der Vergangenheit hätte er leicht und ohne weitere Überlegungen erkennen können, dass die Höhe der Alhi nicht fast doppelt so hoch sein könne wie die zuvor gewährten Leistungen. Wie der Kläger bereits im Anhörungsverfahren mitgeteilt habe, habe er – zu Recht - Zweifel an der Richtigkeit der die Alhi betreffenden Leistungshöhe gehabt. Auch sei davon auszugehen, dass nahezu alle Bundesbürger gewährte EUR-Beträge nochmals ins Verhältnis zu zuvor gewährten DM-Beträgen gesetzt hätten. Es müsse daher festgestellt werden, dass im Falle des Klägers Bösgläubigkeit vorgelegen habe mit der Folge, dass die Beklagte zur teilweisen Rücknahme der fehlerhaften Bewilligungsentscheidung verpflichtet gewesen sei.

Der Kläger hat am 27. März 2003 bei dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben und zur Begründung sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren weiter vertieft. Es treffe zwar zu, dass er nach dem Zugang des Ausgangsbescheides Zweifel an der Richtigkeit der Leistungshöhe gehabt habe. Hieraus könne jedoch keine Bösgläubigkeit hergeleitet werden, weil er sich unmittelbar nach Erhalt der Alhi-Bewilligung mit dem zuständigen Sachbearbeiter – dessen Namen er allerdings nicht mehr erinnere - in Verbindung gesetzt habe. Dieser Mitarbeiter der Beklagten habe die Richtigkeit der Leistungshöhe bestätigt. Bereits hieraus sei schutzwertes Vertrauen entstanden. Auch habe das Sozialamt auf seine Veranlassung eine erneute Überprüfung der Leistungshöhe vorgenommen. Der Mitarbeiter der Stadt L , Herr T , habe in einem in Kopie zur Gerichtsakte gereichten Schreiben vom 19. Februar 2002 ausdrücklich bestätigt, dass eine korrekte Berechnung erfolgt sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2003 aufzuheben.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach mündlicher Verhandlung am 20. Mai 2005, in der der Kläger persönlich gehört worden ist, hat das Sozialgericht der Klage mit Urteil vom selben Tage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Der Rückforderung der eingetretenen Überzahlung stehe schutzwertes Vertrauen des Klägers entgegen. Der Kläger sei weder bösgläubig im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gewesen, noch habe er seine Sorgfaltspflichten in besonders schwerem Maße verletzt. Zwar stehe fest, dass er nach Erhalt des Bescheides vom 20. Januar(gemeint: 31. Januar) 2002 zunächst Zweifel an der Richtigkeit der Leistungshöhe gehegt habe. Er habe sich jedoch in den folgenden Tagen telefonisch bei der Beklagten und schriftlich beim Sozialamt erkundigt, ob die Leistungen korrekt berechnet worden seien. Insbesondere auf die schriftliche Auskunft des Sozialamtsmitarbeiters T habe er vertrauen dürfen, wobei er davon habe ausgehen können, dass dieser sich mit der anderen leistungsgewährenden Stelle in Verbindung gesetzt habe. Wenn dies nicht geschehen sei, könne das dem Kläger nicht angelastet werden; anderenfalls würden die einem Leistungsempfänger obliegenden Sorgfaltspflichten überspannt. Die wegen vorliegenden Vertrauensschutzes vorzunehmende Interessenabwägung gehe zu Gunsten des Klägers aus, weil er die erhaltene Überzahlung verbraucht habe und im Nachhinein keine Sozialhilfe mehr beantragen könne, so dass ihn die Rückzahlung übermäßig belasten würde. Im Übrigen habe er die Überzahlung nicht verschuldet.

Gegen diese ihr am 30. Juni 2005 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 1. August 2005 – einem Montag - bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beklagten.

