L 12 AS 4271/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 1115/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 4271/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.06.2006 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Streit.

Die 1959 geborene Klägerin ist alleinstehend und bewohnt eine 1-Zimmer-Wohnung, welche mit zwei Einzelöfen und einem Heizlüfter im Bad beheizt wird. Für die Wohnung zahlt sie eine Kaltmiete in Höhe von 260,00 Euro zzgl. Kosten für Gas in Höhe von 57,00 Euro monatlich (bis Februar 2005: 48,00 Euro monatlich; bis einschließlich August 2005: 52,00 Euro monatlich). Nach dem Bezug von Arbeitslosenhilfe im Jahr 2004 beantragte sie bei der Beklagten im Oktober 2004 die Gewährung von Arbeitslosengeld II. Die Klägerin legte eine Bescheinigung ihrer Hausärztin vor, wonach bei ihr auf Grund eines Diabetes mellitus Diabeteskost erforderlich sei.

Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 13.11.2004 ab dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld II von Januar bis Mai 2005 in Höhe von 794,56 Euro und für den Monat Juni 2005 in Höhe von 777,16 Euro, wobei die Beklagte zusätzlich zu einem befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II bereits einen monatlichen Mehrbedarf von 25,56 Euro für kostenaufwendige Ernährung berücksichtigte.

Ihren Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass der Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung zu gering sei und ihr einschließlich Praxisgebühr und Zuzahlungen deswegen in Höhe von mindestens 50,00 Euro monatlich Kosten entstünden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2005 bewilligte die Beklagte daraufhin für die Zeit von Januar bis Mai 2005 795,23 Euro und für Juni 2005 775,18 Euro und wies den darüber hinausgehenden Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 01.03.2005 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Sie machte geltend, dass die Regelleistung der Beklagten in unzulässiger Weise zu niedrig bemessen sei, da eine Anpassung des 1997 errechneten Bedarfs trotz stetiger Inflation nicht erfolgt sei. Außerdem seien Stromkosten in Höhe von 11,00 Euro zusätzlich zu berücksichtigen, da sie ihr Bad mit einem Heizlüfter beheize.

Während des Klageverfahrens erfolgten mehrere Änderungsbescheide der Beklagte; streitgegenständlich ist insoweit nunmehr der Bescheid vom 15.11.2005, mit dem der Klägerin 806,33 Euro für Januar und Februar 2005, 689,26 Euro für März 2005, 810,33 Euro für April 2005, 802,82 Euro für Mai 2005 und 782,72 für Juni 2005 bewilligt wurden. Mit weiterem Bescheid vom 15.11.2005 wurden für Juli 2005 735,82 Euro und für August 803,35 Euro bewilligt, sowie mit Bescheid vom 30.11.2005 für die Zeit ab September 2005 bis Mai 2006 743,82 Euro monatlich.

Das SG hat am 29.06.2006 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beklagte anerkannt hat, dass der Klägerin für März 2005 gemäß dem Widerspruchsbescheid vom 04.02.2005 795,23 Euro und gemäß dem Bescheid vom 04.03.2005 für Mai 2005 807,56 Euro und für Juni 2005 784,46 Euro zu gewähren sind. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen und ihre Klage im Übrigen aufrecht erhalten.

Die insoweit aufrecht erhaltene Klage hat das SG mit Urteil vom 29.06.2006 als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte habe in den letzten Fassungen ihrer Bescheide Arbeitslosengeld II in zutreffender Höhe bewilligt. Zuzüglich zu der Regelleistung von 345,00 Euro monatlich und dem befristeten Zuschlag seien die Kaltmiete von 260,00 Euro sowie die Gaskosten von 48,00 Euro (von Januar und Februar 2005), 52,00 Euro (März bis Juli 2005), 126,53 Euro (August 2005) und 57,00 Euro (ab September 2005) zu berücksichtigen. Von den Gaskosten sei jedoch ein Pauschalbetrag in Höhe von 6,23 Euro monatlich abzuziehen, da die Kosten der Warmwasserbereitung bereits in der Regelleistung enthalten seien. Darüber hinaus seien wegen der teilweisen Heizung der Wohnung der Klägerin mit einem Heizlüfter bei einer Leistung von 2000 Watt und einer anzunehmenden Betriebsdauer von 30 Min. täglich zusätzlich monatlich 3,52 Euro zu gewähren. Darüber hinaus stünden der Klägerin weitere Leistungen der Beklagten nach dem SG II nicht zu. Sofern die Klägerin einen Mehrbedarf bei kostenaufwendiger Ernährung geltend mache, habe sie hierauf keinen gesetzlichen Anspruch (unter Hinweis auf LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.11.2005 - L 9 B 259/05 SO-ER-). Denn nach den aktuellen ernährungsmedizinischen Empfehlungen unterscheide sich die bei Diabetes mellitus empfohlene Basiskost in ihrer Zusammensetzung nicht von der im Rahmen der Primärprävention zur Gesunderhaltung empfohlenen Ernährungsweise, welche eine normale Vollkost darstelle. Die hierfür empfohlene Vollkost (auch: ausgewogene Mischkost) entspreche einer gesunden Normalkost, so dass ein finanzieller Mehraufwand nicht entstehe. Eine eigentliche Diabeteskost gebe es demnach nach heutigen Erkenntnissen nicht mehr, da die bei Diabetes mellitus empfohlene Vollkosternährung auch die für jeden Gesunden empfohlene Ernährungsweise darstelle. Auch sei es heute anders als früher möglich, die empfohlene Vollkost nicht nur in Reformhäusern zu erhalten, sondern zu geringen Preisen auch in Lebensmittelläden und -ketten. Aufgrund der Erkrankungen der Klägerin bestehe auch kein Anspruch auf Mehrkosten wegen Praxisgebühren und Zuzahlungen. Insoweit seien diese Kosten nach den Gesetzesmaterialien bei der Berechnung des Regelsatzes berücksichtigt worden. Die Höhe des Regelsatzes sei auch mit den Garantien des Grundgesetzes (GG), insbesondere den Art. 1 Abs. 1 GG und 20 Abs. I GG vereinbar, da jedenfalls die Mindestvoraussetzungen für eine menschenwürdiges Dasein gewährleistet seien (unter Hinweis auf BVerfGE 82,60; 102,366). Das Urteil des SG wurde dem Klägerbevollmächtigen am 26.07.2006 zugestellt.