Zur Begründung macht sie geltend: Sie sei nach wie vor davon überzeugt, dass die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X erfüllt seien. Der Kläger habe eingestandenermaßen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bewilligung gehabt. Hierzu habe angesichts des deutlich zu hohen Zahlbetrages gegenüber dem bisherigen Bezug von Uhg bzw. AUhg auch aller Anlass bestanden. Ihm sei deshalb zumindest grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bewilligung zur Last zu legen. Dass der Kläger unmittelbar nach Erhalt des Bescheides von einem ihrer Mitarbeiter die Auskunft erhalten habe, die Leistungshöhe sei zutreffend, müsse bestritten werden. Für eine solche Auskunft fänden sich weder in den Verwaltungsvorgängen noch in den den Kläger betreffenden Beratungsvermerken die geringsten Anhaltspunkte. Der Kläger habe auch im erstinstanzlichen Verhandlungstermin den angeblichen Gesprächspartner nicht näher benennen bzw. beschreiben können; auch zum Inhalt des Gesprächs fehlten konkrete Schilderungen. Was das Schreiben des Sozialamtsmitarbeiters T vom 19. Februar 2002 betreffe, habe dies von dem Kläger nicht im Sinne einer erfolgten Überprüfung der Alhi-Höhe gedeutet werden können. Aus dem Inhalt des Schreibens ergebe sich vielmehr, dass Herr T den Fortfall des Sozialhilfeanspruchs angesichts unterschiedlicher Leistungshöhen von Uhg und Alhi bestätigt habe. Dass Herr T telefonisch geäußert haben solle, der Kläger solle die Berechnungen der Beklagten nicht in Zweifel ziehen, müsse bestritten werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 20. Mai 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er stützt das angefochtene Urteil und vertieft weiter sein bisheriges Vorbringen. Dass die Beklagte den vorgetragenen Inhalt seines Telefonats mit einem Mitarbeiter der Arbeitsagentur L (erstmals) bestreitet, hält er nicht für überzeugend und meint, dass die Beweislast für seinen angeblich fehlenden Anruf bei der Beklagten liege, weil diese keine hinreichenden Aufzeichnungen entsprechender Nachfragen vorgenommen habe. Im Übrigen verweist der Kläger darauf, dass § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X grobe Fahrlässigkeit fordere. Ihm sei allerdings – zumal unter Berücksichtigung des Sozialamtsschreibens vom 19. Februar 2002 – allenfalls leichte Fahrlässigkeit anzulasten.

Der Senat hat zu dem Vorbringen des Klägers eine schriftliche Stellungnahme des früheren Sozialamtsmitarbeiters T (heute: ARGE L ) eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

In der Berufungsverhandlung am 17. November 2006 ist der Kläger persönlich gehört worden.

Dem Senat haben die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakten vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Urteil vom 20. Mai 2005 ist deshalb aufzuheben; die Klage ist abzuweisen.

Die Be¬klagte hat zu Recht ihre Entschei¬dung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 27. Januar bis 30. Juni 2002 teil¬weise zurückgenommen und über¬zahlte Leistungen in Höhe von 1.957,65 EUR von dem Kläger zurück¬gefor¬dert.

Rechtsgrundlage für den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2003 ist § 45 SGB X in Verbin¬dung mit § 330 Abs. 2 SGB III.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestä¬tigt hat, im Falle seiner Rechtswidrigkeit nur unter den Ein¬schränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden. Der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 31. Januar 2002 war be¬reits bei seinem Erlass rechtswidrig, weil die Beklagte das den bewilligten Leistungen zu Grunde liegende wöchentliche Bemessungsent¬gelt nicht von DM in EUR umgerechnet hatte. Vielmehr hat sie die entsprechenden DM-Beträge als EUR-Beträge zugrunde gelegt. Hierdurch ist die in den angefochtenen Bescheiden beschriebene Überzahlung in Höhe von insgesamt 1.957,65 EUR eingetreten. Wegen der Berechnung im Einzelnen, über die die Beteiligten – zu Recht – nicht streiten, wird auf den zutreffenden Inhalt der angefochtenen Bescheide sowie auf die vorangegangenen Erläuterungen in dem Anhörungsschreiben vom 11. Dezember 2002 Bezug genommen.

Da die Beklagte den rechtswidrigen Bewilligungsbescheid teilweise für die Vergangenheit zurückgenommen hat, ist hier § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X einschlägig. Danach wird der Verwal¬tungs¬akt nur in den Fällen des Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 des § 45 SGB X für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Be¬klagte hat zu Recht ent¬schieden, dass hier die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben waren. Danach kann sich der Kläger auf Vertrauen nicht berufen, soweit er die Rechtswidrig¬keit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrläs¬sigkeit nicht kannte.

Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dabei ist ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Grobe Fahrlässigkeit ist zu bejahen, wenn der Betroffene schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem ein¬leuchten musste (ständige Rechtsprechung, z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45 m.w.N.; Urteil des erkennenden Senats vom 24. Juni 2005, L 3 AL 103/04 m.w.N.). Eine grobe Fahrläs¬sigkeit im Sinne der vorgenannten Definition ist auch dann aus¬schlaggebend, wenn der Fehler einer Leistungsbewilligung im Verantwortungsbereich des Arbeitsamtes (heute: Arbeitsagentur) lag. Entscheidend sind stets die besonderen Umstände des Ein¬zelfalles und die indivi¬duellen Fähigkeiten des Betroffenen, d.h. seine Urteils- und Kritikfähigkeit, sein Einsichtsvermögen und im Übrigen auch sein Verhalten (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001, a.a.O., m.w.N.; Urteile des erkennenden Senats vom 24. Juni 2005, a.a.O., und vom 21. Oktober 2005, L 3 AL 17/05). Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwal¬tungs¬aktes; also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechts¬anwendung durch die Behörde. Allerdings können Fehler im Be¬reich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsan¬wen¬dung, auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Vor¬aussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne Weiteres erkennbar ("augenfällig") sind (BSG, Urteil vom 8. Februar 2002, a.a.O.; Urteile des erkennenden Senats vom 24. Juni 2005 und vom 21. Oktober 2005, a.a.O.).

Vorliegend hat der Kläger zumindest grob fahrläs¬sig verkannt, dass ihm für den streitbefangenen Zeitraum vom 27. Januar bis 30. Juni 2002 zu hohe Leistungen bewilligt und ausgezahlt worden sind.

Der Kläger hat bereits im Anhörungsverfahren gegenüber der Beklagten eingeräumt, dass ihm die Höhe der mit Bescheid vom 31. Januar 2002 bewilligten Alhi "komisch" vorgekommen sei. Dieses Vorbringen hat er im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren stets weiter vertieft. Wenn er dabei ausgeführt hat, er habe sich gleich nach Erhalt der Alhi-Bewilligung mit dem zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten in Verbindung gesetzt, muss der Kläger sich indessen entgegenhalten lassen, dass sich für eine solche - telefonische - Meldung in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten keine Hinweise finden. Nachdem der Kläger bereits in seiner Klagebegründung eingeräumt hat, den Namen des Mitarbeiters nicht mehr zu erinnern, war insoweit im gerichtlichen Verfahren keine weitere Sachaufklärung möglich. Angesichts dessen sieht der Senat diese Meldung bei der Beklagten mit Hinweis auf eine zu hohe Leistungsbewilligung als nicht belegt an und vermag diesen Umstand nicht zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen. Zu der vom Kläger geltend gemachten Umkehr der Beweislast sieht der Senat in diesem Zusammenhang keinen Anlass.

Die weitere Behauptung des Klägers, er habe den (damaligen) Mitarbeiter des Sozialamts der Stadt L , Herrn T , um eine Überprüfung gebeten, ist zwar - zumindest teilweise - belegt; der Senat vermag dieser Nachfrage indessen nicht die vom Kläger beschriebene Bedeutung beizumessen. Nach der im Berufungsverfahren eingegangenen Stellungnahme des Herrn T vom 13. November 2006 und dem vom Kläger bereits mit der Klageschrift in Kopie zur Gerichtsakte gereichten Schreiben des Sozialamts (Herr T ) an ihn vom 19. Februar 2002 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger sich seinerzeit mit Nachfragen an Herrn T gewandt hat. Hierzu hat die Stadt L ergänzend das an Herrn T gerichtete Schreiben des Klägers vom 14. Februar 2002 in Kopie übersandt. Daraus ergibt sich, dass der Kläger Herrn T gebeten hat, einen Bescheid für März 2002 zu überprüfen. Dabei kann es sich vom zeitlichen Ablauf her nur um einen Sozialamts¬bescheid gehandelt haben, weil ein Bewilligungsbescheid der Beklagten über die dem Kläger speziell im März 2002 zustehende Alhi seinerzeit nicht ergangen war. In seiner Überprüfungsbitte wies der Kläger Herrn T darauf hin, dass "Lt. Ihren zugesandten Kopierunterlagen des ALH-Bescheides wohl ein DM/Euro-Vertausch zustande gekommen" sei. Dies belegt in besonderem Maße, dass dem Kläger sowohl der Berechnungsfehler der Beklagten als auch dessen Ursache erkennbar war. Wenn Herr T in seinem Antwortschreiben vom 19. Februar 2002 mitteilte, dass "kein Versehen bei der Berechnung am 13.02.02 vorlag", und erläuternd die Höhe der von der Beklagten "nach Aktenlage" gewährten Leistungen beschrieb, bezog sich dies ersichtlich nur auf eine Überprüfung der die ergänzende Sozialhilfe betreffenden Entscheidung. Hierfür sprechen auch die offenbar von Herrn T auf dem Anschreiben des Klägers notierten Vermerke über die Leistungshöhen der Beklagten und die zusammenfassende Bewertung "alles o.k.".