Die Berufung wird damit begründet, dass die Regelleistung nach dem SGB II in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen sei. Außerdem seien auch wegen der Erkrankung der Klägerin höhere Leistungen zu gewähren. Schließlich dürfe bei den Kosten für die Haushaltsenergie kein Abzug vorgenommen werden.

Die Bevollmächtigten der Klägerin beantragen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.06.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15.011.2005 und 30.11.21005 höhere Leistungen nach dem SGB II bis Juni 2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des Sozialgerichts sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat die einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend benannt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des SG, welche der Senat sich ausdrücklich zu eigen macht, Bezug genommen.

Auch im Hinblick auf den im Berufungsverfahren erfolgten weiteren Vortrag der Klägerin ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Höhe der Leistungen nach dem SGB II in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen ist; eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG scheidet daher aus.

Die monatliche Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts beträgt nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, 345 Euro. Diese Leistung umfasst nach § 20 Abs. 1 SGB II insbesondere die Kosten für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Es ist nicht erkennbar und es wird von den Bevollmächtigten des Klägers auch nicht schlüssig vorgetragen, dass die Höhe dieser Leistung nicht zur Erreichung dieser Zwecke ausreichend sein könnte. Insbesondere ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Leistung in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen ist.

Die Höhe der Regelleistung als solche begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken und garantiert den Betreffenden (noch) das soziokulturelle Existenzminimum, also die Möglichkeit, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.09.2006 - L 7 SO 5536/05 - unter Hinweis auf BVerwGE 97, 376 ; 94, 336; 92, 6 m.w.N.; umfassend hierzu auch Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 13.03.2006 - S 5 AS 3056/05 -). Die gerichtliche Überprüfung hat sich insoweit darauf zu beschränken, ob der gesetzliche Rahmen eingehalten wurde, sich die Regelsatzfestsetzung auf ausreichende Erfahrungswerte stützen kann und die der Festsetzung zugrunde liegenden Wertungen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben vertretbar sind. Hiervon ist vorliegend auszugehen (ebenso Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.05.2006 - L 11 AS 111/05 -). Die Darlegungen seitens der Klägerbevollmächtigten, dass dieses durch Art. 1 GG geschützte soziokulturelle Existenzminimum im Falle des Klägers nicht gewährleistet wäre, sind nicht überzeugend. Auch das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und das Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG gebieten keine darüber hinausgehenden Ansprüche des Klägers. Grundsätzlich ergeben sich aus dem Sozialstaatsprinzip wegen seiner hohen Unbestimmtheit nur ausnahmsweise bestimmte Leistungsrechte (vgl. BVerfGE 82, 60 (80)).

Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster unabweisbarer Bedarf dennoch nicht gedeckt werden, kommt die Gewährung eines Darlehens gemäß § 23 Abs. 1 SGB II in Betracht. Den verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich aus der unterschiedlichen Regelung im SGB II einerseits – nur Darlehensgewährung bei unabweisbarem Bedarf (§ 23 Abs. 1 SGB II) – und dem SGB XII andererseits – individuelle Berücksichtigung des unabweisbaren Bedarfs abweichend vom Regelsatz (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII) – herleiten (vgl. Däubler, NZS 2005, 225, 231; Bieback NZS 2005, 337 , 339; O Sullivan SGb 2005, 369 , 372), könnte durch eine Modifizierung der durch § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II eröffneten Aufrechnungsbefugnis begegnet werden (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2005 - L 8 AS 2764/05 - mit Hinweis auf Lang in Eicher/Spellbrink aaO § 23 Rdnr. 66).

Der vorliegende Fall gibt allerdings keinen Anlass, dieser Frage weiter nachzugehen. Denn die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie einen Bedarf hat, der in der Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Insofern wird auf die Entscheidungsgründe des SG verwiesen, wonach ein Mehrbetrag für kostenaufwendige Ernährung nach dem Krankheitsbild der Klägerin nicht gerechtfertigt ist und die Kosten für Arztbesuche und Zuzahlungen im Regelbetrag enthalten sind.

Hinsichtlich des Abzugs von Kosten für Haushaltsenergie wird auf die den Klägerbevollmächtigten bekannte Entscheidung des erkennenden Senats vom 30.08.2005 (Az. L 12 AS 2023/05) verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Zulassung der Berufung beruht auf der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.
Rechtskraft
Aus
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