In der Berufungsverhandlung hat der Kläger noch einmal ausgeführt, er sei davon ausgegangen, Herr T würde die Höhe der Alhi durch Kontaktaufnahme mit dem Arbeitsamt überprüfen und er werde dann voraussichtlich einen neuen Bescheid erhalten, mit dem er wieder zum Sozialamt hätte gehen müssen. Abgesehen davon, dass für diese Wertung aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichenden objektiven Anhaltspunkte bestehen, ist dem Kläger in der Folgezeit ein entsprechender Änderungsbescheid der Beklagten gerade nicht zugegangen. Auf der Grundlage des jetzigen Vorbringens des Klägers hätte jedenfalls dieser Umstand den Kläger veranlassen müssen, bei der Beklagten Nachfrage zu halten. Dies ist indessen nicht geschehen. Wenn aber auch im Zusammenhang mit der Nachfrage des Klägers bei Herrn T und der dazu gegebenen Antwort die Zweifel des Klägers an der Richtigkeit der Alhi-Höhe nicht ausgeräumt sein konnten, steht diese Nachfrage im Sozialamt seiner groben Fahrlässigkeit in Bezug auf das Erkennenmüssen der eingetretenen Überzahlung nicht entgegen.

Angesichts der Einzelfallumstände musste dem Kläger nach den eingangs beschriebenen Maßstäben gleichsam "ins Auge springen", dass ihm für den streitbefangenen Zeitraum zu hohe Leistungen bewilligt worden waren. Wenn der Kläger nämlich bis zur Erschöpfung seines Anspruchs auf AUhg am 26. Januar 2002 Leistungen in Höhe von 125,44 EUR wöchentlich bzw. 17,92 EUR täglich erhalten hat und dieser Leistungsberechnung ein gerundetes Bemessungsentgelt von 235,00 EUR zu Grunde lag, konnte ihm am 27. Januar 2002 keine Alhi auf der Grundlage eines gerundeten Bemessungsentgelts von 415,00 EUR mit einem Leistungssatz von 185,92 EUR wöchentlich bzw. 26,56 EUR täglich zustehen. Dass dem Kläger dies gleichsam "ins Auge gesprungen ist", belegt auch seine vorstehend beschriebene Einlassung. Die maßgeblichen Umstände mussten dem Kläger sowohl bei einem Blick auf die die Leistungsgewährung betreffenden Kontoauszüge als auch beim Blick auf die ergangenen Bescheide auffallen. Dass ihm die Leistungsunterschiede nicht verborgen geblieben sind, hat er auch bei seiner Anhörung durch das Sozialgericht wie auch bei seiner Einlassung in der Berufungsverhandlung deutlich gemacht.

Es wird in diesem Zusammenhang von dem Kläger nicht erwartet, dass er die Berechnungen der Beklagten zur Höhe des Leistungsanspruchs bis in alle Einzelheiten nachvollzieht und quasi auf "Heller und Pfennig" überprüft (vergl. BSG, Urt. v. 27. Juli 2000, B 7 AL 88/99 R, SozR 3-1300 § 45 Nr. 42). Es ist allerdings von ihm zu fordern, dass er die Bemessungsgrundlagen für seinen Leistungsanspruch und die genaue Höhe der Leistungsbewilligung sowie der tatsächlichen Zahlung zur Kenntnis nimmt. Zudem besteht für den Kläger als Leistungsempfänger eine Oblie¬genheit, die erhaltenen Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vergl. BSG, Urt. v. 8. Februar 2001, a.a.O.). Wenn die deutlichen Unterschiede in der Höhe der dem Kläger einerseits für die Zeit bis 26. Januar 2002 und andererseits für die Zeit ab 27. Januar 2002 gewährten Leistungen den Kläger - zu Recht - haben stutzig werden lassen, war es ihm zuzumuten, Kontrollüberlegungen im Hinblick auf die Bemessungsgrundlagen der erhaltenen Leistungen anzustellen und im Rahmen dieser Überlegungen entsprechende Nachfragen oder Hinweise an die Beklagte zu tätigen bzw. diese von den deutlich divergierenden Überweisungsbeträgen in Kenntnis zu setzen. Dies gilt umso mehr, als in den Bewilligungsbescheiden jeweils als Berechnungsgrundlage das Bemessungsentgelt beziffert war. Dass dem Kläger in diesem Zusammenhang der von der Beklagten gemachte Fehler aufgefallen ist, hat er - wie bereits ausgeführt - nicht in Abrede gestellt. In dieser Situation hätte er sich jedoch nicht darauf beschränken dürfen, sich wegen der zuvor bezogenen ergänzenden Sozialhilfe an das Sozialamt der Stadt L (Herrn T ) zu wenden. Vielmehr hätte es zur Überzeugung des Senats mehr als nahe gelegen, den Fehler auch und gerade gegenüber der Beklagten als der die überhöhte Leistungen bewilligenden und gewährenden Stelle geltend zu machen. Dass dies vor der Kontaktaufnahme zu Herrn T geschehen ist, vermag der Senat aus den bereits genannten Gründen nicht zu Grunde zu legen; dass der Kläger auch später insoweit keinen Kontakt zu der Beklagten aufgenommen hat, wird von ihm selbst nicht in Abrede gestellt. Ein solcher Hinweis hätte indessen zur Überzeugung des Senats mehr als nahe gelegen. Dass der Kläger von seinen intellektuellen Fähigkeiten her in der Lage war, die maßgeblichen Umstände zu erkennen, ist für den Senat auch nach dem von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck nicht zweifelhaft.

Dass der Fehler der Leistungsbewilligung im Verantwortungsbe¬reich der Beklagten lag, ist im Hinblick auf den subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff - wie oben ausgeführt - nicht ausschlag¬¬gebend. Durfte die Beklagte mithin gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die das Uhg und das Alg be¬willigenden Verwaltungsakte (einschließlich des Änderungsbescheides vom 27. August 2002) für die Vergangenheit teilweise zu¬rücknehmen, so scheitert diese Befugnis der Beklagten auch nicht an der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Die Be¬klagte hat die Jahresfrist eingehalten, die nach der Rechtspre¬chung des BSG (vgl. Urteil vom 27. Juli 2000, a.a.O.) grund¬sätzlich erst nach der erfolgten Anhörung des Betroffenen zu laufen beginnt. Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 11. Dezember 2002 angehört, nachdem ihr zuvor bewusst geworden war, dass das den gewährten Leistungen zu Grunde liegende Bemessungsentgelt nicht von DM in Euro umgerechnet worden war. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten erging sodann knapp 1 ½ Monate später, nämlich am 20. Januar 2003.

Gemäß § 330 Abs. 2 SGB III war eine Ermessensentscheidung der Beklagten hinsichtlich der Rücknahme mit Wirkung für die Ver¬gangenheit ausgeschlossen. Aus diesem Grunde ist auch das Verschulden der Beklagten an der entstandenen Überzahlung unbeachtlich. Dieser bei einer etwai¬gen Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Aspekt kommt vorliegend nicht zum Tragen, da die Beklagte bei ihrer Rücknah¬meentscheidung nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X Ermessen kraft Ge¬setzes (§ 330 Abs. 2 SGB III) nicht ausüben durfte (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 20. Oktober 2004, L 6 AL 65/03, veröffent¬licht in www.sozialgerichtsbar-keit.de; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Juni 2004, L 12 AL 215/03, in juris veröffent¬licht).

Der Kläger hat gemäß § 50 Abs. 1 SGB X die ihm zu Unrecht ge¬zahlten Leistungen in Höhe von 1.957,65 EUR zu erstatten. Hinsichtlich der Höhe des von der Beklagten errechneten Erstattungsbetrages sind – wie bereits ausgeführt - Bedenken weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 Sozialge¬richtsgesetz (SGG).

Der Senat hat keinen Anlass gesehen, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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